Verwaltungsrecht

Antrag auf Asylanerkennung aus eigenem Recht eines bereits als (Familien-) Flüchtling anerkannten Kindes aus Somalia

Aktenzeichen  W 3 K 16.30387

Datum:
19.5.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3, § 26 Abs. 2, Abs. 5, § 71 Abs. 1
VwVfG VwVfG § 51 Abs. 1-3
VwGO VwGO § 84

 

Leitsatz

Durch § 26 AsylG soll dem Ehegatten oder Lebenspartner und den minderjährigen Kindern des Asylberechtigten bzw. international Schutzberechtigten eine Rechtsposition eingeräumt werden, die über ein bloßes Recht zum Aufenthalt in Deutschland, wie es für ein familiäres Zusammenleben mit dem asylberechtigten Angehörigen erforderlich ist, hinausgeht. (redaktioneller Leitsatz)
Ein Asylsuchender hat kein rechtlich geschütztes Interesse daran, dass durch Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund eigener Verfolgungsgründe die Voraussetzungen einer Zuerkennung der (Familien-)Flüchtlingseigenschaft für andere Familienangehörige geschaffen werden. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Über die Klage kann gemäß § 84 VwGO durch Gerichtsbescheid entschieden werden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten wurden zuvor angehört.
Die Klage hat keinen Erfolg, da sie bereits unzulässig ist. Ihr fehlt das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis, weil der Klägerin bereits bestandskräftig mit Bescheid vom 15. Juli 2014 die (Familien-) Flüchtlingseigenschaft nach § 26 Abs. 5 i. V. m. Abs. 2 AsylG zuerkannt worden ist.
Das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis als ungeschriebene Voraussetzung jeder Inanspruchnahme der Gerichte ist insbesondere dann nicht gegeben, wenn der Kläger sein Ziel auf anderem Wege schneller und einfacher erreichen könnte, wenn ein Erfolg seine Rechtsstellung nicht verbessern würde oder wenn es ihm auf den Klageerfolg gar nicht ankommt (Rennert in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, Vor §§ 40-53 Rn. 11). Es wäre eine überflüssige Inanspruchnahme der Gerichte, wenn in solchen Fällen über die Klage sachlich entschieden werden müsste. Dies zu verhindern, ist der Zweck der Sachurteilsvoraussetzung des Rechtsschutzbedürfnisses (Rennert in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, Vor §§ 40-53 Rn. 11).
Gemessen hieran fehlt der Klage das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis. Selbst mit einem obsiegenden Urteil (bzw. einem nach § 84 Abs. 3 Halbsatz 1 VwGO als Urteil wirkenden obsiegenden Gerichtsbescheid) würde die Klägerin ihre bereits erreichte Rechtsstellung nicht verbessern. Wer – wie die Klägerin – bereits einen bestandskräftigen (Familien-) Zuerkennungsbescheid besitzt, hat keinen weiteren schützenswerten Vorteil dadurch, dass ihm auch das Vorliegen der Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 AsylG in eigener Person bescheinigt wird. Denn er hat eine Rechtsposition, wie er sie durch ein seiner Klage auf Verpflichtung der Beklagten zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aus eigenem Recht stattgebendes Urteil erlangen kann, bereits inne.
Die nach § 26 AsylG zu gewährende Rechtsstellung eines Flüchtlings ist nämlich identisch mit der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs.4 i. V. m. Abs. 1 AsylG, die den Gegenstand der behördlichen Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aus eigenem Recht bildet (vgl. BVerwG, U. v. 25.6.1991 – 9 C 48/91 – juris Rn. 6; U. v. 28.4.1998 – 9 C 1/97 – juris Rn. 13 jeweils zur (Familien-) Asylberechtigung). Wortlaut, Systematik sowie Gesetzeszweck des § 26 AsylG enthalten keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Gesetzgeber mit den darin verwendeten Begriffen des Familienasyls und des internationalen Schutzes für Familienangehörige einen neuartigen, bisher unbekannten Rechtsstatus schaffen wollte. Die Regelung des § 26 AsylG soll den zuständigen Behörden und Gerichten vielmehr lediglich die Möglichkeit eröffnen, von einer unter Umständen schwierigen Prüfung eigener Verfolgungsgründe der einzelnen Familienangehörigen abzusehen (BVerfG, B. v. 3.6.1991 – 2 BvR 720/91 – juris Rn. 3; BVerwG, U. v. 21.1.1992 – 9 C 66/91 – juris Rn. 14; HessVGH, U. v. 18.5.1992 – 12 UE 3905/88 – juris Rn. 31). Sie räumt allen von ihr erfassten Familienmitgliedern einen einheitlichen asylrechtlichen Status nicht nur dann ein, wenn eine politische Verfolgung in jeweils eigener Person besteht, sondern selbst dann, wenn objektiv feststeht, dass Familienangehörige des nach Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG Asylberechtigten oder des nach § 3 Abs. 1 AsylG anerkannten Flüchtlings nicht in eigener Person von politischer Verfolgung bedroht sind und ihnen auch sonst kein Asylanspruch und kein Anspruch auf internationalen Schutz zusteht. Durch § 26 AsylG soll dem Ehegatten oder Lebenspartner und den minderjährigen Kindern des Asylberechtigten bzw. international Schutzberechtigten eine Rechtsposition eingeräumt werden, die über ein bloßes Recht zum Aufenthalt in Deutschland, wie es für ein familiäres Zusammenleben mit dem asylberechtigten Angehörigen erforderlich ist, hinausgeht. Denn das Aufenthaltsrecht, das der Verwirklichung des durch Art. 6 Abs. 1 GG verbürgten familiären Zusammenlebens dient, ist für den Ehegatten und die minderjährigen Kinder bereits hinreichend durch §§ 27 bis 36 AufenthG statuiert. Dann aber kann die durch § 26 AsylG zuerkannte Rechtsposition nur der Erfüllung eines für den Ehegatten und die minderjährigen Kinder angenommenen – weiteren – Schutzinteresses dienen (BVerwG, U. v. 25.6.1991 – 9 C 48/91 – juris Rn. 11).
Wird somit mit der Gewährung von Familienasyl bzw. internationalem Schutz für Familienangehörige nach § 26 AsylG kein gesonderter, vom Asylrecht unabhängiger Status minderen Rechts verliehen (vgl. BVerwG, U. v. 25.6.1991 – 9 C 48/91 – juris Rn. 6; HessVGH, U. v. 25.11.1991 – 12 UE 3213/88 – juris Rn. 32; U. v. 21.12.1992 – 12 UE 1472/90 – juris Rn. 82 zur Familienasylberechtigung), würde sich die bereits erreichte Rechtsstellung eines Asylsuchenden, dem die Flüchtlingseigenschaft aus abgeleitetem Recht nach § 26 AsylG bereits bestands- oder rechtskräftig zuerkannt worden ist, durch die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 4 i. V. m. Abs. 1 AsylG aufgrund einer abschließenden Prüfung der ihm persönlich drohenden Verfolgungsgefahren nicht verbessern. Dies trifft auch auf die Klägerin zu.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Möglichkeit eines späteren Wegfalls der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft des Vaters der Klägerin, von dem diese ihre Flüchtlingsanerkennung ableitet. Denn selbst wenn die Flüchtlingseigenschaft des Vaters der Klägerin erlischt, widerrufen oder zurückgenommen würde, kann die Flüchtlingszuerkennung der Klägerin gemäß § 73 Abs. 2b Satz 3 AsylG nur dann wegen Wegfalls der Flüchtlingseigenschaft des Stammberechtigten, ihres Vaters, widerrufen werden, wenn ihr nicht aus anderen Gründen die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt werden könnte. Somit wäre im Falle eines Widerrufverfahrens nach § 73 Abs. 2b Satz 3 AsylG zu prüfen, ob die Klägerin die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 4 i. V. m. Abs. 1 AsylG nicht in eigener Person erfüllt. Hierdurch ist sie ausreichend in ihren Rechten geschützt. Einer Prüfung der Erfüllung der Flüchtlingsvoraussetzungen in eigener Person bedarf es daher in dem nach § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt dieser Entscheidung zum Schutz der Rechte der Klägerin nicht. Damit fehlt auch unter dem Gesichtspunkt eines etwaigen späteren Wegfalls der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft des Vaters der Klägerin ein rechtlich anerkennenswertes Interesse der Klägerin an der Durchführung eines weiteren – auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gerichteten – Asylverfahrens und an der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aus eigenen (Verfolgungs-) Gründen.
Ein solches rechtlich anerkennenswertes Interesse ergibt sich auch nicht daraus, dass möglicherweise anderen Familienangehörigen der Klägerin, denen bezogen auf die Flüchtlingszuerkennung des Vaters der Klägerin kein Familienasyl gemäß § 26 AsylG zu gewähren ist, die Familienflüchtlingseigenschaft nach § 26 Abs. 5 und Abs. 3 AsylG zuerkannt werden könnte, wenn der Klägerin aus eigenem Recht die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 4 i. V. m. Abs. 1 AsylG zuerkannt würde. Denn die Frage, ob anderen Familienangehörigen der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist, betrifft subjektive Rechte dieser anderen Familienangehörigen und nicht solche der Klägerin selbst. Daher hat die Klägerin auch kein rechtlich geschütztes Interesse daran, dass durch Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft für sie selbst aufgrund eigener (Verfolgungs-) Gründen nach § 3 Abs. 4 i. V. m. Abs. 1 AsylG die Voraussetzungen einer Zuerkennung der (Familien-) Flüchtlingseigenschaft für andere Familienangehörige nach § 26 Abs. 5 i. V. m. Abs. 3 AsylG geschaffen werden.
Dies gilt auch im Hinblick auf die Regelungen der Art. 6 Abs. 1 GG, Art. 8 EMRK, die den Schutz des Familienlebens gewährleisten. Denn die von der Klägerin begehrte Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 4 und Abs. 1 AsylG wegen eigener (Verfolgungs-) Gründe dient dem Schutz des (persönlich) Betroffenen – hier der Klägerin – vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG, nicht aber der Verwirklichung der in Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK gewährleisteten Rechte oder dazu, (minderjährigen) Kindern eine Rechtsposition einzuräumen, die es ihren Eltern oder anderen Familienangehörigen ermöglicht, über § 26 AsylG eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu erreichen und damit eine Rechtsposition, die über ein bloßes Recht zum Aufenthalt in Deutschland, wie es für ein familiäres Zusammenleben mit dem als Flüchtling anerkannten Kind erforderlich ist, hinausgeht. Der zur Wahrung des durch Art. 6 Abs. 1 GG, Art. 8 EMRK verbürgten familiären Zusammenlebens erforderliche Aufenthalt von (nicht in eigener Person flüchtlingsschutzberechtigten) Familienangehörigen eines anerkannten Flüchtlings ist bereits durch die Möglichkeit der Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach §§ 27 bis 36 AufenthG oder zumindest einer Duldung nach § 60a AufenthG hinreichend gesichert.
Dies wird durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Asylrecht von Familienangehörigen politisch Verfolgter bestätigt. So hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden, dass Art. 6 Abs. 1 GG weder allein noch im Zusammenhang mit Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG ein Asylrecht von Familienangehörigen politisch Verfolgter, die in ihrer Person keine politische Verfolgung erlitten haben und denen auch keine politische Verfolgung droht, gewährleistet (BVerfG, B. v. 19.121984 – 2 BvR 1517/84 – juris Rn. 1; B. v. 3.6.1991 – 2 BvR 720/91 – juris Rn. 3; B. v. 14.12.2000 – 2 BvR 517/99 – juris Rn. 3; vgl. auch BVerwG, U. v. 7.3.1995 – 9 C 389/94 – juris Rn. 11). Aus Art. 6 Abs. 1 GG kann also lediglich gefolgert werden, dass den Familienangehörigen im Sinne des Art. 6 Abs. 1 GG ein Bleiberecht in der Bundesrepublik Deutschland eingeräumt werden muss. Dem Gesetzgeber steht insoweit allerdings ein weiter Gestaltungsspielraum zu, der es ihm unbenommen lässt, dem Interesse des Asylberechtigten und seiner Angehörigen an der Fortführung der ehelichen und familiären Gemeinschaft durch Schaffung entsprechender ausländerrechtlicher Regelungen Rechnung zu tragen (BVerwG, U. v. 7.3.1995 – 9 C 389/94 – juris Rn. 11 m. w. N.). Nichts anderes gilt aus den bereits dargestellten Gründen bezogen auf das hier in Rede stehende Recht auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Folglich droht allein aus der Nichtprüfung der eigenen Verfolgungsgründe der Klägerin und der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft allein nach § 26 AsylG aus abgeleitetem Recht und nicht (auch) nach § 3 Abs. 4 i. V. m. Abs. 1 AsylG aus eigenem Recht keine Verletzung von Rechten der Klägerin aus Art. 6 Abs. 1 GG, Art. 8 EMRK. Auch unter dem Gesichtspunkt des Schutzes des Familienlebens ergibt sich daher kein rechtlich anerkennenswertes Interesse der Klägerin an der Prüfung eigener Verfolgungsgründe.
Nach alledem würden die Durchführung eines – auf die Flüchtlingszuerkennung aus eigenem Recht gerichteten – weiteren Asylverfahrens und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aus eigenem Recht der Klägerin keinen rechtlich anerkennenswerten Vorteil bringen. Die Klägerin würde selbst mit einer obsiegenden gerichtlichen Entscheidung ihre bereits erreichte Rechtsstellung nicht verbessern. Es wäre eine überflüssige Inanspruchnahme der Gerichte, wenn in einem solchen Fall über die Klage sachlich entschieden werden müsste. Dies zu verhindern, ist – wie bereits ausgeführt – der Zweck der Sachurteilsvoraussetzung des Rechtsschutzbedürfnisses, das der Klage somit fehlt. Die Klage ist daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG abzuweisen.

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