Verwaltungsrecht

Antrag auf Graböffnung – Unberechtigte Zweifel am Tod eines Angehörigen

Aktenzeichen  M 12 K 16.3936

Datum:
1.12.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
Friedhofssatzung des Marktes Drießen am Ammersee vom 01.11.2010 § 10

 

Leitsatz

Gerät der Schutz der Totenruhe in Konflikt mit dem Recht der Angehörigen auf Totenfürsorge, so genießt er regelmäßig Vorrang. Aufgrund dieses grundsätzlichen Rangverhältnisses zwischen dem Schutz der Totenruhe und dem Recht zur Totenfürsorge kann die Graböffnung oder Umbettung einer einmal beigesetzten Leiche grundsätzlich nur aus ganz besonderen Gründen beansprucht werden (vgl. BayVGH, Beschluss vom 27.07.2005 – 4 ZB 04.2980 -). Unberechtigte Zweifel am Tod des Beigesetzten gehören nicht dazu. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage ist zwar zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 9. August 2016 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 und 5 VwGO.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Öffnung des Grabes Nr. …  auf dem Friedhof … … in D. …, § 21 BestV, § 10 der Friedhofssatzung des Marktes Dießen am Ammersee vom 1.11.2010 (im Folgenden: Satzung).
Die Klägerin kann die Graböffnung nicht beantragen, da kein wichtiger Grund gem. § 10 Abs. 2 Satz 2 der Satzung vorliegt. Zwar gilt die Vorschrift ausdrücklich nur für „Umbettungen“. Vorliegend soll das Grab offensichtlich nur geöffnet und geprüft werden, ob sich die Verstorbenen darin befinden. Da aber die Graböffnung eine Störung der Totenruhe gem. § 10 Abs. 1 der Satzung beinhaltet, muss auch für diesen Fall die Zustimmung der Gemeinde und das Vorliegen eines wichtigen Grundes gefordert werden.
Zwar ist nach § 10 Abs. 4 der Satzung der jeweils „Nutzungsberechtigte“ antragsberechtigt, also wohl der Grabnutzungsberechtigte. Da aber mit der Graböffnung eindeutig eine Störung der Totenruhe einhergeht (§ 10 Abs. 1 der Satzung), muss der Friedhofsträger auch prüfen, ob die Klägerin (alleine) totenfürsorgeberechtigt ist.
Zwar ist die Klägerin Grabnutzungsberechtigte für das Grab …  auf dem Friedhof … Daraus ergibt sich aber nicht, dass sie auch allein totenfürsorgeberechtigt ist.
Das Nutzungsrecht an der Wahlgrabstätte stellt nach der Rechtsprechung des BayVGH ein subjektiv-öffentliches Sondernutzungsrecht dar, das die Befugnis einräumt, die Grabstätte nach Maßgabe der jeweils geltenden Friedhofsordnung für die Bestattung, Grabanlage und Errichtung eines Grabmals auf angemessene Zeit (Ruhefrist) zu nutzen (BayVGH, U.v. 30.4.2008 – 4 B 05.3396 – juris). Davon zu unterscheiden ist das Totenfürsorgerecht.
Das Recht auf Totenfürsorge obliegt gewohnheitsrechtlich den nächsten Angehörigen. Bei Vorhandensein mehrerer Angehöriger ist eine bestimmte Reihenfolge zu beachten, die sich nach der Nähe der familienrechtlichen Beziehung bestimmt. Mangels einer zivilrechtlichen Festlegung der Rangfolge gilt die in § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr.1 der Verordnung zur Durchführung des Bestattungsgesetzes vom 1. März 2001 bestimmte Rangfolge (Bestattungsverordnung; BestV; Klingshirn, Bestattungsrecht in Bayern, Erl. VI, RNr.15). Danach sind gem. § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1b BestV im Falle eines verstorbenen Elternteils die Kinder totenfürsorgeberechtigt.
Die Frage der Graböffnung gehört zur Wahrnehmung der Totenfürsorge. Diese obliegt nach allgemeiner Meinung den Familienangehörigen deshalb, weil sie auf der persönlichen Verbundenheit der Familienangehörigen beruht und nur dieser familienrechtliche Bezug gewährleistet, das Andenken des Verstorbenen zu wahren und den Wunsch des Toten zu achten (OLG Karlsruhe v.14.4.1988 – 9 U 50/87 – juris). Da das Totenfürsorgerecht auf dem fortwirkenden Persönlichkeitsrecht des Verstorbenen beruht, ist für seine Durchführung und Ausgestaltung in erster Linie der Wille des Verstorbenen maßgebend. Dieser braucht nicht ausdrücklich geäußert zu sein, sondern kann sich aus Tatsachen und Umständen erschließen. Dabei handelt es sich um die zivilrechtliche Befugnis, Art, Ort und Durchführung der Bestattung zu bestimmen. Zum Totenfürsorgerecht gehören u.a. auch die Umbettung des Verstorbenen und das Recht, Einwirkungen Unbefugter auf die Leiche oder die Grabstätte abzuwehren (Klingshirn, Bestattungsrecht in Bayern, Erl. B 6, RNr.38). Der Berechtigte kann sich dagegen wehren, wenn in seine Befugnis, das Totenfürsorgerecht auszuüben, in unzulässiger Weise eingegriffen wird. Vorliegend ist die Klägerin zusammen mit ihren noch lebenden Geschwistern totenfürsorgeberechtigt. Wie die Prozessbevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, haben nur zwei der noch lebenden Geschwister der Klägerin ihre Zustimmung zur Graböffnung erteilt; die Schwester … hat der Graböffnung nicht zugestimmt, so dass die Klägerin die mit der Störung der Totenruhe verbundene Graböffnung auch von der Marktgemeinde nicht verlangen kann.
Darüber hinaus liegt auch – unabhängig von der Antragsberechtigung – kein wichtiger Grund für die Graböffnung vor.
Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn das Interesse an der Graböffnung ausnahmsweise die durch Art. 1 Abs. 1 GG geschützte Totenruhe überwiegt. Die unantastbare Würde des Menschen wirkt über dessen Tod hinaus und gebietet neben einer würdigen Bestattung den Schutz der Totenruhe. Dieser Schutz genießt nicht nur Verfassungsrang (Art. 79 Abs. 3 GG); die Würde der Verstorbenen, das sittliche Empfinden der Allgemeinheit und das Wesen des Friedhofes als letzte Ruhestätte gebieten es, dass Leichen vor Ablauf der Ruhefrist nicht mehr in ihrer Grabstätte gestört werden. In Art. 5 Bestattungsgesetz (BestG), wonach die Würde des Verstorbenen und das sittliche Empfinden der Allgemeinheit nicht verletzt werden dürfen, hat der Schutz der Totenruhe eine einfach-gesetzliche Ausprägung im Landesrecht erfahren. Bei Leichen kommt der medizinisch-hygienische Aspekt hinzu, dass der Verwesungsvorgang grundsätzlich nicht unterbrochen werden soll, damit bei der Graböffnung zum Schutz der Allgemeinheit keine Gefahren für die Gesundheit ausgehen können. Dieser aus Art. 1 Abs. 1 GG resultierende Schutz der Totenruhe genießt auch strafrechtlichen Schutz.
Gerät der Schutz der Totenruhe in Konflikt mit dem Recht der Angehörigen auf Totenfürsorge, so genießt er regelmäßig Vorrang. Aufgrund dieses grundsätzlichen Rangverhältnisses zwischen dem Schutz der Totenruhe und dem Recht zur Totenfürsorge kann die Graböffnung oder Umbettung einer einmal beigesetzten Leiche nach gefestigter Rechtsprechung grundsätzlich nur aus ganz besonderen Gründen beansprucht werden (z.B. BayVGH, B.v. 27.7.2005 – 4 ZB 04.2980 – juris). Ein solcher Grund kann sich aus öffentlichem oder privatem Recht ableiten.
Vorliegend ist kein wichtiger Grund zur Graböffnung gegeben. Die Klägerin meint, die Graböffnung sei erforderlich, um nachsehen zu können, ob sich die Angehörigen im Grab befinden. Erst wenn sie im Grab die sterblichen Überreste ihrer im Jahr 2004 bzw. 2006 verstorbenen Verwandten sieht, würde sie sich davon überzeugen können, dass diese tatsächlich tot sind. Für den Fall, dass Zweifel daran bestünden, ob sich Leichen im Grab befinden, könnte eine Graböffnung oder Ausgrabung aus strafprozessualen Gründen gem. § 87 Abs. 3 StPO erfolgen. Danach ist zur Besichtigung einer schon beerdigten Leiche ihre Ausgrabung statthaft; die Ausgrabung einer beerdigten Leiche wird vom Richter angeordnet; die Staatsanwaltschaft ist zu der Anordnung befugt, wenn der Untersuchungserfolg durch Verzögerung gefährdet würde, § 87 Abs. 4 Satz 1 StPO.
Solche berechtigten Zweifel am Tod der Angehörigen gibt es vorliegend nicht; die Zweifel der Klägerin, dass ihre Angehörigen tatsächlich tot sind, liegen offenbar in ihrer psychischen Erkrankung begründet. Insoweit wird auf das psychiatrische Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. D …, vom … April 2016 verwiesen (Bl. 81 ff. BA). Darin ist ausgeführt, dass bei der Klägerin eine nicht nur vorübergehende Störung der Geistestätigkeit vorliegt, für die keine sinnvollen Behandlungsmöglichkeiten bestehen (Bl. 88 BA). Die Denkinhalte sind geprägt von der wahnhaften Vorstellung, ihre im Jahr 2004 verstorbene Mutter und der im Jahr 2006 verstorbene Bruder seien noch am Leben (Bl. 86 BA). Ein wichtiger Grund zur Graböffnung liegt aber keinesfalls vor, wenn die Behauptung der Klägerin, ihre Angehörigen würden noch leben, krankheitsbedingt ist. Die Klägerin muss ihre psychische Erkrankung adäquat durch Medikamente oder Psychotherapie behandeln, nicht durch die Graböffnung zum Nachteil der durch Art. 1 GG geschützten Totenruhe der Verstorbenen.
Die von der Klägerbevollmächtigten in der Klagebegründung geäußerten Zweifel am Tod der Mutter, begründet dadurch, dass die Mutter der Klägerin am Tag des Todes bereits bestattet worden sei (Bl. 2 der Gerichtsakte – GA), konnte durch die Einsicht in den Grabmacherzettel der Bestattungsfirma … beseitigt werden. Danach ist die Mutter der Klägerin am 17. … 2004 verstorben und am 22. … 2004 beerdigt worden (Bl. 70 GA). Insoweit ist die Angabe der Beklagten in I. des Bescheides vom 9. August 2016 zwar unzutreffend, allerdings ohne Auswirkung auf dessen Rechtmäßigkeit.
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

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