Aktenzeichen Au 4 S 17.35006
VwGO VwGO § 80 Abs. 5, § 155 Abs. 4
GG GG Art. 20 Abs. 3
Leitsatz
1 Ergibt sich trotz Ablehnung des Asylantrags gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG aus dem Tenor der Abschiebungsandrohung, den Bescheidgründen und der Rechtsmittelbelehrung, dass einer Klage aufschiebende Wirkung zukommt, ist der Bescheid so auszulegen, dass kein Fall des § 36 AsylG, sondern der §§ 75 Abs. 1, 38 Abs. 1 AsylG vorliegt (Rn. 11 – 12). (redaktioneller Leitsatz)
2 In dem Erlass eines in sich widersprüchlichen und objektiv rechtswidrigen Bescheids liegt ein im Rahmen des § 155 Abs. 4 VwGO beachtliches schuldhaftes vorprozessuales Verhalten der Antragsgegnerin, welches den vorliegenden Rechtsstreit (einstweiliger Rechtsschutz) verursacht hat (Rn. 15). (redaktioneller Leitsatz)
3 Ein deratiges Verhalten des Bundesamts ist als iSd § 155 Abs. 4 VwGO als schuldhaft zu werten, da eine konsequente Anwendung der Rechtsfolgen im Falle einer Entscheidung gem. § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG angesichts Art. 20 Abs. 3 GG eine Selbstverständlichkeit darstellt (Rn. 16). (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung im Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 11.10.2017 wird abgelehnt.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin …, wird für das vorliegende Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes abgelehnt.
Gründe
I.
Die Antragsteller begehren einstweiligen Rechtsschutz im Hinblick auf eine Abschiebungsandrohung in einem Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt).
Die nach den Feststellungen der Antragsgegnerin staatenlosen Antragsteller mit Syrien als Land des gewöhnlichen Aufenthalts und palästinensischer Volkszugehörigkeit, stellten am 15. September 2017 in der Bundesrepublik einen Asylantrag.
Mit Bescheid vom 11. Oktober 2017 lehnte das Bundesamt die Asylanträge als unzulässig ab (1.). Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG lägen nicht vor (2.). Die Antragsteller wurden aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen; im Falle einer Klageerhebung ende die Ausreisefrist 30 Tage nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens. Sollten die Antragsteller die Ausreisefrist nicht einhalten, würden sie nach Rumänien abgeschoben. Die Antragsteller könnten auch in einen anderen Staat abgeschoben werden, in den sie einreisen dürften oder der zu ihrer Rückübernahme verpflichtet sei. Die Antragsteller dürften nicht nach Syrien abgeschoben werden (3.). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (4.). Zur Begründung führte der Bescheid im Wesentlichen aus, die Asylanträge seien gem. § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG unzulässig, weil den Antragstellern bereits in Rumänien internationaler Schutz gewährt worden sei. Die derzeitigen humanitären Bedingungen in Rumänien führten nicht zu der Annahme, dass bei Abschiebung der Antragsteller eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliege. Die vorgetragenen Erkrankungen der Antragsteller seien gegenüber der zuständigen Ausländerbehörde anzuzeigen und von dieser im Rahmen der Prüfung inlandsbezogener Abschiebungshindernisse zu bewerten. Die Abschiebungsandrohung sei nach §§ 35, 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG zu erlassen gewesen. Die Ausreisefrist werde nach § 38 Abs. 1 AsylG auf 30 Tage festgelegt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Bescheid Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Die Kläger ließen am 18. Oktober 2017 Klage zum Verwaltungsgericht Augsburg erheben (Au 4 K 17.34984). Gleichzeitig beantragten sie gem. § 80 Abs. 5 VwGO,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die im Bescheid des Bundesamts vom 11.10.2017 enthaltene Abschiebungsandrohung anzuordnen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt: Der Bescheid sei in sich unstimmig und nicht nachvollziehbar. Bei einer Ablehnung eines Asylantrags als unzulässig betrage die Ausreisefrist in der Regel nicht 30 Tage; zudem betrage die Klagefrist keine zwei Wochen. Auch sei unklar, woher das Bundesamt die gesicherte Erkenntnis habe, dass den Antragstellern in Rumänien ein Schutzstatus zuerkannt worden sei. Die vom Bundesamt genannten EURODAC-Treffer reichten nicht aus, eine konkrete Anfrage bei den rumänischen Behörden sei nicht erfolgt, so dass eine Personenverwechslung nicht ausgeschlossen werden könne. Den Antragstellern sei auch nicht zuzumuten, nach Rumänien zurückzukehren. Sie seien alt und krank und benötigten dringend verschiedene Medikamente, die sie in Rumänien nicht erhalten hätten.
Die Antragsgegnerin übermittelte ihre Akten; in der Sache äußerte sie sich nicht.
Mit Beschluss vom 7. November 2017 wurde der Rechtsstreit wegen grundsätzlicher Bedeutung vom Einzelrichter auf die Kammer übertragen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die Bundesamtsakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage war abzulehnen, denn er ist – mangels Statthaftigkeit bzw. Rechtschutzbedürfnisses – unzulässig. Der erhobenen Klage (Au 4 K 17.34984) kommt bereits gem. § 75 Abs. 1 AsylG aufschiebende Wirkung zu.
Zwar beträgt nach dem eindeutigen Wortlaut des § 36 Abs. 1 AsylG die dem Ausländer zu setzende Ausreisefrist eine Woche, wenn das Bundesamt den Asylantrag – wie hier – gem. § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig ablehnt. Einer Klage kommt dann keine aufschiebende Wirkung zu (vgl. § 75 Abs. 1 AsylG). Gleichwohl hat die Antragsgegnerin in Bezug auf die Ausreisefrist § 38 Abs. 1 AsylG herangezogen (vgl. Nr. 3 der Bescheidbegründung, S. 5 des streitgegenständlichen Bescheids). Eine Erklärung für diesen Widerspruch findet sich weder in dem Bescheid noch in den dem Gericht übermittelten Bundesamtsakten.
Trotz dieser Widersprüchlichkeit des streitgegenständlichen Bescheids lässt sich dieser so auszulegen, dass kein Fall des § 36 AsylG vorliegt, sondern ein Fall der §§ 75 Abs. 1, 38 Abs. 1 AsylG mit der Folge, dass die erhobene Klage aufschiebende Wirkung entfaltet. Aus dem Tenor der Abschiebungsandrohung ergibt sich, dass einer Klage aufschiebende Wirkung zukommen soll („…im Falle einer Klageerhebung endet die Ausreisefrist 30 Tage nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens“); diese Formulierung basiert auf dem Wortlaut des § 38 Abs. 1 AsylG. Ebenso wird in den Bescheidgründen bezüglich der in der Abschiebungsandrohung enthaltenen Frist ausschließlich § 38 Abs. 1 AsylG, nicht § 36 Abs. 1 AsylG genannt. Auch die dem Bescheid beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung:beruht auf § 74 Abs. 1 Halbs. 1 AsylG (zweiwöchige Frist für die Klageerhebung), nicht auf § 74 Abs. 1 Halbs. 2 (Wochenfrist), welcher auf § 36 (Abs. 3) AsylG verweist.
Die Heranziehung des § 38 Abs. 1 AsylG durch das Bundesamt in den Fällen des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG mag im – eindeutigen – Widerspruch zu § 36 Abs. 1 AsylG stehen; ein Rechtsfehler zu Lasten der Antragsteller, auf den es angesichts des auch im Rahmen eines Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO maßgeblichen § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO ankommt, liegt hierin jedoch nicht.
Obwohl der Antrag demnach mangels Zulässigkeit abzulehnen war (ebenso fehlt es hinsichtlich der beantragten Gewährung von Prozesskostenhilfe für den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes an hinreichenden Erfolgsaussichten, § 166 VwGO i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO), trägt die Antragsgegnerin die Kosten des vorliegenden Verfahrens. Dies ergibt sich aus § 155 Abs. 4 VwGO. Danach können Kosten, die durch Verschulden eines Beteiligten entstanden sind, diesem auferlegt werden. Dies ist hier in Bezug auf die Antragsgegnerin anzunehmen.
Die Antragsgegnerin hat einen in sich widersprüchlichen und objektiv rechtswidrigen Bescheid erlassen. Sie hat die Asylanträge gem. § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig abgelehnt, jedoch nicht die hierfür vom Gesetzgeber eindeutig vorgesehene Wochenfrist des § 36 Abs. 1 AsylG angewandt. Der von der Antragsgegnerin herangezogene § 38 Abs. 1 AsylG gilt für die Fälle des §§ 29 Abs. 1 Nr. 2, 36 AsylG nicht, wie sich aus seinem Wortlaut („In den sonstigen Fällen…“) und seiner systematischen Stellung ergibt. Eine Erklärung für diesen Widerspruch und diese Rechtsanwendung ist – wie bereits erwähnt – nicht ersichtlich. Damit liegt ein im Rahmen des § 155 Abs. 4 AsylG beachtliches schuldhaftes vorprozessuales Verhalten der Antragsgegnerin vor, welches den vorliegenden Rechtsstreit (einstweiliger Rechtsschutz) verursacht hat (vgl. Rennert, in: Eyermann, VwGO, 14. Aufl., § 155 Rn. 10, Rn. 13). Den Antragstellern war es nicht zuzumuten, auf einen Antrag gem. § 80 Abs. 5 VwGO zu verzichten. Dass ihre Klage aufschiebende Wirkung hat, stand angesichts der Widersprüchlichkeit des Bescheids nicht ohne weiteres fest, sondern ergibt sich erst durch dessen Auslegung. Von der Notwendigkeit eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO mussten die Antragsteller umso mehr ausgehen, als ihnen das Bundesamt mit dem streitgegenständlichen Bescheid auch eine Kopie der Akte übermittelt hat (vgl. Postzustellungsurkunde, Bl. 176 der Bundesamtsakten). Eine solche Aktenübermittlung ist jedoch nur im Rahmen des § 36 AsylG vorgesehen (§ 36 Abs. 2 Satz 1 AsylG), so dass für die Antragsteller Unsicherheit bestand, ob nicht doch die Vorgaben für den gerichtlichen Eilrechtsschutz nach § 36 Abs. 3 AsylG gelten sollten. Auch an das Verwaltungsgericht hat das Bundesamt seine Akte vorab übermittelt und dabei auf § 36 Abs. 2 AsylG hingewiesen (Bl. 178 der Bundesamtsakte); es hat somit nicht nur sein widersprüchliches Verhalten fortgesetzt, sondern auch dem Gericht gegenüber zu erkennen gegeben, dass für die Antragsteller ein Vorgehen nach § 80 Abs. 5 VwGO sowie eine rasche gerichtliche Entscheidung geboten sein könnten.
Dieses Verhalten des Bundesamts ist auch als im Sinne des § 155 Abs. 4 VwGO als schuldhaft zu werten. Eine konsequente Anwendung der Rechtsfolgen im Falle einer Entscheidung gem. § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG stellt schon angesichts Art. 20 Abs. 3 GG eine Selbstverständlichkeit dar; für die widersprüchliche Bescheidbegründung sowie das widersprüchliche Vorgehen des Bundesamts ist eine Erklärung nicht ersichtlich.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG),