Aktenzeichen B 2 K 16.31139
Leitsatz
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Nach § 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 AsylG besteht ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft dann, wenn sich der Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will und er keine Ausschlusstatbestände erfüllt. Eine solche Verfolgung kann nicht nur vom Staat ausgehen (§ 3c Nr. 1 AsylG), sondern auch von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (§ 3c Nr. 2 AsylG) oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (§ 3c Nr. 3 AsylG). Allerdings wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 3e Abs. 1 AsylG).
Für die richterliche Überzeugungsbildung im Sinne von § 108 Abs. 1 VwGO gilt folgendes: Das Gericht muss sich die volle Überzeugung von der Wahrheit des behaupteten Verfolgungsschicksals und der Wahrscheinlichkeit der Verfolgungsgefahr bilden; eine bloße Glaubhaftmachung in der Gestalt, dass der Vortrag lediglich wahrscheinlich sein muss, ist nicht ausreichend (vgl. grundlegend BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 109/84 – NVwZ 1985, 658 ff.). Hierbei darf das Gericht jedoch hinsichtlich der Vorgänge im Verfolgerland, die zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder der Feststellung eines Abschiebungsverbots führen sollen, keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen, sondern muss sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, auch wenn Zweifel nicht völlig auszuschließen sind (BVerwG, U.v. 16.4.1985, a.a.O.). In der Regel kommt deshalb dem persönlichen Vorbringen des Klägers, seiner Persönlichkeit und Glaubwürdigkeit sowie der Art seiner Einlassung besondere Bedeutung zu (BayVGH, U.v. 26.1.2012 – 20 B 11.30468 – juris Rn. 19).
Gemessen an diesen Grundsätzen haben die Kläger keinen Anspruch auf Gewährung des Flüchtlingsschutzes nach § 3 AsylG. Das Gericht verweist insofern zunächst auf die zutreffende Begründung des angefochtenen Bescheids und sieht insofern zur Vermeidung von Wiederholungen von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Das Gericht konnte auch aufgrund der Anhörung der Kläger in der mündlichen Verhandlung nicht die notwendige Überzeugung gewinnen, dass sie ihr Land unter asylrelevantem staatlichem Verfolgungsdruck verlassen haben. Der Sachvortrag der Kläger blieb, auch auf mehrmaliges Nachfragen oberflächlich. Die Kläger, insbesondere der Kläger zu 1) schilderten keine Details, die den Eindruck eines selbst erlebten Geschehens stützen könnten. So konnte der Kläger auch auf mehrmalige Frage des Gerichtes nicht konkret schildern, wie ein Treffen der Gruppe abgelaufen ist. Er verwies stattdessen immer wieder auf die grundlegenden Ziele der Gruppe (die Probleme der Oromo zu bekämpfen). Auch auf Frage seines Rechtsanwalts hin, gab er zum Ablauf der nach seinen Schilderungen zwölf jeweils 3-4 stündigen Treffen nur an, einer habe geredet, und die anderen hätten dem zugestimmt. Im weiteren Verlauf der mündlichen Verhandlung traten vermehr Ungereimtheiten und Widersprüche im Vortrag des Klägers zu 1) auf. So gab dieser beispielsweise trotz entsprechender Rückfrage des Gerichts zunächst an, auf der von der Polizei gefundenen Liste seien die echten Namen der Gruppenmitglieder verzeichnet gewesen. Auf Frage, warum die Polizei ihn dann nach diesen Namen gefragt habe, gab er an, es habe sich um Decknamen gehandelt. Auf weitere Frage, wie sein Deckname gewesen sei, führte der Kläger aus, er sei der einzige in der Gruppe gewesen, der keinen Decknamen gehabt habe. Auf Frage nach dem Decknamen seines Cousins antwortete er: … Auf Vorhalt, er habe dies als echten Namen des Cousins angegeben, führte der Kläger aus, der Cousin habe auch keinen Decknamen gehabt, die anderen hätten aber solche Namen gehabt. Ebenso führte er auf die Frage, warum die Polizei seinen Cousin nicht gefunden habe, wenn sie dessen echten Namen gehabt habe, aus, dieser sei untergetaucht, als er von der Verhaftung des Klägers erfahren habe. Auf Rückfrage, wie er hiervon erfahren habe, erklärte er zunächst: von den Nachbarn. Auf weitere Rückfragen gab er an, seine Verhaftung und die Beschlagnahme der Papiere sei auch im Radio verkündet worden.
Auch die Klägerin zu 2) konnte keine Details schildern, die die Glaubhaftigkeit der Geschichte stützen könnten. Zudem erscheint das Verhalten der Kläger, die nach der Heimkehr des Klägers zu 1) eine Stunde im Haus verbracht hätten, ohne an eine Flucht zu denken, obwohl die Sicherheitsbörden angekündigt hätten, sie würden wiederkommen, schwer nachvollziehbar, insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Kläger zu 1) angegeben hatte, auch sein Vater sei bereits früher willkürlich verhaftet worden und in der Haft verstorben. Auch die Auswahl des Hauses des Klägers als regelmäßiger Treffpunkt der 10-köpfigen geheimen Gruppe erscheint wenig glaubhaft, da der Kläger selbst angab, in seinem kleinen Dorf spreche sich alles herum. Dem Gericht erschließt sich auch nicht, warum ein Gruppenmitglied zum Haus des Klägers – ohne von dessen Verhaftung zu wissen – gekommen sein soll, um nach den Papieren und der Flagge zu suchen und dabei von dessen Verhaftung erst erfahren haben soll. Zumal der Kläger angab, die Verhaftung und die Beschlagnahme der Papiere und der Flagge seien im Radio verkündet worden, was zumindest sein Cousin gewusst habe.
Im Gesamtergebnis kann, aufgrund des in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindrucks, der Vielzahl der Widersprüche und Ungereimtheiten im Vortrag der Kläger und aus den bereits im angefochtenen Bescheid angeführten Gründen der Vortrag zur Vorverfolgung nicht als glaubhaft beurteilt werden. Die Kläger haben ihr Heimatland daher unverfolgt verlassen.
Bei Zugrundelegung der verfahrensgegenständlichen Erkenntnisquellen zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) steht zudem nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass den Klägern aufgrund ihrer exilpolitischen Aktivität im Falle ihrer Rückkehr nach Äthiopien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit dem Schutzbereich des § 3 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG unterfallende Gefährdungen drohen. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der Verschärfung der politischen Situation in Äthiopien seit 2015.
Übereinstimmend lässt sich den verfahrensgegenständlichen Erkenntnisquellen entnehmen, dass die äthiopische Regierung die Aktivitäten der äthiopischen Exilorganisationen genau beobachtet bzw. durch die Auslandsvertretungen beobachten lässt. Einige der Erkenntnisquellen (Stellungnahme des Günter Schröder an das VG Gießen vom 15.02.2017, Auskunft des GIGA, Institut für Afrika-Studien vom 30.01.2017) leiten hieraus ab, dass eine Verfolgung bei einer Rückkehr ins Herkunftsland wahrscheinlich bzw. jedenfalls nicht auszuschließen sei. Dies entspricht auch deren Einschätzung der Gefährdungslage in der Zeit vor den Unruhen/Protesten der letzten Jahre, wie sich aus früheren Auskünften dieser Stellen ergibt. Nach dem aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass allein die Betätigung für eine oppositionelle Organisation im Ausland bei Rückkehr nach Äthiopien zu staatlichen Repressionen führe. Grundsätzlich komme es auf den Einzelfall an, d. h. z. B. darauf, ob eine Organisation von der äthiopischen Regierung als Terrororganisation angesehen wird oder um welche Art exilpolitischer Aktivität es sich handele (z. B. nachweisliche Mitgliedschaft, führende Position, Organisation gewaltsamer Aktionen). Von Bedeutung sei auch, ob und wie sich eine zurückgeführte Person anschließend in Äthiopien politisch betätige (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Äthiopien (Stand: März 2017) vom 06.03.2017). Die Einschätzung des Auswärtigen Amtes hat sich demnach auch nach der Verschärfung der politischen Lage seit 2015 und der Ausrufung des (inzwischen wieder beendeten) Ausnahmezustandes nicht geändert. Im Ergebnis ist daher auch weiterhin – im Anschluss an die Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs – davon auszugehen, dass jedenfalls Personen, die sich exponiert politisch betätigt haben, mit Verfolgungsmaßnahmen zu rechnen haben (vgl. BayVGH, U. v. 25.02.2008 – 21 B 05.31082). Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung von Personen, die nicht in dieser Weise herausgehoben exilpolitisch aktiv sind, sieht der BayVGH dagegen nicht generell (vgl. BayVGH, B.v. 20.05.2015 – 21 ZB 15.30119). Der BayVGH hat in seiner jüngsten gerichtsbekannten Entscheidung vom 23.10.2017 auch keinen Grund gesehen von dieser ständigen Rechtsprechung abzuweichen (BayVGH, B.v. 23.10.2017 – 21 ZB 16.30414).
Vorliegend ergibt die Prüfung des Einzelfalles der Kläger, dass diese nicht zu dem gefährdeten Personenkreis, der im Fall einer Abschiebung wegen seiner exilpolitischen Aktivitäten im Ausland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit befürchten müsste, von äthiopischen Behörden in asylrelevanter Weise belangt zu werden, gehören. Die Kläger sind ausweislich der vorgelegten Unterlagen beide seit April 2014 Mitglieder der TBOJ/UOSG und nehmen an deren Versammlungen und Demonstrationen teil. Sie haben innerhalb der Organisation kein Amt inne und haben auch ansonsten keine exponierte Stellung. Zwar ist die TBOJ, nach eigenen Angaben, politisch eng mit der in Äthiopien als terroristisch eingestuften OLF verbunden, die Kläger heben sich jedoch durch ihr Engagement in der TBOJ ganz offenkundig nicht von dem Kreis der bloßen Mitläufer ab. Sie haben keine führende Position inne und gaben auch nicht an, an gewaltsamen Aktionen teilgenommen zu haben. Insofern kommen sie für den äthiopischen Staat nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit als mögliche ernsthafte Oppositionelle in Frage. In der Zusammenschau mit der nicht glaubhaften Fluchtgeschichte der Kläger ist das Gericht deshalb davon überzeugt, dass sie bei einer Rückkehr nach Äthiopien nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit befürchten müssten, wegen ihrer exilpolitischen Aktivitäten von äthiopischen Behörden in asylrelevanter Weise belangt zu werden.
2. Den Klägern steht auch kein Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 2 AufenthG zu. Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär schutzberechtigt, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AsylG), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AsylG) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG). Gemäß § 4 Abs. 3 AsylG sind die §§ 3 c bis 3 e AsylG entsprechend anzuwenden. Vorliegend sind keine Gründe ersichtlich oder vorgetragen, dass den Klägern bei einer Rückkehr in ihr Heimatland ein ernsthafter Schaden in diesem Sinne droht. Ergänzend wird hierzu auf die Begründung des angegriffenen Bescheids verwiesen.
3. Nationale Abschiebungsverbote sind vorliegend ebenfalls nicht gegeben. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl. 1952 II, S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
Diesbezügliche Anhaltspunkte sind vorliegend nicht gegeben. Auch insofern wird auf die Begründung des angefochtenen Bescheides ergänzend Bezug genommen.
Es besteht auch kein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Es erscheint nicht beachtlich wahrscheinlich, dass für die Kläger im Falle ihrer Rückkehr nach Äthiopien eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine solche Gefahr ergibt sich insbesondere nicht aus den vorgelegten Attesten des Klägers zu 1), in denen die Diagnosen Gastroenteritis (2014) und Gastrointestinale Blutungen, Florides Ulkus im proximalen Bulbus duodeni (2015) gestellt wurden.
4. Auch die im angefochtenen Bescheid enthaltene Ausreiseaufforderung unter Abschiebungsandrohung sowie das angeordnete Einreise- und Aufenthaltsverbot begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Hierzu wird gem. § 77 Abs. 2 AsylG auf die zutreffende Begründung des angegriffenen Bescheides verwiesen.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 161 Abs. 1, § 154 Abs. 1, § 159 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83 b AsylVfG). Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung stützt sich auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.