Verwaltungsrecht

Aufenthaltsgestattung als Identitätsnachweis für die Erteilung der Fahrerlaubnis

Aktenzeichen  Au 7 K 15.1501

Datum:
29.8.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 55, § 63 Abs. 1 S. 1, § 64 Abs. 1
AufenthVO AufenthVO § 4, § 78a Abs. 4 S. 1 Nr. 10
FeV FeV § 21 Abs. 1, Abs. 3

 

Leitsatz

Die Aufenthaltsgestattung ist ein hinreichender Identitätsnachweis zur Erlangung einer Fahrerlaubnis, auch wenn die Personalien auf den Angaben des Ausländers beruhen. (redaktioneller Leitsatz)
Zum Nachweis der Identität kann auch eine ausländische Fahrerlaubnis herangezogen werden. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Beklagte wird verpflichtet, einem Antrag des Klägers auf Erteilung der Fahrerlaubnisklasse B auf der Grundlage der Bescheinigung über die Aufenthaltsgestattung als Identitätsnachweis stattzugeben, sofern die erforderlichen weiteren gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen.
II.
Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
III.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV.
Die Berufung wird zugelassen.

Gründe

Gemäß § 101 Abs. 2 VwGO konnte die Entscheidung im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung ergehen.
Die Klage ist zulässig und begründet, denn der Kläger hat einen Anspruch auf Erteilung einer Fahrerlaubnis der Klasse B auf der Grundlage seiner Bescheinigung über die Aufenthaltsgestattung als Identitätsnachweis, wenn die hierfür erforderlichen weiteren gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Das Landratsamt … hat die Umschreibung des saudi-arabischen in einen deutschen Führerscheins des Klägers zu Unrecht mit Schreiben vom 22. Oktober 2015 verweigert, denn die mit Lichtbild versehene Bescheinigung über die Aufenthaltsgestattung des Klägers im Sinne des § 63 Abs. 1 Satz 1 des Asylverfahrensgesetztes (AsylVfG) ist als hinreichender amtlicher Nachweis über Ort und Tag der Geburt im Sinne des § 21 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Fahrerlaubnisverordnung (FeV) anzusehen.
Die Ansicht des Beklagten, dass dieser Nachweis allein durch Urkunden wie eine Geburtsurkunde, eine beglaubigte Abschrift des Familienstammbuchs, einen Personalausweis oder Reisepass geführt werden könne, ist bereits vom Wortlaut der Norm nicht gedeckt. Der Wortlaut der Norm lässt auch andere „amtliche Nachweise“ zu (siehe sinngemäß so auch: BayVGH, B. v. 5.11.2009 – 11 C 08.3165 – juris Rn. 30). Das Merkmal „amtlich“ ist dann erfüllt, wenn ein – von einem Träger öffentlicher Gewalt ausgestelltes – Dokument vorgelegt wird (BayVGH, B. v. 5.11.2009 – 11 C 08.3165 – juris). Ein „Nachweis“ im Sinne des Wortlauts von § 21 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FeV kann im Ansatz auch durch ein amtliches Dokument geführt werden, in dem eigene Angaben der betreffenden Person zugrunde gelegt und in das Dokument eingetragen werden. Durch die Eintragung amtlicherseits werden die Angaben festgehalten und es wird verhindert, dass die betreffende Person später unbemerkt unter anderen Angaben, etwa über Tag und Ort ihrer Geburt, auftreten kann. Die Vorlage des einmal ausgestellten amtlichen Dokuments kann immer wieder verlangt werden und damit kann Kontinuität der darin niedergelegten Angaben – etwa über Tag und Geburt – gewährleistet werden. So kann nach dem Wortlaut des § 21 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FeV durch die dem Kläger zur Verfügung stehende Aufenthaltsgestattung, mit der er auch seiner Ausweispflicht gemäß § 64 Abs. 1 AsylVfG genügt, grundsätzlich ein „Nachweis“ über Tag und Ort seiner Geburt geführt werden. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, B. v. 2.9.2009 – 5 StR 266/09 – BGHSt 54, 140), wonach für die Personalangaben in einer Aufenthaltsgestattung dann kein öffentlicher Glaube besteht, wenn die zuständige Behörde nach Maßgabe des § 78a Abs. 4 Satz 1 Nr. 10 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) den Hinweis aufgenommen hat, dass die Personalangaben auf den Angaben des Ausländers beruhen. Mit dem öffentlichen Glauben einer Urkunde im Sinne des § 271 StGB wird zunächst ausgesagt, dass die davon erfassten Angaben einer Urkunde beweiskräftig feststehen (BGH, B. v. 2.9.2009 – 5 StR 266/09 – BGHSt 54, 140). Diese Beweiskraft wird durch den Vermerk in der Urkunde, dass die darin festgestellten Personalien auf eigenen Angaben des Ausländers beruhen, zwar wieder beseitigt. Der Wegfall der allgemein gültigen Beweiskraft schließt indes nicht aus, dass im Einzelfall die auf eigenen Angaben beruhenden Personalien gleichwohl als zutreffend zugrunde gelegt werden können.
Auch durch eine systematische Auslegung lässt sich die Richtigkeit der vom Beklagten vertretenen Auffassung nicht belegen. In der Grundregelung über die Voraussetzungen für die Erteilung einer Fahrerlaubnis in § 2 Abs. 2 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) ist der Nachweis von Tag und Ort der Geburt durch ein amtliches Dokument nicht genannt. Vielmehr finden sich dort die Voraussetzungen des Wohnsitzerfordernisses, des Mindestalters, der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen, des Nachweises der Befähigung durch eine theoretische und praktische Prüfung sowie des Nachweises über die Befähigung zur Erste-Hilfe-Leistung. Dabei handelt es sich erkennbar um die wesentlichen Voraussetzungen für den Erwerb einer Fahrerlaubnis. In § 2 Abs. 6 StVG findet sich dann die Verordnungsermächtigung für nähere Bestimmungen hinsichtlich Mitteilung und Nachweis von Namen und – unter anderem – Tag und Ort der Geburt sowie über die Abgabe eines Lichtbildes. Diese Verordnungsermächtigung wird zunächst durch § 21 Abs. 1 Satz 3 FeV ausgefüllt, wo Bezug nehmend auf die in § 2 Abs. 6 StVG genannten Daten geregelt wird, dass der Führerscheinbewerber diese Daten „mitzuteilen und auf Verlangen nachzuweisen“ hat. Insoweit enthält § 2 Abs. 6 Satz 1 StVG die Voraussetzung, dass unter anderem Tag und Ort der Geburt der Fahrerlaubnisbehörde „mitzuteilen und nachzuweisen“ sind. Durch die weitere Regelung zur Ausführung der Verordnungsermächtigung in § 21 Abs. 3 Satz 1 FeV wird schließlich normiert, dass dem Antrag auf Erteilung einer Fahrerlaubnis ein amtlicher Nachweis über Tag und Ort der Geburt beizufügen ist (§ 21 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FeV). Diesem Regelungsgefüge lässt sich entnehmen, dass der „amtliche Nachweis“ von Tag und Ort der Geburt dem Gesetzgeber jedenfalls nicht so zentral wichtig war, dass er ihn bei den wesentlichen Anforderungen in der Aufzählung des § 2 Abs. 2 Nr. 1 bis 7 StVG geregelt hätte. Die Erforderlichkeit eines „amtlichen Nachweises“ über Tag und Ort der Geburt wird auch nicht in der Grundvorschrift des § 21 Abs. 1 FeV über die Ausfüllung der Erteilungsvoraussetzungen nach § 2 Abs. 6 StVG geregelt, sondern erst in der Regelung des § 21 Abs. 3 FeV, in der Vorgaben normiert sind, welche Unterlagen dem Fahrerlaubnisantrag beizufügen sind.
Entscheidend ergibt sich letztlich aus Sinn und Zweck des § 2 Abs. 6 Satz 1 StVG i. V. m. § 21 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FeV, dass es entgegen der Auffassung des Beklagten keine abschließende Aufzählung von Urkunden gibt, durch die der Nachweis von Tag und Ort der Geburt geführt werden kann. Vielmehr können im Einzelfall auch amtliche Dokumente wie eine Aufenthaltsgestattung mit Lichtbild gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG genügen (im Ergebnis so jetzt auch Dauer in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl. 2015, § 21 FeV Rn. 12, anders noch die Vorauflagen). Im Zusammenhang mit der Erteilung einer Fahrerlaubnis dient die Angabe und der Nachweis von Tag und Ort der Geburt zunächst der Einhaltung des Mindestalterserfordernisses (§ 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StVG, s. a. BayVGH, B. v. 5.11.2009, a. a. O., Rn. 37; VG Hannover, U. v. 14.09.2011 – 9 A 1640/11 – juris Rn. 32). Darüber hinaus soll die Angabe von Tag und Ort der Geburt eine hinreichend sichere Identifizierung in Datenbanken wie dem Bundeszentralregister, dem Fahreignungsregister und dem Fahrerlaubnisregister ermöglichen. Da Vor- und Zunamen mehrerer Personen identisch seien können, werden Geburtstag und Geburtsort zur weiteren Identifizierung herangezogen. Durch die Abfrage der Register wiederum soll überprüft werden können, ob die betreffende Person bereits Inhaber einer Fahrerlaubnis ist oder ob sich aus den Registern Anhaltpunkte für fehlende Fahreignung ergeben. Die Übernahme der Daten über Tag und Ort der Geburt aus der Aufenthaltsgestattung in die oben genannten Register bewirkt, dass die betreffende Person nunmehr aufgrund der Registereintragungen eindeutig identifiziert werden kann und eine spätere Veränderung der dort stehenden Daten grundsätzlich ausgeschlossen ist. Damit wird dem Zweck der Register genügt, den Fahrerlaubnisinhaber eindeutig identifizieren und später auftretende etwaige Eignungsbedenken dieser Person zuordnen zu können.
Nach Maßgabe dieser Grundsätze kann der Nachweis von Tag und Ort der Geburt des Klägers hier durch die Aufenthaltsgestattung geführt werden. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die eigenen Angaben des Klägers zu Tag und Ort seiner Geburt unzutreffend sind. Insbesondere bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass er über seine Identität im Asylverfahren getäuscht hat. Der beigezogenen Ausländerakte des Klägers ist zu entnehmen, dass er durchgängig das gleiche Datum von Tag und Ort der Geburt angegeben hat. Berücksichtigt werden kann auch, dass der Kläger im Besitz einer Fahrerlaubnis des Königreichs Saudi-Arabien ist, die bis zum 24. Januar 2021 gültig ist. Daher kann Insbesondere das Erreichen des Mindestalters für die Fahrerlaubnisklasse B jedenfalls zum heutigen Zeitpunkt nicht mehr für zweifelhaft gehalten werden. Darüber hinaus kann der Ausländerakte des Klägers entnommen werden, dass der Kläger zwischenzeitlich bei der Bundesagentur für Arbeit unter den von ihm angegebenen Daten geführt wird und unter denselben Identitätsdaten bei der … in … als Reinigungskraft tätig ist. Insgesamt kann zum heutigen Zeitpunkt noch weniger als zum Zeitpunkt der Beantragung der Fahrerlaubnis die Befürchtung bestehen, dass der Kläger unter verschiedenen Identitäten auftritt, um sich zu Unrecht rechtliche Vorteile zu verschaffen. Vielmehr haben sich die von ihm angegebenen Identitätsdaten immer weiter verfestigt und sind immer weiteren Stellen bekannt, dort gespeichert und für die jeweiligen Zwecke zugrunde gelegt worden, so dass die Identität des Klägers jedenfalls aus heutiger Sicht hinreichend zuverlässig geklärt ist.
Der Klage war mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Die Berufung wird gemäß § 124a Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zugelassen wird. Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg,
Hausanschrift: Kornhausgasse 4, 86152 Augsburg, oder
Postfachanschrift: Postfach 11 23 43, 86048 Augsburg,
schriftlich zu beantragen.
Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstr. 23, 80539 München, oder
Postfachanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München,
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen. Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn
1. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4. das Urteil von einer Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, des Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5. wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Bevollmächtigte sind die in § 67 Absatz 2 Satz 1 und Absatz 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen zugelassen. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch die in § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO genannten Personen vertreten lassen.
Der Antragsschrift sollen 4 Abschriften beigefügt werden.
Beschluss:
Der Wert des Streitgegenstands wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt (§ 52 Abs. 2 GKG).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200,- Euro übersteigt oder die Beschwerde zugelassen worden ist.
Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg,
Hausanschrift: Kornhausgasse 4, 86152 Augsburg, oder
Postfachanschrift: Postfach 11 23 43, 86048 Augsburg,
schriftlich einzureichen oder zu Protokoll der Geschäftsstelle einzulegen; § 129a der Zivilprozessordnung gilt entsprechend. Der Mitwirkung eines Bevollmächtigten bedarf es hierzu nicht.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift sollen 4 Abschriften beigefügt werden.

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