Aktenzeichen M 25 E 16.5054
Leitsatz
Ein Antrag auf Verlängerung der Grenzübertrittsbescheinigung ist als Antrag auf Verlängerung der Ausreisefrist auszulegen, da für eine Verlängerung der Grenzübertrittsbescheinigung ohne Verlängerung der Ausreisefrist keine Rechtsgrundlage besteht. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.Der Antrag wird abgelehnt.
II.Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III.Der Streitwert wird auf 1.250,00 € festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung die Verpflichtung der Antragsgegnerin, seine Grenzübertrittsbescheinigung bis zur Ausstellung eines Passes bzw. bis zur Ausstellung eines Laissez-Passer-Papiers zu verlängern.
Der Antragsteller ist togoischer Staatsangehöriger. Er ist 21 Jahre alt und im Bundesgebiet geboren. Er ist anlässlich einer strafrechtlichen Verurteilung wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung bestandskräftig aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen (Bescheid v. 7.8.2014, VG München, U.v. 11.3.2015 – M 25 K 14.3700, BayVGH, B.v. 5.8.2015 – 10 ZB 15.1056).
Nach Abschluss des Instanzenzugs im Ausweisungsverfahren beantragte der Antragsteller aus der Strafhaft heraus ohne Erfolg Asyl (Antrag v. 28.1.2016, Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge v. 19.5.2016; VG München, U.v. 18.7.2016, M 25 K 16.31188).
Am 10. August 2016 wurde der Antragsteller aus der Strafhaft entlassen. Die Antragsgegnerin gewährte ihm eine Ausreisefrist bis zum 9. September 2016.
Eine für den 19. September 2016 geplante Abschiebung scheiterte, weil der Antragsteller in der Nacht vom 18. September 2016 nicht an seiner Wohnanschrift angetroffen werden konnte.
Mit Beschluss vom 27. September 2016 (Bl. 1218 ff. Behördenakte) ordnete das Amtsgericht … auf Antrag der Antragsgegnerin die einstweilige Freiheitsentziehung zur Sicherung der Abschiebung an. Der Antragsteller wurde zur Fahndung ausgeschrieben.
Eine für den 4. Oktober 2016 geplante Luftabschiebung konnte nicht durchgeführt werden, weil der Antragsteller trotz Fahndung nicht aufgegriffen werden konnte.
Am 5. Oktober 2016 endete die Gültigkeit des Passersatzpapiers, das die Antragsgegnerin bei der togoischen Botschaft im Juli 2016 erwirkt hatte.
Mit Schreiben vom 7. Oktober 2016 an die Prozessbevollmächtigte forderte die Antragsgegnerin den Antragsteller auf, umgehend mitzuteilen, wo er sich aufhalte und wies ihn auf seine Verpflichtung hin, jeden Wohnsitzwechsel und jedes Verlassen des Bezirks der Ausländerbehörde für mehr als drei Tage vorher der zuständigen Ausländerbehörde anzuzeigen. Bei einem Verstoß müsse er damit rechnen, in Abschiebungshaft genommen zu werden.
Am 10. Oktober 2016 sprachen der Vater des Antragstellers und die Prozessbevollmächtigte bei der Antragsgegnerin vor und erklärten, der Antragsteller wolle nun einen Pass beantragen und plane, hierfür am 21. Oktober 2016 zur togoischen Botschaft nach Berlin zu fahren. Die Bevollmächtigte erklärte, der Antragsteller sei wieder bei seinen Eltern wohnhaft.
Daraufhin stellte die Antragsgegnerin dem Antragsteller am 11. Oktober 2016 eine Grenzübertrittsbescheinigung mit Ausreisefrist bis zum 24. Oktober 2016 aus und teilte der Prozessbevollmächtigten mit Schreiben vom selben Tag mit, dass für die Ausreise auch ein sog. Laissez-Passer ausreiche, welches sehr zeitnah ausgestellt werden könne. Der Antragsteller solle sich bei der Botschaft um die Ausstellung eines solchen Papiers bemühen, um seiner Ausreisepflicht so zeitnah wie möglich nachzukommen.
Am 25. Oktober 2016 legte ein Angestellter der Prozessbevollmächtigten eine Bestätigung der togoischen Botschaft vor, dass der Antragsteller einen Antrag auf Ausstellung eines Reisepasses eingereicht habe.
Die Antragsgegnerin verlängerte die Grenzübertrittsbescheinigung daraufhin bis zum 8. November 2016 und teilte der Prozessbevollmächtigten mit Schreiben vom folgenden Tag mit, dass erneut Vollzugmaßnahmen eingeleitet würden, sofern der Antragsteller nicht bis zum 8. November 2016 ein Laissez-Passer vorlege.
Am 26. Oktober 2016 und am 27. Oktober 2016 gelangte ein handschriftlicher Brief des Antragstellers vom 5. Oktober 2016 an eine Vorsitzende Richterin am Amtsgericht zur Akte der Antragsgegnerin. Im Wesentlichen bat der Antragsteller darum, es ihm nicht übel zu nehmen, dass er die ihm auferlegten Termine (bei HEADS und dem Bewährungshelfer) nicht habe wahrnehmen können, weil er sich einige Zeit verstecken müsse, bis seine ausländerrechtliche Situation soweit geklärt sei, dass er sich wieder frei bewegen könne. Momentan könne er jeden Moment festgenommen und abgeschoben werden.
Am 8. November 2016 beantragte der Antragsteller über einen Angestellten seiner Prozessbevollmächtigten die Verlängerung der Grenzübertrittsbescheinigung und ließ erklären, die togoische Botschaft stelle ihm kein Laissez-Passer aus. Dieses müsse von einer Behörde beantragt werden. Eine schriftliche Bestätigung dieser Aussage habe er von der Botschaft nicht bekommen können (Bl. 1284 der Behördenakte).
Mit Schriftsatz vom 8. November 2016, bei Gericht am selben Tag eingegangen, ließ der Antragsteller durch seine Prozessbevollmächtigte beantragen,
die Antragsgegnerin zu verpflichten, die am 11. Oktober 2016 ausgestellte Grenzübertrittsbescheinigung bis zur Ausstellung eines Passes oder eines Laissez-Passer zu verlängern.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgetragen, der Antragsteller habe ein Laissez-Passer beantragt, die Botschaft habe die Erteilung jedoch unter Hinweis auf das erst am 5. Juli 2016 erteilte Laissez-Passer-Papier abgelehnt. Weitere Anträge müssten über die Behörde, nicht über den Antragsteller persönlich erfolgen. Eine schriftliche Bestätigung hierüber habe die Botschaft nicht ausstellen wollen.
Am 17. November 2016 wurde der Antragsteller festgenommen. Am selben Tag ordnete das Amtsgericht … Abschiebungshaft bis zur möglichen Abschiebung, längstens jedoch für die Dauer von drei Monaten, an und ordnete die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung an (Bl. 1316 ff., 1323 der Behördenakte).
Die Antragsgegnerin legte die Behördenakte in elektronischer Form am 18. November 2016 vor und beantragte mit Schriftsatz vom selben Tag, den Antrag abzulehnen.
Es gebe keinen gesetzlichen Anspruch auf Ausstellung einer Grenzübertrittsbescheinigung. Welche Relevanz die Inhaftierung des Antragstellers für die beantragte Bescheinigung habe, lasse man offen. Der Antragsteller habe auch keinen Anspruch auf Verlängerung der Ausreisefrist. Es sei davon auszugehen, dass der schwerwiegend straffällig gewordene Antragsteller nicht bereit sei, seine Ausreisepflicht zu erfüllen. Eine diesbezügliche Aussage, dieser nachzukommen, gebe es nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten nimmt das Gericht Bezug auf die Gerichtsakte sowie die vorgelegte Behördenakte.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
1. Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht, der Antrag ist somit unbegründet.
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt voraus, dass der Antragsteller die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung (sog. Anordnungsgrund) und das Bestehen des geltend gemachten subjektiven Rechts oder rechtlich geschützten Interesses im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts glaubhaft macht (§ 123 Abs. 1 und 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Dies ist dem Antragsteller nicht gelungen.
1.1. Das Gericht legt den Antrag zu Gunsten des Antragstellers so aus, dass er der Sache nach die Verlängerung der Ausreisefrist begehrt (§§ 122 Abs. 1, 88 VwGO). Denn für einen Antrag auf Verlängerung der Grenzübertrittsbescheinigung ohne Verlängerung der Ausreisefrist besteht bereits keine Rechtsgrundlage (vgl. zum alten Recht BayVGH, B.v. 31.1.2002 – 24 ZE 02.8 – BeckRS 2002, 32096).
1.2. Jedoch bleibt auch dem so verstandenen Antrag der Erfolg versagt.
1.2.1. Der Antragsteller befindet sich auf richterliche Anordnung in Haft, so dass es gemäß § 59 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 58 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG bereits keiner Fristsetzung für die Ausreise bedarf. Die Antragsgegnerin ist somit nicht verpflichtet, dem Antragsteller eine Ausreisefrist zu setzen, zumindest so lange er sich noch in Haft befindet.
1.2.2. Unabhängig davon ergibt sich auch im Übrigen kein Anspruch des Antragstellers auf Verlängerung der Ausreisepflicht.
Die Bestimmung der Frist steht im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde, die alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen hat (BeckOK, AuslR/Kluth, AufenthG, § 59 Rn. 19 unter Hinweis auf BVerwG, U.v. 22.12.1997 – 1 C 14/96, NVwZ-RR 1998, 454). Anhaltspunkte für eine Ermessensreduzierung auf Null im Sinne der Antragstellung sind nicht sichtlich.
1.2.2.1. Woraus sich vorliegend ein Härtefall (vgl. Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, Stand: September 2016, § 50 AufenthG, Rn. 3) ergeben soll, ist bereits nicht dargetan und auch sonst nicht ersichtlich.
1.2.2.2. Aus der Erteilung und einmaligen Verlängerung einer Grenzübertrittsbescheinigung in Kenntnis der tatsächlichen Umstände – Untertauchen des Antragstellers und dadurch verursachtes Scheitern von zwei Abschiebungsversuchen – ergibt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben oder einer evtl. Selbstbindung der Verwaltung ein Anspruch des Antragstellers auf Verlängerung der Ausreisefrist im beantragten Sinn.
1.2.2.2.1. Die Antragsgegnerin hat die Gewährung und Verlängerung der Ausreisefrist im Oktober 2016 ersichtlich an die Erwartung geknüpft, der Antragsteller werde nunmehr selbst an der Beseitigung des vorübergehenden Ausreisehindernisses der Passlosigkeit mitwirken und hat ihm verdeutlicht, dass dies auf dem kurzfristigsten Weg zu erfolgen hat, nämlich durch Beantragung eines Passersatzpapiers.
Der Antragsteller hat bereits nicht glaubhaft gemacht, dass er ein Laissez-Passer-Papier überhaupt beantragt hat. Auch sein weiterer Vortrag, man habe ihm dies nicht schriftlich bestätigen wollen, ist nicht glaubhaft gemacht.
1.2.2.2.2. Darüber hinaus hat sich die Sachlage, welche die Antragsgegnerin zur Grundlage ihrer Entscheidung gemacht hat, nach der letzten Verlängerung am 25. Oktober 2016 entscheidend zum Nachteil des Antragstellers verändert.
Seit dem 26. Oktober 2016 hat die Antragsgegnerin nämlich Kenntnis vom Brief des Antragstellers an die Strafrichterin vom 5. Oktober 2016. Daraus ergibt sich, dass der Antragsteller offenbar immer noch nicht realisiert hat, dass er nach Togo abgeschoben werden wird. Anhaltspunkte für die Bereitschaft zu einer freiwilligen Ausreise ergeben sich aus dem Schreiben nicht; im Gegenteil. Der Antragsteller schreibt darin, er wolle nicht in ein fremdes Land, in Togo könne er nicht leben. Vor diesem Hintergrund ist ein vorgetragener Sinneswandel des Antragstellers zwischen dem 5. Oktober 2016 (Datum des Briefs) und dem 10. Oktober 2016 (Vorsprache des Vaters bei der Antragsgegnerin und Erklärung der Bereitschaft, einen Reisepass zu beantragen) unglaubhaft. Vielmehr erschließt sich, dass der Antragsteller es nach wie vor darauf anlegt, die Anwendung von Zwangsmaßnahmen hinauszuzögern.
2. Die Kosten des Verfahrens hat der unterliegende Teil zu tragen (§ 154 Abs. 1 VwGO).
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5. des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.