Verwaltungsrecht

Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes wegen Verfolgung durch die Taliban in Afghanistan

Aktenzeichen  M 17 K 17.31277

Datum:
28.6.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3c, § 3d Abs. 1, Abs. 2 S. 1, S. 2, § 3e Abs. 1, Abs. 2, § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 2
RL 2011/95 Art. 4 Abs. 4, Art. 8 Abs. 1, Art. 15 lit. b

 

Leitsatz

Ein bereits aufgrund von Spionagetätigkeit und Unterstützung der Regierungstruppen vor seiner Ausreise von den Taliban verfolgter Asylbewerber ist in Afghanistan, auch nicht in der Hauptstadt Kabul, vor weiteren Nachstellungen sicher. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Soweit die Klage zurückgenommen wurde, wird das Verfahren eingestellt.
II. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 16. Januar 2017 wird in den Nrn. 3 bis 6 aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger subsidiären Schutz (§ 4 Abs. 1 AsylG) zuzuerkennen.
III. Die Parteien tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte.
IV. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

1. Soweit der Kläger die Klage zurückgenommen hat, war das Verfahren einzustellen, § 92 Abs. 3 VwGO.
2. Die Klage in ihrem verbliebenen Umfang ist zulässig und begründet. Der Kläger hat Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die tatbestandlichen Voraussetzungen nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG sind gegeben.
2.1. Subsidiärer Schutz setzt voraus, dass stichhaltige Gründe dafür vorliegen, dass dem Ausländer ernsthafter Schaden droht in Form der Verhängung oder Voll-streckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG), der Folter oder un-menschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG) oder einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines inter-nationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG). Dabei kommen auch im Hinblick auf den subsidiären Schutz nicht-staatliche Akteure in Betracht (vgl. § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3c AsylG). Auch insoweit ist allerdings relevant, inwieweit Schutz durch den Heimatstaat geboten werden kann (§ 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. §§ 3d und 3e AsylG). Auch für die Frage, ob stichhaltige Gründe für die Annahme einer Gefahr der in § 4 Abs. 1 AsylG genannten ernsthaften Schäden vorliegen, ist die Richtlinie 2011/95/EU (QualRL), insbesondere Art. 4 Abs. 4 QualRL, ergänzend anzuwenden (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 2, § 4 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 4 Abs. 3 Satz 1 und § 3e Abs. 2 Satz 1 AsylG sowie § 2 Abs. 13 Nr. 2 AufenthG).
2.2. Ein Ausländer darf gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG nicht in seinen Herkunftsstaat abgeschoben werden, wenn ihm dort Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung droht. Wann eine „unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung“ gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG vorliegt, hängt vom Einzelfall ab. Eine Schlechtbehandlung einschließlich Bestrafung muss jedenfalls ein Minimum an Schwere erreichen, um in den mit § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG und Art. 15 lit. b QualRL insoweit identischen Schutzbereich von Art. 3 EMRK zu fallen. Die Bewertung dieses Minimums ist nach der Natur der Sache relativ. Kriterien hierfür sind abzuleiten aus allen Umständen des Einzelfalles, wie etwa der Art der Behandlung oder Bestrafung und dem Zusammenhang, in dem sie erfolgte, der Art und Weise ihrer Vollstreckung, ihrer zeitlichen Dauer, ihrer physischen und geistigen Wirkungen, sowie gegebenenfalls abgestellt auf Geschlecht, Alter bzw. Gesundheitszustand des Opfers. Abstrakt formuliert sind unter einer menschenrechtswidrigen Schlechtbehandlung Maßnahmen zu verstehen, mit denen unter Missachtung der Menschenwürde absichtlich schwere psychische oder physische Leiden zugefügt werden und mit denen nach Art und Ausmaß besonders schwer und krass gegen Menschenrechte verstoßen wird (vgl. VGH BW, U.v. 6.3.2012 – A 11 S 3070/11 – juris Rn. 16; Hailbronner, Ausländerrecht Bd. 3, Stand 6/2014 § 4 AsylG Rn. 21-27 m.w.N. zur Rechtsprechung).
Der Ausländer hat stichhaltige Gründe für die Annahme darzulegen, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Der Maßstab der stichhaltigen Gründe (essential grounds, Art. 2 lit. f QualRL) bei der Prüfung, ob eine konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung besteht, entspricht dem asylrechtlichen Prognosemaßstab der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“, wobei allerdings das Element der Konkretheit der Gefahr das zusätzliche Erfordernis einer einzelfallbezogenen, individuell bestimmten und erheblichen Gefährdungssituation kennzeichnet. Mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit steht die Rechtsgutsverletzung bevor, wenn bei qualifizierender Betrachtungsweise, d.h. bei einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung, die für die Rechtsgutsverletzung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Die in diesem Sinne erforderliche Abwägung bezieht sich nicht allein auf das Element der Eintrittswahrscheinlichkeit, sondern auch auf das Element der zeitlichen Nähe des befürchteten Ereignisses; auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs ist in die Betrachtung einzubeziehen (vgl. VGH BW, U.v. 6.3.2012 – A 11 S 3070/11 – juris Rn. 17 unter Bezugnahme auf BVerwG, B.v. 10.04.2008 – 10 B 28.08 – juris Rn. 6; U.v. 14.12.1993 – 9 C 45.92 – juris Rn. 10 f.; U. v. 05.11.1991 – 9 C 118.90 – juris Rn. 17; Hailbronner, Ausländerrecht Bd. 3, Stand 6/2014 § 4 AsylG Rn. 61ff. m.w.N. zur Rechtsprechung).
2.3. Für die Prüfung der Voraussetzungen des subsidiären Schutzes im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG gelten gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG die §§ 3c bis 3e AsylG über Verfolgungs- und Schutzakteure sowie internen Schutz entsprechend.
Die Gefahr eines ernsthaften Schadens im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG kann gemäß § 4 Abs. 3 AsylG i.V.m. § 3c AsylG ausgehen von dem Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die zuvor genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
Schutz vor einem ernsthaften Schaden gemäß § 4 Abs. 3 AsylG i.V.m. § 3d Abs. 1 AsylG kann nur geboten werden vom Staat oder von Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, sofern sie willens und in der Lage sind, wirksamen und nicht nur vorübergehenden Schutz zu gewähren, vgl. § 3d Abs. 2 Satz 1 AsylG. Generell ist ein solcher Schutz gewährleistet, wenn die genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat, § 3d Abs. 2 Satz 2 AsylG.
Gemäß § 4 Abs. 3 AsylG i.V.m. § 3e Abs. 1 AsylG, Art. 8 Abs. 1 QualRL wird dem Ausländer subsidiärer Schutz nicht zuerkannt, wenn eine sogenannte interne Schutzalternative besteht, weil in einem Teil seines Herkunftslands keine Gefahr ei-nes ernsthaften Schadens besteht oder der Ausländer Zugang zu Schutz vor einem ernsthaften Schaden nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Nach § 4 Abs. 3 AsylG i.V. § 3e Abs. 2 AsylG, Art. 8 Abs. 2 QualRL sind die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und persönlichen Umstände des Ausländers zu berücksichtigen. Der Ausländer muss am Zufluchtsort eine ausreichende Lebensgrundlage vorfinden, d.h. es muss zumindest (in faktischer Hinsicht) das Existenzminimum gewährleistet sein, was er unter persönlich zumutbaren Bemühungen sichern können muss. Dies gilt auch dann, wenn im Herkunftsgebiet die Lebensverhältnisse gleichermaßen schlecht sind. Unerheblich ist, ob eine Gefährdung wie am Herkunftsort in gleicher Weise besteht. Darüber hinaus ist erforderlich, dass das Zufluchtsgebiet für den Ausländer erreichbar ist (BVerwG, U.v. 29.5.2008 – 10 C 11/07).
2.4. Nach Art. 4 Abs. 4 QualRL ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von einem solchen Schaden bedroht wird. Diese Regelung privilegiert den von ihr erfassten Personenkreis durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab, wie er in der deutschen asylrechtlichen Rechtsprechung entwickelt worden ist. Die Vorschrift begründet für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare Vermutung dafür, dass sie erneut von einem ernsthaften Schaden bedroht werden. Dadurch wird der Antragsteller, der bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat oder von einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür dazulegen, dass sich die einen solchen Schaden begründenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Ob die Vermutung durch „stichhaltige Gründe“ widerlegt ist, obliegt tatrichterlicher Würdigung im Rahmen freier Beweiswürdigung (vgl. BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 5/09 – BVerwGE 136, 377 – in Bezug auf den wortgleichen Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2004/83 EG [QualRL alt]). Die Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 QualRL kommt dem von ernsthaftem Schaden bedrohten Antragsteller auch bei der Prüfung zugute, ob für ihn im Gebiet einer internen Schutzalternative gemäß § 3e AsylG (vgl. vormals Art. 8 Abs. 1 QualRL alt) keine begründete Furcht vor Verfolgung besteht (vgl. BVerwG, U.v. 5.5.2009 – 10 C 21/08 – NVwZ 2009, 1308 in Bezug auf Art. 8 Abs. 1 QualRL alt). Mit Blick auf den Normzweck der Beweiserleichterung erscheint es nicht nachvollziehbar, der Prüfung internen Schutzes als Ausdruck der Subsidiarität des Flüchtlingsschutzes einen strengeren Maßstab zugrunde zu legen als der systematisch vorgelagerten Stellung der Verfolgungsprognose. Die hinter der Be-weiserleichterung stehende Teleologie – der humanitäre Charakter des Asyls – ver-bietet es, einem Schutzsuchenden, der das Schicksal der Verfolgung bereits einmal erlitten hat, das Risiko einer Wiederholung solcher Verfolgung aufzubürden (BVerwG, U.v. 5.5.2009 – 10 C 21/08 – NVwZ 2009, 1308).
2.5. Bei der individuellen Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz sind alle mit dem Herkunftsland verbundenen Tatsachen zu berücksichtigen, die zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag relevant sind, einschließlich der Rechts- und Verwaltungsvorschriften des Herkunftslands und der Weise, in der sie angewandt werden, sowie die maßgeblichen Angaben des Antragstellers und die von ihm vorgelegten Unterlagen, einschließlich Informationen zu der Frage, ob er einen ernsthaften Schaden erlitten bzw. erleiden könnte (vgl. Art. 4 Abs. 3 Buchst. a und b QualRL). Weiterhin sind zu berücksichtigen die individuelle Lage und die persönlichen Umstände des Antragstellers, einschließlich solcher Faktoren wie familiärer und sozialer Hintergrund, Geschlecht und Alter, um bewerten zu können, ob in Anbetracht seiner persönlichen Umstände die Handlungen, denen er ausgesetzt war oder ausgesetzt sein könnte, einem sonstigen ernsthaften Schaden gleichzusetzen sind (vgl. Art. 4 Abs. 3 Buchst. c QualRL).
2.6. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes liegen bei dem Kläger vor. Seine Angaben sind glaubhaft. Er ist vorverfolgt ausgereist und kann nicht auf internen Schutz verwiesen werden.
Unter Berücksichtigung des Herkommens, Bildungsstands und Alters hält das Gericht das Vorbringen des Klägers in der Anhörung beim Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung zu seiner eigenen Bedrohungssituation, Opfer der Taliban zu werden, für glaubhaft. Der Kläger hat sowohl bei der Anhörung vor dem Bundesamt als auch in der mündlichen Verhandlung übereinstimmende Angaben gemacht. Er hat in der mündlichen Verhandlung die Geschehnisse flüssig und ohne Widersprüche zu seinen Ausführungen während der Anhörung vor dem Bundesamt geschildert. Der Kläger hat stichhaltige Gründe für die Annahme, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht, hinreichend substantiiert, detailliert und widerspruchsfrei vorgetragen. Indem er auch eine Vielzahl von Einzelheiten, die er bereits bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt vortrug, auch in der mündlichen Verhandlung ohne Widersprüche und Diskrepanzen bestätigen konnte, machte er zur Überzeugung des Gerichts kohärente und plausible wirklichkeitsnahe Angaben, die die Zuerkennung subsidiären Schutzes rechtfertigen. Insbesondere auch aufgrund des persönlichen Eindrucks, den das Gericht bei der informatorischen Anhörung des Klägers gewinnen konnte, hält es den Vortrag des Klägers für glaubhaft.
Nach dem Vortrag des Klägers wurde ihm aufgrund seiner Zusammenarbeit mit den afghanischen Regierungstruppen im Jahr 2015 im Kampf gegen die Taliban von diesen Spionagetätigkeit vorgeworfen. Er wurde entführt, misshandelt und zum Tode verurteilt. Zwar erscheint die Fluchtsituation des Klägers auf den ersten Blick als übersteigerte Darstellung, jedoch vermochte es der Kläger die insoweit bestehenden Zweifel des Gerichts in der mündlichen Verhandlung auszuräumen. Es ist daher anzunehmen, dass der Kläger vor seiner Ausreise einer Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt war. Auch das Bundesamt äußerte den Bescheid vom 16. Januar 2017 keine Zweifel an der Glaubhaftigkeit des klägerischen Vortrags und daran dass der Kläger durch Taliban verfolgt worden ist.
Die Aktualität und Ernsthaftigkeit der Bedrohung insbesondere durch die Taliban wird durch deren Erstarken untermauert (vgl. United Nations Assistance Mission in Afghanistan – UNAMA, Jahresbericht 2015, Februar 2016, S. 12, 35, 44 abrufbar unter https://…org/protection-of-civilians-reports, Midyear Report 2016, July 2016, S.1, 44; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update, Die aktuelle Sicherheitslage, September 2016, unter 3.1). Die Taliban – und die mit ihnen gemeinsame Sache machen – lassen diesen Einschüchterungen gegenüber Personen, die in ihr Visier geraten sind, gezielte Gewalttaten folgen, wenn diese Personen sich nicht konform deren Vorstellungen verhalten oder verhielten.
Die regierungsfeindlichen Gruppierungen, hierunter die Taliban, sind als nicht staatliche Akteure im Sinne von Art. 6 QualRL zu qualifizieren.
Aufgrund der sich im Zuge der Übergabe der Sicherheitsverantwortung (Transition) von den ISAF-Truppen an die afghanischen Sicherheitskräfte (ANSF) im Sommer 2013 bereits seit Frühjahr 2013 besorgniserregend verschlechternden Sicherheitslage in allen Regionen Afghanistans – mit starken regionalen Unterschieden – bei gleichzeitigem Erstarken der regierungsfeindlichen Kräfte (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update, Die aktuelle Sicherheitslage, September 2016, unter 3.2. Sicherheitslage in den verschiedenen Landesteilen; Lagebericht des Auswärtigen Amts über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, Stand: September 2016, S. 4; UNAMA, Midyear Report 2016, July 2016), kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger wirksamen Schutz vor einem ernsthaften Schaden durch die Taliban von staatlichen Sicherheitskräften oder internationalen Organisationen erhalten konnte bzw. erhalten wird (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update, Die aktuelle Sicherheitslage, September 2016, unter 5. Menschenrechtslage: Gefährdungsprofile; United Nations Assistance Mission in Afghanistan – UNAMA, Midyear Report 2016, July 2016).
Der Kläger hat im Sinne von Art. 4 Abs. 4 QualRL einen ernsthaften Schaden erlitten bzw. war hiervon unmittelbar bedroht. Es ist deshalb insoweit auch davon auszugehen, dass der Kläger bei einer Rückkehr in sein Heimatland unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung durch die Taliban unterworfen wird. Vorliegend kann die Vermutung der drohenden unmenschlichen Behandlung nicht widerlegt werden. Stichhaltige Gründe, die die Wiederholungsträchtigkeit einer Verfolgung entkräften, sind nicht ersichtlich.
Der Kläger kann auch nicht auf internen Schutz nach § 4 Abs. 3 AsylG i.V. § 3e Abs. 1 AsylG entspr., Art. 8 Abs. 1 QualRL verwiesen werden.
Aufgrund seines individuellen Risikoprofils kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger andernorts in Afghanistan, auch nicht in der Hauptstadt Kabul, vor Nachstellungen durch die Taliban sicher ist, wenn er – wie in dem vorliegendem Fall durch unterschiedliche glaubhaft vorgetragene Geschehnisse – in ihr Visier geraten ist (vgl. EASO, Afghanistan, Strategien der Aufständischen: Einschüchterung und gezielte Gewalt gegen Afghanen, Dezember 2012, 1.1.7, S. 29ff.). Die insoweit vorliegende Besonderheit des Falles liegt darin, dass der Kläger angesichts des erheblichen Ausmaßes der von ihm erlittenen Vorverfolgung und seines gezielten Agierens gegen die Taliban in deren unmittelbaren Fokus geraten ist. Aufgrund seiner ihm zugeschriebenen Spionagetätigkeit und Unterstützung der Regierungstruppen ist davon auszugehen, dass der Kläger unmittelbar mit dem Tode bedroht war und bei einer Rückkehr nach Afghanistan bedroht sein wird. An ihm sollte ein Exempel statuiert werden, um Gleichgesinnte von ähnlichen Unterstützungshandlungen abzuschrecken. Schon vor seiner Entführung hatten die Talibankämpfer es auf den Kläger abgesehen, da dieser aufgrund seines Englischunterrichts in … sowie seiner Weigerung, für die Taliban zu kämpfen, als Abtrünniger angesehen wurde und daher die Aufmerksamkeit der Taliban auf sich zog. Dass die Taliban in der Lage sind, den Kläger aufzuspüren und ausfindig zu machen, stellten diese in der Vergangenheit bereits dadurch unter Beweis, dass sie den Kläger im Rahmen einer Straßenkontrolle bei der Überprüfung eines Sammeltaxis mittels Absprache mit anderen Talibangruppierungen identifizieren konnten. In Gesamtschau der dadurch exponierten Stellung des Klägers ist davon auszugehen, dass die Taliban im Gegensatz zu anderen „Feinden“ ein erheblich höheres Interesse an der Habhaftwertung des Klägers besitzen, so dass eine inländische Fluchtalternative für den Kläger nicht als zumutbar erachtet wird.
2.3. Der Klage war daher unter Aufhebung der Nrn. 3 bis 6 des streitgegen-ständlichen Bescheides stattzugeben. Infolge der Zuerkennung des subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG waren die diesem Ausspruch entgegenstehenden bzw. dadurch hinfälligen Nrn. 3, 4, 5 und 6 des streitgegenständlichen Bescheids aufzuheben (u.a. Umkehrschluss zu § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2a AsylG).
3. Angesichts des Erfolgs des Antrags ist mangels Eintritts der innerprozessualen Bedingung nicht über den Hilfsantrag zu entscheiden. Im Übrigen lässt die Verpflichtung der Beklagten zur Zuerkennung subsidiären Schutzes die negative Feststellung des Bundesamtes, auch soweit sie die Ablehnung der Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG betrifft, angesichts des Eventualverhältnisses (vgl. BVerwG, U.v. 15.4.1997 – 9 C 19/96 – juris) gegenstandslos werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich des zurückgenommenen Teils der Klage auf § 155 Abs. 2 VwGO, im Übrigen auf § 155 Abs. 1 VwGO und berücksichtigt die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Kostenteilung in Asylverfahren (vgl. z.B. BVerwG, B.v. 29.6.2009 – 10 B 60/08 – juris). Das Verfahren ist gemäß § 83 b AsylG gerichtskostenfrei. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

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