Verwaltungsrecht

Anspruch auf die Zuerkennung von Flüchtlingsschutz bei einem pakistanischen Staatsangehörigen

Aktenzeichen  M 19 K 17.32825

Datum:
23.11.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 53379
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 3a, § 3b, § 3c, § 4, § 77 Abs. 1 S. 1
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
VwGO § 67 Abs. 4 S. 4 u. 7,§ 102 Abs. 2
ZPO § 708 f.

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Das Gericht konnte trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten über die Sache verhandeln und entscheiden, da die Beklagte ordnungsgemäß geladen und in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden war (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheids zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen, ihm die Flüchtlingseigenschaft oder den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen oder zu seinen Gunsten das Vorliegen der Voraussetzungen nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen. Auch an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung und der Befristungsentscheidung bestehen keine Zweifel.
Maßgeblich für die Entscheidung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG).
1. Ein Anspruch auf die Zuerkennung von Flüchtlingsschutz besteht nicht.
Ein solcher Anspruch setzt eine Verfolgungshandlung i.S.v. § 3a Abs. 1, 2 AsylG voraus, die an einen Verfolgungsgrund i.S.v. § 3b AsylG anknüpft und von einem Akteur i.S.v. § 3c AsylG ausgeht. Weiter muss es an einem effektiven Schutz vor Verfolgung im Herkunftsstaat fehlen (§§ 3d, 3e AsylG) und es dürfen keine Ausschlussgründe nach § 3 Abs. 2 bis 4 AsylG vorliegen.
Der Kläger erfüllt die dort genannten Voraussetzungen für eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht. Das Gericht ist nicht davon überzeugt, dass dem Kläger im Falle einer Rückkehr in Pakistan Verfolgung droht.
Maßgeblich für die Beantwortung der Frage, ob sich ein Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung außerhalb seines Herkunftslandes befindet, ist der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Dieser setzt voraus, dass bei zusammenfassender Würdigung des zur Prüfung stehenden Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung vorzunehmen. Maßgebend ist in dieser Hinsicht damit letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Klägers nach Abwägung aller bekannten Umstände eine (hypothetische) Rückkehr in den Herkunftsstaat als unzumutbar erscheint. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25/10 – juris Rn. 24; B.v. 7.2.2008 – 10 C 33/07 – juris Rn. 23; U.v. 5.11.1991 – 9 C 118/90 – juris Rn. 17; BayVGH, U.v. 14.2.2017 – 21 B 16.31001 – juris Rn. 21).
Die vom Kläger im Verwaltungsverfahren vorgetragenen Gründe, die er im Rahmen der mündlichen Verhandlung ergänzt hat, rechtfertigen nicht die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Der klägerische Vortrag, er werde als „Fluchthelfer“ für seinen Freund und dessen Partnerin verfolgt und durch eine Fatwa mit dem Tod bedroht, knüpft nicht an ein in den §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 3b AsylG genanntes flüchtlingsrechtlich relevantes Merkmal an. Es ist außerdem zweifelhaft, ob die erlebten und überdies befürchteten Verfolgungshandlungen von einem maßgeblichen Akteur ausgingen.
Selbst wenn eines der in §§ 3, 3b AsylG genannten flüchtlingsrechtlich relevanten Merkmale zu bejahen wäre und Verfolgungshandlungen von einem maßgeblichen Akteur ausgingen, muss sich der Kläger jedenfalls auf internen Schutz nach § 3e AsylG verweisen lassen. Dem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft nach § 3e Abs. 1 Nr. 1 AsylG dieser Vorschrift nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat. Außerdem muss nach § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG der Ausländer sicher und legal in diesen Landesteil reisen können, er muss dort aufgenommen werden und es muss vernünftigerweise erwartet werden können, dass er sich dort niederlässt (vgl. zu den Anforderungen VG Göttingen, U.v. 7.2.2017 – 2 A 304/15 – juris Rn. 28).
Es ist nicht erkennbar, dass es dem Kläger nicht möglich sein sollte, sich andernorts, insbesondere in einer pakistanischen Großstadt niederzulassen und dort unbehelligt zu leben. Es ist nicht anzunehmen, dass dem Kläger in Pakistan insoweit landesweite Verfolgung droht; es ist nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass die nach Aussage des Klägers gegen ihn ausgesprochene Fatwa allgemein bekannt sei und er landesweit mit einer Verwirklichung der dort ausgesprochen Strafe – Steinigung – zu rechnen habe.
Eine Fatwa ist eine von einer muslimischen Autorität auf Anfrage erteilte Rechtsauskunft, die dem Zweck dient, ein religiöses oder rechtliches Problem zu klären, das unter Angehörigen des Islam aufgetreten ist (zu den Anwendungsbereichen der Fatwa auch im modernen islamischen Recht als Instrument zur Lösung allgemeiner Probleme siehe die Beispiele bei Rohe, Das islamische Recht, 2009, S. 203). Die Einflusssphäre der jeweiligen Fatwa beruht auf der persönlichen Autorität ihres Verfassers; das bedeutet, dass – anders als im Gerichtsurteil – die in der Fatwa vertretene Rechtsauffassung nur bindend für diejenigen ist, die diese Autorität auch anerkennen (vgl. Rohe, Das islamische Recht, 2009, S. 28 m.w.N.). Im sunnitischen Islam gibt es keine allgemein akzeptierten Bestimmungen darüber, wer eine Fatwa ausstellen kann und wer nicht, weshalb islamische Gelehrte immer wieder monieren, es fühlten sich zu viele Menschen hierzu berufen (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Fatwa). Aus dem – ohnehin nur behaupteten – Vorliegen einer Fatwa lässt nicht daher ableiten, dass jeder Muslim in Pakistan den Kläger mit dem Ziel, ihn zu töten, verfolgen wird. Der Kläger kann sich also den behaupteten Bedrohungen dadurch entziehen, dass er sich in einem anderen Landesteil niederlässt (vgl. VG München, U.v. 12.4.2018 – M 19 K 17.30018), wo ihn grundsätzlich niemand kennt und auch kaum von den Geschehnissen erfahren wird.
Auch kann von Kläger vernünftigerweise erwartet werden, dass er sich in diesem Landesteil niederlässt (§ 3e Abs. 1 Nr. 2 a. E. AsylG). Die möglicherweise für ihn bestehende schwierige wirtschaftliche Situation in einer pakistanischen Großstadt steht der Zumutbarkeit nicht entgegen. Zwar ist die wirtschaftliche Situation in Pakistan als schwierig, gleichwohl als relativ stabil einzustufen. Es ist davon auszugehen, dass der Kläger als erwachsener und arbeitsfähiger Mann mittleren Alters mit praktischer Berufserfahrung in anderen Landesteilen sein Existenzminimum sicherstellen können wird. Es gibt aufgrund der großen Bevölkerung viele Möglichkeiten für Geschäfte auf kleiner Basis (vgl. zum Ganzen auch: VG Augsburg, U.v. 30.3.2015 – Au 3 K 14.30437 – juris Rn. 51 ff.; VG Regensburg, U.v. 9.1.2015 – RN 3 K 14.30674 – juris Rn. 23; U.v. 10.12.2013 – RN 3 K 13.30374 – juris Rn. 31 jeweils unter Bezugnahme auf die Auskunft des Bundesasylamts der Republik Österreich vom Juni 2013, Pakistan 2013, S. 76). Der Kläger hat bereits in der Vergangenheit bewiesen, dass er in der Lage ist, seinen Lebensunterhalt durch eigene Erwerbstätigkeit zu sichern.
2. Dem Kläger steht auch kein Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a GG zu. Jedenfalls entfällt gegebenenfalls die Asylrelevanz der Verfolgung, weil der Kläger andernorts in Pakistan eine sichere Zuflucht finden kann.
3. Anhaltspunkte für das Vorliegen der Voraussetzungen des subsidiären Schutzes sind ebenfalls nicht gegeben. Der Kläger hat keinen Sachverhalt vorgetragen, wonach ihm in seinem Heimatland die Verhängung oder die Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG), Folter oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG) droht. In Pakistan liegt unter Auswertung der aktuellen Erkenntnismittel auch kein bewaffneter Konflikt vor, der zu einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben des Klägers führen könnte (vgl. allgemein VG München, U. v. 6.4.2018 – M 23 K 16.34252; VG München, U.v. 6.11.2015 – M 23 K 14.30636 – juris Rn. 46 f.; VG Augsburg, U.v. 30.3.2015 – Au 3 K 14.30437 – juris Rn. 56 ff., VG Regensburg, U.v. 9.1.2015 – RN 3 K 14.30674 – juris Rn. 29). Es steht jedenfalls auch hier die Möglichkeit internen Schutzes entgegen (vgl. § 4 Abs. 3 AsylG i.V.m. § 3e AsylG).
4. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
a) Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
Es ist nach Überzeugung des Gerichts jedoch nicht zu erwarten, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Pakistan Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe im Sinne des Art. 3 EMRK drohen könnte.
b) Auch die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen nicht vor. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.
Der Kläger ist ein junger, offenbar gesunder und arbeitsfähiger Mann mit Arbeitserfahrung, von dem zu erwarten ist, dass er seinen Lebensunterhalt in Pakistan wird sichern können. Das Gericht stellt insoweit gemäß § 77 Abs. 2 AsylG fest, dass es insoweit der zutreffenden Begründung der Beklagten in dem angegriffenen Bescheid folgt.
c) Auch ist das Gericht der Auffassung, dass die allgemeine Gefahr in Pakistan sich für den Kläger nicht derart zu einer extremen Gefahr verdichtet hat, dass eine entsprechende Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG geboten ist. Die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung hierfür aufgestellten Voraussetzungen sind nicht erfüllt.
Aus den Erkenntnismitteln zu Pakistan ergibt sich derzeit nicht, dass ein alleinstehender arbeitsfähiger männlicher Rückkehrer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach einer Rückkehr in eine derartige extreme Gefahrenlage geraten würde, die eine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich als unzumutbar erscheinen ließe. Zwar ist die Versorgungslage in Pakistan schlecht, jedoch ist im Wege einer Gesamtgefahrenschau nicht anzunehmen, dass bei einer Rückführung alsbald der sichere Tod drohen würde oder alsbald schwere Gesundheitsbeeinträchtigungen zu erwarten wären. Der Betroffene wird in der Lage sein, durch Gelegenheitsarbeiten wenigstens ein kleines Einkommen zu erzielen und sich damit zumindest ein Leben am Rand des Existenzminimums zu finanzieren.
5. Die von der Beklagten auf § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG gestützte Abschiebungsandrohung und das verfügte Einreise- und Aufenthaltsverbot auf der Grundlage des § 11 Abs. 1 AufenthG begegnen keinen rechtlichen Bedenken. Qualifizierte Einwände hiergegen hat der Kläger auch nicht erhoben.
Damit war die Klage insgesamt als unbegründet abzuweisen.
6. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordung (ZPO).

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