Aktenzeichen 4 C 16.1291
Leitsatz
1 Ein von § 43a Abs. 4 BRAO, § 3 Abs. 1 BORA erfasster Fall der Interessenkollision kann nur vorliegen, wenn es sich bei natürlicher Betrachtungsweise um „dieselbe Rechtssache“ handelt. Der dem Streitstoff in den verschiedenen Verfahren zugrundeliegende historische Vorgang muss danach zumindest teilweise identisch sein. (redaktioneller Leitsatz)
2 Die anwaltliche Vertretung eines Bürgermeisters in einem strafrechtlichen Verfahren ist nicht teilidentisch mit einem Verfahren über einen kommunalrechtlichen Kostenerstattungsanspruch eines ehemaligen Stadtratmitglieds. (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
5 M 16.115 2016-06-22 Bes VGBAYREUTH VG Bayreuth
Tenor
I.
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
III.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 406,50 Euro festgesetzt.
Gründe
I. Der Antragsteller wendet sich gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 18. Dezember 2015, mit dem die von ihm zu erstattenden außergerichtlichen Kosten der Antragsgegnerin für das unter dem Aktenzeichen 4 ZB 15.1510 geführte Verfahren auf Zulassung der Berufung auf 406,50 Euro festgesetzt wurden. Er macht geltend, die Bevollmächtigten der Antragsgegnerin hätten deren ersten Bürgermeister in strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vertreten und seien daher wegen einer insoweit bestehenden Interessenkollision gemäß § 43a Abs. 4 BRAO an einer Vertretung der Antragsgegnerin gehindert gewesen, so dass ihnen auch kein Vergütungsanspruch zustehe.
Mit Beschluss vom 22. Juni 2016 wies das Verwaltungsgericht Bayreuth die gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss gerichtete Erinnerung zurück. Eine Interessenkollision und damit ein Verstoß gegen § 43a Abs. 4 BRAO liege nicht vor. Die Prozessbevollmächtigten der Antragsgegnerin hätten – mangels Sachverhaltsidentität – nicht eine andere Partei in derselben Rechtssache im entgegengesetzten Interesse beraten oder vertreten. Der Sachverhalt in dem gegen den ersten Bürgermeister wegen des Verdachts auf Betrug und Untreue im Amt geführten Ermittlungsverfahren und der Sachverhalt im verwaltungsgerichtlichen Klageverfahren, dem eine kommunalverfassungsrechtliche Streitigkeit zugrunde liege, seien bei natürlicher Betrachtungsweise nicht auf ein innerlich zusammengehöriges, einheitliches Lebensverhältnis zurückzuführen. Es könne insbesondere nicht die Rede davon sein, dass in beiden Verfahren ein und derselbe historische Vorgang von rechtlicher Bedeutung sei. Allein der Umstand, dass die Beteiligten durch eine kommunalverfassungsrechtliche „Klammer“ verbunden gewesen seien, könne keinen teilweise identischen Lebenssachverhalt begründen. Da für die Prüfung einer Interessenkollision allein auf die vorangegangenen anwaltlichen Berufstätigkeiten abzustellen sei, komme es auf die neuerlichen straf- und disziplinarrechtlichen Verfahren gegen den ersten Bürgermeister der Antragsgegnerin nicht an. Zudem seien Anhaltspunkte für einen konkret gegebenen Interessengegensatz auch hier nicht ersichtlich.
Gegen diesen Beschluss wendet sich der Antragsteller mit seiner Beschwerde.
Die Antragsgegnerin tritt der Beschwerde entgegen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten im Kostenverfahren und in den vorangegangenen Klageverfahren verwiesen.
II.1. Die Beschwerde des Antragstellers (§§ 146 ff. VwGO) gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts über die Erinnerung (§§ 165, 151 VwGO) ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 18. Dezember 2015 zu Recht zurückgewiesen. Dem Kostenerstattungsanspruch der Antragsgegnerin kann nicht entgegengehalten werden, dass ihr Bevollmächtigter mit der Annahme oder Ausübung des am 17. September 2013 erteilten Mandats in der Rechtssache Az. B 5 K 13.640, das auch die Vertretung in dem nachfolgenden Berufungszulassungsverfahren Az. 4 ZB 15.1510 umfasste, gegen das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen verstoßen habe, was zur Nichtigkeit des Anwaltsvertrags geführt hätte (vgl. BGH, U.v. 12.5.2016 – IX ZR 241/14 – NJW 2016, 2561 Rn. 7 ff).
Ein von § 43a Abs. 4 BRAO, § 3 Abs. 1 BORA erfasster Fall der Interessenkollision kann nur vorliegen, wenn es sich bei natürlicher Betrachtungsweise um „dieselbe Rechtssache“ handelt (vgl. Henssler in Henssler/Prütting, BRAO, 4. Aufl. 2014, § 43a Rn. 199 m. w. N.). Der dem Streitstoff in den verschiedenen Verfahren zugrundeliegende historische Vorgang muss danach zumindest teilweise identisch sein, d. h. sich bei natürlicher Betrachtungsweise auf ein innerlich zusammengehöriges, einheitliches Lebensverhältnis zurückführen lassen (vgl. Kleine-Cosack, BRAO, 7. Aufl. 2015, § 43a Rn. 142; Henssler, a. a. O., Rn. 200 m. w. N.) Schon daran fehlt es hier, so dass es auf die weitere Voraussetzung eines (nicht nur latenten) Widerstreits der beteiligten Interessen nicht mehr ankommt.
Die streitgegenständliche Kostenforderung der Antragsgegnerin beruht auf deren Obsiegen in einem Klageverfahren, in welchem der als Rechtsanwalt tätige Antragsteller aufgrund seiner damaligen Stellung als Stadtratsmitglied einen aus kommunalrechtlichen Vorschriften abgeleiteten materiellen Kostenerstattungsanspruch in Bezug auf ein vorangegangenes Verwaltungsstreitverfahren verfolgt hatte. Mit der erfolglos gebliebenen früheren Klage (Az. 5 K 11.594; Urteil vom 26.4.2013) hatte er die Antragsgegnerin verpflichten wollen, ihm das Abhören von Tonbandaufnahmen aus zurückliegenden Ausschuss- und Ratssitzungen zu erlauben. Den Bevollmächtigten der Antragsgegnerin war das Mandat zur Vertretung in dieser Angelegenheit am 13. Oktober 2011 erteilt worden.
Die gerichtliche Vertretung der Antragsgegnerin in Bezug auf den vom Antragsteller geltend gemachten Kostenerstattungsanspruch stand in keinem auch nur mittelbaren Sachzusammenhang mit der anwaltlichen Vertretung des ersten Bürgermeisters in den zurückliegenden oder gleichzeitig anhängigen staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren. Denn diese Verfahren, die mittlerweile nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt wurden, betrafen allein den Vorwurf eines strafbaren Verhaltens (insbesondere nach § 266 StGB) zum Nachteil der Antragsgegnerin und berührten in keiner Weise die organschaftliche Rechtsstellung des Antragstellers als (früheres) Stadtratsmitglied, auf die der Kostenerstattungsanspruch wie schon zuvor der Anspruch auf Abhören der Tonbandaufzeichnungen gestützt war. Dass es in allen diesen Verfahren der erste Bürgermeister der Antragsgegnerin war, dem seitens des Antragstellers ein Fehlverhalten im Amt vorgeworfen wurde, begründete noch keine Teilidentität des den verschiedenen Verfahren zugrundeliegenden Lebenssachverhalts.
Soweit der Antragsteller vorträgt, die Bevollmächtigten der Antragsgegnerin hätten es pflichtwidrig unterlassen, ihrer Mandantin ein straf- und disziplinarrechtliches Vorgehen gegenüber dem ersten Bürgermeister anzuraten, kann dem schon deshalb nicht gefolgt werden, weil die anwaltlichen Vertretungsaufträge nicht darauf gerichtet waren, Ansprüche der Antragsgegnerin gegenüber ihrem ersten Bürgermeister zu verfolgen oder dessen dienstliches Verhalten zu überprüfen. Darüber hinaus ist auch insoweit nicht ersichtlich, inwiefern die behauptete anwaltliche Aufklärungspflicht in Bezug auf ein straf- und dienstrechtlich relevantes Fehlverhalten des ersten Bürgermeisters in gemeindlichen Haushaltsangelegenheiten mit der gleichzeitigen Wahrnehmung der Interessen der Antragsgegnerin beim Streit um den kommunalverfassungsrechtlichen Informations- und Kostenerstattungsanspruch eines einzelnen Stadtratsmitglieds in einem inneren Zusammenhang stehen oder gar damit in Konflikt geraten könnte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 3 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).