Aktenzeichen 9 ZB 18.32680
Leitsatz
1 Ein Urteil ist dann nicht mit Gründen versehen, wenn die Entscheidungsgründe ihre Funktion, die Beteiligten über die dem Urteil zugrunde liegenden tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen zu unterrichten und dem Rechtsmittelgericht die Nachprüfung der Entscheidung auf ihre inhaltliche Richtigkeit in prozessrechtlicher und materiell-rechtlicher Hinsicht zu ermöglichen, nicht mehr erfüllen (vgl. BVerwG BeckRS 2016, 47675). (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Pflicht des Gerichts zur Aufklärung des Sachverhalts findet ihre Grenze dort, wo das Klagevorbringen des Asylsuchenden keinen tatsächlichen Anlass zu weiterer Sachaufklärung bietet. Dies ist dann der Fall, wenn der Asylsuchende unter Verletzung der ihn treffenden Mitwirkungspflicht seine guten Gründe für eine ihm drohende Verfolgung nicht unter Angabe genauer Einzelheiten und in sich stimmig schildert (vgl. BVerfG BeckRS 1998, 30011581). (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
Au 4 K 17.35127 2018-08-22 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg
Tenor
I. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1. Soweit der Kläger vorbringt, das angefochtene Urteil verstoße gegen grundlegend zu beachtende Verfahrensgrundsätze zur Beweiserhebung und Würdigung, worauf das Urteil auch beruhe, beruft er sich der Sache nach auf den Zulassungsgrund des § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG. Danach ist die Berufung zuzulassen, wenn ein in § 138 VwGO bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt.
Mit dem Vorbringen des Klägers, das Verwaltungsgericht verknappe die Beweiswürdigung, es führe nichts dazu aus, ob der Kläger bei seiner Rückführung Gefahren ausgesetzt werde, es begründe seine Entscheidung nicht, das angegriffene Urteil sei deshalb inhaltlich falsch und verstoße gegen wesentliche Grundsätze der Amtsermittlung und Beweiswürdigung, wird kein in § 138 VwGO bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht, der auch vorliegt.
a) Die Annahme des Klägers, bei den Ausführungen des Verwaltungsgerichts in Rn. 19 des angefochtenen Urteils handle es sich um eine Nichtbegründung, greift zu kurz und trifft daher nicht zu (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 6 VwGO).
Ein Urteil ist dann nicht mit Gründen versehen, wenn die Entscheidungsgründe ihre Funktion, die Beteiligten über die dem Urteil zugrunde liegenden tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen zu unterrichten und dem Rechtsmittelgericht die Nachprüfung der Entscheidung auf ihre inhaltliche Richtigkeit in prozessrechtlicher und materiell-rechtlicher Hinsicht zu ermöglichen, nicht mehr erfüllen (vgl. BVerwG, B.v. 1.6.2016 – 3 B 67.15 – BayVBl 2016, 826 = juris Rn. 17 m.w.N.). Der danach gebotenen Unterrichtungs- und Nachprüfungsfunktion genügen die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils.
Das Verwaltungsgericht führt in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zunächst aus, der Kläger habe die Gefahr einer Verfolgung nicht glaubhaft gemacht (Rn. 17 d. UA). Voraussetzung für ein glaubhaftes Vorbringen sei ein detaillierter und in sich schlüssiger Vortrag ohne wesentliche Widersprüche und Steigerungen (Rn. 18 d. UA). Hieran anschließend führt das Verwaltungsgericht in Rn. 19 aus, der Kläger habe seine Verfolgungsgründe zunächst darauf gestützt, dass er seine Freundin ermordet habe, dann aber in der mündlichen Verhandlung erklärt, seine Freundin habe nur zwei Wochen im Koma gelegen, er habe nun Angst vor dem Bruder seiner damaligen Freundin. Den klägerischen Vortrag würdigt das Verwaltungsgericht dahin, weder die ursprünglichen Angaben noch die Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung zu der befürchteten Bedrohung durch den Bruder seiner ehemaligen Freundin reichten im Ansatz für die Annahme, dass der Kläger asyl- und flüchtlingsrelevant in Sierra Leone verfolgt worden sei. Auf die Gründe des Bundesamtsbescheids vom 13. Oktober 2017 hat das Verwaltungsgericht im Übrigen nach § 77 Abs. 2 AsylG in vollem Umfang Bezug genommen (Rn. 20 d. UA).
Aus der Würdigung des klägerischen Vortrags durch das Verwaltungsgericht, wonach der Kläger die Gefahr einer Verfolgung nicht glaubhaft gemacht habe, folgt erkennbar, dass die nachfolgenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts die Glaubhaftigkeit der vom Kläger geltend gemachten Verfolgungsgründe betreffen. Dem entsprechend ergibt sich aus den Ausführungen des Verwaltungsgerichts auch nachvollziehbar, dass es weder den „ursprünglichen Angaben“ zur angeblichen Ermordung seiner ehemaligen Freundin noch den „Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung“ zu der – befürchteten – Bedrohung durch den Bruder seiner ehemaligen Freundin glaubt und deshalb eine asyl- und flüchtlingsrelevante Verfolgung verneint.
Über die tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen des Verwaltungsgerichts wurden die Beteiligten im Übrigen durch die Bezugnahme des Verwaltungsgerichts auf den Bescheid des Bundesamts vom 13. Oktober 2017 unterrichtet. Danach sei aufgrund der eingeholten Auskunft des Auswärtigen Amts (vgl. Stellungnahme vom 25.9.2017) davon auszugehen, dass sich der Kläger fälschlicherweise eines Tötungsdelikts bezichtigt habe, um einen Schutzstatus zu erhalten; dies sehe auch die deutsche Staatsanwaltschaft so (vgl. auch Rn. 4 d. UA).
Dass das Verwaltungsgericht die vom Kläger in der mündlichen Verhandlung geschilderte Geschichte nicht glaubt, wonach dieser nunmehr erfahren habe, dass seine ehemalige Freundin doch nicht gestorben, aber der Bruder seiner Freundin „sehr gefährlich“ sei, ist nachvollziehbar und bedarf angesichts der Umstände des Falls keiner umfänglicheren Begründung als sie das Verwaltungsgericht gegeben hat.
b) Ein Verstoß gegen das rechtliche Gehör ergibt sich aus dem Zulassungsvorbringen des Klägers nicht (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG).
aa) Das Verwaltungsgericht hatte keine Veranlassung, sich mit den behaupteten Gefahren auseinanderzusetzten, denen der Kläger nach seinem Vortrag bei seiner Rückführung ausgesetzt sei, weil es dem Klagevorbringen nicht geglaubt hat. Die Pflicht des Gerichts zur Aufklärung des Sachverhalts findet ihre Grenze dort, wo das Klagevorbringen des Asylsuchenden keinen tatsächlichen Anlass zu weiterer Sachaufklärung bietet. Dies ist dann der Fall, wenn der Asylsuchende unter Verletzung der ihn treffenden Mitwirkungspflicht seine guten Gründe für eine ihm drohende Verfolgung nicht unter Angabe genauer Einzelheiten und in sich stimmig schildert (vgl. BVerfG, E.v. 7.4.1998 – 2 BvR 253/96 – juris Rn. 4 m.w.N.). So liegt es hier (vgl. etwa die Angaben des Klägers zur Frage der Einzelrichterin, warum ihm diese Geschichte geglaubt werden soll, Niederschrift im erstinstanzlichen Verfahren vom 22.8.2018).
bb) Die Kritik des Klägers an der richterlichen Beweiswürdigung zeigt keinen Verstoß gegen das rechtliche Gehör auf.
Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Gerichte das Vorbringen der Beteiligten, wie es Art. 103 Abs. 1 GG vorschreibt, zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist daher nur dann anzunehmen, wenn besondere Umstände deutlich ergeben, dass das Gericht bestimmtes Vorbringen nicht berücksichtigt hat (vgl. BVerwG, B.v. 4.6.2018 – 1 B 31.18 – juris Rn. 7 m.w.N.).
Solche Anhaltspunkte bestehen hier nicht. Das Verwaltungsgericht hat den Vortrag zur Kenntnis genommen, wonach der Kläger nunmehr befürchte, vom Bruder seiner ehemaligen Freundin bedroht zu werden, es hat den zugrundeliegenden Vortrag des Klägers allerdings nicht geglaubt. Aus dem Vorbringen des Klägers, er habe seinen Vortrag aufgrund später erlangter Informationen „relativieren“ können und er habe ohne Steigerung und ohne Widerspruch erläutert, dass er nunmehr von der Familie seiner ehemaligen Freundin befürchten müsse, verletzt oder getötet zu werden, ergibt sich kein Gehörsverstoß. Denn der Gehörsanspruch verpflichtet das Gericht weder dazu, die Beweiswürdigung des Klägers zugrunde zu legen, noch kann aus einer von der Ansicht eines Beteiligten abweichenden Beweiswürdigung des Gerichts auf einen Gehörsverstoß geschlossen werden (vgl. BVerwG, B.v. 25.10.2017 – 1 VR 10.17 – juris Rn. 8, B.v. 15.5.2014 – 9 B 14.14 – juris Rn. 8 m.w.N.).
cc) Auch das Vorbringen, das Verwaltungsgericht habe gegen wesentliche Grundsätze der Amtsermittlung verstoßen, lässt keinen Gehörsverstoß erkennen.
Eine allgemeine Frage- und Aufklärungspflicht statuiert Art. 103 Abs. 1 GG nicht (vgl. BVerfG, E.v. 5.3.2018 – 1 BvR 1011/17 – juris Rn. 16 m.w.N.). Aufklärungspflichten, die über die verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen hinausgehen, sich zu dem der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalt zu äußern, sind, auch wenn sie im einfachen Prozessrecht verankert sind, nicht von der Schutzwirkung des Rechts auf Gehör umfasst (BayVerfGH, E.v. 29.1.2014 – Vf. 18-VI-12 – BayVBl 2014, 448 juris Rn. 35 m.w.N.). Der Kläger legt im Übrigen nicht dar, welche weiteren Tatsachen und sonstigen Umstände das Verwaltungsgericht seiner Auffassung nach hätte ermitteln müssen.
2. Die Berufung ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG).
Die Frage,
„ob im Fall der offensichtlichen und so auch im Urteil bestätigten Beweisnot des asylsuchenden Klägers die Anforderungen an die Aufklärung des Gerichts im Rahmen der vom Kläger geschuldeten Glaubhaftmachung, welcher in dargelegter hoher Not sein Land verlässt und hierbei nachvollziehbar im Hinblick auf ein zu führendes Asylverfahren in Beweisnotstand gelangt, dazu führt, dass von einem Gericht eine Widersprüchlichkeit oder Steigerung im Sinne einer Unglaublichkeit vorliegt und nicht gleichwohl im Falle einer solchen Beweisnot(stand), eine, dem entgegenstehende und individuelle Auseinandersetzung und Prüfung des Tatsachenvortrags des Klägers zu erfolgen hat“,
ist weder klärungsfähig noch klärungsbedürftig.
a) Die Frage ist nicht klärungsfähig, weil das Verwaltungsgericht nicht davon ausgegangen ist, dass der Kläger sein Land in hoher Not, also vorverfolgt, verlassen hat.
b) Die Frage ist auch nicht klärungsbedürftig, weil sie nicht über die einzelfallbezogene Anwendung von bereits grundsätzlich Geklärtem hinausgeht (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, § 124 Rn. 38; BayVGH, B.v. 8.8.2018 – 9 ZB 18.31792 – juris Rn. 8 f.).
Es ist geklärt, dass es im Asylverfahren stets auch um die Glaubwürdigkeit des Asylbewerbers und die Glaubhaftigkeit seines Vortrags geht (vgl. BVerwG, B.v. 26.11.2001 – 1 B 347.01 – juris Rn. 5). Denn der Ausländer, der politische Verfolgung geltend macht, befindet sich hinsichtlich seines individuellen Verfolgungsschicksals typischerweise in Beweisnot und ist als „Zeuge in eigener Sache“ zumeist das einzige Beweismittel. Auf die Glaubhaftigkeit seiner Schilderung und Glaubwürdigkeit seiner Person kommt es entscheidend an, so dass seinem persönlichen Vorbringen und dessen Würdigung maßgebliche Bedeutung zuzumessen ist (vgl. BVerwG, U.v. 9.12.2010 – 10 C 13.09 – BVerwGE 138, 289 = juris Rn. 19 m.w.N.). Damit korrespondiert die sich aus § 15 Abs. 2 Nr. 1 AsylG, § 86 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 VwGO ergebende Mitwirkungspflicht des Asylbewerbers, dem es obliegt, die in seine eigene Sphäre fallenden Ereignisse, insbesondere seine persönlichen Erlebnisse in sich stimmig zu schildern (vgl. BVerwG, U.v. 8.5.1984 – 9 C 141.83 – DVBl 1984, 1005 = juris Rn. 11 m.w.N.). Wegen der sachtypischen Beweisnot, in der sich viele Asylbewerber wegen des Fehlens von Beweismitteln zum Beleg des geltend gemachten Verfolgungsschicksals befinden, ist dem persönlichen Vorbringen des Asylsuchenden größere Bedeutung beizumessen als dies sonst in der Prozesspraxis bei Parteibekundungen der Fall ist (vgl. BVerwG, B.v. 11.7.2018 – 1 C 18.17 – juris Rn. 38 m.w.N.). Weiter ist geklärt, dass es ausschließlich Sache des Tatrichters ist, sich selbst die nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO notwendige Überzeugungsgewissheit von der Wahrheit des Parteivortrags zu verschaffen (vgl. BVerwG, B.v. 22.2.2005 – 1 B 10.05 – juris Rn. 2). Auch in schwierigen Fällen ist der Tatrichter daher berechtigt und verpflichtet, den Beweiswert einer Aussage selbst zu würdigen. Die Tatsacheninstanzen haben in eigener Verantwortung festzustellen, ob der Asylbewerber und etwa gehörte Zeugen glaubwürdig und ihre Darlegungen glaubhaft sind (vgl. BVerwG, B.v. 18.7.2001 – 1 B 118.01 – juris Rn. 3).
In welchem Umfang eine Auseinandersetzung und Prüfung des Tatsachenvortrags zu erfolgen hat, lässt sich nicht verallgemeinernd beantworten. Dies ist eine Frage des Einzelfalls.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).