Aktenzeichen Au 2 K 19.872
Leitsatz
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Die zulässige Klage ist nicht begründet, da der Kläger keinen Anspruch auf Erfüllungsübernahme nach Art. 97 des Bayerischen Beamtengesetzes (BayBG) hat. Der Bescheid des Beklagten vom 9. Oktober 2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
I.
Die Klage ist als Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO zulässig, da über den Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid ohne zureichenden Grund in einer für die Bearbeitung angemessenen Frist im Sinne von § 75 Satz 1 VwGO nicht entschieden worden ist. Seit Einlegung des Widerspruchs sind bis zum Zeitpunkt der Klageerhebung mehr als drei Monate vergangen, § 75 Satz 2 VwGO. Anhaltspunkte für das ein Vorliegen eines zureichenden Grundes, dass über den Widerspruchs noch nicht entschieden worden ist, wurden weder vorgetragen, noch sind diese sonst ersichtlich.
II.
Die Klage ist jedoch nicht begründet.
Dem Kläger steht der von ihm geltend gemachte Anspruch auf Erfüllungsübernahme bzw. auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Erfüllungsübernahme nicht zu.
1. Nach Art. 97 Abs. 1 BayBG kann der Dienstherr die Erfüllung eines rechtskräftig festgestellten Anspruchs auf Schmerzensgeld übernehmen, welcher daraus resultiert, dass ein Beamter in Ausübung des Dienstes oder außerhalb dessen wegen seiner Eigenschaft als Beamter einen tätlichen rechtswidrigen Angriff erleidet. Der Dienstherr kann den Anspruch bis zur Höhe des festgestellten Schmerzensgeldbetrages übernehmen, soweit dies zur Vermeidung einer unbilligen Härte notwendig ist. Eine solche liegt nach Art. 97 Abs. 2 BayBG insbesondere vor, wenn die Vollstreckung über einen Betrag von mindestens 500 EUR erfolglos geblieben ist. Die Übernahme der Erfüllung ist innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Jahren nach Rechtskraft des Urteils schriftlich unter Nachweis der Vollstreckungsversuche zu beantragen (Art. 97 Abs. 3 BayBG).
2. Diese Voraussetzungen zur Erfüllungsübernahme sind vorliegend nicht gegeben.
Der Kläger begehrt von dem Beklagten nämlich nicht die Erfüllung eines Schmerzensgeldanspruchs, welcher aufgrund eines tätlichen rechtswidrigen Angriffs im Sinne des Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG entstanden ist.
a. Ein tätlicher Angriff liegt nach der Gesetzesbegründung (LT-Drs. 17/2871, S. 44), wie bereits in Nr. 46.4.2. der Bayerische Verwaltungsvorschriften zum Versorgungsrecht (BayVV-Versorgung) definiert, nur dann vor, wenn der Angriff auf einen physischen Schaden gerichtet ist. Hierdurch werden grundsätzlich nur vollendete, rein körperliche Beeinträchtigungen oder Gesundheitsschäden erfasst (BeckOK BeamtenR Bayern/Buchard, 16. Ed. 30.12.2019, BayBG Art. 97 Rn. 12).
Dies bedeutet, dass von einem tätlichen Angriff solche Angriffe zu unterscheiden sind, die sich insbesondere als rein verbale Angriffe auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht oder die Ehre des Beamten durch bloße Beleidigungen, Androhungen oder Bedrohungen (vgl. hierzu auch Nr. 46.4.2 BayVV-Versorgung) darstellen, auch wenn diese zwar unter Umständen für sich alleine einen Schmerzensgeldanspruch begründen können, aber sowohl objektiv als auch aus Sicht des Schädigers nicht auf die körperliche Unversehrtheit gerichtet waren. Nicht erfasst werden damit bloße Beleidigungen und Bedrohungen, die zu keinen körperlichen oder nur zu psychischen Folgen führen (vgl. auch VG Regensburg, U.v. 20.7.2016 – RO 1 K 16.690 – juris Rn. 39).
Liegt dem Schmerzensgeldanspruch eine „gemischte“ Rechtsgutbeeinträchtigung zugrunde, d.h. das titelzusprechende Gericht stützt ihn also sowohl auf körperliche als auch auf psychische Schäden, kommt eine Aufschlüsslung der einzelnen Schadenspositionen im Rahmen des Art. 97 BayBG nicht in Betracht. Beruht nach der allgemeinen Lebenserfahrung die Verbindung zwischen tätlichem Angriff, Körperschaden und psychischer Erkrankung auf einem zusammenhängenden Lebenssachverhalt, ist der Schmerzensgeldanspruch – vorbehaltlicher sonstiger Angemessenheits- oder Plausibilitätskontrollen – damit grundsätzlich in Gänze von Art. 97 BayBG abgedeckt (so BeckOK BeamtenR Bayern/Buchard, 16. Ed. 30.12.2019, BayBG Art. 97 Rn. 13).
b. Vorliegend handelt es sich bei dem „bloßen“ Anspucken des Klägers nicht um einen tätlichen Angriff im Sinne des Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG.
aa) Zunächst ist festzustellen, dass primär auf den den Schmerzensgeldanspruch tragenden Sachverhalt abzustellen ist, mithin auf den Sachverhalt, den das anerkennende Gericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat. Dies sind laut den Entscheidungsgründen des vorliegenden Urteils des Amtsgerichts … vom 22. September 2017 (Az.: …) allein die verbalen Äußerungen des Schädigers … sowie das Bespucken des Klägers. Entgegen dessen Auffassung ist hier nicht auch das restliche Verhalten des Schädigers, wie in der Klageschrift zum Amtsgericht … vom 8. Juni 2017 oder auch im Strafbefehl des Amtsgerichts … vom 17. März 2017 (Az.: …) ausgeführt, zu berücksichtigen. Entscheidend ist, auf welchem Sachverhalt der zivilrechtliche Schmerzensgeldanspruch beruht. Dieser beruht hier – wie das Amtsgericht … ausgeführt hat – auf der verbalen Beleidigung sowie in dem Bespucken des Klägers durch den Schädiger. Der Versuch, den Kläger zu schlagen oder zu treten, führte hier mangels eingetretener, vollendeter Rechtsgutverletzung nicht zu dem titulierten Schmerzensgeldanspruch. Zwischen dem Sachverhalt, der den Schmerzensgeldanspruch begründet, und dem hier weitergehenden strafrechtlich geahndeten Sachverhalt ist – was die Frage des tätlichen Angriffs im Sinne von Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG angeht – von Rechts wegen zu differenzieren. Art. 97 BayBG lässt es nicht zu, dass der Dienstherr die Erfüllung eines Schmerzensgeldanspruchs auch für einen Sachverhalt zu übernehmen hat, der den Zuspruch eines Schmerzensgeldanspruchs für den Beamten nicht rechtfertigen würde. Dies ließe sich nicht mit dem Charakter des Art. 97 BayBG als Ausnahmetatbestand (vgl. LT-Drs. 17/2871, S. 44) in Einklang bringen und erscheint auch in sich widersprüchlich.
bb) Das Anspucken des Klägers kann vorliegend keinen tätlichen Angriff darstellen, da dies beim Kläger zu keiner vollendeten, rein körperlichen Beeinträchtigung oder einem Gesundheitsschaden geführt hat. Es handelt sich demnach „nur“ um eine Beleidigung des Beamten.
Das Anspucken eines Menschen als solches hat seinen Schwerpunkt in der beleidigenden Ehrverletzung, so dass es in seiner „Reinform“ zunächst keinen tätlichen Angriff im engeren Sinne darstellt (BeckOK BeamtenR Bayern/Buchard, 16. Ed. 30.12.2019, BayBG Art. 97 Rn. 13.5). Allerdings kann in Anlehnung an die strafrechtliche Rechtsprechung im Anspucken eines Menschen eine über eine Ehrverletzung hinausgehende Körperverletzung und damit ein tätlicher Angriff gesehen werden, wenn das Anspucken nicht nur bloße seelische Beeinträchtigungen bewirkt, sondern darüber hinausgehend körperliche Auswirkungen – etwa in Form von Brechreiz – hervorruft. Eine bloße Erregung von Ekelgefühl reicht hingegen nicht aus (vgl. BGH, B.v. 18.8.2015 – 3 StR 289/15 – NStZ 2016, 27).
Vorliegend hat der Kläger keine körperlichen Auswirkungen geltend gemacht, die er durch das Anspucken des Schädigers erlitten hat. Von einem Brechreiz oder gar weitergehenden körperlichen Beschwerden, die er durch den Auswurf des Schädigers erlitten hat, hat der Kläger weder in seiner damaligen Klageschrift zum Amtsgericht … noch in der mündlichen Verhandlung berichtet. Unabhängig von dem insoweit nicht aufklärbaren Umstand, ob der Schädiger den Kläger damals durch das Bespucken körperlich beeinträchtigten wollte, ist davon auszugehen, dass eine solche körperliche Beeinträchtigung beim Kläger jedenfalls nicht eingetreten ist. Damit lag der Schwerpunkt des Anspuckens hier in der beleidigenden Ehrverletzung, nicht aber in einer hierüber hinausgehenden (beabsichtigten) Körperverletzung.
Zwar ist nicht vollständig ausgeschlossen, dass ein tätlicher Angriff im Sinn des Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG zu ausschließlich psychischen Beeinträchtigungen führt. Denn „auf einen physischen Schaden gerichtet“ bedeutet nicht zwangsläufig, dass es letztendlich auch zu einer tatsächlichen physischen Beeinträchtigung des Beamten bzw. vollendeten Körperverletzung kommen muss. Vielmehr ist ein Angriff auch dann auf einen physischen Schaden gerichtet, wenn aus Sicht des Schädigers eine Körperverletzung zumindest billigend in Kauf genommen wurde, die Angriffshandlung aber letztendlich ohne Deliktsvollendung im (strafrechtlichen) Versuchsstadium stecken geblieben ist. Daher können beispielsweise auch lebensbedrohliche körperliche Angriffe, die zwar im Ergebnis zu keinen physischen, aber aufgrund der massiven Bedrohungslage zu gravierenden anerkannten psychischen Beeinträchtigungen geführt haben, für sich alleine einen von Art. 97 BayBG erfassten Schmerzensgeldanspruch begründen (BeckOK BeamtenR Bayern/Buchard, 16. Ed. 30.12.2019, BayBG Art. 97 Rn. 13.2). Von solchen Handlungen hat der Kläger jedoch ebenso wenig berichtet wie von gravierenden psychischen Beeinträchtigungen, die er erlitten haben will. Das Anspucken des Klägers hat damit keinen tätlichen Angriff im Sinne des Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG dargestellt.
3. Da der Beklagte mangels Vorliegens eines tätlichen Angriffs die Erfüllungsübernahme des Schmerzensgeldanspruchs zu Recht abgelehnt hat, konnte die Klage keinen Erfolg haben.
III.
Die Klage ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
Gründe, die Berufung zuzulassen, liegen nicht vor (§§ 124a, 124 VwGO).