Verwaltungsrecht

Asyl, Äthiopien: Genitalverstümmelung als Fluchtgrund abgelehnt

Aktenzeichen  8 ZB 19.31614

Datum:
22.7.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 17780
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 1, Nr. 3, Abs. 4 S. 4
VwGO § 138 Nr. 3

 

Leitsatz

1 Ob die Beschneidung eines Mädchens in Äthiopien tatsächlich verhindert werden kann, lässt sich nicht generell und allgemeingültig beantworten, sondern richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere auch danach, ob sich die Eltern des betroffenen Kindes dem gesellschaftlichen Druck widersetzen und eine Beschneidung tatsächlich verhindern (vgl. BayVGH BeckRS 2019, 7244). (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
2 Lehnt das Gericht einen Beweisantrag ab, weil es die unter Beweis gestellten Tatsachen als wahr unterstellt, muss es diese Tatsachen seiner Sachverhalts- und Beweiswürdigung uneingeschränkt als nachgewiesen zugrunde legen (vgl. BVerwG BeckRS 2019, 11120). (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
3 Eine Wahrunterstellung kann daher nur für solche Umstände in Betracht kommen, die letztlich dahingestellt bleiben können, weil von ihrem Vorliegen der Ausgang des Rechtsstreits nicht abhängt (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
4 Reichen die in das Verfahren bereits eingeführten Erkenntnismittel zur Beurteilung der geltend gemachten Gefahren aus, kann das Gericht einen Beweisantrag auf Einholung weiterer Auskünfte unter Berufung auf eigene Sachkunde verfahrensfehlerfrei ablehnen, wenn es seine Sachkunde ggf. im Rahmen der Beweiswürdigung darstellt und belegt (stRspr, vgl. BVerwG BeckRS 2013, 50244; BayVGH BeckRS 2019, 13647). (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

B 7 K 17.32298 2019-03-14 VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Zulassungsverfahren wird abgelehnt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1. Der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) ist nicht in einer Weise dargetan, die den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügt.
Einer Rechtssache kommt grundsätzliche Bedeutung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG zu, wenn für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Tatsachen- oder Rechtsfrage von Bedeutung war, deren noch ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (vgl. BayVGH, B.v. 5.12.2017 – 11 ZB 17.31711 – juris Rn. 2; BVerwG, B.v. 21.11.2017 – 1 B 148.17 u.a. – juris Rn. 4 zu § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Dementsprechend verlangt die Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG, dass eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist. Ferner muss dargelegt werden, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht (vgl. BayVGH, B.v. 5.12.2017 – 11 ZB 17.31711 – juris Rn. 2; BVerwG, B.v. 30.9.2015 – 1 B 42.15 – juris Rn. 3). Darzulegen sind mithin die konkrete Frage sowie ihre Klärungsbedürftigkeit, Klärungsfähigkeit und allgemeine Bedeutung (vgl. OVG NRW, B.v. 15.12.2017 – 13 A 2841/17.A – juris Rn. 3 ff.).
Die von den Klägern im Zulassungsantrag nach § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG für grundsätzlich bedeutsam gehaltene Tatsachenfrage,
„ob äthiopischen Mädchen bis zu ihrer Eheschließung abhängig von ihrer Volkszugehörigkeit als Gurage im Falle ihrer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Beschneidung droht“,
weist keine klärungsbedürftige Fragestellung auf. Sie entzieht sich einer generellen, fallübergreifenden Klärung, weil sie nicht in verallgemeinerungsfähiger Form, sondern nur nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls beantwortet werden kann.
Das Verwaltungsgericht hat unter Einbeziehung der Auskunftslage, insbesondere auf der Grundlage der Lageberichte des Auswärtigen Amts vom 22. März 2018 und 17. Oktober 2018, angenommen, dass eine Beschneidung inzwischen bei der überwiegenden Anzahl der Mädchen nicht mehr erfolgt. Seit der Reformierung des Strafgesetzbuches sei die Genitalverstümmelung mit Geldstrafe oder mit mindestens dreimonatiger, in besonders schweren Fällen mit bis zu 10 Jahren Gefängnisstrafe bedroht. Die Zahl der Neuverstümmelungen habe sich inzwischen auf zwischen 25 und 40% der Mädchen verringert. Dennoch sei die Genitalverstümmelung bei Frauen und Mädchen in Äthiopien nach wie vor mit großen regionalen Unterschieden weit verbreitet. Soweit in manchen Quellen höhere Prozentangaben für den Anteil beschnittener Frauen angegeben werden, seien diese für eine hier notwendige prognostische Betrachtung nicht brauchbar, soweit darin auch ältere Frauen einbezogen werden, bei denen die Beschneidung bereits viele Jahre zurückliege. Solche Zahlenangaben berücksichtigten namentlich nicht den in Äthiopien eingeleiteten und weiter fortschreitenden Einstellungswandel in nicht unbeträchtlichen Kreisen der Bevölkerung. Die äthiopische Regierung sowie äthiopische und internationale Organisationen führten Kampagnen zur Abschaffung der Genitalverstümmelung durch. Die Regierung habe sich zum Ziel gesetzt, schädliche traditionell oder kulturell bedingte Praktiken, wie etwa die Genitalverstümmelung bei Frauen bis zum Jahr 2025 endgültig abzuschaffen (vgl. UA S. 17 f.). Dass der Klägerin zu 1 bei einer Rückkehr in Äthiopien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit („real risk“) eine Genitalverstümmelung drohe, hat das Verwaltungsgericht deswegen verneint, weil in Übereinstimmung mit diesem allgemeinen Befund auch in der mündlichen Verhandlung deutlich geworden sei, dass die weibliche Genitalbeschneidung gerade in ländlichen Regionen (noch) ein verbreitetes Problem darstelle. Eine Niederlassung der Kläger komme aber nach Überzeugung des Gerichts vornehmlich in einer urbanen Region oder deren Einzugsbereich in Betracht, denn dort dürfte sich nicht nur die Aufnahme von Erwerbstätigkeiten leichter gestalten, sondern auch drei der Geschwister der Mutter der Kläger sollen beispielsweise in Addis Abeba leben bzw. gelebt haben. Vor dem Hintergrund des weiter fortschreitenden Einstellungswandels in der äthiopischen Bevölkerung, vor allem in größeren Städten, sei nicht beachtlich wahrscheinlich, dass die Angehörigen der Mutter der Klägerin zu 1 gegen den Willen der Mutter eine Beschneidung durchführen oder veranlassen würden (vgl. UA S. 18).
Ob die Beschneidung eines Mädchens, wie die Klägerin zu 1, tatsächlich verhindert werden kann, lässt sich demnach für Mädchen in Äthiopien nicht generell und allgemeingültig beantworten, sondern richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere auch danach, ob sich die Eltern des betroffenen Kindes dem gesellschaftlichen Druck wiedersetzen und eine Beschneidung tatsächlich verhindern (vgl. BayVGH, B.v. 22.2.2017 – 9 ZB 17.30027 – juris Rn. 6; B.v. 21.11.2018 – 8 ZB 18.32980 – juris; B.v. 27.3.2019 – 8 ZB 19.30972; OVG NRW, B.v. 6.12.2006 – 19 A 2171/06.A – juris). Zudem wird die tatsächliche Durchführung einer Beschneidung im Einzelfall davon abhängen, welchem Druck die jeweiligen Eltern etwa auch aus dem eigenen familiären Umfeld ausgesetzt sind oder sich diesem entziehen können (vgl. BayVGH, B.v. 30.6.2004 – 25 B 01.30985 – juris Rn. 25) und inwieweit ein Beschneider in Äthiopien bereit ist, trotz der Strafbarkeit der Beschneidung eine solche durchzuführen.
2. Die Berufung ist auch nicht zuzulassen wegen eines Verfahrensmangels im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO aufgrund der vom Verwaltungsgericht abgelehnten Beweisanträge 1, 2, 5 und 6 b).
Der geltend gemachte Verfahrensmangel der Versagung des rechtlichen Gehörs (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG, Art. 91 Abs. 1 BV) liegt nicht vor. Das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs verpflichtet die Gerichte, die Ausführungen der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei ihrer Entscheidung in Erwägung zu ziehen. Als Prozessgrundrecht soll es sicherstellen, dass die gerichtliche Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, die ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme oder Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben (vgl. BVerwG, B.v. 21.5.2019 – 1 B 42.19 – juris Rn. 2; U.v. 4.10.2012 – 1 C 13.11 – BVerwGE 144, 230 = juris Rn. 10). Die Ablehnung eines formell ordnungsgemäßen, prozessrechtlich beachtlichen Beweisantrags verletzt nur dann die Verfahrensgarantie des rechtlichen Gehörs im Sinne von § 138 Nr. 3 VwGO, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (stRspr vgl. BVerfG, B.v. 19.12.2016 – 2 BvR 1997/15 – juris Rn. 15; BVerwG, B.v. 17.6.2013 – 10 B 8.13 – juris Rn. 8, jeweils m.w.N.), d.h. ein Beweisantrag in willkürlicher Weise als unerheblich qualifiziert wird. Willkürlich ist ein Richterspruch, wenn er unter keinem denkbaren Ansatz rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht (BayVGH, B.v. 24.1.2018 – 10 ZB 18.30105 – juris Rn. 3; B.v. 20.11.2017 – 11 ZB 17.31318 – juris Rn. 4). Von Willkür kann insbesondere dann nicht gesprochen werden, wenn das Gericht sich mit der Rechtslage eingehend auseinandersetzt und seine Rechtsauffassung nicht jeden sachlichen Grundes entbehrt (BVerfG, B.v. 22.5.2015 – 1 BvR 2291/13 – juris Rn. 5 m.w.N.).
In Anwendung dieser Grundsätze ist das Verwaltungsgericht verfahrensfehlerfrei den vom Kläger in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträgen nicht nachgegangen.
2. 1 Das Verwaltungsgericht hat den im Beweisantrag 1 zum Krankheitsbild des Vaters der Kläger unter Beweis gestellten Sachverhalt mit der Begründung abgelehnt, dass mit dem vorgelegten Arztbrief der Bezirksklinik R* … vom 18. Juli 2018 eine hinreichende Grundlage vorhanden sei, um das Krankheitsbild des Vaters der Kläger zu eruieren und daraus rechtliche Bewertungen abzuleiten. Die Ablehnung erweist sich nicht als verfahrensfehlerhaft. Das Verwaltungsgericht stützt sich hinsichtlich des Krankheitsbildes gerade auf die vorgelegte medizinische Auskunft und nicht – wie von den Klägern bemängelt – auf eigene Sachkunde (vgl. Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 86 Rn. 81).
Hinsichtlich der im Beweisantrag 1 weiter beschriebenen und in dem Arztbrief vom 18. Juli 2018 erwähnten Krankheitssymptome konnte das Gericht in prozessrechtlich zulässiger Weise die beantragte Beweiserhebung als unerheblich ansehen und die im Arztbrief enthaltenen Tatsachen als wahr unterstellen. Lehnt das Gericht einen Beweisantrag ab, weil es die unter Beweis gestellten Tatsachen als wahr unterstellt, muss es diese Tatsachen seiner Sachverhalts- und Beweiswürdigung uneingeschränkt als nachgewiesen zugrunde legen (BVerwG, B.v. 21.5.2019 – 1 B 42.19 – juris Rn. 7; B.v. 10.9.2018 – 6 B 134.18 – juris Rn. 8 m.w.N.). Eine Wahrunterstellung kann daher nur für solche Umstände in Betracht kommen, die letztlich dahingestellt bleiben können, weil von ihrem Vorliegen der Ausgang des Rechtsstreits nicht abhängt (vgl. Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 86 Rn. 75). Das Verwaltungsgericht hat in seinem Urteil dargelegt, dass und warum die unter Beweis gestellten Tatsachen von seinem Rechtsstandpunkt aus nicht entscheidungserheblich waren und dazu ausgeführt „Auf die exakte Einordnung des Krankheitsbildes des Vaters der Kläger [..] kommt es [..] im vorliegenden Verfahren gar nicht entscheidend an“ (vgl. UA S. 15).
In Bezug auf die im Beweisantrag 1 abweichend vom Arztbrief beschriebenen Symptome hat das Verwaltungsgericht den Beweisantrag verfahrensgemäß als unzulässigen Ausforschungsbeweis angesehen, weil nicht substantiiert dargetan wurde, dass beim Vater der Kläger ein abweichender Krankheitsbefund vorliege bzw. andere Funktionsbeeinträchtigungen gegeben seien. Ein als unzulässig ablehnbarer Ausforschungsbeweis liegt in Bezug auf Tatsachenbehauptungen vor, für deren Wahrheitsgehalt nicht wenigstens eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht (vgl. BVerwG, B.v. 17.9.2014 – 8 B 15.14 – ZOV 2014, 268 = juris Rn. 10; B.v. 29.4.2002 -1 B 59.02 – Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 60 = juris Rn. 4; BVerfG, B.v. 26.8.1996 – 2 BvR 1968/94 – juris Rn. 3). Die schlichte Behauptung der unter Beweis gestellten Tatsache genügt insofern nicht (vgl. Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 86 Rn. 55; Funke-Kaiser in GK-AsylG, Stand Mai 2019, § 78 Rn. 378).
Selbst wenn man davon ausgehen würde, dass die Ablehnung des Beweisantrags 1 nicht prozessordnungsgemäß begründet worden sei, könnte die Gehörsrüge keinen Erfolg haben, da der zugrunde liegende Sachverhalt kein tragender Entscheidungsgesichtspunkt war. In den Urteilsgründen hat das Verwaltungsgericht seine prognostischen Ausführungen zum Vater der Kläger und dessen Erkrankung ausdrücklich eingeleitet mit den Worten „Unabhängig von diesen Erwägungen und ohne dass es auf diesen Aspekt im vorliegenden Verfahren noch entscheidend ankäme […]“ (vgl. UA S. 14). Insofern kann der gerügte Verfahrensfehler das Ergebnis offensichtlich nicht beeinflusst haben. Dasselbe gilt für den Beweisantrag 2, der sich auf die für den Vater in Äthiopien bestehenden Behandlungsmöglichkeiten bezieht.
2. 2 Das Verwaltungsgericht hat Teilaspekte des Beweisantrags 2 zur Behandelbarkeit der Erkrankung des Vaters, des Beweisantrags 5 zu den Existenzbedingungen in Äthiopien und des Beweisantrags 6 b) zu den allgemeinen Verhältnissen in Äthiopien betreffend die weibliche Genitalbeschneidung jeweils verfahrensfehlerfrei mit der Begründung abgelehnt, dass es aufgrund der zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnismittel selbst über ausreichende Sachkunde verfüge bzw. damit bereits eine breite fachliche Basis für die Beurteilung der in Rede stehenden Fragen vorhanden sei.
Liegen zu einer erheblichen Tatsache bereits amtliche Auskünfte oder gutachtliche Stellungnahmen vor, richtet sich die im Ermessen des Gerichts stehende Entscheidung über einen Antrag auf Einholung weiterer Auskünfte oder Gutachten nach § 98 VwGO i.V.m. § 412 Abs. 1 ZPO. Danach kann das Gericht eine weitere Begutachtung anordnen, wenn es die vorliegenden Auskünfte oder Gutachten ohne Rechtsverstoß für ungenügend erachtet (§ 412 Abs. 1 ZPO); einer erneuten Begutachtung bedarf es jedenfalls dann nicht, wenn das Gegenteil der erneut behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist (§ 244 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 StPO). Ungenügend sind Auskünfte und Gutachten insbesondere dann, wenn sie erkennbare Mängel aufweisen, etwa unvollständig, widersprüchlich oder sonst nicht überzeugend sind, wenn das Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht oder wenn der Gutachter erkennbar nicht sachkundig ist bzw. Zweifel an seiner Unparteilichkeit bestehen. Das gerichtliche Ermessen kann sich auch dann zu der Pflicht neuerlicher Begutachtung verdichten, wenn durch neuen entscheidungserheblichen Sachvortrag der Beteiligten oder eigene Ermittlungstätigkeit des Gerichts die Aktualität der vorliegenden Auskünfte zweifelhaft oder wenn sonst das bisherige Beweisergebnis ernsthaft erschüttert wird. Schließlich kann die Erforderlichkeit der Einholung weiterer Auskünfte oder Gutachten auch darauf beruhen, dass die Fragestellung der bisherigen Gutachten sich – auf Grund tatsächlicher Entwicklungen oder wegen einer Rechtsprechungsänderung – als unzureichend erweist. Reichen indes die in das Verfahren bereits eingeführten Erkenntnismittel zur Beurteilung der geltend gemachten Gefahren aus, kann das Gericht einen Beweisantrag auf Einholung weiterer Auskünfte unter Berufung auf eigene Sachkunde verfahrensfehlerfrei ablehnen, wenn es seine Sachkunde ggf. im Rahmen der Beweiswürdigung darstellt und belegt (stRspr, vgl. BVerwG, B.v. 27.3.2013 – 10 B 34.12 – NVwZ-RR 2013, 620 = juris Rn. 4 m.w.N.; BayVGH, B.v. 24.4.2019 – 8 ZB 18.31891 – juris Rn. 12).
Die Begründung des Zulassungsantrags zeigt nicht auf, dass den Auskünften und Gutachten, auf die das angefochtene Urteil und die Ablehnung der Beweisanträge gestützt sind, derartige Mängel anhaften.
2. 2.1 Hinsichtlich der mit Beweisantrag 2 beantragten Beweiserhebung zur Behandelbarkeit der Erkrankung des Vaters hat das Verwaltungsgericht insbesondere auf die Einführung aktueller Erkenntnismittel verwiesen wie die Lageberichte des Auswärtigen Amtes vom 17. Oktober 2018 und 22. März 2018, den Mission Report Ethiopia 2014 des IBZ Belgien, den Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 5. September 2013 zur psychiatrischen Versorgung und das Länderinformationsblatt der Republik Österreich vom 16. Januar 2017, zuletzt aktualisiert am 23. August 2018. Das Gericht hat ausgeführt, dass der Beweisantrag nicht im Ansatz verdeutliche, inwieweit die beantragte weitergehende Beweiserhebung überhaupt nochmals neuere bzw. bessere bzw. detailliertere Erkenntnisse bringen sollte. In den Entscheidungsgründen setzt sich das Verwaltungsgericht mit den erwähnten, zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisquellen auseinander und legt seiner rechtlichen Bewertung die sich daraus zu entnehmende Lage zur tatsächlichen medizinischen Versorgung zugrunde (vgl. UA S. 16).
Im Übrigen kann diese, von den Klägern als Verfahrensfehler beanstandete Beweisablehnung das Ergebnis nicht beeinflusst haben, weil der Umstand, welche Behandlungsmöglichkeiten für den Vater der Kläger in Äthiopien bestehen, keinen entscheidungserheblichen Gesichtspunkt darstellte (vgl. 2.1).
2. 2.2 Soweit der Beweisantrag 5 die Existenzbedingungen in Äthiopien zum Gegenstand hat, begründet das Erstgericht seine ausreichende Sachkunde mit der in das Verfahren eingeführten Auskunftsliste, insbesondere mit den relevanten aktuellen Erkenntnismitteln wie z.B. den aktuellen Lageberichten des Auswärtigen Amtes vom 17. Oktober 2018 und 22. März 2018, dem Mission Report Ethiopia 2014 des IBZ Belgien, dem Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 5. September 2013 zur psychiatrischen Versorgung, dem Länderinformationsblatt der Republik Österreich vom 16. Januar 2017, zuletzt aktualisiert am 23. August 2018, sowie der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 13. Juli 2017 an das Verwaltungsgericht Stuttgart.
Die Kläger haben nicht dargelegt, warum die in das Verfahren eingeführten und vom Verwaltungsgericht im Rahmen seiner Entscheidung gewürdigten Erkenntnismittel nicht ausreichend oder sonst unzureichend gewesen sein sollen. Die bloße Behauptung, die Aussage des Auswärtigen Amtes aus dem Jahre 2017 zu einer alleinstehenden Mutter eines Kindes sei sachlich nachweislich falsch, reicht hierfür nicht aus.
2. 2.3 In Bezug auf die in Beweisantrag 6 b) angesprochenen allgemeinen Verhältnisse in Äthiopien betreffend die weibliche Genitalbeschneidung beruft sich das Verwaltungsgericht auf die vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im streitgegenständlichen Bescheid benannten Quellen sowie auf die relevanten Erkenntnismittel, die mit der in das Verfahren eingeführten Auskunftsliste Äthiopien zum Gegenstand des Verfahrens gemacht wurden. Exemplarisch führt das Verwaltungsgericht die aktuellen Lageberichte des Auswärtigen Amtes vom 17. Oktober 2018 und 22. März 2018 auf, einen Bericht von Terre des Femmes aus dem Jahr 2016, einen weiteren Beitrag des Informationszentrums Asyl und Migration, einen Bericht von GZT über ein überregionales Projekt betreffend die Überwindung der weiblichen Genitalverstümmelung sowie einen von den Klägern vorgelegten Beitrag von ACCORD vom 26. Januar 2018. In den Entscheidungsgründen setzt sich das Verwaltungsgericht im Rahmen der Prüfung, ob der Klägerin zu 1 in Äthiopien eine geschlechtsspezifische Verfolgung in Form der Beschneidung droht, mit den zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisquellen ausführlich auseinander (vgl. UA S. 17 f.). Es beleuchtet hierbei insbesondere die Aussagen aus den Lageberichten vom 22. März 2018 und 17. Oktober 2018 und begründet unter Würdigung dieser Aussagen sowie des Beitrags von ACCORD vom 26. Januar 2018 seine Entscheidung, dass der Klägerin zu 1 nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine geschlechtsspezifische Verfolgung in Form der Beschneidung drohe. Warum die in das Verfahren eingeführten und vom Verwaltungsgericht im Rahmen seiner Entscheidung gewürdigten Erkenntnismittel nicht ausreichend oder sonst unzureichend gewesen sein sollen, haben die Kläger auch hier nicht dargelegt. Soweit die Kläger vortragen, dass ihre Eltern der Volksgruppe der Gurage angehörten, welche aktuell eine Beschneidungsquote von 78,3% aufweise, und das Gericht keine Aussagen zur Wirkung eines Einstellungswandels dieser Gruppe machen könne, zeigen sie hiermit nicht auf, inwiefern sich hierdurch die Erkenntnislage zur Beurteilung der geschlechtsspezifischen Verfolgung gegenüber der vom Verwaltungsgericht zugrunde gelegten Auskunftslage ändert. Das Verwaltungsgericht hat im Rahmen seiner Entscheidung gerade festgestellt, dass die Genitalverstümmelung nach wie vor mit großen regionalen Unterschieden weit verbreitet sei. Dabei hat es insbesondere verwiesen auf die landesweit schwankenden Zahlen, die zwischen 56 und über 70% liegen (vgl. UA S. 17). Der Einwand der Kläger, das Verwaltungsgericht relativiere die in der Zusammenstellung von Accord vom 26. Januar 2018 angegebenen Zahlen, reicht ebenfalls nicht aus, weil dadurch nicht aufgezeigt wird, inwiefern die dem Gericht vorliegenden Auskünfte und Gutachten mangelhaft seien. Der Einwand bezieht sich allein auf die Schlussfolgerungen, die das Gericht aus dem Bericht gezogen hat, und betrifft somit die richterliche Sachverhalts- und Beweiswürdigung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO), die grundsätzlich dem materiellen Recht zuzuordnen ist. Im Asylprozess kann die Verletzung materiellen Rechts als solche nicht zu einer Berufungszulassung führen, weil § 78 Abs. 3 AsylG – anders als § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO – den Zulassungsgrund der „ernstlichen Zweifel“ an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung gerade nicht vorsieht. Durch Mängel der gerichtlichen Sachverhalts- und Beweiswürdigung kann allenfalls der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG, § 138 Nr. 3 VwGO, § 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt sein, allerdings nur dann, wenn ein besonders schwerwiegender Verstoß vorliegt, vor allem wenn die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Gerichts auf einem Rechtsirrtum beruht, objektiv willkürlich ist oder allgemeine Erfahrungssätze missachtet (vgl. BVerwG, B.v. 31.1.2018 – 9 B 11.17 – juris Rn. 3; B.v. 12.3.2014 – 5 B 48.13 – NVwZ-RR 2014, 660 = juris Rn. 22; BayVGH, B.v. 7.5.2018 – 21 ZB 18.30867 – juris Rn. 4). Dass ein solcher Mangel vorliegt, zeigt der Zulassungsantrag nicht auf.
2. 3. Das Gericht hat die weiteren Teilaspekte in dem Beweisantrag 2 (Vater der Kläger würde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit dekompensieren), Beweisantrag 5 (Beurteilung der konkreten Situation der Kläger und ihrer Eltern im Falle einer Rückkehr) und Beweisantrag 6 (Beurteilung der Frage, ob die Eltern in der Lage wären, die Klägerin zu 1 dauerhaft vor ihrer Beschneidung zu schützen) schließlich jeweils mit der Begründung ablehnen können, dass es sich diesbezüglich vor allem um rechtliche Beurteilungen handele sowie um die Beurteilung von (beachtlichen) Wahrscheinlichkeiten und/oder Gefahreneinschätzungen im Einzelfall, die nicht auf externe Gutachter verlagert werden können, sondern kraft Gesetzes dem Gericht zur rechtlichen Würdigung und Entscheidung zugewiesen seien. Beweisanträge können sich grundsätzlich nur auf Tatsachen-, nicht auf Rechtsfragen beziehen (Funke-Kaiser in GK-AsylG, Stand Mai 2019, § 78 Rn. 357). Das Gericht braucht Beweisangeboten nicht nachzugehen, wenn mit dem Beweisthema nicht konkrete Tatsachen benannt werden, sondern der Antrag in Wahrheit auf eine allein dem Gericht zustehende rechtliche Würdigung gerichtet ist (BVerwG, U.v. 25.6.1986 – 6 C 98.83 – juris Rn. 12; OVG LSA, U.v. 21.10.2009 – 3 L 282/07 – juris Rn. 39). Die Ablehnung der Beweisanträge durch das Verwaltungsgericht erweist sich daher als mit dem Prozessrecht vereinbar.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 Satz 1 RVG.
4. Angesichts der fehlenden Erfolgsaussichten des Zulassungsantrages war auch der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Anwaltsbeiordnung für das Zulassungsverfahren nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO abzulehnen.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).

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