Verwaltungsrecht

Asylrecht (einstweiliger Rechtsschutz), Herkunftsland Senegal, Anordnung der aufschiebenden Wirkung, Neues Attest

Aktenzeichen  M 4 S7 17.33059

Datum:
27.2.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 165245
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 36
AsylG § 29 a
AsylG § 3
VwGO § 80 Abs. 7

 

Leitsatz

Tenor

I. Unter Abänderung des Beschlusses vom 2. Februar 2017 (M 4 S 17.31492) wird die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 20. Januar 2017 angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen einen Bescheid des Bundesamtes für … (Bundesamt), mit dem sein Asylbegehren als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde.
Der Antragsteller gibt an, senegalesischer Staatsangehöriger zu sein. Er habe den Senegal im Juni 2015 verlassen und sei mit dem Flugzeug nach Frankreich gereist. Von da aus sei er mit dem Zug am … Juni 2015 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Er stellte hier am 29. Juni 2016 einen Asylantrag.
Bei seiner persönlichen Anhörung am … August 2016 unter Anwesenheit seiner damaligen Bevollmächtigten trug der Antragsteller im Wesentlichen vor, dass er in … ein Pärchen kennengelernt habe und für sie als Gärtner gearbeitet habe. Eines Tages hätte ihn die Frau zum Sex gezwungen, indem sie ihm damit drohte, die finanzielle Unterstützung andernfalls einzustellen. Da er dringend Geld für seine kranke Mutter benötigt habe, hätte er keine andere Wahl gehabt und ungefähr vier Mal mit ihr Geschlechtsverkehr gehabt. Beim letzten Mal hätte ihr Mann sie erwischt. Er sei dann ca. zwei Monate nicht mehr zu dem Paar gegangen. Dann habe er dem Mann beim Umbau seines Hauses geholfen. Außer ihm seien vier weitere Männer dort gewesen. Am Aussehen der Männer habe er erkennen können, dass sie Homosexuelle seien. Später am Abend hätte man ihn zu homosexuellen Handlungen gezwungen, man habe ihm versprochen, ihm das Haus zu schenken. In dem Zimmer seien Kameras versteckt gewesen und er sei gefilmt worden. Das Video sei dann in seinem Viertel kursiert und alle hätten über ihn gesprochen und ihn als Homosexuellen beschuldigt. Daraufhin habe er Morddrohungen bekommen. Er habe … verlassen und sei in die Stadt … gezogen. Dort habe er einen Mann kennengelernt und geküsst, die Tochter habe sie dann erwischt und verraten. Er sei nicht homosexuell. Er sei daraufhin nach … gezogen und später zurück nach … Dort hätten ihn Jugendfreunde erkannt und eine Bande von Männern hätte ihn drei Mal in Straßenverkehrsunfälle verwickelt. Er habe sich nicht getraut, zu Polizei zu gehen, weil die Verfolger das Video von ihm mit dem Nachweis seiner Homosexualität hätten. Vor seiner Ausreise habe er ein Mädchen kennengelernt, dass er habe heiraten wollen. Ihre Familie sei aber aufgrund von Gerüchten dagegen gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Anhörung verwiesen. Bei einer weiteren Anhörung am … August 2016 unter Anwesenheit seiner damaligen Bevollmächtigten erklärte der Antragsteller, dass der Ehemann der Frau, mit der er geschlafen habe, um Geschlechtsverkehr gebeten hätte, da er ja auch mit seiner Frau geschlafen habe. Er habe im Jahr 2013 entdeckt, dass er homosexuell sei. Er wolle Schutz und seine Homosexualität sei der Hauptgrund.
Mit Bescheid vom 20. Januar 2017 lehnte das Bundesamt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, die Anerkennung als Asylberechtigter die Zuerkennung des subsidiären Schutzes als offensichtlich unbegründet ab (1., 2., 3.). Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz -AufenthGlägen nicht vor (4.). Der Antragsteller werde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Sollte der Antragsteller die Ausreisefrist nicht einhalten, werde er nach Senegal abgeschoben. Er könne auch in einen anderen Staat abgeschoben werden, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei (5.). das Einreise- und Aufenthaltsverbot werde gemäß § 11 Abs. 7 AufenthG angeordnet und auf 10 Monate ab dem Tag der Ausreise befristet (6.). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG werde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (7.). In seiner Entscheidung stützte sich das Bundesamt lediglich auf die persönliche Anhörung vom … August 2016. Das Bundesamt begründete seine Entscheidung im Wesentlichen damit, dass der Antragsteller nichts glaubhaft vorgetragen oder vorgelegt habe, was zu der Überzeugung gelangen ließe, dass in seinem Falle die Voraussetzungen für die Annahme einer begründeten Furcht oder Verfolgung oder die Gefahr eines ernsthaften Schadens erfüllt seien. Insbesondere habe er nach den Vorkommnissen nicht die Polizei aufgesucht, um den Vorfall anzuzeigen. Im Übrigen wird auf die Begründung des Bescheids verwiesen.
Mit Schriftsatz vom 27. Januar 2017, eingegangen bei Gericht am selben Tag, erhob der Bevollmächtigte des Antragstellers Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid (Az.: M 4 K 17.31488) und beantragte gleichzeitig nach § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung -VwGO-, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen (M 4 S 17.31492).
Der Bevollmächtigte begründete den Antrag im Wesentlichen damit, dass der Antragsteller homosexuell sei und in seinem Heimatland deshalb einer Verfolgung und Bedrohung ausgesetzt sei. Dem Antragsteller sei die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, da Homosexualität in seinem Heimatland strafrechtlich verfolgt werde und bei seiner Rückkehr zu erwarten sei, dass er der tatsächlichen Gefahr einer Verfolgung ausgesetzt sei. In diesem Sinne hätte auch das Verwaltungsgericht Augsburg mit Urteil vom 27. April 2016 (Az. Au 1 K 16030296) entschieden und einem senegalesischen Homosexuellen die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Auch in einem ähnlichen Fall habe das Verwaltungsgericht München in diese Richtung entschieden (Az. M 2 K 16.30947). Entscheidenden Einfluss habe auch eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 7. März 2013 gehabt (Az.: A 9 S 1873/12), in der die Begründung des Bundesamtes, dass jemand, der sich in seinem Heimatland diskret verhalte, nichts zu befürchten habe, zurückgewiesen wurde. Der Verwaltungsgerichtshof habe festgestellt, dass die sexuelle Ausrichtung ein identitätsprägendes Merkmal im Sinne des Art. 10 Abs. 1 d der RL 204/83EG sei und damit in den Schutzbereich von Art. 7 der Charta der Grundrechte der EU falle. Ähnlich wie mit Blick auf die Ausübung der Religion könne niemand gezwungen werden, darauf zu verzichten. Daher sei bei einer Bestrafung von Homosexualität immer von einer Verfolgung auszugehen. Zudem befinde sich der Antragsteller in ärztlicher Behandlung, er sei aufgrund seiner Situation psychisch erkrankt.
Die Antragsgegnerin legte die Akten vor, äußerte sich sonst jedoch nicht im Verfahren.
Mit Beschluss vom 2. Februar 2017 (M 4 S 17. 31492) lehnte das Gericht den Antrag des Antragstellers ab und bezog sich hierbei im Wesentlichen auf die Widersprüche zwischen den beiden Anhörungen.
Mit Schriftsatz vom 16. Februar 2017 beantragte der Bevollmächtigte des Antragstellers, den Beschluss vom 2. Februar 2017 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen, § 80 Abs. 7 VwGO.
Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, dass der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamtes sich nur auf die Anhörung vom … August 2016 bezogen habe. In dem angefochtenen Bescheid habe das Bundesamt auch keine Zweifel an der Homosexualität des Antragstellers geäußert. Das Bundesamt habe ausgeführt, dass im Senegal gleichgeschlechtliche Handlungen mit Freiheitsstrafen bis zu fünf Jahren sowie Geldstrafen bis zu 2.300,00 Euro geahndet würden. Bestraft werde aber nicht, wer homosexuell sei, sondern nur, wer homosexuelle Handlungen vornähme. Nur hiergegen wende sich der Antragsteller. Die Glaubwürdigkeit des Vortrags des Antragstellers hinsichtlich seiner Homosexualität könne dagegen nicht Streitgegenstand des Eilverfahrens sein, hierüber sei nur im Hauptsacheverfahren zu entscheiden. Afrikanern falle es generell schwer, über ihre Homosexualität zu sprechen, deswegen sei es auch zu den verschiedenen Angaben in den Anhörungen gekommen. In der ersten Anhörung sei eine afrikanische Dolmetscherin anwesend gewesen und der Antragsteller sei deshalb gehemmt gewesen. Gehe man nun wie das Bundesamt in seiner Entscheidung von der Homosexualität des Antragstellers aus, stelle sich die Frage, ob es rechtlich haltbar sei, dass das Bundesamt dem Antragsteller zumute, keine homosexuellen Handlungen vorzunehmen, um nicht bestraft zu werden. Dies sei ihm jedoch ebenso wenig zumutbar, wie es Christen zugemutet werden könnte, zum Beten in den Keller zu gehen. Zudem legte der Bevollmächtigte ein neues Attest vor. Im Übrigen wird auf den Schriftsatz verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die beigezogene Behördenakte, insbesondere auf die Niederschriften über die Anhörungen, verwiesen.
II.
Der Antrag ist zulässig und begründet.
1. Nach § 80 Abs. 7 Sätze 1 und 2 VwGO kann das Gericht der Hauptsache Beschlüsse über Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO jederzeit ändern oder aufheben; zudem kann jeder Beteiligte die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen. Das Abänderungsverfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO darf nicht als Rechtsmittelverfahren zu einer vorhergehenden Entscheidung verstanden werden. Es dient allein der Möglichkeit, einer nachträglichen Änderung der Sach- und Rechtslage Rechnung zu tragen. Prüfungsmaßstab für die Entscheidung ist daher allein, ob nach der jetzigen Sach- und Rechtslage die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage geboten ist (vgl. BVerwG, B. v. 25.8.2008 – 2 VR 1/08 – juris; VGH BW, B. v. 16.12.2001 – 13 S 1824/01 – juris; OVG NRW, B. v. 7.2.2012 – 18 B 14/12 – juris). Dasselbe gilt bei einer Veränderung der Prozesslage, etwa aufgrund neuer Erkenntnisse. Darüber hinaus müssen die geänderten Umstände geeignet sein, eine andere Entscheidung herbeizuführen (vgl. VG Augsburg, B. v. 30.9.2013 – Au 5 S 13.30305 – juris, Rn. 10; Kopp/Schenke, VwGO, 18. Aufl. 2012, § 80 Rn. 202 ff. m.w.N.).
2. Vorliegend war der Beschluss vom 2. Februar 2017 angesichts des neu vorgelegten fachärztlichen Attests vom … Februar 2017 abzuändern. Die ärztliche Aussage darüber, dass es dem Antragsteller aufgrund seiner Herkunft und Prägung schwerfalle, über seine Homosexualität zu sprechen, scheint zumindest grundsätzlich geeignet, teilweise die in der ursprünglichen Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO aufgeführten Widersprüchlichkeiten zwischen den beiden Anhörungen zu erklären. Vor diesem Hintergrund und weil es nicht ausgeschlossen erscheint, dass Homosexuelle im Senegal unter bestimmten Voraussetzungen – insofern abweichend von der allgemeinen Lage im sicheren Herkunftsstaat, § 29a Abs. 1 AsylG – eine Verfolgung i.S.d. §§ 3 ff. AsylG zu befürchten haben (vgl. hierzu VG München, B. v. 18.10.2013 – M 21 S 13.30333), bestehen seitens des Gerichts ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheids. Ob der Vortrag des Antragstellers insgesamt – das Bundesamt stützte sich bei seiner Entscheidung erkennbar nur auf eine der zwei Anhörungen, auf die Widersprüche wurde bereits im „ursprünglichen“ Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO hingewiesen – glaubhaft ist und ob eine asylrechtlich relevante Verfolgung von Homosexuellen im Senegal stattfindet, ist im Hauptsacheverfahren weiter nachzugehen.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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