Verwaltungsrecht

Ausreisefrist nach Verzicht auf Durchführung eins Asylverfahrens für das Kind

Aktenzeichen  M 17 S 16.35319

Datum:
21.12.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 5
AsylG AsylG § 14a Abs. 3, § 38

 

Leitsatz

1. Bei einem Verzicht auf die Durchführung eines Asylverfahrens gem. § 14a Abs. 3 AsylG beträgt die dem Ausländer vom Bundesamt mit der Abschiebungsandrohung zu setzende Ausreisefrist nach § 38 Abs. 1 S. 1 AsylG 30 Tage (st. Rspr. BVerwG, BeckRS 2010, 52959 ). § 38 Abs. 2 AsylG ist insoweit nicht anwendbar. (redaktioneller Leitsatz)
2. Geht das Bundesamt zu Unrecht von § 38 Abs. 2 AsylG und daran anknüpfend von der Vollziehbarkeit der Abschiebungsandrohung trotz Klageerhebung aus, besteht Veranlassung, das Bestehen der aufschiebenden Wirkung der dagegen erhobenen Klage festzustellen. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Es wird festgestellt, dass die Klage gegen die Abschiebungsandrohung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Ziffer 3 des Bescheides vom 1. Dezember 2016) aufschiebende Wirkung hat.
II.
Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Antragsteller, zugehörig zur Glaubensgemeinschaft der Adventisten des 7. Tages und mit ungeklärter Staats- und Volkszugehörigkeit, ist am … November 2013 in der Bundesrepublik Deutschland geboren.
Der Asylantrag seiner Mutter (Aktenzeichen: 5211945) wurde am 15. Mai 2007 mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 2. Mai 2007 unanfechtbar abgelehnt.
Am … Dezember 2015 (Bl. 26 der Behördenakte – BA) erklärte die Mutter des Antragstellers als dessen gesetzliche Vertreterin, dass bei dem Antragsteller keine Merkmale für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG und für die Asylberechtigung nach Art. 16a Abs. 1 GG vorlägen bzw. in seinem Heimatland kein ernsthafter Schaden nach § 4 Abs. 1 AsylG drohe und verzichtete auf die Durchführung eines Asylverfahrens. Mit Schriftsatz vom 28. Dezember 2016 (Bl. 27 BA) teilte die Mutter des Antragstellers erneut mit, dass sie auf ein Asylverfahren für den Antragsteller verzichte, da dieser aufgrund seines österreichischen Vaters die österreichische Staatsangehörigkeit erhalte.
Das Bundesamt stellte daraufhin mit Bescheid vom 1. Dezember 2016 das Asylverfahren ein (Nr. 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) nicht vorliegen (Nr. 2) und forderte den Antragsteller auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen. Sollte der Antragsteller die Ausreisefrist nicht einhalten, wird er in sein Heimatland oder anderen Staat, in den er einreisen darf oder der zu seiner Rücknahme verpflichtet ist, abgeschoben (Nr. 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wird auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4). Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Vertreter des Antragstellers nicht auf die Durchführung eines Asylverfahrens für den Antragsteller verzichtet habe, sondern der Ausländer am 28. Dezember 2015 seinen Asylantrag zurückgenommen habe. Daher sei das Asylverfahren einzustellen. Abschiebungsverbote lägen nicht vor. Die Ausreisefrist von einer Woche ergebe sich aus § 38 Abs. 2 AsylG. Die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf 30 Monate sei angemessen. Anhaltspunkte für eine kürzere Fristsetzung seien weder vorgetragen noch lägen solche nach den Erkenntnissen des Bundesamtes vor.
Die Bevollmächtigte des Antragstellers erhob mit Schriftsatz vom 12. Dezember 2016, dem Bayerischen Verwaltungsgericht München am selben Tage zugegangen, Klage mit den Anträgen, den Bescheid des Bundesamtes vom 1. Dezember 2016 aufzuheben und festzustellen, dass der Antragsteller asylberechtigt ist, die Flüchtlingseigenschaft, subsidiärer Schutz und Abschiebungshindernisse gem. § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG bei ihm vorliegen. Zugleich wurde beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 1. Dezember 2016 anzuordnen bzw. wiederherzustellen.
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Vater des Antragstellers ein österreichischer Staatsangehöriger sei. Dies sei durch richterlichen Beschluss des Amtsgerichts München (Az. 555 F 14064/14) festgestellt worden. Der Vater habe für den Antragsteller bereits die österreichische Staatsangehörigkeit beantragt. Dies gestalte sich allerdings schwierig, da die Mutter des Antragstellers sowohl Familienname als auch Nationalität habe ändern müssen und deren Unterlagen noch klärungsbedürftig seien.
Die Antragsgegnerin übersandte mit Schreiben vom 14. Dezember 2016 die Behördenakte und stellte keinen Antrag.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II.
Der zulässige Antrag hat Erfolg.
Den wörtlich gestellten Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 1. Dezember 2016 anzuordnen bzw. wiederherzustellen, legt der zur Entscheidung berufene Einzelrichter gemäß §§ 86 Abs. 3, 88 VwGO sachgerecht als auf die Feststellung gerichtet aus, dass die Klage gegen die Abschiebungsandrohung des Bundesamts (Ziffer 3 des Bescheides vom 1. Dezember 2016) bereits von Gesetzes wegen aufschiebende Wirkung entfaltet. Diese Auslegung ist von dem Antragsbegehren gedeckt, eine Abschiebung des Antragstellers schon vor Abschluss des anhängigen Hauptsacheverfahrens – M 17 K 16.35318 – zu verhindern. Die Antragsauslegung trägt dem prozessualen Umstand Rechnung, dass ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ins Leere geht, wenn ein Rechtsmittel bereits von Gesetzes wegen nach § 80 Abs. 1 VwGO aufschiebende Wirkung entfaltet, dem Adressaten eines belastenden Verwaltungsakts aber dennoch einstweiliger Rechtsschutz gewährt werden muss, weil die Behörde die aufschiebende Wirkung nicht respektiert. Ein derartiger Fall liegt hier vor, denn das Bundesamt hat in seinem Bescheid vom 1. Dezember 2016 hinsichtlich der gesetzten Ausreisefrist von einer Woche ausdrücklich auf § 38 Abs. 2 AsylG Bezug genommen und in der Rechtsbehelfsbelehrung ausgeführt, eine Klage gegen den Bescheid entfalte keine aufschiebende Wirkung. Daher ist es veranlasst, in analoger Anwendung des § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO festzustellen, dass die in der Hauptsache anhängige Klage gegen die Abschiebungsandrohung aufschiebende Wirkung hat, denn wenn die Antragsgegnerin die nach § 80 Abs. 1 VwGO eingetretene aufschiebende Wirkung bestreitet, droht die Vollziehung des belastenden Verwaltungsaktes (vgl. zum sog. faktischen Vollzug: Kopp/Schenke, Kommentar zur VwGO, 22. Aufl., § 80 Rn. 181 m. w. N.).
Die am 12. Dezember 2016 erhobene Klage des Antragstellers gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 1. Dezember 2016 entfaltet nach § 80 Abs. 1 VwGO, §§ 75 und 38 Abs. 1 AsylG aufschiebende Wirkung. Klagen gegen Entscheidungen nach dem Asylgesetz haben nach § 75 Satz 1 AsylG nur in den Fällen des § 38 Abs. 1 AsylG sowie der §§ 73, 73b und 73c AsylG aufschiebende Wirkung. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin liegt hier ein Fall des § 38 Abs. 1 AsylG – und nicht des § 38 Abs. 2 AsylG – vor. § 38 Abs. 1 AsylG regelt die Dauer der Ausreisefrist (30 Tage) für alle Fälle, in denen der Ausländer nicht als Asylberechtigter anerkannt wird und keine der eine kürzere Ausreisefrist auslösenden Sonderregelungen eingreift. Dies ist hier der Fall. Für den Antragsteller wurde nach Anzeige der zuständigen Ausländerbehörde mit Schreiben vom 22. Oktober 2015 (Bl. 1f. BA) nach § 14a Abs. 2 AsylG ein Asylverfahren eingeleitet.
Mit Schreiben vom 4. Dezember 2015 (Bl. 6f. BA) wies das Bundesamt die Mutter des Antragstellers als dessen Vertreterin darauf hin, dass die Möglichkeit bestehe, bis zur Zustellung der Entscheidung des Bundesamtes gemäß § 14a Abs. 3 AsylG auf die Durchführung eines Asylverfahrens für das Kind zu verzichten. Zugleich wurde ihr eine vorgedruckte Erklärung für einen möglichen Verzicht nach § 14a Abs. 3 AsylG übersandt. Dieses anzukreuzende Formular füllte die Mutter des Antragstellers aus, datierte es auf den … Dezember 2015 und sandte es an das Bundesamt, dem die Erklärung am … Januar 2016 zuging, zurück (Bl. 26 BA). Die Mutter des Antragstellers erklärte darin, dass bei dem Antragsteller keine Merkmale für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG und für die Asylberechtigung nach Art. 16a Abs. 1 GG vorlägen bzw. in seinem Heimatland kein ernsthafter Schaden nach § 4 Abs. 1 AsylG drohe und verzichtete auf die Durchführung eines Asylverfahrens. Mit Schreiben vom 28. Dezember 2015 (Bl. 27 BA) bekräftigte die Mutter des Antragstellers, dass sie auf ein Asylverfahren für den Antragsteller verzichte, da er aufgrund seines Vaters die österreichische Staatsbürgerschaft erhalte.
Entgegen diesen unzweideutigen Verzichtserklärungen der Mutter des Antragstellers vom 23. und 28. Dezember 2016 stellt das Bundesamt in seinem Bescheid vom 1. Dezember 2016 unzutreffend fest, dass die Vertreterin des Antragstellers nicht gemäß § 14a Abs. 3 AsylG auf die Durchführung eines Asylverfahrens für das Kind verzichtet und der Ausländer am 28. Dezember 2015 seinen Asylantrag zurückgenommen habe, und forderte den Antragsteller unter Bezugnahme auf § 38 Abs. 2 AsylG auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe des Bescheides zu verlassen.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U. v. 17.8.2010 – 10 C 18/09 – juris Rn. 12) richtet sich beim Verzicht auf die Durchführung eines Asylverfahrens gem. § 14a Abs. 3 AsylG die dem Ausländer vom Bundesamt mit der Abschiebungsandrohung zu setzende Ausreisefrist allerdings nach § 38 Abs. 1 Satz 1 AsylG (30 Tage). § 38 Abs. 2 AsylG ist auf den Fall des Verzichts auf die Durchführung des Asylverfahrens nach § 14a Abs. 3 AsylG nicht anwendbar.
Geht die Antragsgegnerin demnach zu Unrecht von der Einschlägigkeit des § 38 Abs. 2 AsylG und daran anknüpfend von der Vollziehbarkeit der Abschiebungsandrohung aus dem angefochtenen Bescheid trotz Klageerhebung aus, besteht Veranlassung, das Bestehen der aufschiebenden Wirkung der dagegen erhobenen Klage festzustellen, denn es bestünde sonst die Gefahr, dass die zuständige Ausländerbehörde den Antragsteller vor Beendigung des Hauptsacheverfahrens abschiebt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83 b AsylG nicht erhoben.
Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.

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