Verwaltungsrecht

Aufhebung der Abschiebungsanordnung bei Vorliegen eines inlandsbezogenen Vollstreckungshindernisses

Aktenzeichen  M 17 K 14.30166

Datum:
25.5.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 27a, § 34a Abs. 1 S. 1, Abs. 2
AufenthG AufenthG § 60a Abs. 2 S. 1
GRCh GRCh Art. 18
VO (EU) Nr. 603/2014 Art. 3 Abs. 1 S. 1, Art. 29 Abs. 1, Abs. 2 S. 1, Art. 49 Abs. 1, Abs. 2
GG GG Art. 2 Abs. 2, Art. 16a Abs. 2 S. 1

 

Leitsatz

In der Schweiz bestehen keine systemischen Mängel bezüglich des Asylverfahrens und/oder der Aufnahmebedingungen. (redaktioneller Leitsatz)
Art. 18 GRCh sowie Art. 3 Abs. 1 S. 1 VO (EU) Nr. 603/2014 vermitteln ein subjektiv-öffentliches Recht auf die Durchführung eines Asylverfahrens und die inhaltliche Prüfung seines Asylbegehrens in einem der Mitgliedstaaten. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Bescheid des Bundesamtes für … vom 20. Januar 2014 wird aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II.
Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klagepartei erklärte sich gemäß § 101 Abs. 2 VwGO mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden. Das Bundesamt hat generell sein Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
1. Die gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 20. Januar 2014 erhobene Anfechtungsklage (Klageantrag Nr. 1.) ist zulässig und begründet. Die in dem Bescheid enthaltenen Verwaltungsakte, nämlich die Ablehnung des Asylantrags des Klägers als unzulässig und die Anordnung seiner Abschiebung in die Schweiz, sind aufzuheben, da sie rechtswidrig sind und ihn in seinen Rechten verletzen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Rechtsgrundlage für die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig (Nr. 1. des streitgegenständlichen Bescheids) ist § 27 a AsylG. Gemäß dieser Vorschrift ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Rechtsgrundlage für die Abschiebungsanordnung (Nr. 2. des Bescheids) ist § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylG. Nach dieser Vorschrift ordnet das Bundesamt, soll der Ausländer u. a. in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27 a) abgeschoben werden, die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass diese durchgeführt werden kann.
Die Abschiebungsanordnung in die Schweiz erweist sich wegen eines inlandsbezogenen Vollstreckungshindernisses als rechtswidrig (1.1.). Da davon auszugehen ist, dass dieses Vollstreckungshindernis auch nach Ablauf der Überstellungsfrist des Art. 29 Abs. 1 und 2 Dublin III-VO fortbestehen wird, ist auch die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig rechtswidrig (1.2.). Der somit insgesamt rechtswidrige Bescheid vom 20. Januar 2014 verletzt den Kläger auch in seinen Rechten (1.3.).
1.1 Als Rechtsgrundlage für die Anordnung der Abschiebung in die Schweiz (Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheides), kommt allein § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG in Betracht. Diese Vorschrift bestimmt, dass dann, wenn ein Ausländer in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat abgeschoben werden soll, das Bundesamt die Abschiebung in diesen Staat anordnet, sobald feststeht dass sie durchgeführt werden kann.
Diese Voraussetzungen sind vorliegend im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) nicht erfüllt.
1.1.1 Die Zuständigkeit der Schweiz nach § 27 a AsylVfG ergibt sich hier aufgrund der Verordnung (EU) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 (sog. Dublin-II-Verordnung), da der Antrag auf internationalen Schutz in der Schweiz vor dem 1. Januar 2014 gestellt worden ist (vgl. Art. 49 Abs. 2 Satz 2 Verordnung Nr. 604/2013 des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 26. Juni 2013 – sog. Dublin-III-Verordnung).
Der zuständige Mitgliedstaat war nach der Dublin II-VO zu bestimmen, obwohl am 19. Juli 2013 die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (sog. Dublin III-VO) in Kraft getreten war (Art. 49 Abs. 1 Dublin III-VO). Denn der von der Beklagte abgelehnte Asylantrag war vor dem 1. Januar 2014 gestellt worden, so dass die Zuständigkeitsbestimmung nach der Dublin II-VO vorzunehmen war (Art. 49 Abs. 2 Dublin III-VO).
Gemäß Art. 3 Abs. 1 und Art. 13 Dublin-II-Verordnung i. V. m. Art. 1 Abs. 1 und 4 des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat oder in der Schweiz gestellten Asylantrags (ABl. EU 2008 L 53/3) ist die Schweiz für die Prüfung des Asylantrags des Klägers zuständig, da der Kläger dort erstmalig einen Asylantrag gestellt hat. Die Schweizer Behörden haben dies anerkannt und sich entsprechend bereit erklärt, den Kläger wieder aufzunehmen.
1.1.2 Das Gericht hat keinerlei Zweifel daran, dass in der Schweiz keine systemischen Mängel des Asylverfahrens vorhanden sind, die einen Vollzug des Dublin-Verfahrens im Fall des Klägers hindern könnten. Was die medizinische Versorgung betrifft, liegt ebenfalls kein systemischer Mangel vor. Grundsätzlich haben Asylsuchende in der Schweiz das Recht auf medizinische Basisversorgung. Eine freie Arztwahl gibt es nicht; wenn kein Notfall vorliegt, müssen Behandlungen vorab beantragt und bewilligt werden, (vgl. SFH, Fluchtland Schweiz, Informationen über das Asylrecht und Menschen im Asylverfahren, 1.3.2013, S. 19; VG Gelsenkirchen, B.v. 14.4.2014 – 7a L 462/14.A – juris Rn. 30ff.). Dass es dadurch mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlungen im zuvor dargestellten Sinne kommt, lässt sich den vorliegenden Erkenntnisquellen nicht entnehmen.
Die Schweiz gilt außerdem als sicherer Drittstaat im Sinn des Art. 16 a Abs. 2 Satz 1 GG, § 26 a i. V. m. Anl. I AsylVfG. Hinderungsgründe für eine Abschiebung in einen derartigen sicheren Drittstaat ergeben sich nur ausnahmsweise dann, wenn der Asylsuchende individuelle und konkrete Gefährdungstatbestände geltend machen kann, die ihrer Eigenart nach nicht vorweg von Verfassungs und Gesetzes wegen berücksichtigt werden können. Dies ist – bezogen auf die Verhältnisse im Abschiebezielstaat – etwa dann der Fall, wenn sich die für die Qualifizierung des Drittstaats als sicher maßgebenden Verhältnisse schlagartig geändert haben und die gebotene Reaktion der Bundesregierung darauf noch aussteht oder wenn der Aufnahmestaat selbst gegen den Schutzsuchenden zu Maßnahmen politischer Verfolgung oder unmenschlicher Behandlung zu greifen droht und dadurch zum Verfolgerstaat wird. An die Darlegung eines solchen Sonderfalls, der inhaltlich den oben genannten systemischen Mängeln entspricht, sind allerdings hohe Anforderungen zu stellen (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 – BVerfGE 94, 49). Solche Sonderfälle liegen, wie dargestellt (s.o. 3.), im Falle der Schweiz nicht vor.
1.1.3 Dennoch steht entgegen § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG nicht fest, dass die Abschiebung des Klägers in die Schweiz durchgeführt werden kann. Der Abschiebung steht ein rechtliches Hindernis entgegen. Im Verfahren nach § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG hat das Bundesamt nicht nur zielstaatsbezogene, sondern auch inlandsbezogene Abschiebungshindernisse (§ 60 a Abs. 2 AufenthG) einschließlich sich unmittelbar aus dem Gesetz ergebender Ansprüche auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zu prüfen, so dass daneben für eine eigene Entscheidungskompetenz der Ausländerbehörde für die Erteilung einer Duldung nach § 60 a Abs. 2 AufenthG kein Raum verbleibt (mittlerweile gefestigte und einheitliche obergerichtliche Rechtsprechung, vgl. BayVGH, B.v. 12.3.2014 – 10 CE 14.427 – juris m. w. N.; OVG Saarl, B.v. 25.4.2014 – 2 B 215/14 – juris; HessVGH, B.v. 25.8.2014 – 2 A 976/14.A – juris; OVG LSA, B.v. 3.9.2014 – 2 M 68/14 – juris; OVG NW, B.v. 30.8.2011 – 18 B 1060/11 – juris Rn. 4; VGH BW, B.v. 31.5.2011 – A 11 S 1523/11 – InfAuslR 2011, 310; BVerfG, B.v. 17.9.2014 – 2 BvR 732/14 -, juris Rn. 11; VG Minden, U.v. 17.8.2015 – 10 K 536/15 A – juris Rn. 23 ff.).
Ein Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung nach § 60 a Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist unter anderem gegeben, wenn die konkrete Gefahr besteht, dass sich der Gesundheitszustand des Ausländers durch die Abschiebung wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtert (BayVGH, B.v. 28.10.2013 – 10 CE 13.2257 – BeckRS 2013, 58911) und wenn diese Gefahr nicht durch bestimmte Vorkehrungen ausgeschlossen oder gemindert werden kann. Diese Voraussetzungen können nicht nur erfüllt sein, wenn und solange der Ausländer ohne Gefährdung seiner Gesundheit nicht transportfähig ist (Reiseunfähigkeit im engeren Sinne), sondern auch, wenn die Abschiebung als solche außerhalb des Transportvorgangs eine erhebliche konkrete Gesundheitsgefahr für den Ausländer bewirkt (Reiseunfähigkeit im weiteren Sinne; vgl. BayVGH vom 18.10.2013 – 10 CE 13.1890 und 10 CE 13.1891 – juris m. w. N.).
Eine Abschiebung muss auch dann unterbleiben, wenn sie – außerhalb des eigentlichen Transportvorgangs – eine erhebliche konkrete Gesundheitsgefahr für den Ausländer bedeutet. Dies ist der Fall, wenn das ernsthafte Risiko besteht, dass unmittelbar durch die Abschiebung als solche sich der Gesundheitszustand des Ausländers wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtert. Eine Abschiebung hat zu unterbleiben, wenn sich durch den Abschiebevorgang die psychische Erkrankung (wieder) verschlimmert, eine latent bestehende Suizidalität akut wird und deshalb die Gefahr besteht, dass der Ausländer unmittelbar vor oder nach der Abschiebung sich selbst tötet (vgl. BVerfG, B.v. 16.4.2002 – 2 BvR 553/02 – juris Rn. 3; OVG LSA, B.v. 8.2.2012 – 2 M 29/12 – juris Rn. 8; OVG Berlin-Bbg, B.v. 25.8.2011 – OVG 11 S 49.11 – juris Rn. 11 f.; OVG NW, B.v. 15.10.2010 – 18 A 2088/10 – juris Rn. 8).
Im Laufe des Asylverfahrens und im gerichtlichen Verfahren hat der Kläger eine Reihe von Arztbriefen vorgelegt, die seine schweren psychischen Erkrankungen belegen. Er war mehrfach stationär untergebracht, einmal wohl ausgelöst durch die auf den 18. Dezember 2015 angesetzte mündliche Verhandlung des Gerichts. Aufgrund seines Gesundheitszustandes wurde nach einer entsprechenden psychiatrischen Begutachtung eine gesetzliche Betreuung angeregt und vom Amtsgericht Ingolstadt angeordnet, sogar ein Einwilligungsvorbehalt hinsichtlich der Vermögenssorge wurde ausgesprochen. Die behandelnde Ärztin attestierte ihm ein Zustandsbild, das zur Folge hätte, dass eine neuerliche Veränderung des Umfeldes, eine Ausreise oder Abschiebung, mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit dazu führen würde, dass sehr rasch eine krankheitsbedingte massive Verschlechterung lebensbedrohlichen Ausmaßes entstehen würde. Selbstverständlich könnte der Kläger auch in der Schweiz suffizient fachärztlich behandelt werden. Es sei jedoch davon auszugehen, dass aktuell und zunächst bis auf weiteres eine Veränderung der aktuellen Lebensumstände eine erhebliche auch lebensbedrohliche Gefahr für den Patienten darstelle. In seiner fachärztlichen Stellungnahme vom … … 2016 kommt das … … – Zentrum für psychische Gesundheit – zum Ergebnis, dass die aus fachärztlicher Sicht prognostisch nicht kalkulierbare, hohe potentiell letale Bedrohung für den Kläger konkret in einem erneuten Verlust seiner, mit äußerer Hilfe sich erarbeiteten, ihn in seiner menschlichen Existenz nährenden Strukturen bestehe, deren erzwungener Entzug, beispielsweise durch eine Abschiebung, ihn in eine akute Suizidgefahr bringen würde, jetzt oder auch zu einem anderen Zeitpunkt. Psychiatrisch begründbar sei dies durch sein biographisch dermaßen belastetes, entleertes psychophysisches Regenerationsvermögen, das einen erneuten Entzug seiner Existenzgrundlage aller Voraussicht nach nicht verkraften würde.
Aufgrund der im Gerichtsverfahren vorgelegten nachvollziehbaren fachärztlichen Berichte ist das Gericht davon überzeugt, dass im Zeitpunkt seiner Entscheidung bei einem Abbruch der derzeitigen Behandlung des Klägers und seiner Abschiebung in ein neues Umfeld die Gefahr besteht, dass sich sein Gesundheitszustand erheblich verschlechtert bis hin zur Suizidgefahr und somit ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis zu bejahen ist.
1.2 Auch die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig ist rechtswidrig. Es steht bereits jetzt fest, dass das soeben festgestellte inlandsbezogene Vollstreckungshindernis bis auf weiteres, sicherlich jedoch bis zum Ablauf der Überstellungsfrist des Art. 29 Abs. 1 und 2 Dublin III-VO fortbestehen wird und damit die Zuständigkeit gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO auf die Beklagte übergehen wird. Hieran kann angesichts des Charakters des Vollstreckungshindernisses kein Zweifel bestehen (zum Ganzen ebenso: VG München, U.v. 2.7.2015 – M 1 K 14.50070 – juris Rn. 26; U.v. 28.11.2014 – M 16 K 14.50032 – juris Rn. 17; U.v. 14.1.2016 – M 17 K 14.50713 – UA S. 16).
1.3 Der Kläger ist durch den rechtswidrigen Bescheid vom 7. November 2014 auch in seinen Rechten verletzt. Dies ergibt sich hinsichtlich der Abschiebungsanordnung in die Schweiz ohne weiteres daraus, dass dieser Verwaltungsakt gegen Art. 2 Abs. 2 GG verstößt. Hinsichtlich der Ablehnung des Asylantrags als unzulässig folgt die subjektive Rechtsstellung des Klägers jedenfalls aus Art. 18 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sowie Art. 3 Abs. 1 Satz 1 Dublin III-VO (vgl. dazu auch OVG RhPf, U. v. 5.8.2015 – 1 A 11020/14 – juris Rn. 56 f. m. w. N.). Danach hat der Kläger ein subjektivöffentliches Recht auf die Durchführung eines Asylverfahrens und die inhaltliche Prüfung seines Asylbegehrens in einem der Mitgliedstaaten. Dieser Anspruch würde vereitelt, wenn wie vorliegend eine Abschiebung des Klägers in die Schweiz bis auf weiteres nicht möglich ist, so dass die Überstellungsfrist des Art. 29 Abs. 1 und 2 Dublin III-VO ohne jeden Zweifel ungenutzt ablaufen wird, eine Überstellung nach Ablauf der Überstellungsfrist nicht mehr zu erwarten ist, der Kläger aber wegen Fortbestehens der Nr. 1. des streitgegenständlichen Bescheids gegenüber der Beklagten auch nicht durchsetzen kann, dass diese den bei ihr gestellten Asylantrag inhaltlich prüft. Diese Konstellation führt dazu, dass unter Verletzung der subjektiven Rechte des Klägers dessen Asylbegehren in keinem der Mitgliedstaaten inhaltlich geprüft wird. Dem kann nicht entgegengehalten werden, es sei nicht gänzlich ausgeschlossen, dass der ursprünglich zuständige Mitgliedstaat – hier also die Schweiz – auch nach Ablauf der Überstellungsfrist weiterhin zur Aufnahme und zur inhaltlichen Prüfung des Asylbegehrens bereit sein wird. Hierbei handelt es sich um eine rein theoretische Möglichkeit. Für den Regelfall kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich die Schweiz entgegen der europarechtlichen Bestimmungen nicht auf den Fristablauf berufen wird und ausnahmsweise dennoch zur Übernahme des Klägers bereit sein wird (vgl. dazu OVG RhPf., U.v. 5.8. 2015 – 1 A 11020/14 – juris Rn. 58 ff. m. w. N.; BayVGH, B.v. 11.2.2015 – 13a ZB 15.50005 – juris Rn. 4). Konkrete und belastbare Anhaltspunkte, dass die Schweiz ganz ausnahmsweise im vorliegenden Einzelfall den Kläger auch nach Ablauf der Überstellungsfrist noch aufnehmen und dessen Asylbegehren inhaltlich prüfen wird, sind nicht ersichtlich. Ist demnach vorliegend eine inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens des Klägers durch die Schweiz nicht zu erwarten, verletzt auch Nr. 1. des streitgegenständlichen Bescheids die Rechte des Klägers, weil er der Durchsetzung seines subjektivöffentlichen Rechts auf eine inhaltliche Prüfung seines Asylbegehrens entgegensteht (vgl. VG München, GB v. 30.10.2015 – M 2 K 15.50229).
2. Soweit darüber hinaus im Wege der Verpflichtungsklage die Verpflichtung der Beklagten zur Durchführung des Asylverfahrens beantragt wird, ist die Klage hingegen unzulässig.
Nach gefestigter obergerichtlicher Rechtsprechung ist die vom Klägervertreter erhobene Anfechtungsklage nicht nur hinsichtlich der Abschiebungsanordnung, sondern auch hinsichtlich der Entscheidung über die Unzulässigkeit des Asylantrags wegen anderweitiger internationaler Zuständigkeit die allein statthafte Klageart (BVerwG, U.v. 16.11.2015 – 1 C 4/15 – juris Rn. 9; U.v. 27.10.2015 – 1 C 32.14 – juris Rn. 13 ff.; BayVGH, B.v. 20.5.2015 – 11 ZB 14.50036 – juris Rn. 11; BayVGH, B.v. 11.2.2015 – 13a ZB 15.50005 – juris Rn. 8 ff.; OVG RhPf, U.v. 5.8.2015 – 1 A 11020/14 – juris Rn. 19; OVG NRW, B.v.16.6.2015 – 13 A 221/15.A – juris Rn. 16 ff.; VGH BW, U.v. 29.4.2015 – A 11 S 121/15 – juris Rn. 35 ff.). Diese gewährt den erforderlichen wie auch ausreichenden Rechtschutz: Nach Aufhebung des auf § 27 a AsylG gestützten Bescheids hat die Beklagte eine inhaltliche Überprüfung des Asylantrags vorzunehmen, ohne dass es hierzu einer gesonderten Verpflichtung der Beklagten bedürfte. Denn auch insofern lebt nach erfolgreicher gerichtlicher Anfechtungsklage des „Dublin-Bescheids“ die gesetzliche Verpflichtung des Bundesamts zur Sachprüfung aus § 31 Abs. 2 und Abs. 3 AsylG automatisch wieder auf. Da grundsätzlich davon ausgegangen werden kann, dass die Beklagte ihrer gesetzlichen Verpflichtung nachkommt, bedarf es demzufolge auch dahingehend keines Verpflichtungsantrags auf Durchführung eines Asylverfahrens in Deutschland (OVG Magdeburg, U.v. 02.10.2013 – 3 L 643/12 – juris Rn. 22; VG München, U.v. 09.05.2014 – M 21 K 14.30300). Nach Abschluss dieser Prüfung hat die Beklagte eine inhaltliche Entscheidung über das Asylbegehren zu treffen. Im Falle einer negativen Entscheidung kann Verpflichtungsklage auf Statuszuerkennung erhoben werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO (vgl. VG München, GB v. 18.5.2015 – M 11 K 14.50681). Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83 b AsylG).
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen dieses Urteil können die Beteiligten die Zulassung der Berufung innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München beantragen. Dem Antrag sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.
Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen. In dem Antrag sind die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, darzulegen. Die Berufung kann nur zugelassen werden, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder das Urteil von einer Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder ein in § 138 der Verwaltungsgerichtsordnung bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Dem Kläger wird Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt … beigeordnet.
Gründe:
Gem. § 166 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten vorbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichend Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hinreichende Erfolgsaussicht besteht, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt der Antragspartei aufgrund ihrer Sachdarstellung und der vorhandenen Unterlagen mindestens für vertretbar hält und von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist. Es muss aufgrund summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage möglich sein, dass die Antragspartei mit ihrem Begehren durchdringen wird. Oft genügt eine schlüssige Darlegung mit Beweisantritt (Geimer in Zöller, ZPO, 30. Aufl. 2014, § 114 Rn. 18 m. w. N.).
Die Erfolgsaussichten des Klageverfahrens sind vorliegend jedenfalls als offen zu beurteilen. Insoweit wird auf das oben stehende Urteil des Gerichts verwiesen.
Der Kläger hat mit seiner am 14. Dezember 2015 bei Gericht vorgelegten Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse und den beigefügten Belegen (§ 117 Abs. 2 ZPO) glaubhaft gemacht, dass er die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, so dass dem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe stattzugeben war.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylVfG.

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