Verwaltungsrecht

Antrag auf Familiennachzug nach bestandskräftiger Ablehnung des Asylantrags

Aktenzeichen  B 4 E 17.304

Datum:
9.6.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 142269
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
§ 5 Abs. 2 AufenthG
§ 10 Abs. 3 Satz 1 und 3 AufenthG
§ 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG
§ 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG
§ 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG

 

Leitsatz

1 In den Fällen des § 10 Abs. 3 S. 1 AufenthG hat der Ausländer das Verwaltungsverfahren und eine sich gegebenenfalls anschließende gerichtliche Auseinandersetzung vom Ausland aus zu betreiben. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
2 Bei § 36 Abs. 2 S. 1 AufenthG handelt es sich um eine Ermessensvorschrift, die keinen strikten Rechtsanspruch vermittelt. (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)
3 Sind die Asylanträge unanfechtbar abgelehnt worden, darf gemäß § 10 Abs. 3 S. 1 AufenthG keine Aufenthaltserlaubnis nach § 36 Abs. 2 S. 1 AufenthG erteilt werden. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
4 Eine asylunabhängige Aufenthaltserlaubnis haben auch Ausländer im Visumverfahren einzuholen, die als Asylbewerber ohne Visum eingereist sind, deren Asylantrag aber erfolglos geblieben ist. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
5 Eine humanitäre Aufenthaltserlaubnis stellt gegenüber einer Aufenthaltserlaubnis zur Familienzusammenführung einen eigenständigen Verfahrens- und Streitgegenstand dar. (Rn. 49) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Anträge werden abgelehnt.
2. Die Antragsteller tragen gesamtschuldnerisch die Kosten des Verfahrens
3. Der Streitwert wird auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsteller begehren, den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, keine aufenthaltsbeenden Maßnahmen zu ergreifen bzw. bereits ergriffene Maßnahmen zu beenden, bis über ihre Klagen auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen, hilfsweise Duldungen entschieden ist.
Die miteinander verheirateten Antragsteller sind georgische Staatsangehörige. Nachdem sie bereits in Polen Asylanträge gestellt hatten, reisten sie am 12.12.2012 ohne Pässe und Visa aus Polen kommend erstmals ins Bundesgebiet ein. Am 15.02.2013 beantragten sie in Z. die Anerkennung als Asylberechtigte und erhielten Aufenthaltsgestattungen. Mit Bescheid vom 19.02.2013 wurden sie der Gemeinschaftsunterkunft in … (Gemeinde …, Landkreis B …) zugewiesen.
Mit Bescheid vom 30.01.2014 stellte das Bundesamt für … (Bundesamt) fest, dass die beiden Asylanträge unzulässig seien und ordnete die Abschiebung der Antragsteller nach Polen an. Mit Beschluss vom 13.02.2014 lehnte das Verwaltungsgericht Bayreuth Anträge auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der dagegen am 10.02.2014 erhobenen Klagen ab (B 5 S 14.30072). Da die seit 03.11.2013 unbekannt verzogenen Antragsteller die Klageverfahren nicht weiterbetrieben, stellte das Gericht die Verfahren mit Beschluss vom 26.03.2014 ein (B 5 K 14.30073). Aufgrund ihres Untertauchens konnte die Aufenthaltsbeendigung nicht vollzogen werden.
Am 07.08.2014 stellten die Antragsteller, die seit November 2013 (Antragstellerin zu 2) bzw. Januar 2014 (Antragsteller zu 1) im Besitz von georgischen Nationalpässen sind, die zehn Jahre gültig sind, in Z. Asylfolgeanträge. Als Wohnsitz wurde ihnen ab 11.09.2014 die Stadt Ba … zugewiesen.
Mit Bescheid vom 12.02.2015 stellte das Bundesamt nach Durchführung eines Folgeverfahrens fest, dass keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen (Ziff. 1) und drohte ihnen die Abschiebung nach Georgien an, falls sie die Bundesrepublik nicht binnen einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung verlassen (Ziff. 2). Dieser Bescheid wurde am 25.02.2015 bestandskräftig.
Am 04.03.2015 übermittelte die Ausländerbehörde der Stadt M. der Stadt Ba … ein Schreiben vom gleichen Tag an den jetzigen Prozessbevollmächtigten der Antragsteller, der am 08.12.2014 in M. einen Antrag auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen gemäß § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG gestellt hatte. Darin teilt die hessische Ausländerbehörde mit, nach ihren Erkenntnissen befänden sich die Asylantragsteller noch im Asylverfahren, so dass die Aufenthaltstitel nicht erteilt werden könnten.
Am 01.07.2015 stellten die Antragsteller erneut Folgeanträge, erhielten Aufenthaltsgestattungen und wurden der Stadt Ba … zugewiesen.
Mit zwei Bescheiden vom 07.05.2016 lehnte das Bundesamt jeweils die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und die Asylanträge gemäß § 30 Abs. 1 AsylVfG als offensichtlich unbegründet ab (Ziffern 1 und 2). Weiter lehnte das Bundesamt die Anträge auf subsidiären Schutz als unbegründet ab (Ziff. 3). Außerdem stellte die Behörde fest, dass keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen (Ziff. 4). Weiter wurde den Antragstellern die Abschiebung nach Georgien angedroht, falls sie die Bundesrepublik Deutschland nicht innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung verlassen (Ziff. 5). Schließlich wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 36 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziff. 6). Die Bescheide wurden am 24.05.2016 bestandskräftig.
Am 27.09.2016 erteilte die seit 18.07.2016 als Ausländerbehörde zuständige Regierung von … – Zentrale Ausländerbehörde (i. f. ZAB …) den Antragstellern Duldungen bis 27.12.2016, die am 21.12.2016 letztmalig bis 31.01.2017 verlängert wurden. Seither erhielten die Antragsteller, die seit 17.01.2017 verpflichtet sind, ihren Wohnsitz in R … (Landkreis B …) zu nehmen, keine Duldungsbescheinigungen mehr.
Bereits am 16.12.2015 hatten die Prozessbevollmächtigten der Antragsteller bei der Stadt Ba … die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen gemäß § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG beantragt, weil die in M. lebende Mutter des Antragstellers zu 1 auf die Betreuung durch die Antragsteller angewiesen sei.
Mit Bescheid vom 07.04.2017 lehnte die nunmehr zuständige ZAB … die Anträge gemäß § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG ab. Die Erteilung der begehrten Aufenthaltserlaubnis scheitere bereits daran, dass nach Ablehnung der Asylanträge am 07.05.2016 vor der Ausreise keine Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug erteilt werden dürfe. Darüber hinaus lägen auch nicht alle allgemeinen Erteilungsvorschriften und keine außergewöhnliche Härte vor. Auf die Begründung des Bescheides wird verwiesen.
Mit Telefax vom 19.04.2017 haben die Prozessbevollmächtigten der Antragsteller Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth erhoben und beantragt unter Abänderung des Bescheides vom 07.04.2017 den Antragsgegner zu verpflichten, den Antragstellern Aufenthaltserlaubnisse nach § 36 Abs. 2 AufenthG zu erteilen, hilfsweise Aufenthaltserlaubnisse nach § 25 Abs. 4 und 5 AufenthG und hilfshilfsweise Duldungen gemäß § 60a AufenthG (B 4 K 17.305).
Ebenfalls am 19.04.2017 haben sie gemäß § 123 VwGO beantragt,
den Antragsgegner zusichern zu lassen, dass bis zum rechtskräftigen Abschluss des Klageverfahrens keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen gegen die Antragsteller ergriffen werden und im Falle, dass solche bereits eingeleitet wurden, diese mit sofortiger Wirkung zu beenden.
Zur Begründung wird ausgeführt, die Antragsteller hätten einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug, weil das Ermessen des Antragsgegners auf Null reduziert sei. Damit greife die Titelerteilungssperre für abgelehnte Asylbewerber nicht ein. Mit der Erteilung des Aufenthaltstitels werde eine außergewöhnliche Härte vermieden. Die Mutter des Antragstellers zu 1, zu der der Nachzug erfolgen solle, besitze seit 17.01.2017 eine bis 16.01.2019 gültige Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 3 AufenthG. Sie dürfe nicht darauf verwiesen werden, die familiäre Gemeinschaft im Herkunftsland herzustellen. Der schwerbehinderten, betreuungsbedürftigen Frau sei der Pflegegrad 2 zuerkannt worden. Aus einer fachärztlichen Bescheinigung der … Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie vom 11.04.2017 ergebe sich, dass sie auf die Hilfe durch die Antragsteller zwingend angewiesen sei. Dies habe auch ihre Hausärztin, eine M. Fachärztin für Allgemeinmedizin, am 06.04.2017 bestätigt. Beide Antragsteller hätten die Zusage, als Reinigungskraft beschäftigt zu werden.
Der Antragsgegner hat beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG stehe die Titelerteilungssperre für abgelehnte Asylbewerber entgegen, die nur dann nicht anzuwenden sei, wenn eine Vorschrift einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vorsehe. Ein Anspruch aufgrund einer Ermessensreduzierung auf Null reiche dazu nicht aus. Außerdem sei es den Antragstellern zumutbar, vor Erteilung der Aufenthaltserlaubnis das Visumverfahren nachzuholen.
Mit der begehrten Erteilung der Aufenthaltserlaubnis werde auch keine außergewöhnliche Härte vermieden. Es sei fraglich, ob die Pflege und Betreuung gewährleistet werden könne, wenn die Antragsteller erwerbstätig seien, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Zudem seien die erwachsenen Antragsteller und die zu betreuende Frau, die kein Daueraufenthaltsrecht habe, darauf zu verweisen, die familiäre Lebensgemeinschaft in Georgien fortzusetzen.
Eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG scheide aus, weil die Antragsteller vollziehbar ausreisepflichtig seien; eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5
AufenthG scheitere daran, dass die Antragsteller erst ab September 2016 geduldet seien.
Die Abschiebung der Antragsteller sei auch nicht rechtlich unmöglich, so dass ihnen keine Duldungen zu erteilen seien. Eine von Art. 6 GG geschützte, bereits gelebte Beistandsgemeinschaft liege nicht vor, weil die Antragsteller, die verpflichtet seien, im Landkreis B … ihren Wohnsitz zu nehmen, sich auf Besuche bei der Mutter/Schwiegermutter in M. zu beschränken gehabt hätten. Auch Art. 8 EMRK greife nicht ein. Er schütze nur ein Familienleben, das auf der Grundlage eines rechtmäßigen Aufenthalts geführt werde. Zudem müssten die Familienmitglieder Anlass haben, darauf zu vertrauen, dass ihre familiäre Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet fortgeführt werden dürfe.
In einem Telefonat am 26.05.2017 teilte der Antragsgegner auf Nachfrage des Gerichts mit, es sei weiter beabsichtigt und tatsächlich möglich, die Antragsteller, die zu einer freiwilligen Ausreise nicht bereit seien, nach Vorliegen einer für sie negativen gerichtlichen Entscheidung unter Einschaltung der Zentralen Ausländerbehörde Bielefeld zeitnah nach Georgien abzuschieben.
Für die weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
1) Die Anträge, den Antragsgegner zu verpflichten, bis zum rechtskräftigen Abschluss der erhobenen Klagen keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen zu ergreifen, sind zulässig, aber unbegründet.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechtes der Antragsteller vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Voraussetzung ist, dass die Antragsteller das von ihnen behauptete strittige Recht (den Anordnungsanspruch) und die drohende Gefahr ihrer Beeinträchtigung (den Anordnungsgrund) glaubhaft machen, § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO. Maßgebend sind die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.
Die vollziehbar ausreisepflichtigen Antragsteller, deren Ausreisefrist abgelaufen ist und die vor einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zu ihren Ungunsten nicht zur freiwilligen Ausreise bereit sind, haben keinen Anspruch darauf, dass gegen sie keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen ergriffen werden. Deshalb liegt wegen der drohenden Abschiebung zwar ein Anordnungsgrund, aber kein Anordnungsanspruch vor.
a) Die Antragsteller haben keinen aus den Vorschriften über den Familiennachzug abzuleitenden Anspruch auf weiteren Verbleib im Bundesgebiet, der im Wege des § 123 VwGO gesichert werden könnte.
In Betracht kommt nur die Vorschrift des § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, wonach sonstigen Familienangehörigen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden kann, wenn es zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich ist.
aa) Die begehrte Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen darf den Antragstellern vor der Ausreise schon wegen der zu ihren Lasten eingreifenden Titelerteilungssperre nicht erteilt werden.
Gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG darf einem Ausländer, dessen Asylantrag unanfechtbar abgelehnt worden ist, vor der Ausreise ein Aufenthaltstitel nur nach Maßgabe des Abschnitts 5 erteilt werden. Im Falle eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis findet Satz 1 keine Anwendung (§ 10 Abs. 3 Satz 3 Hs. 1 AufenthG).
Der Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis muss ein strikter Rechtsanspruch sein. Nur wenn ein gesetzlicher Anspruch besteht, hat der Gesetzgeber in abstrakt-genereller Weise eine abschließende, die Verwaltung bindende Wertung zu Gunsten eines Aufenthaltsrechts getroffen. Demgegenüber zeichnen sich Fälle, in denen ein Ausländer die Reduzierung des in einer aufenthaltsrechtlichen Vorschrift eröffneten Ermessens geltend macht, durch einen erhöhten administrativen und gerichtlichen Prüfungsaufwand aus. Es liegt in der Logik des Sanktionsgedankens, der auch § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG immanent ist, dass der Ausländer in diesen Fällen das Verwaltungsverfahren und eine sich gegebenenfalls anschließende gerichtliche Auseinandersetzung vom Ausland aus zu betreiben hat und ihm nicht gestattet werden soll, sich für die Dauer des Verfahrens weiter im Bundesgebiet aufzuhalten und den Aufenthalt hierdurch weiter zu verfestigen. Nur die Begrenzung der in § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG vorgesehenen Ausnahme auf gesetzliche Ansprüche gewährleistet, dass die Sperrwirkung in der Praxis nicht weitgehend leer läuft (BVerwG, U. v. 16.12.2008 – 1 C 37/07 – BVerwGE 132,382/388-390 Rn.21 – 23 = InfAuslR 2009, 224/226).
Da die Asylanträge der Antragsteller zuletzt mit den bestandskräftigen Bescheiden vom 07.05.2016 unanfechtbar abgelehnt wurden, darf ihnen gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG keine Aufenthaltserlaubnis nach § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG erteilt werden. Die in § 10 Abs. 3 Satz 3 Hs. 1 AufenthG vorgesehene Ausnahme greift nicht ein, weil auf eine solche Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug kein Anspruch i.S. eines strikten Rechtsanspruchs besteht. Eine unterstellte Ermessensreduzierung auf Null würde nicht genügen.
bb) Außerdem ist auch die allgemeine Erteilungsvoraussetzung der Einreise mit dem erforderlichen Visum nicht erfüllt, von der bei den Antragstellern nicht abgesehen werden kann.
Gemäß § 5 Abs. 2 AufenthG setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis voraus, dass der Ausländer mit dem erforderlichen Visum eingereist ist (§ 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG).
Für die Einreise und für den Aufenthalt im Bundesgebiet ist ein Aufenthaltstitel erforderlich, sofern nicht u.a. durch Recht der Europäischen Union etwas anderes bestimmt ist (§ 4 Abs. 1 Satz 1 AufenthG). Nach Art. 20 Abs. 1 des Schengener Durchführungsabkommens (SDÜ), das als Recht der Europäischen Union gemäß § 15 AufenthV die Befreiung vom Erfordernis eines deutschen Aufenthaltstitels bei Kurzaufenthalten gemeinschaftsrechtlich regelt, können sichtvermerkfreie Drittausländer sich im Hoheitsgebiet der Schengen-Staaten frei bewegen, höchstens jedoch 90 Tage je Zeitraum von 180 Tagen. Außerdem müssen sie die in Art. 6 Abs. 1 Buchstaben a), c), d) und e) Schengener Grenzkodex aufgeführten Einreisevoraussetzungen erfüllen. Drittausländer ist gemäß Art. 1 SDÜ eine Person, die nicht Staatsangehöriger eines der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft ist. Zu diesen sichtvermerkfreien Drittausländern gemäß Art. 1 Abs. 2 Satz 1 EG-VisaVO i .V. m. der Liste der in Anhang II aufgeführten Drittländer gehören seit 28.03.2017 auch die Staatsangehörigen der Republik Georgien.
Eine asylunabhängige Aufenthaltserlaubnis haben auch Ausländer im Visumverfahren einzuholen, die als Asylbewerber ohne Visum eingereist sind, deren Asylantrag aber erfolglos geblieben ist (BVerwG, U. v. 03.06.1997 – 1 C 1/97 – BVerwGE 105, 28 = NVwZ 1998,187 jew. Leitsatz). Das Visumerfordernis gilt auch bei Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG (BVerwG, U. v. 30.07.2013 – 1 C 15/12 – BVerwGE 147, 278/281 Rn.10). Eine Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet einholen können Ausländer u.a. dann, wenn sie eine Aufenthaltsgestattung besitzen und einen Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis haben (§ 39 Nr. 4 AufenthV).
Die Antragsteller sind zwar als Staatsangehörige Georgiens von der Sichtvermerkpflicht befreit, jedoch nur für Kurzaufenthalte von 90 Tagen in einem Zeitraum von 180 Tagen (Art. 20 Abs. 1 SDÜ). Für den von ihnen angestrebten längerfristigen Aufenthalt auf der Grundlage von § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist dagegen ein nationales Visum erforderlich (§ 6 Abs. 3 Satz 1 AufenthG). Da sie keine Aufenthaltsgestattungen (mehr) besitzen und
§ 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG eine Ermessensvorschrift ist, sind sie auch nicht gemäß § 39 Nr. 4 AufenthV davon befreit.
Von der Erfüllung der Visumpflicht kann abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind oder es auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen (§ 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 AufenthG).
Da es sich bei § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG um eine Ermessensvorschrift handelt, die keinen strikten Rechtsanspruch vermittelt, und die Reduzierung des Ermessens auf Null nicht genügt (so ausdrücklich Maor in Kluth/Heusch, BeckOK-AuslR, Stand 01.02.2017, § 5 AufenthG Rn.36), greift diese Ausnahmeregelung nicht ein.
Darüber hinaus ist es den Antragstellern zumutbar, das Visumverfahren nachzuholen.
Im Hinblick darauf, dass vom Visumverfahren als wichtigem Steuerungsinstrument der Zuwanderung nur ausnahmsweise abgewichen werden soll und auch aus generalpräventiven Gründen eine restriktive Handhabung der Ausnahmevorschrift gerechtfertigt ist, sind erhöhte Anforderungen zu stellen, was die Darlegung der Zumutbarkeit der Nachholung des Visumverfahrens angeht (BayVGH, B. v. 18.05.2015 – 10 CS 15.800 – juris Rn.15). Werden sie nicht erfüllt, liegt in der geforderten Nachholung des Visumverfahrens auch kein Verstoß gegen Art. 6 GG, dem bei Aufenthaltserlaubnissen aus familiären Gründen besondere Bedeutung zukommt (VGH Mannheim, B. v. 10.03.2009 – 11 S 2990/08 – InfAuslR 2009, 236/239).
Besondere Umstände des Einzelfalls, die ein kurzfristiges Verlassen des Bundesgebietes nicht zumutbar erscheinen ließen, haben die Antragsteller jedoch nicht dargelegt.
b) Die Antragsteller haben weiter keinen aus den Vorschriften über die humanitären Aufenthaltstitel herzuleitenden Anspruch auf einen weiteren Verbleib im Bundesgebiet.
aa) Die Antragsteller haben keinen sicherungsfähigen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG.
Zwar hat der Prozessbevollmächtigte der Antragsteller in seiner Klage- und Antragsschrift vom 18.04.2017 hilfsweise die Verpflichtung auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach § 25 Abs. 4 AufenthG beantragt und der Antragsgegner hat sich in seiner Antragserwiderung zur Sache eingelassen.
Dadurch wird jedoch nicht geheilt, dass im Verwaltungsverfahren der nach § 81 Abs. 1
AufenthG erforderliche Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nicht (zumindest hilfsweise) gestellt wurde. Deshalb konnte sich die Ausländerbehörde nicht, wie es aufgrund der Gewaltenteilung geboten ist, vor der Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes mit diesem Anspruch befassen (BVerwG, U. v. 28.11.2007 – 6 C 42/06 – BVerwGE 130,39/46 = NVwZ 2008, 575/577 jew. Rn. 23).
Weiter haben die Antragsteller ihren Antrag gegenüber der Ausländerbehörde ausdrücklich auf eine Aufenthaltserlaubnis zur Familienzusammenführung gemäß § 36 Abs. 2 Satz 1
AufenthG beschränkt. Deshalb war der Antragsgegner auch nicht gehalten, das Begehren der Antragsteller im Hinblick auf eine humanitäre Aufenthaltserlaubnis zu prüfen. Dieser Aufenthaltstitel stellt vielmehr einen eigenständigen Verfahrens- und Streitgegenstand dar, weil er sich in seinen Voraussetzungen und Rechtsfolgen von einer Aufenthaltserlaubnis zur Familienzusammenführung unterscheidet (OVG Lüneburg, B. v. 11.07.2014 – 13 LB 153/13 – InfAuslR 2014, 332,332f.). Die Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 4 AufenthG ist, anders als die Aufenthaltserlaubnis nach § 36 Abs. 2 Satz 1 AsylbLG, grundsätzlich auf sechs Monate beschränkt (§ 26 Abs. 1 Satz 1 AufenthG) und berechtigt nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 AsylbLG zum Bezug von Leistungen nach diesem Gesetz.
Darüber hinaus liegen auch die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift nicht vor. Denn sie ermächtigt die Behörde, nach ihrem Ermessen einem nicht vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer für einen vorübergehenden Aufenthalt eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Die Antragsteller sind jedoch vollziehbar ausreisepflichtig und streben einen Daueraufenthalt im Bundesgebiet an.
bb) Die Antragsteller haben auch keinen sicherungsfähigen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG.
Gemäß § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG kann einem vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist.
Auch für die Erteilung einer humanitären Aufenthaltserlaubnis nach dieser Vorschrift fehlt es an einem vorherigen erfolglosen Antrag gegenüber der Verwaltung.
Weiter können sie nicht mit Erfolg geltend machen, ihre Ausreise sei aus familiären Gründen rechtlich unmöglich.
Jedenfalls dann, wenn die Versagung eines Aufenthaltsrechts aus familiären Gründen gemäß § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG nicht nur an der Titelerteilungssperre gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG scheitert, sondern auch wegen eines Visumverstoßes gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG nicht rechtmäßig ist, scheidet eine Legalisierung des Aufenthaltes nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG schon aus systematischen Gründen aus (VGH Mannheim, B. v. 10.03.2009 – 11 S 2990/08 – InfAuslR 2009, 236/242).
Selbst wenn man entgegen dieser Rechtsauffassung davon ausginge, dass § 25 Abs. 5 AufenthG als „Auffangnorm“ neben § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG anwendbar ist und prüft, ob die tatsächlich mögliche freiwillige oder zwangsweise Ausreise der Antragsteller rechtlich unmöglich ist, ergäbe sich kein anderes Ergebnis.
Zwar garantiert Art. 8 Abs. 1 EMRK im Bundesgebiet verwurzelten Ausländern das Recht auf Achtung des Privatlebens. Ein Privatleben i. S. des Art. 8 Abs. 1 EMRK, das den Schutzbereich der Vorschrift eröffnet, kommt jedoch grundsätzlich nur auf der Grundlage eines rechtmäßigen Aufenthalts und eines schutzwürdigen Vertrauens auf den Fortbestand des Aufenthalts in Betracht. Da den Antragstellern ausschließlich asylverfahrensrechtliche Aufenthaltsgestattungen und Duldungen erteilt worden sind, wurde ihnen zu keiner Zeit ein Aufenthaltsrecht eingeräumt, das ein berechtigtes Vertrauen auf Fortbestand hätte begründen können. Der Antragsgegner hat den Antragstellern nie eine Verfestigung des Aufenthalts in Aussicht gestellt, sondern seit Abschluss des Asylverfahrens auf die Beendigung ihres Aufenthalts hingewirkt (BVerwG, U. v. 26.10.2010 – 1 C 18/09 – InfAuslR 2011, 92/93 Rn.13).
Aus dem Schutzgebot des Art. 6 Abs. 1 GG lässt sich eine Unmöglichkeit der Ausreise für Familienangehörige, die einen pflegebedürftigen Ausländer pflegen sollen, nur ableiten, wenn der zu pflegende Angehörige auf die Gewährung familiärer Lebenshilfe nach Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft angewiesen ist und die Pflege nur im Bundesgebiet und durch einen bestimmten Familienangehörigen erbracht werden kann. Pflege durch enge Verwandte in einem gewachsenen Vertrauensverhältnis, das geeignet ist, den Verlust der Autonomie der Person infolge körperlicher oder geistiger Gebrechen kompensieren zu können, ist auch aufenthaltsrechtlich schutzwürdig (BVerwG, U. v. 18.04.2013 – 10 C 10/12 – BVerwGE 146,198ff. Rn.37f.). Wenn ein Teil der Pflegeleistungen von anderen Personen übernommen wird, ist der zu betreuende Ausländer nur auf die familiäre Lebenshilfe angewiesen, wenn der nachzugswillige Familienangehörige die wesentlichen Betreuungs- und Unterstützungsleistungen im Übrigen erbringt oder mit Gewissheit künftig erbringen wird (OVG Lüneburg, B. v. 02.11.2006 – 11 ME 19//06 – InfAuslR 2007,67/69).
Die Antragsteller haben nicht glaubhaft gemacht, dass sie die Lebenshilfe für die Mutter/Schwiegermutter in dem erforderlichen Umfang erbringen können bzw. künftig in der Lage sein würden, sie trotz Aufnahme einer den Lebensunterhalt sichernden Berufstätigkeit zu leisten.
Die Grundpflege, die hauswirtschaftliche Versorgung und die Betreuung nach der Chemotherapie der rollstuhlpflichtigen Mutter /Schwiegermutter wird laut Bescheid der Stadt M. vom 10.08.2015 von dem ambulanten Hilfsdienst … übernommen. Damit ist sie auf eine Versorgung durch die Antragsteller nicht angewiesen. Es ist weder dargetan, dass beide Antragsteller zusätzlich zur Versorgung durch den Pflegedienst alle weiteren wesentlichen Betreuungs- und Unterstützungsleistungen erbringen bzw. künftig erbringen wollen noch dass sie nach Aufnahme der erforderlichen Erwerbstätigkeit im Umfang von 100 (Antragsteller zu 1) bzw. 80 Stunden (Antragstellerin zu 2) im Monat auch zukünftig zeitlich in der Lage sein werden.
Seit der Abschaffung der Visapflicht für Kurzaufenthaltes sind im Übrigen auch längere und wiederholte Besuche der pflegebedürftigen Frau für die Zeit von 90 Tagen binnen eines Zeitraums von 180 Tagen für die Antragsteller als georgische Staatsangehörige unter erleichterten Voraussetzungen möglich. Darüber hinaus kann der die Mutter/Schwiegermutter seelisch aufbauende Kontakt auch über die modernen Kommunikationsmittel aufrechterhalten werden.
c) Schließlich haben die Antragsteller auch keinen sicherungsfähigen Anspruch auf eine Duldung. Gemäß § 60 a Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist die Abschiebung eines Ausländers auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Die Verlängerung der Duldungen wurde zuletzt am 23.01.2017 bei der ZAB … beantragt, jedoch in der Folgezeit nicht verfügt, so dass von einer Vorbefassung der Verwaltung auszugehen ist. Da die Abschiebung der Antragsteller jedoch, wie dargelegt, weder tatsächlich noch rechtlich unmöglich ist, scheidet auch die Erteilung einer Duldung aus.
2) Die Antragsteller tragen als unterliegender Teil gemäß § 154 Abs. 1, § 159 Satz 2 VwGO die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner. Die Höhe des Streitwertes richtet sich nach § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG i. V. m. Ziffern. 8.3, 1.5 Streitwertkatalog (im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes 1/4 des Regelstreitwertes je Antragsteller).

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