Aktenzeichen AN 3 K 17.34891
Leitsatz
1 Die bloße Asylantragstellung in der Bundesrepublik Deutschland hat keine politische Verfolgung unverfolgt und legal aus Kuba ausgereister kubanischer Staatsangehöriger zur Folge. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
2 In Kuba können Versorgungsengpässe bei Medikamenten zur Behandlung von HIV auftreten. (Rn. 47) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Der Bescheid der Beklagten vom 31. März 2016 wird in den Ziffern 4, 5 und 6 aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet festzustellen,
dass beim Kläger die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Kuba vorliegen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Von den Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens trägt der Kläger zwei Drittel, die Beklagte ein Drittel.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
Die zulässige Klage, über die nach § 101 Abs. 2 VwGO mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte, ist nur hinsichtlich des geltend gemachten Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begründet. Insoweit ist der streitgegenständliche Bescheid zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung nach § 77 Abs. 1 Satz 1 rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Im Übrigen ist die Klage unbegründet. Dem Kläger steht weder der mit dem Hauptantrag geltend gemachte und auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG beschränkte Anspruch zu, noch besteht ein Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Flüchtlingsstatus nach § 4 Abs. 1 AsylG i.V.m. 60 Abs. 2 Satz 1 AufenthG (Hilfsantrag).
1. Vorliegend ist kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 Abs. 4, Abs. 1 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG.
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling i.S.d. Abkommens über die Rechtstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung, wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, des-sen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder in dem er als Staatenloser seinen vor-herigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen die-ser Furcht nicht zurückkehren will.
Ergänzend hierzu bestimmt § 3 a AsylG die Verfolgungshandlungen, § 3 b AsylG die Verfolgungsgründe, § 3 c AsylG die Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann, § 3 d AsylG die Akteure, die Schutz bieten können und § 3 e AsylG den internen Schutz.
§ 3 a Abs. 3 AsylG regelt ausdrücklich, dass zwischen den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. den in § 3 b AsylG genannten Verfolgungsgründen und den in § 3 a Abs. 1 und Abs. 2 AsylG als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen muss.
Ausschlussgründe, wonach ein Ausländer nicht Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, sind in § 3 Abs. 2 und 3 AsylG geregelt.
Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 des AufenthG.
Unter Würdigung dieser Voraussetzungen steht bei Zugrundelegung der verfahrensgegen-ständlichen Erkenntnisquellen zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass dem Kläger im Falle seiner Rückkehr nach Kuba mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit dem Schutzbereich des § 3 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG unterfallende Gefährdungen drohen.
a. Der Kläger hat schon nicht dargelegt, dass er unmittelbar vor seiner Ausreise Maßnahmen staatlicher Stellen in Anknüpfung an in § 3 Abs. 1 AsylG genannten Gründen mit der erforderlichen Eingriffsintensität ausgesetzt war.
Zwar gab er an, wegen seiner sexuellen Orientierung immer wieder Opfer staatlicher Maßnahmen und diskriminiert worden zu sein. Die von ihm auch in der mündlichen Verhandlung geschilderten Vorfälle erreichen jedoch nicht die für die Zuerkennung von Flüchtlingsschutz erforderliche Eingriffsintensität.
b. Der nicht vorverfolgt aus Kuba ausgereiste Kläger hat nach Auffassung des Gerichts im Falle einer Rückkehr nach Kuba nicht mit einer im Rahmen des § 60 Abs. 1 AufenthG zu berücksichtigenden Rückkehrgefährdung zu rechnen.
Allein die Asylantragstellung in der Bundesrepublik Deutschland hat keine politische Verfolgung unverfolgt und legal aus Kuba eingereister kubanischer Staatsangehöriger im Falle ihrer Rückkehr dorthin zur Folge (BVerwG, B. v. 7.12.1999 – 9 B 474.99; BayVGH, U. v. 29.7.2002 – 7 B 01.31054; B. v. 6.10.2003 – 7 ZB 03.31113; B. v. 5.6.2008 – 15 ZB 07.30102; VG Augsburg, U. v. 5.7.2011 – Au 7 K 10.30473; VG Ansbach, U. v. 24.9.2015 – AN 3 K 14.30542; alle juris).
Diese Einschätzung – so auch das VG Augsburg im zitierten Urteil vom 5.7.2011 – wird im Wesentlichen auch durch die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Quellen bestätigt.
In der Stellungnahme der Schweizerischen Flüchtlingshilfe „Kuba: Rückkehr, 16. Februar 2009“ (im Folgenden „Schweizerische Flüchtlingshilfe“) wird z.B. ausgeführt, dass Personen, die im Ausland einen Asylantrag stellen, von der kubanischen Regierung als Regimekritiker eingestuft werden können und in diesem Fall bei ihrer Rückkehr nach Kuba von willkürlichen staatlichen Repressalien bedroht sind (z.B. Entzug der Lebensmittelmarken, Beschlagnahme von Privatbesitz, erschwerter Zugang zum Arbeitsmarkt).
Die Asylantragstellung allein kann dann zu Problemen beim Zugang zum Arbeitsmarkt oder zu Sozialleistungen führen, wenn die kubanischen Behörden von der Asylantragstellung erfahren (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des Österreichischen Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom März 2017 Ziffer 21 (im Folgenden „Länderinformationsblatt“); „Schweizerische Flüchtlingshilfe“, a.a.O., Ziffer 2).
Jedoch ist beim Kläger nicht mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass er von solchen Repressalien im Falle seiner Rückkehr betroffen sein wird. Denn den Quellen lässt sich nicht entnehmen, unter welchen Voraussetzungen die kubanischen Behörden zu derartigen Repressalien greifen. Die bloße Möglichkeit einer Beeinträchtigung reicht für die Annahme einer Rückkehrgefährdung nicht aus.
Nachdem der Kläger angab, er habe ohne Probleme aus Kuba ausreisen können, kann nicht davon ausgegangen werden, dass er von kubanischen Behörden als Regimegegner eingestuft wird und deswegen mit einer erhöhten Verfolgungsgefahr rechnen müsste („Schweizerische Flüchtlingshilfe“, a.a.O. Ziffer 2)
Dass kubanische Staatsangehörige, die – wie der Kläger – 24 Monate erlaubten Auslandsaufenthalt ohne Verlängerung verstreichen lassen, keine Rückkehrberechtigung mehr erhalten und damit in den Status eines „Emigranten“ (Exilkubaner) wechseln, ist im Asylverfahren unbeachtlich, da der Verlust der Rückkehrberechtigung generell an den Ablauf der Rückkehrfrist und nicht an die in § 3 Abs. 1 AsylG genannten Merkmale anknüpft (VG Ansbach, U. v. 14.9.2015 – AN 3 K 14.30542).
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Begründung des streitgegenständlichen Bescheides Bezug genommen, § 77 Abs. 2 AsylG.
2. Dem Kläger steht auch kein Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 2 AufenthG zu. Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär schutzberechtigt, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AsylG), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AsylG) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG). In diesem Rahmen sind gemäß § 4 Abs. 3 AsylG die §§ 3 c bis 3 e AsylG entsprechend anzuwenden.
Vorliegend sind keine Gründe ersichtlich oder vorgetragen, dass dem Kläger bei einer Rückkehr in sein Heimatland ein ernsthafter Schaden in diesem Sinne droht.
3. Der Hilfsantrag auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hat Erfolg. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.
Für den Fall einer Rückkehr würde sich nach Überzeugung des Gerichts der Gesundheitszustand des Klägers in kürzester Zeit mangels zuverlässiger Verfügbarkeit der verordneten Medikamente lebensbedrohlich verschlechtern, § 60 Abs. 7 Satz 2 AsylG. Die im konkreten Einzelfall erforderliche medizinische Versorgung ist auch nicht in einem Teil Kubas gewährleistet, § 60 Abs. 7 Satz 4 AsylG.
Der Kläger hat angegeben, die ärztlich verordneten Kombinationspräparate fünf bis sechsmal nicht erhalten zu haben. Daraufhin habe sich sein Gesundheitszustand, insbesondere die Lungenfunktion, stark verschlechtert.
Die aufgrund des Beweisbeschlusses vom 12. April 2018 eingeholte Auskunft der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland vom 28. Mai 2018 bestätigt diese Angaben insofern, als Versorgungsengpässe nicht ausgeschlossen werden können. Weder der UNHCR noch die Schweizerischen Flüchtlingshilfe konnten zu den gestellten Fragen Angaben machen.
Nachdem der Kläger glaubhaft erklärte, schon in der Vergangenheit nicht ausreichend Zugang zu den benötigten Medikamenten erhalten zu haben, besteht für ihn im Fall seiner Rückkehr nach Kuba im ganzen Land eine beachtliche konkrete Lebensgefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Sätze 1 und 2.
4. Wegen des Anspruchs auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach Kuba war auch die Abschiebungsandrohung gemäß §§ 34 Abs. 1, 38 Abs. 1 AsylG entsprechend aufzuheben, da die Voraussetzungen des § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG nicht vorliegen.
5. Nachdem der Abschiebungsandrohung – wie unter 4. dargestellt – die rechtliche Grundlage fehlt, kann auch die Entscheidung über die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG (noch) nicht getroffen werden, weshalb auch diese Entscheidung, insbesondere aus Gründen der Rechtsklarheit, aufzuheben war, § 11 Abs. 2 Satz 4 AufenthG.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO. Bei der Kostenverteilung wurden der Hauptsowie die Hilfsanträge mit jeweils einem Drittel berücksichtigt.
Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83 b AsylG.