Aktenzeichen M 3 E 16.458
VwGO VwGO § 123
Leitsatz
1. Schulen steht bei der Organisation und Durchführung von Schulfahrten ein weiter Organisations- und Ermessensspielraum zu. (redaktioneller Leitsatz)
2. Im Hinblick auf das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) kann ein bei einem Schüleraustausch nicht berücksichtigter Schüler die Auswahl der Bewerbungen für den Austausch einer gerichtlichen Überprüfung zuführen. Im Rahmen dieser Entscheidung überprüft das Gericht, ob die Auswahl ermessensfehlerfrei erfolgte, ob also die der Auswahl zugrunde gelegten Kriterien sachgerecht waren und sich die Schule bei ihrer Auswahl an diesen Kriterien orientiert hat. (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Auswahlkriterien des termingerechten Eingangs der Anmeldung und eines schulischen Verhaltens, das keinen Anlass zu disziplinarischem Einschreiten gegeben hat, stellen sachgerechte Voraussetzungen für eine Teilnahme am Schüleraustausch dar. (redaktioneller Leitsatz)
4. Für eine am Grundrecht auf Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG) orientierte Auswahl der Schüler, die an einem Schüleraustausch teilnehmen dürfen, ist es erforderlich, dass zunächst diejenigen Schüler berücksichtigt werden, die an einem vorangegangenen Schüleraustausch nicht hatten teilnehmen können. (redaktioneller Leitsatz)
5. Eine Auswahl, die sich – von der Einhaltung grundlegender Anforderungen wie disziplinarischer Unauffälligkeit und fristgerechter Bewerbung abgesehen – allein an der „Qualität“ einer „Selbstbeschreibung“ orientiert und nicht an der Berücksichtigung eines möglichst großen Schülerkreises bei mehreren Austauschfahrten, steht in Widerspruch zu den mit den Austauschfahrten verfolgten Zielen und ist daher ermessensfehlerhaft. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Der Antragsgegner wird verpflichtet, die Antragstellerin als Teilnehmerin am Schüleraustausch der Schule mit D. vom … Februar bis … März 2016 zu berücksichtigen.
II.
Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Der Streitwert wird auf 2.500,– € festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin ist Schülerin einer Klasse der 9. Jahrgangsstufe des …-Gymnasiums (im Folgenden: die Schule). Sie bewarb sich erfolglos um die Teilnahme an einem von der Schule organisierten Austausch mit einer Partnerschule in D., der vom … Februar bis … März 2016 stattfinden soll.
Am … Februar 2016 haben die Eltern der Antragstellerin beim Bayerischen Verwaltungsgericht München beantragt:
Der Antragsgegner wird verpflichtet, die Antragstellerin zum internationalen Schüleraustausch mit D./… vom …02. – …03.2016/… – …04.2016 zuzulassen bzw. erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts über die Teilnahme an der D.-Austauschfahrt zu entscheiden.
Die Antragstellerin habe sich bereits für den Schüleraustausch mit F. im vorangegangenen Schuljahr beworben, sei dabei jedoch nicht berücksichtigt worden. Sie hätten diese Entscheidung, trotz der damit verbundenen Enttäuschung, akzeptiert, da sie davon ausgegangen seien, dass die vorhandenen Plätze chancengleich und somit gerecht durch ein Losverfahren verteilt worden seien. Sie hätten außerdem aus verschiedenen Äußerungen von Lehrkräften und Schülern darauf schließen können, dass diejenigen Schüler, die nicht beim F.-Austausch 2015 berücksichtigt worden seien, einen Platz beim D.-Austausch 2016 erhalten würden, sofern sie sich darum form- und fristgerecht bemühen würden. Die Antragstellerin habe sich form- und fristgerecht beworben, sei aber trotzdem nicht berücksichtigt worden. Dies habe sie nur durch Aushang der Namen der berücksichtigten Schüler am Schwarzen Brett am … Oktober 2015 erfahren.
Die Gründe für die Nichtberücksichtigung hätten sie erst in einem persönlichen Gespräch in der Schule am … November 2015 erfahren; maßgeblicher Grund sei nach Aussage der für die Auswahl zuständigen Lehrkraft gewesen, dass die Antragstellerin bei ihrer Bewerbung nicht, wie verlangt über sich selbst („about yourself“) geschrieben habe, dass ihr Schreiben nicht authentisch gewirkt habe und man es nicht gut geheißen habe, dass die Antragstellerin erwähnt habe, dass sie beim Schüleraustausch mit F. nicht berücksichtigt worden sei, weil diese Information für die Partnerschule nicht von Interesse sei. Obwohl ein Platz durch Rücktritt eines Schülers frei geworden sei, sei die Antragstellerin erneut nicht berücksichtigt worden, weil eine andere Bewerbung besser gewesen sei.
Bei einer Überprüfung des Vorgangs habe der Schulleiter, wie er der Mutter der Antragstellerin in einem Telefonat am 22. Januar 2016 mitgeteilt habe, keine Verfahrens- oder Ermessensfehler feststellen können; im Rahmen einer Schulkonferenz sei einem Lehrerteam die gesamte Organisation des D.-Austausch übertragen worden, dieses Lehrerteam sei daher beauftragt und berechtigt, die Bewerberauswahl für den D.-Austausch selbstständig zu treffen; ein Ermessensfehler habe nicht vorgelegen, weil es bessere Bewerbungen als die der Antragstellerin gegeben habe.
Der Antragsgegner hat mit Schreiben vom 17. Februar 2016 beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Die Lehrerkonferenz habe am 15. September 2015 das Fahrtenprogramm der Schule für das aktuelle Schuljahr beschlossen, dabei seien auch die Modalitäten der Auswahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Austauschprogramms festgelegt worden. Da es sich dabei um eine freiwillige Veranstaltung der Schule handle, könne kein Rechtsanspruch auf Teilnahme abgeleitet werden. Die mit der Auswahl betrauten Lehrkräfte hätten unter Berücksichtigung folgender – in Abstimmung mit dem Elternbeirat festgelegter – Auswahlkriterien die Auswahl unter den Interessenten getroffen:
– termingerechter Eingang der Anmeldung
– Sozialverhalten des Schülers (Ausschluss bei mehreren verhängten Disziplinarmaßnahmen)
– Qualität der Anmeldung mit einem authentischen, relevanten, richtigen und vollständigen Anschreiben (Umfang ca. 300 Wörter), das von den Schülern selbst ohne Hilfe von außen zu verfassen sei.
Die Anzahl der zur Verfügung stehenden Plätze sei abhängig von der am Austausch teilnehmenden Zahl der Schüler der Partnerklasse; für den D.-austausch hätten 24 Plätze zur Verfügung gestanden. Bei der Auswahl werde auch darauf geachtet, eine proportional gleiche Verteilung auf die Klassen zu erzielen. Je nach Qualität der einzelnen Anmeldungen könne es dabei zu Abweichungen vom Proporz kommen.
Insgesamt hätten sich für den D.-austausch 43 Schülerinnen und Schüler beworben, darunter sieben Schülerinnen aus der Klasse der Antragstellerin. Die Schule habe 16 Mädchen und acht Jungen ausgewählt, darunter vier Schüler, die bereits am F.-Austausch teilgenommen hätten. Außer der Antragstellerin hätten zunächst weitere sechs Schüler, die bisher an keiner Austauschmaßnahme teilgenommen hätten, nicht berücksichtigt werden können.
In dem Gespräch vom 25. November 2015 hätte die Schule den Eltern die maßgeblichen Auswahlkriterien vorgetragen und die Gründe für die Nichtberücksichtigung dargelegt. Die Schüler hätten die Aufgabe gehabt, ca. 300 Wörter über sich selbst zu schreiben (about yourself), sie hätten Informationen wie etwa Hobbys, Familie oder Wohnsituation geben sollen, damit der dänische Austauschpartner hinreichend über die Person des zukünftigen Gastes unterrichtet sei. Angaben, wie von der Antragstellerin gemacht, zum verpassten F.-austausch sowie Reflexionen über Schulsysteme, erschienen daher weniger relevant; beim Gespräch vom … November 2015 sei der von der Antragstellerin angeführte, verpasste F.-Austausch als Beispiel dafür angeführt worden, dass die Antragstellerin im Rahmen der „Selbstbeschreibung“ persönliche Informationen über sich selbst hätte bringen sollen, die auch für den d… Partner von Belang gewesen wären.
Der Austausch stünde Schülern jeglichen Leistungsniveaus im Fach Englisch offen. Die Anmeldungen seien im Interesse größtmöglicher Authentizität und bestmöglicher Vergleichbarkeit stets selbstständig zu verfassen. Ein offensichtlich mit Hilfe von Muttersprachlern korrigierter Text könne im Einzelfall weniger überzeugend wirken als ein sprachlich weniger ausgefeiltes, aber inhaltlich überzeugendes Schreiben. Bei dem zu verfassenden Text könne es möglicherweise Wiederholungen mit den auf der ersten Seite des Anmeldeformulars in einem Fragebogen anzuführenden Angaben geben, da die Angaben im Fragebogen der ersten Seite jederzeit im die Person beschreibenden Fließtext vertieft werden dürften, wenn nicht sogar sollten.
Die Anmeldung der Antragstellerin habe im Vergleich zu anderen nicht alle gewünschten Voraussetzungen erfüllt. Daher sei zugunsten anderer Interessenten entschieden worden, die die Aufgabenstellung ohne Einschränkung erfüllt hätten.
Die Schule habe im Rahmen des Gesprächs vom … November 2015 angeboten, nochmals nach einer Gastfamilie beim d… Austauschpartner sowie für einen weiteren, ebenfalls nicht berücksichtigten Interessenten nachzufragen. Es habe aber keine weitere Gastfamilie gefunden werden können. Nachdem ein berücksichtigter Teilnehmer zurückgetreten sei, habe eine Nachauswahl stattgefunden, bei der jedoch aufgrund der genannten Auswahlkriterien die Antragstellerin wieder nicht zum Zug gekommen sei.
Die Behauptung der Eltern der Antragstellerin, dass Teilnehmer, die bisher bei noch keinem Austausch berücksichtigt worden seien, bevorzugt würden, sei unzutreffend. Es werde bei jedem Austausch der zu beurteilende Sachverhalt einer neuen Würdigung unterzogen; es gebe keine „Vorabquote“ für diejenigen Schüler, die bislang noch bei keinem Austausch berücksichtigt worden waren.
Wegen weiterer Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
Der gestellte Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO hat Erfolg.
Nach § 123 Abs. 1 S. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann das Gericht der Hauptsache auch schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert würde. Nach § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO ist eine Anordnung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn glaubhaft gemacht wird, dass die Regelung nötig erscheint, um den Antragsteller vor bestimmten Nachteilen zu bewahren. Der Antrag ist somit begründet, wenn insbesondere der prozessuale Anspruch auf Sicherung des Hauptsacheanspruchs besteht. Das ist der Fall, wenn der zu sichernde Anspruch des Antragstellers nach den Vorschriften des materiellen Rechts besteht (Anordnungsanspruch) und die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) glaubhaft (§ 294 ZPO) gemacht wird. Bei der Entscheidung nach § 123 Abs. 1 VwGO hat das Gericht die widerstreitenden privaten und öffentlichen Interessen der Beteiligten gegeneinander abzuwägen. Für diese Abwägung ist nach ständiger Rechtsprechung (vgl. BayVGH vom 5.8.1992 Az. 7 CE 92.1896 u. a. BayVBl 1992, 659) in erster Linie entscheidend, ob die Antragspartei mit einem Erfolg in einem Hauptsacheverfahren rechnen könnte. Insbesondere dann, wenn mit einer – sei es auch nur befristeten – Entscheidung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes die Hauptsache bereits vorweggenommen würde, muss der Erfolg in der Hauptsache nicht nur wahrscheinlich sein, sondern bejaht werden können.
Die Antragstellerin hat einen Anordnungsgrund dargelegt. Der Austausch, an dem sie teilnehmen möchte, beginnt am … Februar 2016. Ein Hauptsacheverfahren kann bis dahin nicht entschieden sein.
Der Antragstellerin steht auch ein Anordnungsanspruch zu, da sie an dem bereits stattgefundenen F.-Austausch nicht hatte teilnehmen können, die Berücksichtigung dieses Gesichtspunkts jedoch wesentlich ist für eine ordnungsgemäße Ermessensausübung, und da Gesichtspunkte, die einer Berücksichtigung grundsätzlich entgegenstehen würden, vom Antragsgegner nicht vorgebracht wurden und auch nicht ersichtlich sind.
Bei dem D.-Austausch handelt es sich um eine freiwillige schulische Veranstaltung. Nach der Präambel der Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums (damals: für Unterricht und Kultus) zum internationalen Schüleraustausch vom 26. Januar 2010, Az. I.6-5S 4324-6.125135, dient der internationale Schüleraustausch der persönlichen Begegnung deutscher Schülerinnen und Schüler mit Schülerinnen und Schülern anderer Nationalität, dem Kennenlernen anderer Kulturen und Gesellschaftsordnungen sowie der Förderung des interkulturellen Verständnisses und des Denkens in internationalen Zusammenhängen. Als Voraussetzungen für eine Teilnahme sieht die Bekanntmachung in Ziffer 3.1. vor, dass die Schülerinnen und Schüler in der Regel mindestens der Jahrgangsstufe 6 angehören und die Sprache des Gastlandes oder eine von den ausländischen Partnern erlernte Fremdsprache „hinreichend beherrschen sollen“. Weitere Hinweise, nach welchen Kriterien dann, wenn mehr Bewerbungen als verfügbare Plätze vorhanden sind, die Auswahl der teilnehmenden Schülerinnen und Schüler erfolgen soll, enthält die Bekanntmachung nicht.
Das Gericht verkennt nicht, dass den Schulen bei der Organisation und Durchführung von Schulfahrten ein weiter Organisations- und Ermessensspielraum zusteht (vgl. OVG Hamburg, B. v. 7.5.2015 – 1 Bs 77/14). Andererseits muss – im Hinblick auf das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) – ein nicht berücksichtigter Schüler die Auswahl der Bewerbungen einer gerichtlichen Überprüfung zuführen können. Im Rahmen dieser Entscheidung überprüft das Gericht, ob die Auswahl ermessensfehlerfrei erfolgte, ob also die der Auswahl zugrunde gelegten Kriterien sachgerecht waren und sich die Schule bei ihrer Auswahl an diesen Kriterien orientiert hat. Diese Vorgaben gelten gerade für freiwillige Veranstaltungen, da sich bei einer verpflichtenden Teilnahme die Frage der rechtmäßigen, fehlerfreien Auswahl nicht stellt.
Die von der Schule genannten Auswahlkriterien des termingerechten Eingangs der Anmeldung und eines schulischen Verhaltens, das keinen Anlass zu disziplinarischem Einschreiten gegeben hat, stellen sachgerechte Voraussetzungen für eine Teilnahme am Schüleraustausch dar; diese Kriterien stehen der Berücksichtigung der Antragstellerin unstreitig nicht entgegen. Diese Kriterien werden erfahrungsgemäß die Zahl der „zulässigen“ Bewerbungen aber nur in geringem Umfang reduzieren.
Die Auswahl unter den dann noch zu berücksichtigenden Bewerbungen erfolgte nach dem Vortrag des Schule, der sich insoweit mit der der Antragstellerin gegebenen Begründung für ihre Nichtberücksichtigung deckt, allein nach dem Kriterium „Qualität der Bewerbung“. Das Gericht hält eine allein an diesem Kriterium orientierte Auswahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an einem Schüleraustausch für ermessensfehlerhaft. Vielmehr ist es für eine am Grundrecht auf Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG) orientierte Auswahl der Schüler, die an einem Schüleraustausch teilnehmen dürfen, erforderlich, dass auf jeden Fall diejenigen Schüler berücksichtigt werden, die an einem vorangegangenen Schüleraustausch nicht hatten teilnehmen können. Das Angebot an Austauschplätzen ist begrenzt, es können, wie auch der vorliegende Fall zeigt, auch bei zwei Austauschfahrten nicht alle an einer Teilnahme interessierten Schüler berücksichtigt werden. Weshalb einzelnen Schülern allein deshalb, weil ihr „Bewerbungsschreiben“ dem Erwartungshorizont der mit der Auswahl betrauten Lehrkräfte am besten entsprochen hat, eine Teilnahme an zwei Austauschfahrten ermöglicht werden soll, während andere Schüler, die die gestellte Aufgabe in einem anderen Sinn verstanden hatten, die Erfahrung eines Schüleraustauschs gar nicht sollen machen können, ist für das Gericht nicht nachvollziehbar. Ein Auswahlkriterium, das zu dieser Konsequenz führen kann, ist daher für „eine gerechte Verteilung des begrenzten Angebots solcher Fahrten“ (vgl. OVG Hamburg a. a. O.) von vornherein nicht geeignet. Eine sachgerechte Auswahl setzt voraus, dass sichergestellt ist, dass ein möglichst großer Schülerkreis in den Genuss der Austausch-Angebote kommen kann.
Eine Auswahl wie sie vorliegend getroffen wurde, die sich – von der Einhaltung grundlegender Anforderungen wie disziplinarischer Unauffälligkeit und fristgerechter Bewerbung abgesehen – allein an der „Qualität“ einer „Selbstbeschreibung“ orientiert und nicht an der Berücksichtigung eines möglichst großen Schülerkreises bei mehreren Austauschfahrten, steht in Widerspruch zu den mit den Austauschfahrten verfolgten Zielen.
Diese sollen nicht der weiteren Leistungssteigerung bereits leistungsstarker Schüler dienen, sie sollen auch keine Belohnung für besondere schulische Leistungen darstellen. Die Austauschfahrten sollen vielmehr (s. oben) der persönlichen Begegnung mit Schülerinnen und Schülern anderer Nationalität, dem Kennenlernen anderer Kulturen und Gesellschaftsordnungen sowie der Förderung des interkulturellen Verständnisses dienen. Demgegenüber spielen nach dem Willen des zuständigen Staatsministeriums nicht einmal die vorhandenen Sprachkenntnisse oder eine besondere sprachliche Begabung bei der Auswahl der Schüler eine Rolle, da die Schüler die Sprache des Gastlandes oder eine Drittsprache lediglich „hinreichend“ beherrschen „sollen“. Demzufolge hat die Schule in ihrer Antragserwiderung zu Recht darauf hingewiesen, dass für den Austausch kein spezielles Leistungsniveau im Fach Englisch gefordert wird. Das Interesse am Kennenlernen anderer Länder und Kulturen, das mit dem Austausch gefördert werden soll, steht aber in keinerlei Zusammenhang mit dem – aus Sicht der beurteilenden Lehrkräfte – zutreffenden Erfassen der für die Bewerbung gestellten Aufgabe, etwas über sich selbst zu schreiben. Dann darf die – aus Sicht der auswählenden Lehrer – festgestellte Qualität dieser Aufgabenlösung aber auch jedenfalls nicht als alleiniges Kriterium für die Berücksichtigung beim Schüleraustausch herangezogen werden.
Bedenken gegen das der Auswahl zugrunde gelegte Kriterium der Qualität des Bewerbungsschreibens bestehen schließlich auch wegen der bei der gegenwärtigen Praxis fehlenden Transparenz der Auswahl: Die nicht berücksichtigten Schüler erhalten keinen begründeten Ablehnungsbescheid, erst auf Nachfrage haben die Eltern der Antragstellerin überhaupt die Gründe für die Nichtberücksichtigung in Erfahrung bringen können, dabei wurden die Gründe nur mündlich mitgeteilt. Die Lehrkräfte, die die Auswahl getroffen haben, haben die schriftlichen Bewerbungen der Schüler zwar bewertet, jedoch – anders als bei schriftlichen Leistungsnachweisen – diese Bewertung offenbar weder in Form einer Note, einer Punktzahl, noch einer den Schülern übermittelten schriftlichen Beurteilung niedergelegt. Es ist daher fraglich, ob eine im Fall der gerichtlichen Überprüfung nachträglich mitgeteilte Begründung für eine bestimmte Bewertung den im Interesse des Art. 19 Abs. 4 GG auch an die Begründung von Prüfungsentscheidungen zu stellenden Anforderungen, die auch im vorliegenden Fall heranzuziehen wären, genügen würde.
Der Antragstellerin steht der geltend gemachte Anspruch bereits aufgrund des zwingend zu berücksichtigenden Kriteriums der erstmaligen Teilnahmemöglichkeit an einem Schüleraustausch zu: Sie hat bislang noch an keinem Austausch teilgenommen, während die Bewerbungen anderer Schüler berücksichtigt wurden, obwohl diese bereits am F.-Austausch teilgenommen hatten.
Ob die Eltern für die Antragstellerin auf privatem Weg einen Schüler-Austausch ins Ausland organisieren konnten, spielt für die vorliegende Entscheidung keine Rolle. Es geht um die gerechte Verteilung des von der Schule zur Verfügung gestellten Angebots an Austausch-Plätzen, diese Verteilung unterliegt der Bindung jeglichen staatlichen Handelns an Recht und Gesetz, in diesem Fall an sachgerechte Auswahlkriterien. Abgesehen davon ist ein privater Austausch mit einem im Klassenverband erfolgten auch im Hinblick auf die damit verbundene Eingliederung in den Schulbetrieb des Gastlandes nicht vergleichbar.
Sonstige, etwa gesundheitliche Gründe stehen einer Berücksichtigung der Antragstellerin bei dem Austausch offensichtlich nicht entgegen. Solche wurden vom Antragsgegner nicht vorgetragen und sind auch sonst nicht ersichtlich; vom Erfordernis einer bestimmte Inhaltsstoffe vermeidenden Ernährung sind viele Jugendliche betroffen und können in dem Alter, in dem sich die Antragstellerin befindet, damit selbstständig umgehen.
Das Gericht verkennt nicht, dass in Folge der getroffenen Entscheidung, da nach Auskunft der Schule nur 24 Plätze für den Austausch zur Verfügung stehen, die alle bereits vergeben sind, ein anderer Schüler vom Austausch zurücktreten muss. Es ist der Antragstellerin jedoch nicht zumutbar, durch Anfechtung der einem anderen Schüler erteilten Zusage einen freien Platz selbst zu schaffen, da die von der Schule doppelt berücksichtigten Schüler der Antragstellerin nicht bekannt sind. Dies darf im Hinblick auf das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts jedoch nicht dazu führen, dass es für die Antragstellerin keinen Rechtsschutz gäbe; die Schule muss selbst einen freien Platz schaffen, nötigenfalls durch Rücknahme einer bereits erteilten Zusage (etwa unter den doppelt berücksichtigten Schülern).
Kosten: § 154 Abs. 1 VwGO
Streitwert: § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG