Verwaltungsrecht

Auslegung des Gesellschaftsvertrags einer Publikumsgesellschaft: Entscheidung der Mehrheit der “anwesenden” Stimmen bei schriftlicher Beschlussfassung

Aktenzeichen  II ZR 153/09

Datum:
19.7.2011
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Urteil
Normen:
§ 709 Abs 2 BGB
§ 105 HGB
§ 161 HGB
§ 47 Abs 1 GmbHG
Spruchkörper:
2. Zivilsenat

Leitsatz

Ist im Gesellschaftsvertrag einer Publikumsgesellschaft geregelt, dass über bestimmte Beschlussgegenstände nicht die Mehrheit der abgegebenen, sondern die Mehrheit der anwesenden Stimmen entscheidet, und ergibt die Auslegung des Gesellschaftsvertrags, dass die Mehrheit der anwesenden Stimmen als Mehrheit aller teilnehmenden und nicht als Mehrheit der mit Ja oder Nein stimmenden Gesellschafter zu verstehen ist, sind bei schriftlicher Beschlussfassung mit den „anwesenden“ Gesellschaftern im Regelfall nicht alle, sondern nur die Gesellschafter gemeint, die sich an der schriftlichen Abstimmung beteiligen .

Verfahrensgang

vorgehend KG Berlin, 26. Mai 2009, Az: 14 U 212/08, Urteilvorgehend LG Berlin, 6. November 2008, Az: 104 O 91/07, Urteil

Tenor

Auf die Revision der Beklagten und ihrer Streithelferin wird das Urteil des 14. Zivilsenats des Kammergerichts vom 26. Mai 2009 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand

1
Die Kläger zu 1 und 2 sind unmittelbare Kommanditisten der Beklagten, einem geschlossenen Immobilienfonds in der Rechtsform einer Kommanditgesellschaft mit ursprünglich vielen Hundert unmittelbaren und mittelbaren Kommanditisten. Die Nebenintervenientin ist als geschäftsführende Kommanditistin ebenso wie die beiden Komplementäre jeweils allein zur Geschäftsführung und Vertretung der Beklagten berechtigt und verpflichtet.
2
Der Gesellschaftsvertrag enthält in §§ 16, 17 zur Beschlussfassung unter anderem folgende Regelungen:
§ 16 Gegenstand der Gesellschafterversammlung
1. Die Gesellschafterversammlung ist insbesondere für folgende Beschlussfassungen zuständig:

f) Änderungen des Gesellschaftsvertrages

2. Soweit Beschlüsse nach lit. a), c), f), g), j), k), und l) gefasst werden, bedarf es einer Mehrheit der anwesenden Stimmen. Sind 75 % der Gesellschaftsanteile auf fünf oder weniger Personen vereinigt, tritt an die Stelle der ¾ Mehrheit die 9/10 Mehrheit. Sind 90 % oder mehr der Gesellschaftsanteile auf fünf oder weniger Personen vereinigt, sind die vorgenannten Beschlüsse einstimmig zu fassen.
§ 17 Beschlussfassung
1. Beschlüsse können in Gesellschafterversammlungen oder im Wege der schriftlichen Abstimmung gefasst werden.
2. … Ein Beschluß im Wege der schriftlichen Abstimmung kommt nur zustande, wenn mindestens 10 % der Stimmen aller Gesellschafter an der Abstimmung teilnehmen.
3. Beschlüsse der Gesellschafterversammlung bedürfen grundsätzlich der einfachen Mehrheit der abgegebenen Stimmen, sofern nicht in diesem Vertrag oder durch Gesetz etwas anderes bestimmt ist. Stimmenthaltungen gelten als nicht abgegebene Stimmen; bei Stimmengleichheit gilt ein Antrag als abgelehnt.

3
Seit November 2005 unterbreitete die F.                                 GmbH den Kommanditisten das Angebot, ihre Fondsanteile gegen Zahlung von rund 50 % der ursprünglichen Beteiligungssumme zu erwerben. Mit Schreiben vom 25. Mai 2007 schlug die Streithelferin den Gesellschaftern vor, § 16 Abs. 2 des Gesellschaftsvertrags (im Folgenden: GV) in schriftlicher Abstimmung in der Weise zu ändern, dass Beschlüsse über die in § 16 Abs. 2 Satz 1 GV aufgezählten Gegenstände einer ¾ Mehrheit der abgegebenen Stimmen bedürfen und § 16 Abs. 2 Satz 2 und 3 GV ersatzlos aufgehoben werden. Mit Schreiben vom 5. Juli 2007 teilte die Streithelferin den Gesellschaftern mit, dass die Beschlussanträge mit der erforderlichen Mehrheit angenommen worden seien; an der Abstimmung hätten sich zwischen 71,19 % und 71,43 % der Gesamtheit der Gesellschafter beteiligt, die Beschlüsse seien jeweils mit einer Mehrheit von über 86 % gefasst worden. Die Kläger haben sich mit der mit der Rüge formeller und materieller Beschlussmängel gegen die Wirksamkeit der Beschlüsse gewandt. Das Landgericht hat die Klagen abgewiesen, das Berufungsgericht hat auf die Berufung der Kläger zu 1 und 2 (im Folgenden: Kläger) festgestellt, dass die gefassten Beschlüsse unwirksam sind. Hiergegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Beklagten.

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