Verwaltungsrecht

Asyl, Afghanistan: Keine ausreichende Gefahrendichte in Westregion Afghanistans

Aktenzeichen  M 24 K 16.34946

Datum:
5.9.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 154211
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7

 

Leitsatz

1 Auch unter Berücksichtigung des Herkommens, Bildungsstands und Alters muss der Asylbewerber im Wesentlichen gleichbleibende, möglichst detaillierte und konkrete Angaben zu seinem behaupteten Verfolgungsschicksal machen. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2 Zur Feststellung der Gefahrendichte bei einem bewaffneten Konflikt ist eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung erforderlich. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
3 Eine Gefahrendichte von 1:800 liegt immer noch weit entfernt von der Schwelle zur im Sinne des subsidiären Schutzes beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG BeckRS 2012, 45614). (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
4 Das sich für die Westregion Afghanistans ergebende Verhältnis der Zahl ziviler Opfer zur Anzahl der dort lebenden Personen ist mit etwa 0,023% deutlich kleiner als 1:800 (0,125%). (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Soweit die Klage zurückgenommen wurde, wird das Verfahren eingestellt.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Soweit die Klage im Hinblick auf die Asylanerkennung (Art. 16a GG) zurückgenommen wurde, war das Verfahren einzustellen (§ 92 Abs. 3 VwGO). Im verbleibenden Umfang bleibt die Klage ohne Erfolg.
1. Das Gericht konnte trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten über die Sache verhandeln und entscheiden, da die Beklagte ordnungsgemäß geladen und in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden war (§ 102 Abs. 2 VwGO). Die Regierung von Oberbayern ist gemäß § 63 Nr. 4 VwGO als Vertreter des öffentlichen Interesses (VöI) Verfahrensbeteiligter aufgrund der generellen Beteiligungserklärungen vom 11. Mai 2015 und vom 18. Mai 2015 (vgl. zur Zulässigkeit sog. Generalbeteiligungserklärungen BVerwG, U.v. 27.6.1995 – 9 C 7 /95 – BVerwGE 99, 38 – juris Rn. 11). Hierin wurde die Beteiligung auf die Übersendung der jeweiligen End- bzw. Letztentscheidung beschränkt, so dass damit unter anderem auch auf Ladung zur mündlichen Verhandlung verzichtet wurde.
Das Verwaltungsgericht München ist örtlich zuständig nach § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO. Aufgrund des Kammerbeschlusses zur Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter ist der Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung berufen (§ 76 Abs. 1 AsylG).
Gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 AsylG ist für das Urteil die Sach- und Rechtslage in dem Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung maßgebend.
2. Gegenstand der Klage ist nach teilweiser Klagerücknahme die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 AsylG), die Zuerkennung subsidiären Schutzes (§ 4 AsylG) sowie die Feststellung von nationalen Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG.
3. Die zulässige, insbesondere fristgerecht erhobene (§ 74 AsylG) Klage ist nicht begründet.
3.1. Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 60 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz – AufenthG – i.V.m. §§ 3 – 3e und § 31 Abs. 2 Satz 1 AsylG.
Ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 4 und Abs. 1 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG setzt die begründete Furcht des Ausländers voraus, im Falle der Rückkehr in seinen Heimatstaat wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, wegen seiner politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe verfolgt zu werden. Dabei muss die Verfolgungshandlung so gravierend sein, dass sie eine schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte darstellt oder infolge einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen einer solchen gleichkommt (§ 3a AsylG). Eine solche Verfolgung kann nicht nur vom Staat oder ihn beherrschenden Parteien oder Organisationen ausgehen, sondern auch von nichtstaatlichen Akteuren, sofern der Staat oder ihn beherrschende Parteien oder Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten (§§ 3c, 3d AsylG). Weiter darf für den Ausländer keine innerstaatliche Fluchtalternative bestehen (§ 3e AsylG).
Damit geht zwar der Schutzbereich des Flüchtlingsschutzes über den des Art. 16a Abs. 1 GG hinaus, insbesondere hinsichtlich der möglichen Verfolgungsgründe und der möglichen Akteure, von denen Verfolgung drohen kann (§§ 3b und 3c AsylG). Allerdings ist in jedem Fall erforderlich, dass die Verfolgung an eines der in § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG, § 3b AsylG genannten Verfolgungsmotive (Rasse, Religion, Nationalität, wegen seiner politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe) anknüpft. Außerdem ist nach § 3d AsylG bei nichtstaatlichen Akteuren die Furcht vor Verfolgung nicht begründet im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG, sofern der Herkunftsstaat Lage und willens ist, wirksamen Schutz vor der Verfolgung zu bieten.
Dabei ist für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG i.V.m. §§ 3 – 3e AsylG vorliegt, die Richtlinie 2011/95/EU (sog. Qualifikations-Richtlinie – QRL), insbesondere Art. 4 Abs. 4 QRL, ergänzend anzuwenden (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 2 und § 3e Abs. 2 Satz 1 AsylG sowie § 2 Abs. 13 Nr. 2 AufenthG). Nach Art. 4 Abs. 4 QRL ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird.
Der Kläger begründet seine Verfolgungsfurcht damit, dass sein Vater Mitglied der Hezbi-Islami gewesen sei und deswegen bedroht worden sei. Hiervon habe er selbst allerdings erst nach seiner Flucht bei einem Telefonat mit seiner Mutter erfahren.
Es ist zunächst nicht davon auszugehen, dass der Kläger vorverfolgt aus Afghanistan ausgereist ist i.S.v. Art. 4 Abs. 4 QRL, da er bereits nach seinen eigenen Angaben von der Parteizugehörigkeit seines Vaters und der daraus angeblich resultierenden Bedrohung erst nach seiner Flucht in einem Telefonat mit seiner Mutter erfahren haben will.
Auch die Gefahr einer Verfolgung im Falle einer Rückkehr erscheint nicht hinreichend wahrscheinlich. Insoweit fehlt es an einem hinreichend substantiierten Vortrag von die Verfolgungsfurcht tragenden Fluchtgründen. Im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht (§ 15 AsylG) obliegt es dem Asylsuchenden, seine guten Gründe für eine begründete Verfolgungsfurcht unter Angabe genauer Einzelheiten in sich stimmig vorzutragen. Dazu gehört es, die persönlichen Umstände der Verfolgung und die Furcht vor einer Rückkehr hinreichend substantiiert, detailliert und widerspruchsfrei vorzutragen und dabei kohärente und plausible wirklichkeitsnahe Angaben zu machen (vgl. nunmehr auch Art. 4 Richtlinie 2011/95 EU sowie bereits bislang BVerfG (Kammer), B.v. 7.4.1998 – 2 BvR 253/96 – juris Rn. 4; BVerwG, B.v.26.10.1989 – 9 B 405/89 – juris Rn. 8). Auch unter Berücksichtigung des Herkommens, Bildungsstands und Alters muss der Asylbewerber im Wesentlichen gleichbleibende, möglichst detaillierte und konkrete Angaben zu seinem behaupteten Verfolgungsschicksal machen.
Diesen Anforderungen wird der klägerische Sachvortrag nicht gerecht. Zunächst hat der Kläger schon keine ihn persönlich betreffende Verfolgungssituation geltend gemacht, sondern sich ausschließlich darauf berufen, sein Vater werde bedroht. Er selbst sei bisher keiner Bedrohung ausgesetzt gewesen. Warum der Kläger befürchtet, wegen der angeblichen Parteizugehörigkeit des Vaters, selbst in Gefahr zu sein, hat er nicht schlüssig dargelegt. Zu der angeblichen Bedrohung des Vaters konnte der Kläger außerdem selbst auf wiederholte Nachfrage keinerlei Details berichten. Außer der pauschalen Behauptung, der Vater werde wegen der Mitgliedschaft bei der Hezbi-Islami von den Taliban bedroht, konnte der Kläger nichts dazu sagen, was nun genau dem Vater widerfahren sein soll. Auch von der Partei selbst hatte der Kläger kaum Kenntnis. In dem einzigen Punkt, zu dem der Kläger konkrete Angaben machte, nämlich hinsichtlich der Frage, wie lange er sich mit dem Vater zusammen im Iran aufgehalten hat, verwickelte er sich in Unstimmigkeiten (Seite 4 des Sitzungsprotokolls des Gerichts: „etwa 3 Jahre“ bzw. „1 bis 1 V Jahre“; Seite 4 der Anhörungsniederschrift des BAMF: „5 Jahre“). Insgesamt vermochte der gänzlich unsubstantiierte und zudem in Teilen unstimmige Sachvortrag das Gericht nicht von einer begründeten Verfolgungsfurcht des Klägers zu überzeugen.
Anhaltspunkte für eine Gruppenverfolgung sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
3.2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 2 AufenthG und § 31 Abs. 2 Satz 1 AsylG.
Subsidiärer Schutz setzt voraus, dass stichhaltige Gründe dafür vorliegen, dass dem Ausländer ernsthafter Schaden droht in Form der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG), der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG) oder einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG). Dabei kommen auch im Hinblick auf den subsidiären Schutz nichtstaatliche Akteure in Betracht (vgl. § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3c AsylG). Auch insoweit ist allerdings relevant, inwieweit Schutz durch den Heimatstaat geboten werden kann (§ 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. §§ 3d und 3e AsylG). Auch für die Frage, ob stichhaltige Gründe für die Annahme einer Gefahr der in § 4 Abs. 1 AsylG genannten ernsthaften Schäden vorliegen, ist die Richtlinie 2011/95/EU, insbesondere Art. 4 Abs. 4 QRL, ergänzend anzuwenden (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 2, § 4 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 4 Abs. 3 Satz 1 und § 3e Abs. 2 Satz 1 AsylG sowie § 2 Abs. 13 Nr. 2 AufenthG).
3.2.1. Vorliegend besteht kein Anspruch auf subsidiären Schutz nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG. Stichhaltige Gründe für eine Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe wurden seitens der Klagepartei nicht vorgetragen.
3.2.2. Auch subsidiärer Schutz nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG kommt im Fall der Klagepartei nicht in Betracht. Denn es ist nicht beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger persönlich bei einer Rückkehr in ihr Heimatland der Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung unterworfen wäre. Es ist auch nicht davon auszugehen, dass der Kläger im Sinne von Art. 4 Abs. 4 QRL einen ernsthaften Schaden im Sinne von § 60 Abs. 2 AufenthG erlitten hat oder davon unmittelbar bedroht war.
Dem Kläger ist es nicht gelungen, das Gericht von der Stichhaltigkeit seiner Fluchtgründe zu überzeugen. Auf die oben gemachten Ausführungen zu den Mängeln des Sachvortrags wird Bezug genommen.
3.2.3. Auch im Hinblick auf die allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan besteht kein Anspruch aus § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG, weil keine ernsthafte individuelle Bedrohung im Sinne dieser Vorschrift infolge des in Afghanistan herrschenden innerstaatlichen Konflikts besteht.
3.2.3.1. Nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer ernsthaften individuellen Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist. Nach dem zur Vorgängervorschrift (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG a.F.) ergangenen Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. Juni 2008 (10 C 43.07 – BVerwGE 131, 198 = NVwZ 2008, 1241) setzt dieses Abschiebungsverbot einen internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikt voraus, aufgrund dessen der Ausländer einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt ist. Hierbei ist zu prüfen, ob sich die von einem bewaffneten Konflikt für eine Vielzahl von Zivilpersonen ausgehende Gefahr in der Person des Ausländers so verdichtet hat, dass sie eine erhebliche individuelle Gefahr im Sinne dieses Abschiebungsverbots darstellt. Hinsichtlich der Gefahrendichte ist auf die jeweilige Herkunftsregion abzustellen, in die ein Kläger typischerweise zurückkehren wird (BVerwG, U.v. 14.7.2009 – 10 C 9.08 -BVerwGE 134, 188 = NVwZ 2010, 196 Rn. 17). Zur Feststellung der Gefahrendichte ist eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung erforderlich (BVerwG, U. v. 27.4.2010 -10 C 4/09 – Rn. 33, BVerwGE 136, 360; juris). Insoweit hat das Bundesverwaltungsgericht eine Gefahrendichte von 1 : 800 als immer noch weit entfernt von der Schwelle zur im Sinne des subsidiären Schutzes beachtlichen Wahrscheinlichkeit eingestuft (BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/10 – NVwZ 2012, 454, juris Rn. 22-23). Es ist dann ohne Hinzutreten individueller Umstände, im Normalfall nicht davon auszugehen, dass ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt eine solche Gefahrendichte hat, dass alle Bewohner des betroffenen Gebiets ernsthaft persönlich betroffen sein werden (vgl. BayVGH, U.v. 8.11.2012 – 13a B 11.30391 – juris Rn. 14). Eine Individualisierung kann sich allerdings bei einem hohen Niveau willkürlicher Gewalt für die Zivilbevölkerung aus gefahrerhöhenden Umständen in der Person des Betroffenen ergeben. Dazu gehören einerseits persönliche Umstände, die den Ausländer von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen – zum Beispiel als Arzt oder Journalist – gezwungen ist, sich in der Nähe von Gefahrenquellen aufzuhalten (vgl. BayVGH, U.v. 8.11.2012 – 13a B 11.30391 – juris Rn. 14). Möglich sind aber andererseits auch solche persönlichen Umstände, aufgrund derer der Ausländer als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte – etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit – ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht bereits die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt (vgl. BayVGH, U.v. 8.11.2012 – 13a B 11.30391 – juris Rn. 14).
3.2.3.2. Der Kläger stammt nach eigenen Angaben aus Farah in der Westregion Afghanistans (vgl. zur Einteilung: UN, UNAMA, Afghanistan Annual Report on the Protection of Civilians in Armed Conflict, 2009, January 2010, Appendix II, S. 27). Für die Westregion Afghanistans ergibt sich aus den vorliegenden Erkenntnismitteln eine Gesamtbevölkerung von 3.583.861 (Herat: 1.890.202; Badghis: 495.958; Farah: 507.405; Ghor: 690.296) Personen (vgl. European Asylum Support Office [EASO], EASO Country of Origin Information Report, Afghanistan, Security Situation, November 2016 [EASO-2016], S. 160, 164, 167, 171). Dabei wurden im Jahr 2016 in der Westregion Afghanistans 836 zivile Opfer gezählt (vgl. United Nations Assistance Mission in Afghanistan [UNAMA], Annual Report 2016, Protection of Civilians in Armed Conflict, Februar 2017 [UNAMA-2016], S. 14). Das sich aus diesen Zählungen für die Westregion ergebende Verhältnis der Zahl ziviler Opfer zur Anzahl der dort lebenden Personen ist mit etwa 0,023%deutlich kleiner als 1:800 (0,125%).
Individuelle gefahrerhöhende Umstände, die eine abweichende Beurteilung gebieten würden, sind im vorliegenden Fall weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich.
3.3. Der Kläger hat gegenüber der Beklagten keinen Anspruch auf Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG und nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Afghanistans vorliegen (§ 113 Abs. 5 VwGO).
Bei den national begründeten Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK und § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG handelt es sich um einen einheitlichen und nicht weiter teilbaren Verfahrensgegenstand (BVerwG, U.v. 8.9.2011 -10 C 14.10 – BverwGE 140, 319 Rn. 16f.).
3.3.1. Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, wenn es ernsthafte und stichhaltige Gründe dafür gibt, dass der Betroffene tatsächlich Gefahr läuft, im Aufnahmeland einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden.
3.3.1.1. Überzeugende individuelle konkrete Gründe für die tatsächliche Gefahr einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Im Hinblick auf die Mängel des Sachvortrags im Hinblick auf eine angebliche Bedrohung durch die Taliban wegen der Parteizugehörigkeit des Vaters des Klägers wird auf die oben gemachten Ausführungen verwiesen.
3.3.1.2. Im Hinblick auf eine allgemein schlechte Sicherheitslage im Zielstaat der Abschiebung ist Art. 3 EMRK erst dann verletzt, wenn die allgemein durch Gewalt bestimmte Lage im Bestimmungsland so intensiv ist, dass sie die wirkliche Gefahr begründet, jede Abschiebung in dieses Land werde zwangsläufig Art. 3 EMRK verletzen. Das ist nur in extremen Ausnahmefällen anzunehmen und in Afghanistan nach der aktuellen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) derzeit nicht der Fall (EGMR, U.v. 12.1.2016 – 13442/08 -A.G.R./Niederlande, NVwZ 2017, 293, Leitsatz; BVerwG, U.v. 31.01.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 26).
3.3.1.3. Allgemein schlechte humanitären Bedingungen können nach der Rechtsprechung des EGMR in außergewöhnlichen Ausnahmefällen ein Abschiebeverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK begründen, und zwar dann, wenn die humanitären Gründe „zwingend“ sind und überwiegend auf direkte und indirekte Aktionen der Konfliktparteien zurückgehen (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 23 ff. mit Verweis u.a. auf EGMR, U.v. 21.1.2011 – Nr. 30696/09 M.S.S./Belgien – NVwZ 2011, 413; v. 28.6.2011 – Nr. 8319/07 – Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich, NVwZ 2012, 681). Die Annahme einer unmenschlichen Behandlung allein durch die humanitäre Lage und die allgemeinen Lebensbedingungen setzt allerdings ein sehr hohes Gefährdungsniveau voraus (BayVGH, U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30285 – juris Rn. 19; B.v. 30.9.2015 – 13a ZB 15.30063 – juris Rn. 5).
In Bezug auf den Kläger als arbeitsfähigen, gesunden jungen Mann ist unter Würdigung der vorliegenden Erkenntnismittel bei den in Afghanistan derzeit herrschenden Rahmenbedingungen nichts für ein solches hohes Gefährdungsniveau ersichtlich (BayVGH, B.v. 11.4.2017 – 13a ZB 17.30294 – juris Rn. 5; B.v. 6.3.2017 – 13a ZB 17.30099 – juris Rn. 11; B.v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309 – juris Rn.12; vgl. zur Reichweite der Schutznorm des § 60 Abs. 5 AufenthG: BayVGH, B.v. 30.9.2015 -13a ZB 15.30063 und die darin zit. obergerichtliche Rspr.).
3.3.2. Auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt nicht vor.
3.3.2.1. Anhaltspunkte für eine individuelle konkrete Gefahr, etwa die Gefahr einer wesentlichen Verschlimmerung einer Erkrankung (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG) alsbald nach Rückkehr des Ausländers in sein Heimatland aufgrund zielstaatsbezogener Umstände (BVerwG U.v. 17.10.2006 – 1 C 18/05 – BVerwGE 127, 33, juris Rn. 15; BVerwG B.v. 17.8.2011 – 10 B 13/11 – juris Rn. 3), sind im vorliegenden Fall nicht ersichtlich. Soweit der Kläger sich auf Magenprobleme beruft, geht aus den vorgelegten Unterlagen nicht hervor, dass es sich um eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung handelt, die sich durch eine Abschiebung wesentlich verschlechtern würde. Vielmehr konnte der Kläger bereits nach wenigen Tagen in stabilem Allgemeinzustand aus stationärer Behandlung entlassen werden. Im Hinblick auf die vorgetragenen Rückenschmerzen fehlt es bereits an der Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung.
3.3.2.2. Auch aus den allgemein schlechten Lebensbedingungen in Afghanistan kann der Kläger nichts zu seinen Gunsten herleiten.
Nur ausnahmsweise kann ein Ausländer im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die ihn im Abschiebezielstaat erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beanspruchen, nämlich wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre, so dass es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gebieten, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassung wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Dies setzt voraus, dass der Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Ausreise in sein Heimatland in eine lebensgefährliche Situation gerät, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe anderer befreien kann, der Ausländer somit gleichsam sehenden Auges alsbald dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde (st. Rspr. vgl. BVerwG, U.v. 29.6.2010 – 10 C 10.09 – juris Rn. 15; BVerwG U. v. 8.9.2012 – 10 C 14.10 – juris Rn. 22 f.; BVerwG, U.v. 31.1. 2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 38)
Das Gericht schließt sich unter Zugrundelegung der aktuellen Auskunftslage der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs an. Danach ist geklärt, dass für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende afghanische Staatsangehörige angesichts der aktuellen Auskunftslage im Allgemeinen derzeit nicht von einer extremen Gefahrenlage auszugehen ist, die zu einem Abschiebungsverbot in entsprechender Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde. Es kann davon ausgegangen werden, dass ein alleinstehender, arbeitsfähiger Mann regelmäßig auch ohne nennenswertes Vermögen im Fall einer zwangsweisen Rückführung in sein Heimatland Afghanistan in der Lage wäre, durch Gelegenheitsarbeiten in seiner Heimatregion oder in Kabul ein kleines Einkommen zu erzielen und damit wenigstens ein Leben am Rande des Existenzminimums zu bestreiten (BayVGH, B.v. 11.4.2017 – 13a ZB 17.30294 – juris Rn. 5; B.v. 6.3.2017 – 13a ZB 17.30099 – juris Rn. 11; BayVGH, B.v. 25.1.2017 – 13a ZB 16.30374 – juris Rn. 12; B.v. 23.1.2017 -13a ZB 17.30044 – juris Rn. 5; B.v. 17.1.2017 – 13a ZB 16.30929 – juris Rn. 2; B.v. 22.12.2016 – 13a ZB 16.30684 – juris Rn. 7; B.v. 31.7.2015 – 13a ZB 15.30116 – juris Rn. 9; U.v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309 – juris). Zwar gestaltet sich die allgemeine Versorgungslage in Afghanistan nach Auskunft des Auswärtigen Amtes nach wie vor schwierig. Gleichwohl ergibt sich in der Gesamtschau der verfügbaren Erkenntnisse nicht, dass jede Person im Falle der Rückführung im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit hoher Wahrscheinlichkeit den Tod oder schwerste Gesundheitsschäden erleidet (vgl. AA, Lagebericht v. 19.10.2016, S. 23 ff.; Lagebericht v. 6.11.2015, S. 23 ff.). Eine solche Wahrscheinlichkeit kommt auch in den Berichten von EU- oder Nichtregierungsorganisationen derzeit nicht zum Ausdruck, von Abschiebungen wird wegen der Sicherheitslage nicht generell abgeraten (vgl. EASO, Country of Origin Information Report, January 2016, S. 24 ff.; UNHCR, UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs Afghanischer Asylsuchender, v. 19.4.2016, S. 16 ff.; AI, Bericht, Mai 2016, S. 46). Vielmehr hat die Einschätzung des UNHCR weiterhin Gültigkeit, dass alleinstehende, leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im berufsfähigen Alter auch ohne familiäre oder sonstige Unterstützung in der Lage sind, im urbanen Umfeld eine bescheidene Existenz zu führen (UNHCR, UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs Afghanischer Asylsuchender, v. 19.4.2016, S.10). Auch unter Berücksichtigung neuerer Auskünfte besteht kein Anlass von dieser Auffassung abzurücken (vgl. BayVGH, B.v. 11.4.2017 – 13a ZB 17.30294 – juris Rn. 6f.; B.v. 6.3.2017 – 13a ZB 17.30099 – juris Rn. 11f.). Etwas anderes gilt hingegen im Allgemeinen für Familien mit kleinen Kindern (BayVGH, U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30284 – juris Rn. 15 ff.; B.v. 4.8.2015 – 13a ZB 15.30032 – juris Rn. 8; B.v. 11.1.2017 – 13a ZB 16.30878 – juris Rn.3).
Dies gilt auch für Personen, die sich nicht oder nur für einen kurzen Zeitraum in Afghanistan aufgehalten haben. Maßgeblich ist, ob eine Person eine der Landessprachen beherrscht (BayVGH, U.v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309 – juris Rn. 17; U.v. 24.10.2013 – 13a B 13.30031 – juris Rn. 22) beziehungsweise den größten Teil des Lebens in einer islamisch geprägten Umgebung verbracht hat (vgl. BayVGH, B.v. 30.9.2015 – 13A ZB 15.30063 – juris Rn. 6). Ein spezielles Vertrautsein mit den afghanischen Verhältnissen ist nicht erforderlich (BayVGH, B.v. 4.1.2017 – 13a ZB 16.30600 – juris Rn. 7; B.v. 19.2.2014 – 13A ZB 14.30022 – juris Rn. 5).
Im vorliegenden Fall hat der Kläger die im Hinblick auf eine mögliche Existenzsicherung erforderliche Leistungsfähigkeit eines arbeitsfähigen, jungen Mannes. Aus dem vorgelegten ärztlichen Bericht geht nicht hervor, dass der Kläger wegen seines Magenleidens nicht arbeitsfähig oder in seiner Arbeitsfähigkeit eingeschränkt wäre. Im Hinblick auf die vorgetragenen Rückenschmerzen fehlt es bereits an der Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung. Das Gericht geht davon aus, dass der Kläger im Falle einer zwangsweisen Rückführung in sein Heimatland in der Lage wäre, durch Gelegenheitsjobs in der Herkunftsregion bzw. Kabul City, wohin eine Abschiebung erfolgen würde (vgl. zum Abschiebeweg Auswärtiges Amt, Lagebericht, S. 26), wenigstens ein geringes Einkommen zu erzielen und eine bescheidenes Leben oberhalb des Existenzminimums zu führen. Insoweit hat er bei seiner Anhörung beim BAMF vorgetragen, bereits im Iran im handwerklichen Bereich gearbeitet und „so ziemlich alles gemacht“ zu haben.
Somit kann von einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht ausgegangen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich des zurückgenommenen Teils der Klage auf § 155 Abs. 2 VwGO, im Übrigen auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 83 b AsylG gerichtskostenfrei. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

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