Aktenzeichen M 26 S 16.50651
Leitsatz
Eine Aufenthaltsgestattung dauert solange fort, bis das eingeleitete Asylverfahren durch eine Entscheidung abgeschlossen ist und die Entscheidung dem Antragsteller zugestellt wurde. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Nr. 1 des Bescheids vom 12. August 2016 wird angeordnet.
II.
Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die ihm drohende Überstellung nach Italien im Rahmen des sogenannten Dublin-Verfahrens.
Der Antragsteller, ein Staatsangehöriger von Nigeria, reiste spätestens am … Juli 2016 unerlaubt in die Bundesrepublik Deutschland ein. Er stellte zunächst keinen Asylantrag. Nach Aktenlage – es ergab sich ein entsprechender Eurodac-Treffer – hatte der Antragsteller in Italien am … August 2014 einen Asylantrag gestellt. Ein an Italien gerichtetes Übernahmeersuchen der Antragsgegnerin vom … Juli 2016 blieb unbeantwortet. Der Antragsteller wurde in Deutschland in Haft genommen.
Der Antragsteller gab auf dem Fragebogen zur Prüfung von Abschiebungshindernissen im Dublin-Verfahren an, nicht nach Italien abgeschoben werden zu wollen, da es keine Arbeit gebe.
Mit Bescheid vom 12. August 2016, zugestellt am … August 2016, ordnete das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) die Abschiebung des Antragstellers nach Italien an (Nr. 1 des Bescheids) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes auf a… Monate ab dem Tag der Abschiebung (Nr. 2). Zur Begründung wurde ausgeführt, Italien sei nach Art. 3 Dublin III-Verordnung für die Bearbeitung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig. Gründe zur Annahme von systemischen Mängeln im italienischen Asylverfahren lägen nicht vor.
Gegen diesen Bescheid erhob der Antragsteller am … August 2016 beim Bayerischen Verwaltungsgericht München Klage und beantragte sinngemäß,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung anzuordnen.
Er wandte sich gegen die Abschiebung nach Italien mit der Begründung, dass er gerne in Deutschland Asyl beantragen wolle. In Italien müsse er auf der Straße leben, da es keine anderen Möglichkeiten gebe.
Mit Schriftsatz vom … August 2016 übermittelte das Bundesamt für die Antragsgegnerin die Behördenakte. Mit Schriftsatz vom … September 2016 teilte es auf gerichtliche Anfrage hin mit, dass der Antragsteller jederzeit einen Asylantrag stellen könne. Aufgrund seiner Formulierung in der Klageschrift sei das Ersuchen an das Sekretariat für Asylverfahren weitergeleitet worden. Der Antragsteller werde schriftlich einen Termin zur persönlichen Antragstellung erhalten.
Der Antragsteller wurde am … September 2016 aus der Haft entlassen und befindet sich nach Auskunft der Regierung von Oberbayern aktuell (noch) in der Aufnahmeeinrichtung in A.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten in diesem Verfahren und im Hauptsacheverfahren sowie auf die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
Der Antrag hat Erfolg.
Die Ausführungen des Antragstellers in seinem am … August 2016 bei Gericht eingegangen Schriftsatz sind dahin auszulegen, dass er nicht nur Anfechtungsklage erheben will, sondern auch die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung nach Italien begehrt.
Dieser nach § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG i. V. m. § 80 Abs. 5 VwGO zulässige Antrag ist begründet.
Entfaltet ein Rechtsbehelf – wie hier – von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 75 AsylG), kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht trifft hierbei eine eigene Ermessensentscheidung, bei der es abzuwägen hat zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheids und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Dabei sind insbesondere die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Eilverfahren anzustellende summarische Prüfung, dass die Klage voraussichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid bei überschlägiger Überprüfung als rechtswidrig, wird das Gericht die aufschiebende Wirkung anordnen, da kein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung eines voraussichtlich rechtswidrigen Bescheids bestehen kann. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen, bleibt es bei einer Interessenabwägung.
Die Interessenabwägung durch das Gericht fällt vorliegend zulasten der Antragsgegnerin aus, denn zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Absatz 1 Satz 1 AsylG) erweist sich die Abschiebungsanordnung in Nr. 1 des Bescheids vom 12. August 2016 als rechtswidrig. Sie verletzt den Antragsteller in seinen Rechten.
Nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung des Ausländers in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an (vgl. §§ 26a, 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG), sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Dies gilt auch, wenn der Ausländer den Asylantrag in einem anderen aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat gestellt hat (§ 34a Abs. 1 Satz 2 AsylG).
Die Abschiebung nach Italien ist im Fall des Antragstellers rechtlich unzulässig (geworden), weil für den Antragsteller davon auszugehen ist, dass ihm der Aufenthalt im Bundesgebiet in Folge des zwischenzeitlich beim Bundesamt eingegangenen Asylantrags bzw. des Nachsuchens um Asyl gestattet ist (s. § 14 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG, s. auch § 55 Abs. 1 Sätze 1 und 3, § 63a Satz 1 AsylG).
Das eingeleitete Asylverfahren dauert bis zu seinem Abschluss durch eine Entscheidung über den Asylantrag und die Zustellung dieser Entscheidung an den Antragsteller an. Bis dahin dauert grundsätzlich auch die Aufenthaltsgestattung fort, selbst dann, wenn sich der Asylantrag als unzulässig erweisen sollte, weil nach den Dublin-Regelungen ein anderer Staat für die Durchführung des Asylantrags zuständig ist (s. § 29 Abs. 1 Nr. 1, § 31 Abs. 1 Satz 5, Abs. 6, § 34a Abs. 1 Satz 1, § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 AsylG). Eine Ausreisepflicht des Antragstellers besteht bis zu einer vollziehbaren Entscheidung über das Asylverfahren nicht. Folglich kommt solange auch die Anordnung seiner Abschiebung nicht in Betracht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 80 AsylG).
…