Verwaltungsrecht

Antrag auf Zulassung der Berufung

Aktenzeichen  9 AS 17.2499

Datum:
12.1.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 494
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5, § 80b Abs. 2, § 124 Abs. 2 Nr. 1
TierSchG § 17 Nr. 2 lit. b

 

Leitsatz

1 Die Fortdauer der aufschiebenden Wirkung nach § 80b Abs. 2 VwGO kann sowohl nachträglich beantragt als auch angeordnet werden. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2 Der Maßstab für eine Entscheidung nach § 80b Abs. 2 VwGO entspricht dem Prüfungsmaßstab bei § 80 Abs. 5 VwGO. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
3 Der Berufungszulassungsgrund der ernstlichen Zweifel iSd § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist nicht schon dadurch aufgezeigt, dass im Wesentlichen nur die tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts angegriffen werden und das erstinstanzliche Vorbringen lediglich wiederholt wird, ohne sich mit der angegriffenen Entscheidung substantiell auseinanderzusetzen. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt nach Abweisung ihrer Anfechtungsklage im ersten Rechtszug die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Anfechtungsklage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 29. Dezember 2015.
Der Antragsgegner hat der Antragstellerin mit Bescheid vom 29. Dezember 2015 das Halten und das Betreuen von Rindern mit sofortiger Wirkung untersagt und die Antragstellerin verpflichtet, ihre Rinderbestände bis spätestens drei Wochen nach Zustellung des Bescheids aufzulösen. Die sofortige Vollziehung wurde angeordnet. Des Weiteren wurde für den Fall, dass der Verpflichtung zur Auflösung der Rinderbestände nicht nachgekommen wird, die Fortnahme und Verwertung der Rinder mittels unmittelbaren Zwangs angeordnet.
Nachdem das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 4. Februar 2016 die aufschiebende Wirkung der am 22. Januar 2016 erhobenen Klage der Antragstellerin unter verschiedenen rechtlichen Auflagen angeordnet bzw. wiederhergestellt hatte, lehnte es mit Beschluss vom 9. März 2016 unter Abänderung seines Beschlusses vom 4. Februar 2016 den Antrag der Antragstellerin auf Anordnung/Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage ab. Diesen Abänderungsbeschluss hob der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 30. Mai 2016 (Az. 9 CS 16.586) auf und lehnte den Antrag des Antragsgegners auf Änderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 4. Februar 2016 ab.
Mit Urteil vom 6. Juli 2016, der Antragstellerin zugestellt am 20. Oktober 2016, wies das Verwaltungsgericht die Klage der Antragstellerin gegen den Bescheid vom 29. Dezember 2015 ab. Über den von der Antragstellerin hiergegen erhobenen Antrag auf Zulassung der Berufung (Az. 9 ZB 16.2467) hat der Verwaltungsgerichtshof noch nicht entschieden.
Mit Schriftsatz vom 18. Dezember 2017 teilte die Antragstellerin dem Verwaltungsgerichtshof mit, dass der Antragsgegner soeben die Rinder von ihrer Weide hole und abtransportiere, um sie unterzubringen. Es sei zu befürchten, dass damit Fakten geschaffen und die Entscheidung in der Hauptsache vorweggenommen werde.
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
im Wege einer Eilanordnung des Verwaltungsgerichtshofs die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen den angefochtenen Bescheid der Antragsgegnerin vom 29. Dezember 2015 wiederherzustellen, um den Abtransport der Herde zu stoppen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Am 18. Dezember 2017 sei die gesamte Herde bis auf fünf Tiere, die aufgrund der einsetzenden Dunkelheit nicht mehr aufgegriffen werden konnten, anderweitig pfleglich untergebracht worden. Dies sei nach Mitteilung des beamteten Tierarztes des Landratsamts M* … unumgänglich gewesen, da die Rinder erheblich vernachlässigt seien und durch nach wie vor bestehende Mängel in der Haltung im Zusammenspiel mit der andauernden winterlichen Witterung die unmittelbare Gefahr der Verwirklichung des Straftatbestandes des § 17 Nr. 2 b TierSchG bestanden habe. Die verbliebenen Tiere würden sobald als möglich abgeholt und anderweitig pfleglich untergebracht werden.
II.
Das Begehren der Antragstellerin, das als Antrag auf Anordnung der Fortdauer der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage nach § 80b Abs. 2 VwGO zu verstehen ist, hat keinen Erfolg.
1. Der Antrag ist zulässig.
a) Gemäß § 80b Abs. 1 Satz 1 VwGO endet die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs und der Anfechtungsklage mit der Unanfechtbarkeit oder, wenn die Anfechtungsklage im ersten Rechtszug abgewiesen worden ist, drei Monate nach Ablauf der gesetzlichen Begründungsfrist des gegen die abweisende Entscheidung gegebenen Rechtsmittels. Nach § 80b Abs. 1 Satz 2 VwGO gilt die Regelung des Satzes 1 auch dann, wenn die aufschiebende Wirkung – wie hier – durch das Gericht wiederhergestellt oder angeordnet worden ist. Der Verwaltungsgerichtshof kann auf Antrag anordnen, dass die aufschiebende Wirkung fortdauert (§ 80b Abs. 2 VwGO). Die gerichtlich angeordnete aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage der Antragstellerin gegen den Bescheid vom 29. Dezember 2015 endete gemäß § 80b Abs. 1 Satz 1 VwGO drei Monate nach Ablauf der gesetzlichen Begründungsfrist für den Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 6. Juli 2016.
b) Der Zulässigkeit des Antrags nach § 80b Abs. 2 VwGO steht auch nicht entgegen, dass die aufschiebende Wirkung der Klage bereits vor Antragstellung geendet hat. Die Fortdauer der aufschiebenden Wirkung nach § 80b Abs. 2 VwGO kann sowohl nachträglich beantragt als auch nachträglich angeordnet werden (vgl. BVerwG, B.v. 19.6.2007 – 4 VR 2/07 – juris Rn. 13).
2. Der Antrag ist nicht begründet.
Für die Entscheidung über einen Antrag nach § 80 b Abs. 2 VwGO gelten die gleichen Grundsätze wie für eine Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO. Dies folgt schon aus der Anordnung der entsprechenden Anwendung von § 80 Abs. 5 VwGO in § 80b Abs. 3 VwGO (vgl. BVerwG, B.v. 19.6.2007 a.a.O. Rn.14). Bei der erforderlichen Interessenabwägung ist auch die dem § 80b Abs. 1 VwGO zugrunde liegende gesetzgeberische Wertung zu berücksichtigen, dass die Fortdauer der aufschiebenden Wirkung einer – wie hier – im ersten Rechtszug nach eingehender Prüfung des Rechtsschutzbegehrens erfolglosen Anfechtungsklage auch noch während eines eventuellen Rechtsmittelverfahrens in der Regel nicht gerechtfertigt ist (vgl. BVerwG, B. v. 19.06.2007 a.a.O. – juris Rn. 14).
a) Vorliegend spricht bereits vieles dafür, dass der Antrag der Antragstellerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 6. Juli 2016 keinen Erfolg haben wird und infolgedessen das öffentliche Interesse an dem gesetzlich angeordneten Wegfall der aufschiebenden Wirkung der Klage gem. § 80b Abs. 1 Satz 1 VwGO gegenüber dem Aussetzungsinteresse der Antragstellerin überwiegt. Denn die von der Antragstellerin im Zulassungsverfahren als Zulassungsgrund geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils liegen bei summarischer Prüfung wohl nicht vor. Die Ausführungen im Zulassungsantrag greifen im Wesentlichen lediglich die tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts an und wiederholen das erstinstanzliche Vorbringen, ohne sich mit dem Urteil substanziell auseinanderzusetzen und etwaige gedankliche Lücken oder Ungereimtheiten des Urteils aufzuzeigen. Abgesehen davon bleiben die Feststellungen des Verwaltungsgerichts, dass den Rindern der Antragstellerin jedenfalls bis zum Erlass des streitgegenständlichen Bescheids trotz wiederholter Aufforderungen zu wenig Unterstände zur Verfügung standen, dass einige Tiere unterernährt waren, dass die Futterraufen nicht fachgerecht aufgestellt und das Futter nicht vor Witterungseinflüssen geschützt war, ebenso unangegriffen wie die Feststellung, dass das Wasser nicht regelmäßig auf seine Wasserqualität untersucht wurde und für schwache Tiere sowie Mutterkühe mit Jungtieren keine zusätzlichen Wasserstellen dauerhaft an geeigneten Stellen vorzufinden waren. Ebenso wenig wurden die Ausführungen zu einem mangelhaften Herdenmanagement angegriffen. Bereits im Hinblick darauf erscheint die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage nicht gerechtfertigt.
b) Abgesehen davon ergibt aber auch eine von den Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens unabhängige Interessenabwägung, dass das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheids vom 29. Dezember 2015 das Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage überwiegt, um eine sachgerechte Betreuung und Versorgung der Rinder entsprechend den tierschutzrechtlichen Vorgaben sicherzustellen und die Tiere vor (weiteren) Schmerzen oder vermeidbaren Leiden oder Schäden zu bewahren.
Für dieses öffentliche Interesse an der sofortigen Wegnahme und anderweitigen Unterbringung der Tiere sprechen die im Gutachten des beamteten Tierarztes vom 1. Dezember 2017, das mit Schreiben des Antragsgegners vom 19. Dezember 2017 vorgelegt wurde, enthaltenen Feststellungen und die dortige fachliche Einschätzung des beamteten Tierarztes. Daraus ergibt sich, dass sich die – nach Erlass des Bescheids vom 29. Dezember 2015 vorübergehend verbesserten – Haltungsbedingungen und der Pflegezustand der Rinder seit dem Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 30. Mai 2016 wieder erheblich verschlechtert haben. Nach den Angaben des beamteten Tierarztes gab es bei der letzten Kontrolle am 1. Dezember 2017 – wie bereits früher – erhebliche Mängel bei der Wasserversorgung und Fütterung der Herde sowie bei ihrer Unterbringung auf morastigen und matschigen Weideflächen ohne trockene, witterungsgeschützte Liegefläche, die zudem unzählige verletzungsgefährdende Gegenstände aufwiesen. Nahezu alle Tiere hatten Kotverunreinigungen. Bei mehreren Rindern wurden zudem überlange Klauen festgestellt, wobei bei mindestens einem Rind eine Lahmheit aufgrund von überlangen Klauen vorlag. Abgesehen davon waren entgegen der Auflagen im Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 4. Februar 2016 die fortpflanzungsfähigen Stiere nicht von der Herde abgetrennt. Durch diese nicht ausreichende Versorgung und Pflege werden den Rindern nach der Einschätzung des beamteten Tierarztes Schmerzen, vermeidbare Leiden oder Schäden zugeführt (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 TierSchG) und deren Leben und Gesundheit erheblich gefährdet. Diesen Feststellungen und der fachlichen Einschätzung des beamteten Tierarztes, denen die Antragstellerin nicht substantiiert entgegentritt, kommt vom Gesetz eine vorrangige Beurteilungskompetenz zu (stRspr, vgl. z.B. BayVGH, U.v. 2.8.2016 – 9 BV 15.1032 – juris Rn. 30 m.w.N.).
Gegenüber dem öffentlichen Interesse an der unverzüglichen Sicherstellung einer den Anforderungen des § 2 TierSchG entsprechenden Unterbringung und Betreuung der Rinder muss das Interesse der Antragstellerin an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Anfechtungsklage und der Rückgabe der Rinder zurücktreten, zumal laut Mitteilung des Antragsgegners vom 27. Juli 2017 im Zulassungsverfahren ohnehin das Pachtverhältnis der Antragstellerin mit Wirkung zum 31. August 2017 aufgelöst worden sein soll und schon deshalb die Unsicherheit besteht, auf welchen Flächen die Tiere weiterhin untergebracht werden sollen. Bislang unternahm die Antragstellerin auch nichts, um die diesbezügliche Unsicherheit zu beseitigen. Eine entsprechende Anfrage des Gerichts blieb unbeantwortet.
Abgesehen davon werden durch die Wegnahme und Unterbringung der Tiere entgegen der Befürchtung der Antragstellerin keine endgültigen Verhältnisse geschaffen, da die Tiere jederzeit vom jetzigen Unterbringungsort abgeholt und an einen Unterbringungsort nach Wahl der Antragstellerin transportiert werden können, sofern dort die Voraussetzungen für eine den Anforderungen des § 2 TierSchG entsprechende tierschutzgerechte Haltung der Tiere gewährleistet sind. Derzeit steht der Antragstellerin ein angemessener Unterbringungsort nach eigenen Angaben („die Klägerin ging davon aus, dass die Tiere zum Jahresende dort untergebracht werden könnten“) aber nicht zur Verfügung.
Der Antrag war daher abzulehnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung hat ihre Rechtsgrundlage in § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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