Aktenzeichen W 5 K 16.659
LStVG LStVG Art. 6, Art. 7 Abs. 2 Nr. 3
VwGO VwGO § 92 Abs. 3, § 113 Abs. 1 S. 1
Leitsatz
Ein Anspruch des Obdachlosen auf sicherheitsrechtliches Einschreiten besteht nur, soweit und solange er die Gefahr nicht selbst aus eigenen Kräften oder mit Hilfe der Sozialleistungsträger in zumutbarer Weise und Zeit beheben kann (Anschluss an BayVGH BeckRS 2016, 26379). (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Das Verfahren wird eingestellt, soweit sich die Klage gegen den Bescheid vom 6. Juni 2016 richtet. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II.
Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Gründe
1. Hinsichtlich des Bescheids vom 6. Juni 2016, mit dem die Klägerin zur Räumung des Zimmers Nr. 1 (sowie einiger Nebenräume und Einrichtungsgegenstände) bis spätestens 1. Juli 2016 um 8:00 Uhr verpflichtet und ihr für den Fall der nicht fristgerechten Räumung die kostenpflichtige Ersatzvornahme angedroht worden war, ist der Rechtsstreit aufgrund der übereinstimmenden Erklärungen der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung in der Hauptsache erledigt. Das Verfahren ist entsprechend § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen.
2. Soweit die Klage in der mündlichen Verhandlung aufrechterhalten wurde, konnte sie keinen Erfolg haben, weil sie bereits unzulässig bzw. unbegründet ist.
2.1. Die gegen den Räumungsbescheid des Beklagten vom 27. Oktober 2016 gerichtete Anfechtungsklage ist unbegründet, da dieser Bescheid nicht rechtswidrig ist und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Dies ergibt sich daraus, dass im vorliegenden Fall die Voraussetzungen für den Erlass einer auf Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG gestützten Räumungsanordnung vorliegen. So kann die zuständige Gefahrenabwehrbehörde u.a. dann eine Räumungsverfügung erlassen, wenn nach Ablauf der Einweisungsfrist der Eingewiesene die ihm zugewiesene Unterkunft nicht freiwillig räumt (vgl. Bengl/Berner/Emmerig, LStVG, Stand Sept. 2015, Art. 7 Rn. 197; Ruder/Bätge, Obdachlosigkeit, S. 151, 153). Dies ist hier der Fall, denn die mit bestandskräftigem Bescheid des Beklagten vom 1. Juni 2016 erfolgte Zuweisung war bis zum 30. Juni 2016 befristet (vgl. Ziffer 1 dieses Bescheids, Bl. 243 der Behördenakte). Eine weitere Verlängerung der Zuweisung ist nicht erfolgt. Die Klägerin hat nach Ablauf der Frist die Unterkunft auch nicht freiwillig geräumt.
Droht allerdings einer Person unmittelbar nach der Räumung der Notunter-kunft die unfreiwillige Obdachlosigkeit, so hat die zuständige Gefahrenab-wehrbehörde die dadurch drohende Gefahr für die öffentliche Sicherheit durch den Erlass einer Einweisungsverfügung zu beseitigen (vgl. Ruder/Bätge, Obdachlosigkeit, S. 156). Denn nach Art. 6 und Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG sind die Gemeinden als untere Sicherheitsbehörden verpflichtet, Gefahren abzuwehren und Störungen zu beseitigen, die Leben, Gesundheit oder Freiheit von Menschen bedrohen oder verletzen. Dazu gehört die Un-terbringung unfreiwillig Obdachloser.
Es steht aber zur Überzeugung der Kammer fest, dass der Klägerin bei Verlassen der Notunterkunft des Beklagten nicht die Obdachlosigkeit droht. Dies ergibt sich aus Folgendem:
Ein Anspruch des Obdachlosen auf sicherheitsrechtliches Einschreiten besteht nur, soweit und solange er die Gefahr nicht selbst aus eigenen Kräften oder mit Hilfe der Sozialleistungsträger in zumutbarer Weise und Zeit beheben kann (vgl. BayVGH, B.v. 21.9.2006 – 4 CE 06.2465 – BayVBl 2007, 439; VGH Kassel, B.v. 24.9.1991 – 11 TG 1481.91 – juris). Denn die Gefahrenabwehrpflicht der Sicherheitsbehörde gilt nur bezüglich der Abwehr einer „unfreiwilligen“ Obdachlosigkeit, die nur dann vorliegt, wenn eine Person nicht über eine Unterkunft verfügt, die einen Minimalschutz vor der Witterung und zur Sicherung der notwendigsten Lebensbedürfnisse bietet (vgl. VGH Mannheim, B. v. 5.3.1996 – 1 S 470/96 – NVwZ-RR 1996, 439 = juris), die aber – wegen der Subsidiarität des Obdachlosenrechts – nicht vorliegt, wenn der Betroffene selbst – wirtschaftlich, finanziell und nach den gesamten tatsächlichen Verhältnissen des Wohnungsmarktes – dazu in der Lage ist, die drohende Obdachlosigkeit abzuwenden. Unfreiwillig obdachlos ist nämlich nur jemand, der keine Wohnung hat und nicht in der Lage ist, die Wohnungslosigkeit aus eigener finanzieller Kraft oder zumindest mit Hilfe von Sozialleistungen in zumutbarer Weise und Zeit zu beseitigen (vgl. VG Augsburg, B. v. 12.9.2014 – Au 7 S. 14.1263 – juris, Rn. 24). Dabei ist darauf abzustellen, ob sich der Betreffende unter Ausschöpfung aller ihm zu Gebote stehenden zumutbaren Eigenmaßnahmen, auch finanzieller Art, selber eine nur vorübergehende und den Mindestanforderungen genügende Bleibe verschaffen kann (vgl. BayVGH, B. v. 10.3.2005 – 4 CS 05.219 und B. v. 13.2.2014 – 4 CS 14.125; beide juris; siehe ferner zur Subsidiarität des Obdachlosenrechts im Hinblick auf die vorrangige Pflicht zur Gefahrenabwehr durch die Selbsthilfe des Betroffenen ausführlich und m.w.N. zur Rspr. Ruder/Bätge, Obdachlosigkeit, S. 88 ff. und Ehmann, Obdachlosigkeit, 2. Aufl. 2006, S. 36 f.).
Gemessen an diesen rechtlichen Maßstäben ist nicht zu erkennen, warum der Beklagte die Klägerin weiterhin unterbringen müsste. Denn jedenfalls verfügt die Klägerin über ausreichende eigene finanzielle Mittel, um sich eine zumindest vorübergehende und den Mindestanforderungen genügende Bleibe zu verschaffen. Ausweislich des vorgelegten Rentenbescheids erhält die Klägerin monatliche Rentenleistungen in Höhe von 1.019,77 EUR. Diese Renteneinnahmen ermöglichen der Klägerin ohne Weiteres die Anmietung einer eigenen Unterkunft, zumal bei Anmietung einer angemessenen Wohnung ein etwaiger Fehlbetrag über Leistungen der Sozialhilfeträger ausgeglichen würde. Nach allgemeiner Lebenserfahrung ist es der Klägerin möglich, zumindest vorübergehend ein Zimmer in H. oder der näheren Umgebung zu finden. Jedenfalls hat die Klägerin schon nicht vorgetragen und erst recht nicht nachgewiesen, dass sie mit Hilfe der vorhandenen finanziellen Mittel in den Gasthäusern und Pensionen im Umkreis des Beklagten kein Zimmer anmieten kann. Darüber hinaus steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass es der Klägerin bei ausreichenden Bemühungen durchaus möglich ist, in H. bzw. der näheren Umgebung ein Zimmer bzw. eine kleine Wohnung anzumieten. Hierfür spricht auch der Umstand, dass es in den letzten Jahren insgesamt 15 ehemals obdachlosen Personen von H. aus möglich war, neue Unterkünfte zu finden. Angesichts des Umstands, dass sich die Klägerin zwischenzeitlich über fünf Jahre in den Notunterkünften des Beklagten aufhält, sich beharrlich weigert, innerhalb der Unterkunft zu wechseln, seit Jahren keinen Wohnungsberechtigungsschein mehr beantragt hat, sogar einen Pkw besitzt, mit dem sie aus stadtferneren Gemeinden zu wichtigen Terminen in die Stadt W. fahren könnte, drängt sich für die Kammer der Eindruck auf, dass die Klägerin sich in ihrer Unterkunft eingerichtet hat und diese nicht verlassen möchte. Dies steht aber im klaren Widerspruch zu den Grundsätzen des Obdachlosenrechts. So hat sich der Obdachlose nach dem Grundsatz des Vorrangs seiner Selbsthilfe und Eigenverantwortung selbst mit allen zumutbaren Anstrengungen zu bemühen, die Notlage zu beseitigen, da seine eigenen Interessen inmitten stehen, deren Wahrung zunächst seine Angelegenheit ist.
2.2. Die Verpflichtungsklage in der Form der Versagungsgegenklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO), die darauf gerichtet ist, den Bescheid des Beklagten vom 7. Juli 2016 aufzuheben und den Beklagen zu verpflichten, für eine menschenwürdige Unterbringung der Klägerin zu sorgen, ist schon unzulässig und im Übrigen auch unbegründet.
Mit Ziffer 1 des Bescheids vom 7. Juli 2016 wurde der Klägerin zur Vermeidung einer drohenden Obdachlosigkeit das Zimmer Nr. 3 im Anwesen … in H. unter Befristung vom 1. Juli 2016 bis zum 30. September 2016 zugewiesen und mit Ziffer 2 ein Benutzungsentgelt festgesetzt.
Vorliegend geht es nicht um eine sog. „Umsetzung“, also um den Wechsel der Notunterkunft während eines laufenden Einweisungszeitraums (vgl. VG Würzburg, B.v. 6.7.2007 – W 5 E 07.761 – juris; BayVGH. B.v. 4.10.1995 – 4 CS 94.3112 – BayVBl 1995, 86; Bengl/Berner/Emmerig, LStVG, Art. 7 Rn. 193). Denn die Einweisung der Klägerin in das Zimmer Nr. 1 in der Notunterkunft … * endete am 30. Juni 2016 (vgl. Bescheid vom 1. Juni 2016, Bl. 243 der Behördenakte). Vielmehr handelt es sich vorliegend um die ausschließliche Zuweisung einer Unterkunft (ohne Räumungsverfügung bzgl. einer anderen Unterkunft), die der Klägerin die Möglichkeit eröffnet, die Unterkunft zu nutzen, wobei eine Verpflichtung zum tatsächlichen Bezug der zugewiesenen Unterkunft durch eine solche behördliche Zuweisung nicht begründet wird (vgl. VG München, B.v. 24.10.2002 – M 22 E 02.2459; VGH Mannheim, B.v. 8.2.1996 – 1 S 147/96; beide juris). Die Zuweisung ist also keine Eingriffsmaßnahme, sondern ist ein rein begünstigender Verwaltungsakt (vgl. Bengl/Berner/Emmerig, LStVG, Art. 7 Rn. 193), so dass hier schon sehr fraglich ist, ob mangels belastenden Verwaltungsakts überhaupt eine Anfechtung des streitgegenständlichen Verwaltungsakts statthaft ist.
Im Übrigen ist aber die Versagungsgegenklage (nach Klageerhebung) unzulässig geworden wegen Erledigung des Verwaltungsaktes. Denn gemäß Art. 43 Abs. 2 BayVwVfG tritt Erledigung ein u.a. durch Zeitablauf, wenn sich also die innere Wirksamkeit durch Zeitablauf erledigt, z.B. bei Eintritt einer auflösenden Bedingung (Art. 36 Abs. 2 Nr. 2 BayVwVfG) oder im Fall einer Befristung (Art. 36 Abs. 2 Nr. 1 BayVwVfG) bei Fristablauf (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 16. Aufl. 2016, § 43 Rn. 40c). Befristung bedeutet entsprechend § 163 BGB die Festsetzung eines dem Datum nach bestimmten (oder bestimmbaren) Zeitpunktes als Voraussetzung für den Eintritt, die Dauer oder die Beendigung der inneren Rechtswirkungen eines Verwaltungsakts (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 36 Rn. 15). Hier wurde als Dauer für die Zuweisung des Zimmers Nr. 3 der Zeitraum vom 1. Juli 2016 bis 30. September 2016 festgesetzt. Dieser Zeitraum ist abgelaufen, so dass der Verwaltungsakt sich durch Zeitablauf erledigt hat.
Jedenfalls ist die darauf gerichtete Klage, den Beklagen zu verpflichten, für eine menschenwürdige Unterbringung der Klägerin zu sorgen, unbegründet (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO), denn der Klägerin steht kein Anspruch auf Unterbringung gegen den Beklagten zu. Denn es liegt wegen der Subsidiarität des Obdachlosenrechts keine unfreiwillige Obdachlosigkeit vor. Die Klägerin kann aus eigener finanzieller Kraft oder zumindest mit Hilfe von Sozialleistungen die Obdachlosigkeit in zumutbarer Weise und Zeit beseitigen (s.o. unter 2.1.).
3. Nach allem war die Klage, soweit sie in der mündlichen Verhandlung aufrechterhalten wurde, mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO, § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.
Die Kostenentscheidung in Bezug auf den unter Ziffer I. Satz 1 des Tenors eingestellten Verfahrensteil beruht auf § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO. Danach hat das Gericht bei einer Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache nach billigem Ermessen über die Kosten des Verfahrens unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands zu entscheiden. Billigem Ermessen entspricht es hier, die Kosten des Verfahrens der Klägerin aufzuerlegen, da ihre Klage voraussichtlich erfolglos geblieben wäre.