Aktenzeichen M 11 K 17.49930
AsylG § 3, § 4, § 77 Abs. 1 S.1
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs.7
VwGO § 84 Abs. 1, § 113 Abs. 1, Abs. 5 S. 1, § 154 Abs. 1
EMRK Art. 3
Leitsatz
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
1. Über die Klage konnte nach vorheriger Anhörung der Klägerseite durch Gerichtsbescheid entschieden werden, da sie keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 VwGO). Die Beklagte hat auf die Anhörung zu Entscheidungen durch Gerichtsbescheid mit Schreiben vom 27. Juni 2017 generell verzichtet.
2. Die Klage hat keinen Erfolg.
Der streitgegenständliche Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, weil er zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen Anspruch auf die begehrte Entscheidung hat (§ 113 Abs. 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).
2.1 Eine Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a GG scheitert bereits daran, dass der Kläger auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist, Art. 16 a Abs. 2 GG.
2.2 Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
a) Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.
Hinsichtlich des von dem Schutzsuchenden geltend gemachten Schicksals muss das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit erlangen (vgl. BVerwG, U.v. 13.2.2014 – 10 C 6/13 – juris Rn. 18). Angesichts des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich Schutzsuchende insbesondere hinsichtlich fluchtbegründender Vorgänge im Herkunftsstaat befinden, kommt dabei dem persönlichen Vorbringen des Schutzsuchenden und dessen Würdigung für die Überzeugungsbildung eine gesteigerte Bedeutung zu. Dabei obliegt es dem Schutzsuchenden, einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, der geeignet ist, das Schutzbegehren lückenlos zu tragen. Der Schutzsuchende muss die persönlichen Umstände der ihm Verfolgung hinreichend substantiiert, detailliert und widerspruchsfrei vortragen, er muss kohärente und plausible wirklichkeitsnahe Angaben machen (vgl. BVerwG, U.v. 8.5.1984 – 9 C 141/83 – juris Rn. 11). Werden im Laufe des Verfahrens ohne plausible Erklärung unterschiedliche Angaben gemacht, enthält das Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche, erscheinen die Darstellungen nach den Erkenntnismaterialien, der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe nicht nachvollziehbar oder wird das Vorbringen im Laufe des Verfahrens ohne ausreichende Begründung erweitert oder gesteigert und insbesondere ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren eingeführt, so kann den Aussagen in der Regel kein Glauben geschenkt werden.
Dies zugrunde gelegt teilt das Gericht die Einschätzung des Bundesamts, das den Sachvortrag des Klägers als unglaubhaft gewertet hat. Insbesondere unter Berücksichtigung der Angaben des Klägers vor dem Landgericht Traunstein, weisen seine Ausführungen in zentralen Punkten auflösbare Widersprüche auf. So gab der Kläger vor dem Landgericht Traunstein an, dass sein Vater bereits im Jahr 2012 verstorben sei und seine Mutter daraufhin einen Lkw-Fahrer geheiratet habe (vgl. Strafurteil, S. 5). Dies lässt sich mit der vorgetragenen Bedrohung im Restaurantbetrieb des Vaters und der Ermordung des Vaters im Rahmen eines Überfalls im Januar bzw. Februar 2014 nicht vereinbaren. Zur Erblindung auf dem linken Auge gab der Kläger vor dem Landgericht Traunstein weiter an, dass er als Kind von einem anderen Jungen in Somalia geschlagen worden sei (vgl. Strafurteil, a.a.O.). Auch dies steht in völligem Widerspruch zu den Angaben bei der Anhörung vor dem Bundesamt, wonach die Verletzungen angeblich auf einen nächtlichen Überfall im Jahr 2014 zurückzuführen sein sollen. Diese offensichtlichen Widersprüche lassen sich nicht durch etwaige Verständigungsschwierigkeiten mit dem Dolmetscher erklären, zumal der Kläger auf dem Kontrollbogen der Anhörungsniederschrift bestätigt hat, dass es keine Verständigungsschwierigkeiten gegeben und er vollständig und richtige Angaben gemacht habe. In der Gesamtschau des Sachvortrags geht das Gericht daher davon aus, dass der Kläger seine Verfolgungsgeschichte frei erfunden hat.
b) Darüber hinaus verletzt der angegriffene Bescheid im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt den Kläger auch deshalb nicht in seinen Rechten, weil § 3 Abs. 4 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft entgegensteht.
Der Kläger bedeutet aus schwerwiegenden Gründen eine Gefahr für die Allgemeinheit, weil er wegen eines Verbrechens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens 3 Jahren verurteilt wurde.
Die rechtskräftige Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens 3 Jahren führt zum Ausschluss von Abschiebungsschutz wegen politischer Verfolgung, wenn im Einzelfall eine konkrete Wiederholungsgefahr festgestellt wird. Eine solche Gefahr liegt vor, wenn in Zukunft neue vergleichbare schwerwiegende Straftaten des Ausländers ernsthaft drohen. Dabei begründen Tatsachen, die eine günstige Prognose für den Ausländer ergeben können, ein gewichtiges Indiz. Sie sind aber keine Vermutungen gegen das Bestehen einer Wiederholungsgefahr (vgl. BVerwG, U.v. 7.10.1975 – 1 C 46.69 – juris Rn. 44 zu § 14 Abs. 1 Satz 2 AuslG a.F.; BVerwG, U.v. 16.11.2000 – 9 C 6.00 – juris Rn 12 zu § 51 Abs. 3 AuslG a.F.; BVerfG, B.v. 1.3.2000 – 2 BvR 2120/99 – juris Rn. 18; VG Schwerin, U.v. 14.3.2018 – 15 A 4039/15 As SN – juris Rn. 19 ff.; Koch in BeckOK AufenthG, § 60, R. 54).
Vorliegend hat der Kläger am 2. August 2018 zusammen mit einem Landsmann eine Vergewaltigung begangen und ist deshalb zu einer erheblichen Freiheitsstrafe von 8 Jahren verurteilt worden. Für seine Gefährlichkeit spricht bereits der im Strafurteil näher beschriebene Tathergang. Demnach hielt der Kläger das Opfer zunächst von vorne fest, während der andere Täter die junge Frau mehrfach von hinten vergewaltigte. Sodann zwang der Kläger das Opfer zunächst zum Oralverkehr, bevor er die Position des Mittäters einnahm, nachdem dieser von dem Opfer abgelassen hatte. Das Opfer erlitt durch die Tat schwere psychische Folgen und konnte eine Berufsausbildung nicht beenden. Ein strafmilderndes Geständnis hat der Kläger nicht abgelegt.
Unter Würdigung der konkreten Tatverwirklichung hat der Kläger durch diese Tat eine erhebliche kriminelle Energie zum Ausdruck gebracht. Auch vor dem Hintergrund, dass es sich nicht um eine sog. „Beziehungstat“ handelte, geht das Gericht bei ihm von einer konkreten Wiederholungsgefahr aus. Anhaltspunkte dafür, dass trotz der in Deutschland begangenen erheblichen Straftat keine Gefahr mehr von dem Kläger ausgeht, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Insbesondere dürfte eine zeitnahe Aufarbeitung der Tat durch den Kläger schwierig werden, da er ausweislich der Feststellungen des Landgerichts nur relativ unregelmäßig einen Sprachkurs besuchte und der deutschen Sprache kaum mächtig ist. Im Rahmen der Aufarbeitung müsste zudem auch berücksichtigt werden, dass sexuelle Gewalt gegen Frauen in Somalia weit verbreitet ist (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes, Stand 2. April 2020, S. 16) und der Kläger unter Umständen diesbezüglich sozialisiert sein könnte.
2.3 Der Kläger hat ferner keinen Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG.
Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG gelten als ernsthafter Schaden die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) sowie eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3).
a) Dass dem Kläger in Somalia die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe droht, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Ferner hat der Kläger nicht glaubhaft gemacht, dass ihm bei einer Rückkehr nach Somalia von staatlichen bzw. nichtstaatlichen Stellen eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung droht. Seinem diesbezüglichen Vortrag kann kein Glauben geschenkt werden kann, insofern wird auf die obigen Ausführungen Bezug genommen.
Auch eine ernsthafte Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines bewaffneten Konflikts im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG kann nicht angenommen werden.
Bezugspunkt für die Gefahrenprognose ist der tatsächliche Zielort des Ausländers bei einer Rückkehr, in der Regel die Herkunftsregion des Ausländers, in die er typischerweise zurückkehren wird (BVerwG, U.v. 14.7.2009 – 10 C 9/08 – juris Rn. 17). Im vorliegenden Fall ist insoweit auf die Provinz Hiraan abzustellen, wo der Kläger nach seinen Angaben bis zu seiner Ausreise gelebt und gearbeitet hat.
Zwar geht das Gericht davon aus, dass in Hiraan weiterhin ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG zwischen den Hauptakteuren der Somalischen Nationalen Armee (SNA), den Streitkräften der Mission der Afrikanischen Union in Somalia (AMISOM), den äthiopischen Streitkräften (ENDF) und der Al Shabaab herrscht (vgl. BayVGH, U.v. 17.7.2018 – 20 B 17.31659 – juris Rn. 27).
Für die Annahme einer ernsthaften individuellen Bedrohung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG genügt es allerdings nicht, dass der innerstaatliche bewaffnete Konflikt zu permanenten Gefährdungen der Bevölkerung führt. Vielmehr ist zu prüfen, ob von einem bewaffneten Konflikt in der Zielregion für eine Vielzahl von Zivilpersonen eine allgemeine Gefahr ausgeht, die sich in der Person des Klägers so verdichtet, dass sie für diesen eine erhebliche individuelle Gefahr darstellt (vgl. BayVGH, U.v. 17.7.2018 – 20 B 17.31659 – juris Rn. 28). Eine ernsthafte individuelle Bedrohung für Leib oder Leben kann dabei auf gefahrerhöhenden persönlichen Umständen beruhen, wie etwa berufsbedingter Nähe zu einer Gefahrenquelle oder einer bestimmten religiösen Zugehörigkeit (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 − 10 C 13/10; U.v. 27.4.2010 – 10 C 4.09 – jew. juris). Beim Fehlen individueller gefahrerhöhender Umstände kann eine Individualisierung ausnahmsweise auch bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre, was ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt voraussetzt (BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/10 – juris Rn. 19). Für die Feststellung der erforderlichen Gefahrendichte bedarf es dabei neben einer quantitativen Ermittlung des Tötungs- und Verletzungsrisikos einer wertenden Gesamtbetrachtung. Der bei Bewertung der entsprechenden Gefahren anzulegende Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bei der Prüfung der tatsächlichen Gefahr im Sinne des Art. 3 EMRK (BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/10 – NVwZ 2012, 454).
Gemessen daran ist die allgemeine Lage in der Provinz Hiraan nicht so gefährlich, dass sie sich unabhängig von persönlichen Merkmalen bei jeder Zivilperson individualisieren würde (vgl. BayVGH, U.v. 17.7.2018 – 20 B 17.31659 – juris Rn. 33). In der Region Hiraan leben Schätzungen aus dem Jahr 2014 zufolge ca. 520.685 Einwohner (vgl. EASO, COI-Report – Somalia Security Situation, Stand Dezember 2017 – im Folgenden: COI-Report, S. 89). Nach einer von ACCORD vorgenommenen Auswertung der für das Jahr 2018 sind für diese Region insgesamt 194 Vorfälle mit insgesamt 453 Toten verzeichnet (vgl. ACCORD, Somalia, Kurzübersicht über Vorfälle aus dem Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED), Zusammenstellung vom 25. Februar 2020). Auf dieser Grundlage ergibt sich eine Gefahrendichte von etwa 0,087%, was unter der Schwelle beachtlicher Wahrscheinlichkeit liegt (ca. 1:800 bzw. 0,12%, vgl. dazu BayVGH, B.v. 11.12.2017 – 13a ZB 17.31374 – juris Rn. 7; BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/10 – juris Rn. 22 f.). Nicht erfasst werden nach den ACLED-Zahlen die Verletzten. Daneben differenziert ACLED nicht zwischen getöteten Zivilpersonen und getöteten Bewaffneten. Schließlich weist ACLED selbst darauf hin, dass ein Großteil der gesammelten Daten auf öffentlich zugänglichen Sekundärquellen basiert und die Daten daher das Ausmaß an Vorfällen untererfassen können. Es existiert also nach den ACLED-Zahlen eine nicht genau abschätzbare Dunkelziffer. Insofern erscheint eine quantitative Bewertung der Gefahrendichte mangels belastbarer aktueller Zahlen – insbesondere auch zu den aktuellen Einwohnerzahlen – kaum verlässlich möglich.
Auch ungeachtet einer quantitativen Bewertung stellt sich die Situation in der Herkunftsregion des Klägers indes nicht so dar, dass jede Zivilperson alleine aufgrund ihrer Anwesenheit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsste, Opfer willkürlicher Gewalt zu werden. Dabei ist im Rahmen der gebotenen wertenden Betrachtungsweise insbesondere zu berücksichtigen, dass die Gesamtzahl der zivilen Opfer zu einem nicht unerheblichen Teil Personen mit erhöhten Gefährdungspotentialen betroffen haben dürfte. Bedingt durch die von Al Shabaab verfolgte Strategie der asymmetrischen Kriegsführung und der strategischen Auswahl der Anschlagsziele waren nach den vorliegenden Erkenntnismitteln bestimmte Berufsgruppen wie Regierungsmitarbeiter, Angehörige von AMISOM, Mitarbeiter internationaler Organisationen, Angehörige der Sicherheitskräften bzw. generell mit der Regierung zusammenarbeitende Personen, Politiker, Deserteure mutmaßliche Spione und Kollaborateure in besonderer Weise betroffen. Auch wenn die Al Shabaab einige Menschen in Somalia als „legitime Ziele“ erachtet, gilt dies für die meisten Zivilisten nicht (vgl. hierzu etwa die Entschuldigung und Beileidsbekundung der Miliz gegenüber zivilen Opfern eines verheerenden Sprengstoffanschlags in Mogadischu Ende 2019, www. tageschau.de/ausland/anschlag-somalia-al-shabaab-101.html). Hierin sieht das Gericht einen wesentlichen Unterschied zu anderen Terrororganisationen (so ausdrücklich auch: BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Somalia, Stand 20.11.2019 – im Folgenden: BFA-Länderinformation, S. 19). Zwar besteht für Zivilisten immer das Risiko, „zur falschen Zeit am falschen Ort“ zu sein, Opfer nimmt die Al Shabaab insoweit in Kauf. Einfache Zivilisten können ihr Risiko, zufällig Opfer eines Anschlags zu werden, zwar nicht vollständig ausschließen, zumindest aber minimieren, indem sie Gebiete oder Einrichtungen meiden, die von Al Shabaab bevorzugt angegriffen werden. Dazu gehören vor allem Hotels und Restaurants, in denen Angehörige der Streitkräfte, Mitglieder oder Mitarbeiter der Regierung oder Mitarbeiter internationaler Organisationen verkehren, Regierungseinrichtungen sowie Stellungen und Stützpunkte von Regierungskräften und AMISOM. Generell ist ein „normaler Zivilist“ (ohne Verbindung zur Regierung, zu Sicherheitskräften, zu Behörden, zu NGOs oder internationalen Organisationen) allerdings keinem Risiko im Sinne des Art. 3 EMRK ausgesetzt (vgl. BFA-Länderinformation, S. 103 ff m.w.N.).
Gefahrerhöhende Umstände sind in der Person des Klägers nicht erkennbar. Das Gericht geht aufgrund der Unglaubhaftigkeit seines Vortrags (s.o.) insbesondere nicht davon aus, dass der Kläger vor seiner Ausreise bedroht und überfallen wurde. Auch aus der Clanzugehörigkeit des Klägers ergeben sich – ungeachtet des Erfordernisses eine Verknüpfung zwischen der ernsthaften individuellen Bedrohung und dem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt (vgl. dazu VG Aachen, U.v. 5.10.2018 – 7 K 2112/18.A – juris Rn. 80) – keine gefahrerhöhenden Umstände. Der Kläger gehört dem Clan der Ashraf an. Dieser Clan gehört nicht zu den Minderheiten, die in ganz besonderem Maße von Ausgrenzungen betroffen sind. Vielmehr werden dessen Angehörige als religiöse Lehrer respektiert und üblicherweise von den Gruppen, mit denen sie zusammen siedeln, beschützt (vgl. Gundel, Clans in Somalia, Dezember 2009, S. 22).
b) Im Übrigen hat der Kläger keinen Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes, weil dem die Ausschlussgründe des § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 4 Var. 1 AsylG entgegenstehen. Der Kläger hat eine schwere Straftat begangen und stellt bei individueller Betrachtung und Bewertung eine Gefahr für die Allgemeinheit dar (zu den Anforderungen im Einzelnen, vgl. etwa VG Gelsenkirchen, U.v. 25.1.2019 – 15a K 2518/18.A – juris). Zur Vermeidung von Wiederholungen wird insoweit auf die obigen Ausführungen Bezug genommen.
2.4 Schließlich liegen auch die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vor.
Die allgemeine Sicherheits- und Versorgungslagelage in der Provinz Hiraan ist nicht derart, dass eine Abschiebung ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG anzunehmen wäre (vgl. ausführlich BayVGH, U.v. 17.7.2018 – 20 B 17.31659 – juris Rn. 34 ff.).
Für eine Verletzung des Art. 3 EMRK reicht der Umstand, dass im Fall einer Aufenthaltsbeendigung die Lage des Betroffenen einschließlich seiner Lebenserwartung erheblich beeinträchtigt würde, allein nicht aus. Art. 3 EMRK erfasst zwar auch Gefahren, die nicht vom Staat oder staatsähnlichen Organisationen ausgehen (BVerwG, U.v. 13.6.2013 – 10 C 13/12 – juris Rn. 25). Aus der Menschenrechtskonvention leitet sich aber kein Recht auf Verbleib in einem Konventionsstaat ab, um dort weiter medizinische, soziale oder andere Hilfe und Unterstützung zu erhalten. Anderes kann nur in besonderen Ausnahmefällen gelten, in denen humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 23 ff.). Soweit die schlechten humanitären Bedingungen – wie in Somalia – nicht nur oder überwiegend auf Armut oder fehlende staatliche Mittel beim Umgang mit Naturereignissen zurückzuführen sind, sondern überwiegend auf direkte oder indirekte Aktionen der Konfliktparteien zurückgehen, ist entsprechend der Rechtsprechung des EGMR davon auszugehen, dass die Fähigkeit des Betroffenen berücksichtigt werden muss, seine elementaren Bedürfnisse zu befriedigen, wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft, weiter seine Verletzlichkeit für Misshandlungen und seine Aussicht auf eine Verbesserung der Lage (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 a.a.O. – juris Rn 25; EGMR, U.v. 28.6.2011 – 8319/07 – BeckRS 2012, 08036 – Rn. 282, 283).
Ausweislich aktueller Erkenntnismittel (vgl. BFA-Länderinformation, S. 115 ff.) hat sich die somalische Wirtschaft zuletzt weiter erholt, wozu gute Regenfälle und wachsende Remisen, die Erstarkung des Agrarsektors, die Konsolidierung von Sicherheit und die Zunahme privater Investitionen sowie von Geldflüssen aus Geberländern beigetragen haben. Ein der Triebfedern der wirtschaftlichen Entwicklung ist die Diaspora, welche begonnen hat, in Somalia (vor allem in Mogadischu und den Hauptstädte der Bundesstaaten) zu investieren. Generell hat die verbesserte Sicherheitslage in den Städten zu einem Bau-Boom geführt. Allerdings sind die Arbeitsmöglichkeiten für Flüchtlinge, Rückkehrer und andere vulnerable Personengruppen weiterhin limitiert und regelmäßig von Familien- und Clanverbindungen abhängig.
Kritisch ist derzeit vor allem wieder die humanitäre Situation und Lebensmittelsicherheit in Somalia zu sehen (vgl. BFA-Länderinformation, S. 122 ff.). Soweit sich diese nach den Regenfällen im Frühjahr 2018 zunächst entspannt hatte, sieht sich das Land im Frühjahr 2020 einer dreifachen Bedrohung durch die Folgen der weltweiten COVID-19 Pandemie, Überflutungen und einer Heuschreckenplage ausgesetzt (vgl. OCHA, Humanitarian Bulletin Somalia, 1. Mai bis 2. Juni 2020 – im Folgenden: Humanitarian Bulletin). Die Region um … … war danach zwischenzeitlich zum wiederholten Mal schwer von Überflutungen getroffen, wobei nach den aktuellsten Informationen s kein Überflutungsrisiko mehr besteht (vgl. FAO SWALIM – Somalia Floods Update, Stand 2. Juni 2020, abrufbar unter: https://reliefweb.int/country/som) und sogar positive Auswirkungen der Regenfälle auf die Agrar- und Viehwirtschaft erwartet werden (vgl. Humanitarian Bulletin, S. 3). Während Heuschreckenschwärme im Dezember 2019 nur einen begrenzten Schaden verursachten, wird derzeit befürchtet, dass die aktuelle Heuschreckenplage zu größeren Schäden führen könnte. Hiervon betroffen sind vor allem Somaliland, Puntland und Galmuduug. Da bereits Bekämpfungsmaßnahmen ergriffen wurden (vgl. Humanitarian Bulletin, S. 3 f.), bleibt derzeit allerdings abzuwarten, ob die Heuschreckenplage zu mittel- und langfristigen Auswirkungen in der Heimatregion des Klägers führen wird.
Spürbare Auswirkungen auf die humanitäre Situation und Lebensmittelsicherheit ergeben sich nach der aktuellen Erkenntnislage allerdings durch die wirtschaftlichen Folgen der weltweiten Covid 19 -Pandemie.
Seit den ersten Meldungen Mitte März 2020 wurden von der somalischen Regierung bis zum 17. Juni 2020 offiziell 2.696 COVID 19-Fälle gemeldet, von denen 685 Personen genesen und 88 Personen verstorben sind (Internetabruf des Gerichts des COVID-19 Dashboards der somalischen Regierung am 17.6.2020, abrufbar unter: https://moh.gov.so/en/covid19/). Die Zahl der bestätigten Fälle in Somalia steigt damit weiter stetig, wobei die Region Banadir besonders betroffen ist und die Heimatregion der Klägers Hir-Shabelle die niedrigsten Zahlen aufweist (vgl. OCHA, Somalia Covid-19 Impact Update No. 8, S. 1). Schon aufgrund der beschränkten Testmöglichkeiten ist allerdings von einer hohen Dunkelziffer auszugehen. Neben den gesundheitlichen Gefahren für vulnerable Personengruppen wie Alte und Vorerkrankte sind viele somalische Familien von den wirtschaftlichen Folgen der Pandemie bedroht. Somalia ist stark von Importgütern abhängig, sodass sich Umstände wie der Lock down der Hauptlieferländer (u.a. Indien, Thailand und Afrikanischen Union), reduzierte Importe, Grenzschließungen (v.a. zu Äthiopien und Kenia) und Beschränkungen der heimischen Transportkorridore zu Wasser, Land und Luft (v.a. Schließung der Häfen und Flughäfen für den normalen Gütertransport) auf die somalische Wirtschaft und die Lebensmittelpreise auswirken (vgl. OCHA, Somalia Covid-19 Impact Update Nr. 1 – 8). Aufgrund von Störungen der Lieferkette und Panikkäufen war demnach bis Anfang Mai 2020 ein leichter Anstieg der Preise für importierte Nahrungsmittel zu verzeichnen (vgl. OCHA, Somalia Covid-19 Impact Update Nr. 4, S. 1. Der Preis von lokal produzierten Nahrungsmitteln blieb zunächst stabil (vgl. OCHA, Somalia Covid-19 Impact Update Nr. 1, S. 2). Für Ende Mai 2020 wird von niedrigen bis moderaten Preissteigerungen für heimisches Getreide und wichtige importierte Nahrungsmittel berichtet (OCHA, Somalia Covid-19 Impact Update Nr. 7, S. 2). Aufgrund des Verlusts wirtschaftlicher Betätigungsmöglichkeiten innerhalb des Landes infolge der von der somalischen Regierung zur Pandemiebekämpfung verhängten Beschränkungen und der schwindenden Geldüberweisungen aus dem Ausland ist der Lebensunterhalt für viele Somalis zunehmend schwierig. Tagelöhner, Gelegenheitsarbeiter und andere Geringverdienerhaushalte sind dabei besonders betroffen (vgl. etwa OCHA, Somalia Covid-19 Impact Update Nr. 3, S. 2). Insgesamt ist festzustellen, dass durch das Virus die bestehenden sozio-ökonomischen Vulnerabilitäten verschärft werden (vgl. OCHA, Somalia Covid-19 Impact Update Nr. 8, S. 1). Die somalische Regierung ist dabei bemüht, den sozio-ökonomischen Auswirkungen entgegenzuwirken, etwa durch Steuersenkungen (vgl. OCHA, Somalia Covid-19 Impact Update Nr. 8, S. 3). Zudem unterstützen zahlreiche Hilfsorganisationen die somalische Bevölkerung, auch wenn die Außendienst-Aktivitäten eingeschränkt wurden (vgl. etwa OCHA, Somalia Covid-19 Impact Update Nr. 1 -8 sowie UNICEF – Somalia Covid 19 – Situation Report Nr. 1 – 4).
Der Kläger ist jung, gesund und arbeitsfähig. Dass er durch seine Erblindung am linken Auge an einer Arbeitstätigkeit gehindert wäre, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Nach eigenem Vortrag war der Kläger in Somalia zuletzt als Lkw-Fahrer tätig und hat in Deutschland ein Praktikum als Koch begonnen. Damit verfügt er nach seinen Angaben auch bereits über eine gewisse Arbeitserfahrung. Zudem ist davon auszugehen, dass er auf ein funktionierendes Netzwerk familiärer Unterstützung zurückgreifen kann, das bereits die erheblichen Kosten zur Finanzierung der Flucht getragen hat. Soweit der Kläger angegeben hat, seit längerem keinen Kontakt zur Mutter gehabt zu haben, ist – sofern dem Glauben überhaupt geschenkt werden kann – jedenfalls davon auszugehen, dass der Kontakt über das Clannetzwerk wiederhergestellt werden kann. Der Kläger zählt damit weder zu einer gesundheitlich noch wirtschaftlich vulnerablen Personengruppe, die durch die Folgen der weltweiten Corona-Pandemie besonders betroffen sein könnte. Es ist daher davon auszugehen, dass er sich bei einer Rückkehr in die somalische Gesellschaft integrieren und ein Leben zumindest am Rande des Existenzminimums führen kann.
Ebenso liegen die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vor, da es im Hinblick auf die den Kläger in Somalia erwartenden Lebensbedingungen aus den eben dargestellten Gründen an der erforderlichen verfassungswidrigen Schutzlücke fehlt (vgl. BayVGH, U.v. 17.7.2018 – 20 B 17.31659 – juris Rn. 41).
2.5 Nach alledem ist auch die vom Bundesamt nach Maßgabe des § 34 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG erlassene Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung rechtmäßig. Ebenso begegnet die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG in Nr. 6 des angegriffenen Bescheids keinen rechtlichen Bedenken. Von Klägerseite wurden insoweit keine Einwendungen vorgebracht. Die nach der RL 2008/115/EG geforderte Einzelfallentscheidung über die Verhängung eines Einreiseverbots von bestimmter Dauer kann bei europarechtskonformer Auslegung und Anwendung des § 11 AsylG regelmäßig in der behördlichen Befristungsentscheidung gesehen werden (vgl. BVerwG, U.v. 21.08.2018 – 1 C 21.17 – juris). Die Anforderungen der „Gnadi“-Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (U.v. 19.6.2018 – C-181/16) sind gewahrt (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2020 – 1 C 1.19 – juris).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 83 b AsylG gerichtskostenfrei. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.