Verwaltungsrecht

Asyl – Anforderungen an die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der klärungbedürftigen Frage

Aktenzeichen  20 ZB 17.30931

Datum:
6.3.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 7836
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 60 Abs. 5
VwGO § 154 Abs. 2
AsylG § 78 Abs. 3, Abs. 4 S. 4

 

Leitsatz

1 In ganz außergewöhnlichen Fällen können auch schlechte humanitäre Verhältnisse Art. 3 EMRK verletzen, wenn die humanitären Gründe gegen die Ausweisung „zwingend“ sind (EGMR BeckRS 2012, 8036). (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2 Darlegungen, die sich auf die Schilderung der schlechten humanitären Bedingungen im Irak für die Bevölkerung im Allgemeinen beschränken, sind nicht geeignet, substantiiert die Einschätzung des Bundesamtes und des Verwaltungsgerichts, dass Familien wie die der Kläger im Falle der Rückkehr in den Irak im Allgemeinen nicht auf so schwierige humanitäre Bedingungen treffen, um eine Verletzung von Art. 3 EMRK in Betracht ziehen zu können, mit einer ausreichenden Wahrscheinlichkeit zu hinterfragen. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
3 Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung stehen im Asylprozess gemäß § 78 Abs. 3 AsylG nicht als Zulassungsgrund zur Verfügung. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 4 K 16.35469 2017-05-16 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird verworfen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das klageabweisende Urteil des Verwaltungsgerichts ist unzulässig, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht in einer den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügenden Weise dargelegt sind.
1. Die Kläger werfen als grundsätzlich klärungsbedürftig die Frage auf,
„ob aufgrund der schlechten humanitären Bedingungen im Irak die Rahmenbedingungen für Familien mit minderjährigen Kindern eine Gefahrenlage begründen, die zu einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK führen können [gemeint wohl: kann]“.
Die Beantwortung dieser Frage rechtfertigt die Durchführung eines Zulassungsverfahrens nicht, denn die Kläger haben die grundsätzliche Bedeutung der Frage nicht dargelegt. Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) erfordert, dass der Rechtsmittelführer eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufzeigt, weshalb diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich und klärungsbedürftig ist. Ferner muss dargelegt werden, weshalb der Frage eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt. Hierfür ist eine Auseinandersetzung mit den Ausführungen des Verwaltungsgerichts erforderlich (vgl. Berlit in GK-AsylG, RdNrn. 592, 607 und 609 zu § 78). Zwar ist das Verwaltungsgericht ohne nähere Begründung davon ausgegangen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG nicht vorliegen. In seinem Urteil vom 28. Juni 2011 im Verfahren Sufi und Elmi gegen das Vereinigte Königreich (Nr. 8319/07 – NVwZ 2012, 681) stellt der EGMR jedoch klar, dass in Abschiebungsfällen nur zu prüfen ist, ob unter Berücksichtigung aller Umstände ernstliche Gründe für die Annahme nachgewiesen worden sind, dass der Betroffene im Fall seiner Abschiebung tatsächlich Gefahr liefe, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Wenn eine solche Gefahr nachgewiesen ist, verletzt die Abschiebung des Ausländers notwendig Art. 3 EMRK, einerlei, ob sich die Gefahr aus einer allgemeinen Situation der Gewalt ergibt, einem besonderen Merkmal des Ausländers oder einer Verbindung von beiden (Rn. 218). Zugleich weist der EGMR darauf hin, dass die sozio-ökonomischen und humanitären Verhältnisse im Bestimmungsland hingegen nicht notwendig für die Frage bedeutend und erst recht nicht dafür entscheidend sind, ob der Betroffene in diesem Gebiet wirklich der Gefahr einer Misshandlung unter Verstoß gegen Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre. Denn die Konvention zielt hauptsächlich darauf ab, bürgerliche und politische Rechte zu schützen. Die grundlegende Bedeutung von Art. 3 EMRK macht nach Auffassung des EGMR aber eine gewisse Flexibilität erforderlich, um in sehr ungewöhnlichen Fällen eine Abschiebung zu verhindern. In ganz außergewöhnlichen Fällen können daher auch (schlechte) humanitäre Verhältnisse Art. 3 EMRK verletzen, wenn die humanitären Gründe gegen die Ausweisung „zwingend“ sind (Rn. 278).
Die Ausführungen der Kläger hierzu sind jedoch nicht geeignet, substantiiert die Einschätzung des Bundesamtes und des Verwaltungsgerichts, dass Familien wie die der Kläger im Falle der Rückkehr in den Irak im Allgemeinen nicht auf so schwierige humanitäre Bedingungen treffen, um eine Verletzung von Art. 3 EMRK in Betracht ziehen zu können (vgl. S. 9/10 des Bescheides, Bl. 137/138 d.A.), mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu hinterfragen. Soweit eine Anwendung der vorgenannten Rechtsprechung auch auf ganze Bevölkerungsgruppen bejaht wird (BayVGH, U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30284 – juris), ist aus der Darlegung der Kläger nicht ersichtlich, warum dies im Falle von Familien mit minderjährigen Kindern im Irak zutreffen sollte. Denn ihre Darlegungen beschränken sich insoweit auf die Schilderung der schlechten humanitären Bedingungen im Irak für die Bevölkerung im Allgemeinen. Die aufgeworfene Frage ist im Übrigen auch nicht entscheidungserheblich und damit nicht klärungsfähig, weil die Kläger mit der Konversion des Klägers zu 1) vom schiitischen zum sunnitischen Glauben und dem daraus resultierenden Fehlen eines unterstützungsbereiten sozialen oder familiären Netzwerks sowie auf die Erkrankung des Klägers zu 5) an einem Ventrikelseptumdefekt individuelle Umstände geltend machen, welche sie aus dem genannten Personenkreis herausheben. Ob solche individuellen Umstände zur Feststellung nationaler Abschiebungsverbote führen, ist aber einer grundsätzlichen Klärung durch den Verwaltungsgerichtshof in einem Berufungsverfahren entzogen. Ein besonderer Behandlungsbedarf geht aus dem vorgelegten ärztlichen Attest (Bl. 52 d. VG-Akte) im Übrigen nicht hervor.
2. Mit dem Vortrag, dass das Erstgericht sich nicht damit befasst habe, dass die Kläger zu 1) und 2) unterschiedlichen Glaubens seien (sunnitische bzw. schiitische Konfession) und es daher im Falle ihrer Rückkehr in eine andere als ihre Heimatregion zu Konflikten kommen könne, ist kein Zulassungsgrund benannt oder dargelegt worden. Der Sache nach üben die Kläger Kritik an der Einschätzung des Verwaltungsgerichts, dass ihnen im Herkunftsland eine zumutbare Fluchtalternative im Sinne des § 3e AsylG (interner Schutz) zur Verfügung steht, die gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG auch beim subsidiären Schutz und darüber hinaus auch bei der Frage des Vorliegens nationaler Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG zu prüfen ist. Mit diesem Vorbringen werden aber allenfalls ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung aufgeworfen, die im Asylprozess gemäß § 78 Abs. 3 AsylG nicht als Zulassungsgrund zur Verfügung stehen.
3. Soweit die Kläger schließlich unter Vorlage eines Haftbefehls im Berufungszulassungsverfahren geltend machen, dass dem Kläger zu 1) aufgrund dessen im Falle der Rückkehr in den Irak eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung drohe, ist schon nicht dargelegt, welcher Zulassungsgrund im Sinne des § 78 Abs. 3 AsylG darin zu sehen sein soll. Im Übrigen wäre eine Veränderung der Sach- oder Rechtslage nach der mündlichen Verhandlung und Entscheidung des Erstgerichts im Folgeverfahren (§ 71 AsylG) geltend zu machen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
Mit dieser Entscheidung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen