Verwaltungsrecht

Anwendung polizeilichen Zwangs bei Ausschreitungen nach einem Fußballspiel

Aktenzeichen  M 7 K 14.2128

Datum:
12.10.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 40 Abs. 1, § 43 Abs. 1, § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, § 113 Abs. 1 S´. 4
BPolG BPolG § 3 Abs. 1, § 14, § 15, § 16, § 17 Abs. 1, § 20 Abs. 1, § 38
VwVG VwVG § 6, § 9 Abs. 1 lit. c, § 12, § 13
UZwG UZwG § 2, § 4
GG GG Art. 2 Abs. 2, Art. 19 Abs. 4
Allgemeine Verwaltungsvorschrift des Bundesminiteriums des Innern zum Gesetz über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes vom 18.01.1974 (UZwVwV-BMI)
EBO EBO § 64b Abs. 2

 

Leitsatz

1 Der zielgerichtete Einsatz von Pfefferspray gegen Personen stellt grundsätzlich einen schwerwiegenden Eingriff in die körperliche Unversehrtheit dar, der ein besonderes Feststellungsinteresse zu begründen vermag. Personen, die sich nicht in der unmittelbaren Nähe des Einsatzortes aufgehalten haben, fehlt dagegen das durch Grundrechtsbetroffenheit begründete Feststellungsinteresse. Das Wegdrücken mit einem Einsatzmehrzweckstock ist als geringfügige Beeinträchtigung zu qualifizieren. Ein Feststellungsinteresse unter dem Gesichtspunkt eines schwerwiegenden Grundrechtseingriffs ist insofern ebenfalls zu verneinen. (redaktioneller Leitsatz)
2 Allein die Tatsache, dass eine Person Anhänger einer Fußballmannschaft ist und auch in Zukunft zu Auwärtsspielen mit der Bahn reisen will, reicht für die Annahme, dass sich ein polizeilicher Zwangsmitteleinsatz gegen sie wiederholen wird (Wiederholungsgefahr), nicht aus. (redaktioneller Leitsatz)
3 Die strafgerichtliche Beurteilung einzelner polizeilicher Maßnahmen als rechtmäßig steht der Zulässigkeit einer gegen die Rechtmäßigkeit des Polzeieinsatzes insgesamt gerichteten verwaltungsgerichtlichen Klage nicht entgegen. Auch kann während eines anhängigen strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens verwaltungsgerichtliche Klage erhoben werden.  (redaktioneller Leitsatz)
4 Die engen Voraussetzungen, an die IV. Abs. 5 S. 3 UZwVwV-BMI den Einsatz von Pfefferspray in geschlossenen Räumen knüpft, sind im Hinblick auf die weniger gesundheitsschädliche Zusammensetzung des in neuerer Zeit verwendeten Pfeffersprays obsolet. Diese Verwaltungsvorschrift hat insoweit ihre ermessenslenkende Wirkung verloren. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu je ¼ zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage hat keinen Erfolg.
Der Verwaltungsrechtsweg ist für den beim Verwaltungsgericht verbliebenen Rechtsstreit eröffnet (§ 40 Abs. 1 VwGO). Das gilt auch, soweit sich die Kläger gegen das polizeilich angeordnete Stehenbleiben des Zuges in Petershausen mit dem Verbot, den Zug dort zu verlassen, wenden. Für diese polizeiliche Maßnahme wurden von der Beklagten sowie den vom Gericht einvernommenen Einsatzleitern mehrere Einsatzziele genannt. Sie sei erforderlich gewesen, um die im Zug eskalierte Lage unter Kontrolle zu bringen. Die Fans sollten im Zug bleiben, um eine gewaltsame Auseinandersetzung zwischen Fans und Polizeibeamten auf dem Bahnsteig zu verhindern. Personen sollten aus Gründen der Gefahrenabwehr nicht auf die Gleise gelangen. Es seien einsatztaktische Absprachen erforderlich gewesen; die Zeit sei genutzt worden, um Einsatzkräfte zur Verstärkung zum Bahnhof Petershausen zu bringen und ausreichende Kräfte am Zielbahnhof in München bereitzustellen. Weiter habe der Halt in Petershausen dazu gedient, die zuvor durch Straftaten aufgefallenen Personen zu identifizieren. Dieses Ziel sei aber letztlich wegen der Ungeeignetheit der Örtlichkeit und der zu geringen Einsatzstärke der Polizei aufgegeben worden. Die Identitätsfeststellungen sollten am Münchner Hauptbahnhof bzw. Starnberger Flügelbahnhof mit Hilfe einer Bearbeitungsstraße erfolgen. Verfolgt eine polizeiliche Maßnahme sowohl präventive als auch repressive Zwecke, ist anhand des erkennbaren Schwerpunkts der Maßnahme zu bestimmen, ob die Maßnahme der Gefahrenabwehr oder der Strafverfolgung gedient hat (vgl. BVerwG, U. v. 3.12.1974 – I C 11.73 – juris Rn. 24; VGH BW, U. v. 27.9.2004 – 1 S 2206/03 – juris Rn. 28; BayVGH, B. v. 5.11.2009 – 10 C 09.2122 – juris Rn. 12). Die von der Bundespolizei genannten Einsatzziele am Bahnhof Petershausen hatten mehrheitlich den Zweck der Gefahrenabwehr, es sollte ein störungsfreier Betriebsablauf gewährleistet werden. Dafür sollte insbesondere die polizeiliche Kontrolle über die gewaltbereiten Fans im Zug wiederhergestellt werden und eine Auseinandersetzung auf dem engen Bahnsteig verhindert werden. Der zunächst auch verfolgte Zweck von Identitätsfeststellungen, um begangene Straftaten ahnden zu können, und das Ziel zu verhindern, dass sich potentielle Straftäter entfernen können, war gegenüber dem Ziel der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nachrangig. Weiter haben die Kläger nachvollziehbar geltend gemacht, dass nach dem Geschehensablauf am Halt in Petershausen für sie erkennbar keine Strafverfolgung im Vordergrund stand. Strafverfolgungsmaßnahmen und Identitätsfeststellungen sind, wie die Beklagte vorgetragen hat, bewusst nicht angekündigt worden, damit sich Betroffene diesen Maßnahmen nicht gezielt entziehen konnten.
Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage entsprechend § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO oder als allgemeine Feststellungsklage gemäß § 43 Abs. 1 VwGO statthaft. Es bedarf keiner Einstufung der angegriffenen polizeilichen Maßnahmen als polizeiliche Verwaltungsakte oder als auf einen rein tatsächlichen Erfolg gerichtete Realakte, da in beiden Fällen ein effektiver nachträglicher gerichtlicher Rechtsschutz der vor Klageerhebung beendeten Maßnahmen gewährleistet ist (vgl. BayVGH, U. v. 20.3.2015 – 10 B 12.2280 – juris Rn. 24, 25). Das von den Klägern geltend gemachte Feststellungsinteresse besteht aber nur teilweise.
Für eine auf die nachträgliche Feststellung der Rechtswidrigkeit polizeilicher Maßnahmen gerichtete Klage ist in jedem Fall ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung erforderlich. Das Interesse des Betroffenen an der Feststellung der Rechtslage muss in besonderer Weise schutzwürdig sein. Dies ist der Fall bei Bestehen einer Wiederholungsgefahr oder in Fällen tiefgreifender Grundrechtseingriffe. Bei schwerwiegenden Grundrechtseingriffen – vornehmlich solchen Eingriffen, die schon das Grundgesetz unter Richtervorbehalt gestellt hat – besteht ein durch Art. 19 Abs. 4 GG geschütztes Rechtsschutzinteresse in den Fällen, in denen die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in der der Betroffene die gerichtliche Entscheidung in der von der Prozessordnung eröffneten Instanz kaum erlangen kann (vgl. BVerfG, B. v. 13.12.2005 – 2 BvR 447/05 – juris Rn. 54; B. v. 5.12.2001 – 2 BvR 527/99 u. a. – juris Rn. 36).
Kurzfristig sich erledigende polizeiliche Maßnahmen liegen hier vor. Soweit die Kläger geltend machen, vom Einsatz des Pfeffersprays im Zug (Kläger zu 2., 3. und 4.) oder vom Bahnsteig aus (Kläger zu 3.) in größerem Umfang betroffen gewesen sein, besteht ein Feststellungsinteresse aufgrund eines tiefgreifenden Grundrechtseingriffs. So haben die Kläger zu 2. und 4. in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, sich bei dem Einsatz von Pfefferspray im Zug in unmittelbarer Nähe des Polizeieinsatzes aufgehalten zu haben und von einem Sprühstoß in beachtlicher Weise getroffen worden zu sein (Schwellungen im Gesicht, nasse Haare, gerötete Augen, brennende Haut). Ob bei dem Kläger zu 4. eine tatsächliche Betroffenheit vorliegt, was die Beklagte unter Hinweis auf das Einsatzvideo verneint, ist eine Frage der Begründetheit der Klage. Der Kläger zu 3. hat angegeben, von dem im Zug eingesetzten Pfefferspray betroffen gewesen zu sein (feuchte Kleidung) und auch von dem Pfefferspray, das in den Zug gesprüht worden sei, etwas abbekommen zu haben, da er sich zunächst im Eingangsbereich aufgehalten habe. Danach habe er sich entfernt.
Soweit die Kläger darüber hinaus die Überprüfung des Einsatzes von Pfefferspray geltend machen, fehlt ihnen das erforderliche Rechtsschutzinteresse. Der Vortrag, dass der Reizstoff sich überall in der Luft befunden habe, reicht hierfür nicht aus. Der Einsatz des Pfeffersprays, der im Eingangsbereich und in den Eingangsbereich des vorletzten Waggons (vordere Tür) hinein erfolgt ist, reicht für eine allgemeine Betroffenheit der Personen, die sich in dem vorletzten Zug aufgehalten haben, nicht aus. Wie oben ausgeführt, bedarf es eines schwerwiegenden Eingriffs in die körperliche Unversehrtheit. Dies ist grundsätzlich bei einem zielgerichteten Einsatz von Pfefferspray gegenüber Personen zu bejahen. Auch soweit geltend gemacht wurde, dass die Kläger sich in unmittelbarer Nähe des Einsatzes aufgehalten hätten und damit ebenfalls stark betroffen gewesen wären, besteht ein berechtigtes Interesse an der Überprüfung der polizeilichen Maßnahme. Geringfügigere Beeinträchtigungen aufgrund einer polizeilichen Maßnahme, die nicht unmittelbar gegen sie gerichtet war, reichen jedoch nicht aus. Die Klägerin zu 1. hat vorgetragen, sich im unteren Teil des Waggons und damit nicht in Einsatznähe aufgehalten zu haben. Sie sei selbst vom Pfeffersprayeinsatz nicht so stark betroffen gewesen, sie habe u. a. der Klägerin zu 2. geholfen, die Augen auszuwaschen. Die Klägerin zu 2. hat sich wie die Klägerin zu 1. bei dem Einsatz von Pfefferspray vom Bahnsteig aus im unteren Teil des Waggons aufgehalten. Der Kläger zu 4. hat selbst angegeben, beim Anhalt in Petershausen kein Pfefferspray mehr abbekommen zu haben.
Die gleiche Erheblichkeitsschwelle gilt für das Rechtsschutzinteresse hinsichtlich des geltend gemachten Einsatzes des Einsatzmehrzweckstockes. Soweit der Kläger zu 4. in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, dass er damit geschlagen worden sei, besteht ein Feststellungsinteresse. Ein schwerwiegender Grundrechtseingriff liegt aber nicht vor, soweit die Klägerin zu 2. ein Wegdrücken mit dem Einsatzmehrzweckstock angegeben hat. Damit ist weder substantiiert vorgetragen noch ersichtlich, dass sie in erheblichem Maße in ihrer körperlichen Unversehrtheit betroffen war. Mit ihrem Strafantrag vom 19. Februar 2014 und dem eingereichten ärztlichen Attest hat sie eine Körperverletzung aufgrund des Einsatzes von Pfefferspray, aber keine Schlagverletzung geltend gemacht.
Weiter geht das Gericht von einem Feststellungsinteresse aufgrund eines schwerwiegenden Grundrechtseingriffes aus, soweit die Kläger die Rechtswidrigkeit des polizeilich verfügten Anhaltens des Zuges in Petershausen und des Verbots, den Zug zu verlassen, geltend machen. Zwar handelt es sich hier im Gegensatz zu der von den Klägern vertretenen Rechtsansicht nicht um eine Gewahrsamnahme. Gewahrsam bedeutet, dass die Polizei einer Person ihre Freiheit entzieht, sie in Verwahrung nimmt und sie daran hindert, sich zu entfernen. Die Freiheitsentziehung ist abzugrenzen von der Freiheitsbeschränkung, bei der die Bewegungsfreiheit des Betroffenen vorübergehend eingeschränkt ist. Beide Begriffe sind ihrer Intensität nach abzugrenzen, kurzfristige Aufhebungen der Bewegungsfreiheit stellen keine Freiheitsentziehung dar. Zu berücksichtigen ist auch der Zweck der polizeilichen Maßnahme (vgl. zum Ganzen BVerfG, U. v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – juris Rn. 114; BVerfG, B. v. 21.5.2004 – 2 BvR 715/04 – juris Rn. 20; BVerfG, B. v. 8.3.2011 – 1 BvR 47/05 – juris Rn. 26, BVerwG, U. v. 23.6.1981 – I C 78.77 – juris Rn. 11 ff.). Bei einer wertenden, auf die Intensität des Eingriffs abstellenden Beurteilung handelt es sich bei den ergriffenen Maßnahmen um eine kurzfristige Behinderung der Bewegungsfreiheit der Kläger, die Ausfluss der von der Polizei zur Gefahrenabwehr ergriffenen Maßnahmen war und in diesem Rahmen zu überprüfen ist. Dabei begründet die Dauer des polizeilich angeordneten Anhaltens des Zuges (etwas mehr als eine Stunde, die Zeit für bahnbetriebliche Maßnahmen kann nicht eingerechnet werden) und das Verbot des Aussteigens allein kein Feststellungsinteresse aus Art. 2 Abs. 1 GG. In Zusammenschau mit den gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Fans und Polizeibeamten am vorletzten Zug, in dem sich die Kläger aufgehalten haben, und ihrer geltend gemachten Betroffenheit von vorhergehenden Pfeffersprayeinsätzen bzw. der Angst (Klägerin zu 1.), hiervon selbst mehr betroffen zu werden, bejaht das Gericht das notwendige Rechtsschutzinteresse.
Soweit das Rechtsschutzinteresse für die Überprüfung der angegriffenen polizeilichen Maßnahmen wegen eines fehlenden tiefgreifenden Grundrechtseingriffs bei einzelnen Klägern abgelehnt wurde, kann dies auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr bejaht werden. Ein Feststellungsinteresse unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr setzt die hinreichend bestimmte Gefahr voraus, dass unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen erneut eine gleichartige Maßnahme ergehen wird. Ist dagegen ungewiss, ob in Zukunft noch einmal die gleichen tatsächlichen Verhältnisse eintreten wie im Zeitpunkt des Erlasses des erledigten Verwaltungsaktes, kann das Feststellungsinteresse nicht aus einer Wiederholungsgefahr hergeleitet werden (vgl. BVerwG, U. v. 12.10.2006 – 4 C 12/04 – juris Rn. 8; BayVGH, B. v. 12.5.2015 – 10 ZB 13.629 – juris Rn. 8). Es ist weder vorgetragen noch erkennbar, dass sich die am … Februar 2014 ergriffenen polizeilichen Maßnahmen wiederholen werden. Allein die Tatsache, dass die Kläger auch in Zukunft mit der Bahn zu Auswärtsspielen des TSV 1860 reisen und Bundespolizisten dabei die Fans begleiten werden, reicht für die Annahme einer Wiederholungsgefahr nicht aus. Bei der Vielzahl von Bahnreisen von Fußballfans zu einem Spiel handelte es sich am … Februar 2014 um eine besondere Situation, die aufgrund von Straftaten und dem Verhalten von Fans im Zug eskalierte und die Polizeikräfte veranlasste, Zwangsmittel einzusetzen.
Soweit das Gericht ein Feststellungsinteresse bejaht hat, scheitert die Zulässigkeit der Klage nicht daran, dass mehrere Strafgerichte die Rechtmäßigkeit des polizeilichen Einsatzes bejaht haben. Soweit es zu Verurteilungen von Fans kam, waren polizeiliche Maßnahmen nur inzident zu prüfen. Bei dem Ermittlungsverfahren gegen POM H. kam es nicht zu einer Anklage. Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren mit Beschluss vom 7. Juli 2014 gemäß § 170 Abs. 2 StPO ein, da der Einsatz des Pfeffersprays rechtmäßig gewesen sei. Zwar spricht viel dafür, dass man ein Feststellungsinteresse oder Rechtsschutzbedürfnis für ein weiteres verwaltungsgerichtliches Verfahren verneinen muss, wenn in einem strafgerichtlichen Verfahren die Rechtmäßigkeit des Einsatzes von Pfefferspray geprüft wird (kein Anspruch auf den angeblich „sachnäheren“ Richter, vgl. BVerwG, U. v. 20.1.1989 – 8 C 30/87 – juris Rn. 9). Es können auch rechtskräftige Feststellungen eines Strafgerichts einem verwaltungsgerichtlichen Urteil zugrunde gelegt werden. Ein anhängiges strafrechtliches Ermittlungsverfahren hindert aber nicht die Erhebung einer verwaltungsgerichtlichen Klage.
Die Klage ist auch nicht verfristet. Für eine Fortsetzungsfeststellungsklage, bei der sich der Verwaltungsakt vor Eintritt der Bestandskraft erledigt hat, und für eine Feststellungsklage gelten nicht die Fristen der §§ 74 Abs. 1 bzw. 58 Abs. 2 VwGO (vgl. BVerwG, U. v. 14.7.1999 – 6 C 7 /98 – juris Rn. 20 ff.). Auch wenn man den Rechtsgedanken aus § 58 Abs. 2 VwGO berücksichtigt, da die Klage nicht zeitlich unbeschränkt erhoben werden kann (vgl. Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl., § 113 Rn. 72), wurde die Klage rechtzeitig erhoben.
Soweit die Klage zulässig ist, ist sie unbegründet. Die vom Kläger zu 4. geltend gemachten Schläge mit einem Einsatzmehrzweckstock der Polizei haben nach Überzeugung des Gerichts nicht stattgefunden (1.). Der Einsatz von Pfefferspray im Zug durch POM H. zur Durchsetzung eines Platzverweises war gemäß § 38 BPolG, §§ 6, 12 VwVG, §§ 2, 4 UZwG rechtmäßig und verletzte die Kläger zu 2., 3. und 4. nicht in ihren Rechten (2.). Der Einsatz von Pfefferspray durch Bundespolizisten vom Bahnsteig aus, um sich vor Angriffen von Fans zu schützen, war gemäß § 6 Abs. 2 VwVG, §§ 2, 4 UZwG rechtmäßig und verletzte den Kläger zu 3. nicht in seinen Rechten (3.). Die Bundespolizei konnte gemäß § 14 i. V. m. § 3 Abs. 1 BPolG den Regionalzug am Bahnhof Petershausen anhalten und den Klägern das Aussteigen verbieten (4.).
1. Der Kläger zu 4. hat in der mündlichen Verhandlung vom 10. August 2016 geltend gemacht, dass er mit einem Einsatzmehrzweckstock der Polizei zweimal geschlagen worden sei, als er bei dem Einsatz der Polizei – Verlassen des Platzes durch S. R. – beschwichtigend habe eingreifen wollen. Dieser Vortrag ist jedoch nicht glaubhaft. Gegen die Glaubhaftigkeit der Aussage des Klägers spricht zunächst, dass der Kläger dies in der mündlichen Verhandlung zum ersten Mal vorgetragen hat. Nach dem ursprünglichen Klageantrag sollte die Rechtswidrigkeit der gegenüber den Klägern zu 2. und 3. angewendeten körperlichen Gewalt durch Einsatz von Reizstoff, Einsatzmehrzweckstöcken festgestellt werden. In dem umfangreichen Klagevortrag fehlt jeglicher konkrete Vortrag zu dem Einsatz eines Einsatzmehrzweckstockes. Vielmehr wurde vorgetragen, dass es nicht darauf ankäme, ob jeder einzelne der Kläger auch getroffen worden sei; sie hätten sich alle im Zug befunden und seien daher konkret gefährdet gewesen, von entsprechenden Schlagstöcken getroffen zu werden (Schriftsatz vom 3. Juni 2016). Für den erstmaligen Vortrag in der mündlichen Verhandlung wurde auch keine plausible Erklärung gegeben. So hat der Prozessbevollmächtigte lediglich ausgeführt, dass der Tatsachenvortrag Sinn der mündlichen Verhandlung sei. Die Beklagte hat geltend gemacht, dass es im Zug zu keinem Schlagstockeinsatz gekommen sei; der Einsatzmehrzweckstock sei lediglich zum „Wegdrücken“ durch PM M. eingesetzt worden, als die Beamten auf der Plattform von Fans bedrängt worden seien. Letzteres hat auch der Zeuge M. mit seiner Aussage bestätigt. Gegen die Aussage des Klägers zu 4., bei dem polizeilichen Einsatz gegen S. R. zweimal geschlagen worden sei, spricht auch das polizeiliche Einsatzvideo. Zwar sieht man den Vorgang dort nur ganz kurz, da dem Videobeamten von den Fans die Sicht versperrt wurde, man hört aber die jeweiligen Kommentare der Fans. Dabei werden der Toilettengang von S. R. und der Einsatz von Pfefferspray kommentiert, nicht aber, dass es zu Schlägen gegen einen Fan gekommen ist. Weiter spricht gegen die Glaubhaftigkeit der Aussage, dass der Kläger zu 4. auch bei seiner Aussage, wie stark er von dem Pfeffersprayeinsatz betroffen gewesen sei, offensichtlich übertrieben hat. Denn man sieht ihn kurz darauf auf dem Video ohne körperliche Anzeichen (keine tränende Augen).
2. Der Einsatz von Pfefferspray durch POM H. im Zug war rechtmäßig. Es lagen sowohl die gesetzlichen Voraussetzungen für den ausgesprochenen Platzverweis als auch für die Anwendung unmittelbaren Zwangs zu seiner Durchsetzung vor.
Nach § 38 BPolG kann die Bundespolizei zur Abwehr einer Gefahr Personen vorübergehend von einem Ort verweisen. Eine Platzverweisung setzt eine konkrete Gefahr voraus, d. h. eine Sachlage, die im Einzelfall tatsächlich oder jedenfalls aus der (ex-ante-)Sicht des für die Polizei handelnden Amtswalters bei verständiger Würdigung der Sachlage in absehbarer Zeit die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts in Bezug auf ein polizeirechtlich geschütztes Rechtsgut in sich birgt (vgl. Schenke in Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, § 38 BPolG Rn. 12). Diese Voraussetzungen sind gegeben. POM Hempel hat den Platzverweis ausgesprochen, um eine polizeiliche Maßnahme – Begleitung des straftatverdächtigen S. R. zur Toilette – durchzuführen und, um sich und seine Kollegen vor (weiteren) Angriffen durch Fans zu schützen.
Nach der Zeugeneinvernahme der Polizeibeamten, den Aussagen der Kläger, soweit ihnen gefolgt werden kann, dem polizeilichen Einsatzvideo, soweit Aufnahmen vorliegen, und den Feststellungen des rechtskräftigen Strafurteils gegen S. R. (AG Pfaffenhofen, U. v. 1.7.2014, 1 Ds 24 Js 5364/14) sowie des Strafbefehls gegen S.H. (AG Dachau vom 14.5.2014, 5 Cs 24 Js 12458/14) geht das Gericht von folgendem Sachverhalt aus: S. R., der im oberen Bereich des vorletzten Waggons saß, hatte zuvor einen Polizeibeamten mit der Faust gegen den Brustkorb und anschließend nochmals mit der Faust in den Bereich der Gürtellinie geschlagen. Dieser Vorfall ergibt sich auch aus dem polizeilichen Video über die Begleitung der Fußballfans (00027.MTS, etwa 21.45 Uhr – die angegebene Zeit der Videoaufnahme ist noch Sommerzeit, weiter ist die Videozeit offensichtlich nicht minutengenau – von der Polizei angegebene Tatzeit im Strafverfahren 21.40 Uhr). Eine Identitätsfeststellung unterblieb zunächst, um die Situation nicht weiter eskalieren zu lassen. Als S. R. etwa eine halbe Stunde später, kurz vor dem Halt in Petershausen, seinen Platz verlassen wollte, gingen die Polizeibeamten davon aus, dass er sich einer polizeilichen Maßnahme entziehen will. Es kam zu einer Rangelei, wobei S. R. erneut versuchte, einen Polizeibeamten zu verletzen. Aus dem polizeilichen Video (00028.MTS) ergibt sich eine aggressive Stimmung der Fans mit Rufen „jetzt knallts“, „jetzt schepperts“. Weiter sieht man auf dem Video, dass Fans den Polizeibeamten, die sich im oberen hinteren Teil des Waggons befanden, den Weg zu ihren Kollegen versperrten. Der Fan S.H. wurde deswegen wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte verurteilt. Nachdem S. R. angegeben hatte, dass er auf die Toilette müsse, beschlossen die Polizeibeamten, ihn dahin zu begleiten. Sie bahnten sich einen Weg durch den Waggon, gefolgt von Fans. Als sie zu der Treppe kamen, die nach unten zum Eingangsbereich führte, sahen sie dort ihre Kollegen, die unten auf bzw. an der Treppe standen. Auf der Plattform standen 10 bis 15 Personen, die vermummt waren und Bierflaschen in der Hand hatten. Sie machten „Halsabschneider“-Gesten und schlugen mit der geballten Faust in die Hand. POM H. forderte die Fans auf, Platz zu machen. Dieser Aufforderung kamen diese aber nicht nach.
Die Aussagen der als Zeugen vernommenen Polizeibeamten H., M., B. und C., die eine bedrohliche Situation schilderten, waren glaubhaft. Sie waren im Wesentlichen deckungsgleich mit den Aussagen (Aussagen von H., M. und C.), die sie im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gegen die Klägerin zu 2. wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte (Az. 245 Js 147070/14) gemacht hatten. Soweit es dabei teilweise noch zu detailreicheren Schilderungen kam, spricht es für die Glaubwürdigkeit der Zeugen, dass sie vor Gericht nur das geschildert haben, woran sie sich erinnert haben. Der Kläger zu 4. hat eingeräumt, dass er Leute gesehen habe, die sich vermummt hätten. Die Klägerin zu 2. hat ausgesagt, dass sie von den Polizeibeamten aufgefordert worden sei, wegzugehen. Von dem Geschehen auf der Plattform gibt es keine Videoaufzeichnungen, da sich der Videobeamte B., den das Gericht ebenfalls als Zeugen vernommen hat, im hinteren Teil des oberen Waggons aufhielt, ihm der Weg zu seinen Kollegen durch Fans versperrt wurde und er sich auch nicht in eine gefährliche Situation begeben wollte. Die aufgeheizte Stimmung im oberen Teil des Waggons und die dort ersichtliche Gewaltbereitschaft von Fans stützen aber die Schilderungen der Polizeibeamten über das Geschehen auf der Plattform. Der klägerische Vortrag, dass die Fans ruhig gewesen seien und die Beamten sich ohne Grund aggressiv verhalten hätten, ist nach den vorliegenden Videoaufnahmen unrichtig.
Der ausgesprochene Platzverweis war gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 2 VwGO sofort vollziehbar und konnte nach § 6 Abs. 1, § 9 Abs. 1 Buchstabe c, § 12 VwVG mit unmittelbarem Zwang durchgesetzt werden. Der Einsatz von Pfefferspray als Zwangsmittel war gemäß §§ 2, 4 UZwG rechtmäßig, insbesondere auch verhältnismäßig. Die Androhung des Gebrauchs von Reizstoffen ist nach den Regelungen des UZwG nicht erforderlich. § 13 VwVG ist nicht einschlägig, da der sofortige Vollzug des Platzverweises nach § 6 Abs. 2 VwVG zur Abwehr einer drohenden Gefahr notwendig war. Über den Wortlaut des § 6 Abs. 2 VwVG hinaus ist der sofortige Vollzug auch dann zulässig, wenn der Grundverwaltungsakt bereits erlassen wurde, aber die weiteren Voraussetzungen des gestuften Vollstreckungsverfahrens wegen auftretender Eilbedürftigkeit nicht eingehalten werden können (vgl. Deusch/Burr, Beck-Online-Kommentar VwVfG, VwVG, § 6 Rn. 25). Allerdings sieht die Allgemeine Verwaltungsvorschrift des Bundesministers des Innern zum Gesetz über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes vom 18. Januar 1974 (UZwVwV-BMI) vor, dass der unmittelbare Zwang in diesen Fällen mündlich oder auf andere nach der Lage gebotene Weise angedroht werden soll, soweit es die Umstände nicht unmöglich machen (X. Abs. 1 Satz 2). Eine mündliche Androhung des Einsatzes von Pfefferspray ist nach der glaubhaften Aussage des POM H. erfolgt. Dies wird auch durch die zeugenschaftliche Äußerung der Kollegin J. und des Polizeibeamten C., die sich in seiner unmittelbaren Nähe befanden, im Ermittlungsverfahren 245 Js 147070/14 bestätigt. Zwar war diese Androhung möglicherweise nicht für jeden verständlich. Der Beamte hat dies selbst eingeräumt, indem er angab, dass er einen Helm aufgehabt habe, in dem ein Mundschutz integriert sei. Er hat aber weiter das Pfeffersprühgerät sichtbar vor sich gehalten, was auch der Kläger zu 3. mit seiner Aussage bestätigt hat. Damit sind jedenfalls die Anforderungen, die angesichts der bedrohlichen Situation von einer Androhung des unmittelbaren Zwangs erwartet werden konnten, erfüllt.
Die Verhältnismäßigkeit der Anwendung unmittelbaren Zwanges ist aus der ex-ante-Sicht der handelnden Polizeibeamten zu beurteilen. Ein anderes geeignetes, den Einzelnen weniger belastendes Zwangsmittel (§ 4 Abs. 1 UZwG) stand nicht zur Verfügung. Wie die Polizeibeamten H., B. und M. glaubhaft ausgesagt haben, hatten sie zunächst versucht, sich mit einfacher körperlicher Gewalt einen Weg frei zu machen bzw. die Fans auf Abstand zu halten. Dies führte aber nicht zu dem gewünschten Erfolg. Es ist nachvollziehbar, dass die Beamten, die auf und unten an der Treppe standen, gegen die Fans auf der Plattform nur jeweils in geringer Mannstärke auftreten und sich damit nicht mit Erfolg durchsetzen konnten.
Der Einsatz von Pfefferspray im Zug stand auch nicht außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg (§ 4 Abs. 2 UZwG). Das Gericht geht nicht davon aus, dass die Polizeibeamten, wie die Kläger teilweise vorgetragen haben, wahllos und mehrfach Pfefferspray gesprüht haben. POM H. hat widerspruchsfrei zu seinen Angaben im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gegen die Klägerin zu 2. wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte (245 Js 147070/14) angegeben, dass er oben auf der Treppe einen Sprühstoß abgegeben hat. Dies haben die Polizeibeamten M., B. und C. („ich bin mir nicht ganz sicher“) bestätigt. Dass sich der Zeuge C. nicht mehr ganz sicher war, ist aufgrund des länger zurückliegenden Zeitpunkts verständlich und spricht nicht gegen die Glaubhaftigkeit seiner Aussage. Soweit die Kläger vorgetragen haben, dass auch auf der Plattform Pfefferspray gesprüht worden sei, der Reizstoff auch seitlich in die Waggons gesprüht worden sei, und sich hierfür auf vorgelegte Fotos berufen, konnten die Kläger damit den Nachweis nicht erbringen. Einen genauen Ort kann man aus den unscharfen, kleinen Bildausschnitten nicht erkennen. Der Klägerbevollmächtige, der die Fotovorlage in der mündlichen Verhandlung in seinem Schriftsatz vom 11. März 2015 ankündigte, hat auch nicht vorgetragen, wer die Fotos gefertigt hat. Der Sprühstoß von unten nach oben spricht dafür, dass die Fotos Pfeffersprayeinsätze zeigen, bei denen vom Bahnsteig aus Pfefferspray in den Zug gesprüht wurde. Allein die Tatsache, dass auf dem Foto wohl ein behelmter Polizeibeamter zu sehen ist, beweist nicht, dass der Sprühstoß auf der Plattform abgegeben wurde. Gegen einen mehrfachen Einsatz von Pfefferspray von der Treppe oder der Plattform aus spricht auch die auf dem Video zu sehende geringe Beeinträchtigung des Klägers zu 4. vom Pfeffersprayeinsatz, der sich nach seinem Vortrag und der Skizze auf der Plattform befand. Auf dem Video ist auch sein relativ unaufgeregter Kommentar zu hören „… dass ihr stärker seid, mit diesem Spray“ (00028.MTS). Der vom POM H. abgegebene Spraystoß ging offensichtlich in Richtung der Klägerin zu 2., die sich an anderer Stelle auf der Plattform aufhielt.
Der durch die Abgabe eines Sprühstoßes zu erwartende Schaden stand auch nicht deshalb außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg, weil seine Abgabe im Zug erfolgte. Zwar ist grundsätzlich beim Einsatz von Pfefferspray in geschlossenen Räumen Zurückhaltung geboten. Soweit die Verwaltungsvorschrift von 1974 (UZwVwV-BMI IV. Abs. 5 Satz 3) noch vorsieht, dass Reizstoffe in geschlossenen Räumen nur gegen Personen eingesetzt werden dürfen, die sich gegen eine Festnahme gewaltsam zur Wehr setzen, ist diese Regelung im Hinblick auf das bei der Bundespolizei in neuerer Zeit verwendete Pfefferspray (vgl. Ruthig in Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, § 2 UZwG Rn. 13) und der möglichen, unterschiedlichen Reizstoffwurfkörper obsolet geworden. Die Vertreterin der Beklagten hat in der mündlichen Verhandlung vom 12. Oktober 2016 auf die geltenden Regelungen in der Ausbildung der Polizei hingewiesen. Weicht eine Behörde generell von Richtlinien ab, so verlieren sie ihre ermessensbindende Wirkung (vgl. BVerwG, U. v. 25.4.2012 – 8 C 18/11 – juris Rn. 32). Das bei der Bundespolizei eingeführte und in den Reizstoffsprühgeräten verwendete Pfefferspray PAVA verbreitet sich erheblich weniger in der Raumluft als der in anderen Geräten verwendete Wirkstoff CN/CS, es kann mit den eingeführten Reizstoffsprühgeräten zielgenauer eingesetzt werden und ist deshalb auch für den Einsatz in geschlossenen Räumen geeignet (vgl. Antwort der Bundesregierung vom 6. Juli 2015 auf eine Kleine Anfrage von Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE zu einem Polizeieinsatz im Regionalexpress 3666 am 12. April 2015, Drucksache 18/5474 S. 4). Mit der Abgabe eines Sprühstoßes kurz vor Öffnen der Türen am regulären Haltepunkt in Petershausen hat die Bundespolizei den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt. Das Gericht verkennt nicht, dass die Klägerin zu 2. damit erheblich, vor allem auch im Gesicht, getroffen wurde. Gerade die Klägerin zu 2. ist von den Polizeibeamten aber mehrfach aufgefordert worden ist, wegzugehen, sich nicht einzumischen (auch POM M. und PHM C.). Sie hat sich trotzdem weiterhin bewusst in der Mitte des Geschehens aufgehalten. Ihr Vortrag, dass sie aus Platzgründen nicht habe weggehen können, hält das Gericht für einen Schutzvortrag.
3. Der Einsatz vom Pfefferspray vom Bahnsteig aus ist vom Gericht nur zu überprüfen, soweit der Kläger zu 3. eine erhebliche Betroffenheit geltend gemacht hat. Der Kläger zu 3. hat angegeben, dass er am Anfang der Auseinandersetzungen zwischen Fans im Zug und Polizeibeamten am Bahnsteig von dem Einsatz von Pfefferspray betroffen war und sich danach entfernt hat. Von dem Einsatzgeschehen am Anfang gibt es keine Videoaufzeichnungen, da sich der Videobeamte der Bundespolizei zunächst noch im oberen Teil des vorletzten Waggons aufgehalten hat. Der Kläger zu 3. hat selbst kein konkretes Einsatzgeschehen geschildert. Das Gericht geht aufgrund der Zeugeneinnahme der Polizeibeamten (PHK G., POM H., POM M., PHM C., POK B.), den späteren Videoaufzeichnungen und der rechtskräftigen Verurteilung von T. H. (AG Dachau, U. v. 25.9.2014, 5 Ds 37 Js 15776/14) davon aus, dass die Polizeibeamten mit dem Sprühen von Pfefferspray auf das Werfen von Flaschen und Gegenständen durch die Fans reagierten.
Dieser Einsatz von Pfefferspray war gemäß § 6 Abs. 2, § 9 Abs. 1 Buchst. c, § 12 VwVG, §§ 2, 4 UZwG rechtmäßig. Der Verwaltungszwang konnte ohne vorausgehenden Verwaltungsakt zur Abwehr einer drohenden Gefahr für die körperliche Unversehrtheit der Polizeibeamten angewendet werden. Besonders in der Anfangsphase der Auseinandersetzungen zwischen Fans und Polizeibeamten, die vom Gericht nur zu überprüfen ist, standen den Polizeibeamten gleich geeignete Einsatzmittel, um die Situation unter Kontrolle zu bringen, nicht zur Verfügung. Auf die von der Beklagten getroffene Bewertung möglicher Handlungsoptionen muss daher nicht eingegangen werden. Der Einsatz von Pfefferspray erfolgte hier zielgerichtet gegen Fans, die zum Werfen von Gegenständen ansetzten. Die Verhältnismäßigkeit gemäß § 4 Abs. 2 UZwG war damit gewahrt.
4. Für das angeordnete Stehenbleiben des Zuges am Bahnhof Petershausen und das Verbot für die Kläger, den Waggon zu verlassen, konnte sich die Polizei auf die allgemeine Befugnisnorm des § 14 Abs. 1 BPolG stützen. Danach kann die Bundespolizei zur Erfüllung ihrer Aufgaben die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine Gefahr abzuwehren. Gemäß § 3 Abs. 1 BPolG hat die Bundespolizei die Aufgabe, auf dem Gebiet der Bahnanlagen der Eisenbahnen des Bundes Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren, die den Benutzern, den Anlagen oder dem Betrieb der Bahn drohen oder beim Betrieb der Bahn entstehen oder von den Bahnanlagen ausgehen. Dies bedeutet insbesondere die Verhütung von Straftaten in den Bahnhöfen, Zügen, auf den Bahnanlagen und umfasst auch die Begleitung von gewaltbereiten Gruppen bei Großveranstaltungen (vgl. Graulich in Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, § 3 Rn. 6). Eine konkrete Gefahr liegt vor, wenn im Einzelfall tatsächlich oder jedenfalls aus der (ex-ante-)Sicht des für die Polizei handelnden Amtswalters bei verständiger Würdigung der Sach- und Rechtslage in absehbarer Zeit die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts besteht (§ 14 Abs. 2 Satz 1 BPolG). Die von den zuständigen Einsatzleitern angestellte Gefahrenprognose ist nicht zu beanstanden.
Es bestand die konkrete Gefahr, dass sich die Auseinandersetzungen zwischen Fans und Polizei auf den engen Bahnsteig verlagerten und damit auch im Hinblick auf den laufenden Bahnbetrieb Einsatzkräfte und Fans geschädigt würden. Wie die Videoaufnahmen zeigen, war die Stimmung der Fans an der vorderen Türe des vorletzten Waggons aufgeheizt, die Polizeibeamten wurden beleidigt („Wichser“), es flogen Flaschen. Auch unbeteiligte Bahnreisende hätten bei einer gewaltsamen Auseinandersetzung auf dem Bahnsteig diesen nicht ohne Gefahr für ihre Sicherheit benutzen können. Weiter konnte die Polizei davon ausgehen, dass sich einzelne Fans einer Polizeikontrolle entziehen und über die Bahngleise flüchten würden, was nicht erlaubt (Ordnungswidrigkeit nach § 64b Abs. 2 Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung – EBO) und im Hinblick auf durchfahrende Züge auch äußerst gefährlich ist. So sieht man auf dem Video (00029.MTS), dass insgesamt vier Personen vom Bahnsteig aus auf die Gleise steigen, zwei Gleise überqueren und sich dann entfernen. PHK G. hat daher zu Recht angeordnet, dass die drei letzten Türen Richtung Bahnsteig von außen mit dem Vierkant verschlossen werden. Die Türe, an der Pfefferspray eingesetzt wurde, konnte immer geöffnet worden, ebenso die davor liegenden Türen des Zuges. Die verschlossenen Türen wurden, nachdem sich die Situation im hinteren Bereich des Zuges beruhigt hatte, wieder geöffnet. Zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Zug war es erforderlich, dass der Regionalzug weiter von Beamten der Bahnpolizei begleitet wurde. Während des Aufenthalts des Zugs am Bahnhof Petershausen konnten die Polizeikräfte für die Weiterfahrt verstärkt werden.
Die polizeilichen Maßnahmen wurden von der Polizei nach pflichtgemäßem Ermessen getroffen und waren verhältnismäßig (§§ 15, 16 BPolG).
Soweit der Prozessbevollmächtigte vorgetragen hat, dass es in Petershausen keinen Grund gegeben habe, den Zug anzuhalten, da die Identitätsfeststellungen in München getroffen werden sollten, verkennt er, dass die Gründe für das Anhalten des Zuges in Petershausen mehrheitlich im präventiven Bereich lagen. Vor einer Weiterfahrt des Zuges musste die Sicherheit und Ordnung im Zug wiederhergestellt werden. Eine Weiterfahrt des Zuges ohne Polizeikräfte kam im Hinblick auf den Schutz unbeteiligter Personen sowie der Gefahr von weiteren Sachbeschädigungen im Zug nicht in Betracht. Zum Schluss der Videoaufzeichnungen wird eindrucksvoll ein Überblick über die Schmierereien, sonstige Beschädigungen wie z. B. Herausreißen eines Feuerlöschers und massiven Verunreinigungen im Zug gegeben (000.55 MTS – 00061.MTS). Die Anordnung für die Personen im vorletzten Zug und damit auch für die Kläger, im Zug zu bleiben, ist auch nicht deshalb unverhältnismäßig, weil es zuvor zu einem Einsatz von Pfefferspray an der vorderen Türe gekommen ist und es im Anschluss daran aufgrund des gewaltsamen Verhaltens von Fans nochmals zu Sprühstößen im Türenbereich kam. Aus den Videoaufzeichnungen ergibt sich, dass bereits nach etwa 10 Minuten die hintere Tür im vorletzten Waggon wieder offen stand und sich dort Fans an der offenen Türe bzw. auf dem Bahnsteig aufhielten (00030.MTS, 22.30 Uhr). Etwas später hielt sich sogar eine Vielzahl von Personen aus dem hinteren Zugteil auf dem Bahnsteig auf (00034.MTS, 22.38 Uhr). Weiter ergibt sich aus den letzten Videoaufnahmen im Zug, dass die Belastung durch Pfefferspray jedenfalls im oberen Bereich des hinteren Teils offensichtlich nicht spürbar war (00028.MTS). Dort hatte sich der Kläger zu 4. aufgehalten. Die Klägerin zu 1., die sich im unteren Teil des Waggons aufgehalten hat, hat angegeben, dass sie durch das Pfefferspray nicht wesentlich beeinträchtigt war. Soweit sie Angst gehabt hat, ist das verständlich, führt aber nicht zur Rechtswidrigkeit der polizeilichen Maßnahme. Die Klägerin zu 2., die von dem Einsatz von Pfefferspray im Zug stark betroffen war, hätte medizinische Hilfe in Anspruch nehmen können. Die Polizeibeamten haben Rettungswagen zum Bahnhof Petershausen beordert, offensichtlich legten die Fans aber keinen Wert auf ärztliche Betreuung. So sieht man auf dem Video, dass ein Polizeibeamter einem Fan helfen will, der von einem Sprühstoß getroffen wurde, ihm aus dem Waggon hilft, dieser aber sofort wieder von seinen Kollegen hineingezogen wird (00029.MTS). Die Polizei hat den Regionalzug etwa 1 ¼ Stunden angehalten. Diese Zeitdauer war im Hinblick auf die verfolgten polizeilichen Zwecke nicht unangemessen. Nachdem die gewaltsame Auseinandersetzung zwischen Fans und Polizeibeamten beendet war und alle Türen im vorletzten Waggon geöffnet werden konnten, reduzierte sich die Belastung für die Kläger im Wesentlichen auf eine Zeitverzögerung. Nach der polizeilichen Freigabe bedurfte es noch bahnbetrieblicher Maßnahmen, bevor der Zug tatsächlich abfahren konnte.
Die Maßnahmen konnten gegen die Klägerin zu 2. gem. § 17 Abs. 1 BPolG, wenn man sie im Hinblick auf die begangene Beleidigung sowie des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte als Störerin ansieht, ansonsten wie bei den Klägern zu 1., 3. und 4. nach § 20 Abs. 1 Nrn. 1, 2 BPolG angeordnet werden. Danach können auch nicht verantwortliche Personen in Anspruch genommen werden, wenn eine gegenwärtige erhebliche Gefahr abzuwehren ist oder Maßnahmen gegen die Verantwortlichen keinen Erfolg versprechen. Diese Voraussetzungen liegen vor. Wie die Beklagtenvertreterin nachvollziehbar vorgetragen hat, ist ein sukzessives Herausgreifen der angreifenden Fans aufgrund der Kräftelage nicht möglich und auch nicht erfolgversprechend gewesen, da sich diese jedenfalls teilweise unter Unbeteiligte im Zug gemischt hatten. Weiter mussten die Polizeibeamten bei einem Eingreifen im Zug damit rechnen, dass auch Unbeteiligte gefährdet würden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 159 Satz 1 VwGO i. V. m. § 100 Abs. 1 ZPO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 20.000,– festgesetzt (§ 52 Abs. 1, 2 Gerichtskostengesetz -GKG-).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,– übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.

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