Verwaltungsrecht

Ausweisung aus spezial- als auch generalpräventiven Gründen

Aktenzeichen  M 24 K 17.3819

Datum:
25.1.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 11435
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 11, § 16 Abs. 5§ 53 Abs. 1, Abs. 2, § 54 Abs. 2 Nr. 9

 

Leitsatz

1 Ein Rechtsverstoß im Sinne des § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG ist nur dann unbeachtlich, wenn er vereinzelt und geringfügig ist; hingegen ist er immer beachtlich, wenn er vereinzelt, aber nicht geringfügig oder geringfügig, aber nicht vereinzelt ist.  (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2 Obwohl dem Strafrecht und dem Ausländerrecht unterschiedliche Gesetzeszwecke zugrunde liegen, kann von der sachkundigen strafrichterlichen Prognose bei der Beurteilung der Wiederholungsgefahr grundsätzlich nur bei Vorliegen überzeugender Gründe abgewichen werden.  (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage hat keinen Erfolg.
1. Gegenstand der Klage ist der Bescheid der Beklagten vom 18. Juli 2017. Der Kläger wendet sich im Wege der Anfechtungsklage gegen seine Ausweisung. Hilfsweise enthält der Anfechtungsantrag als „Minus“ einen Verpflichtungsantrag auf Herabsetzung der Befristung der gesetzlichen Wirkungen der Ausweisung (vgl. BVerwG, U.v. 14.2.2012 – 1 C …11 – juris). Außerdem begehrt der Kläger im Wege der Verpflichtungsklage die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis gemäß § 16 ff. AufenthG.
Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. hinsichtlich Ausweisung: BVerwG, U.v. 15.11.2007 – 1 C 45/06 – juris Rn. 12; hinsichtlich Aufenthaltserlaubnis: BVerwG, U.v. 1.12.2009 – 1 C 32/08 – juris Rn. 12; hinsichtlich Abschiebungsandrohung: BVerwG, U.v. 22.3.2012 – 1 C 3/11 – juris Rn. 13).
2. Die Klage ist als Anfechtungsbzw. Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 VwGO) zulässig, insbesondere fristgerecht erhoben (§ 74 Abs. 1 bzw. Abs. 2 VwGO), aber unbegründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 18. Juli 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO). Die Ausweisungsverfügung hat daher Bestand. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Verkürzung der gesetzlichen Wirkungen der Ausweisung gemäß § 11 AufenthG und keinen Anspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis (§ 113 Abs. 5 VwGO).
3. Die in Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids verfügte Ausweisung des Klägers ist rechtmäßig. Rechtsgrundlage für die Ausweisung ist § 53 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG in Verbindung mit § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG.
3.1. Nach der Grundsatznorm des § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Eine Modifizierung der Grundsatznorm gemäß § 53 Abs. 3 AufenthG wegen Zugehörigkeit zu einem dort genannten privilegierten Personenkreis ist im vorliegenden Fall nicht einschlägig
3.2. Der Kläger gefährdet die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Im vorliegenden Fall wird die Gefahr durch die strafrechtliche Verurteilung indiziert, denn mit der Verurteilung ist ein nicht nur vereinzelter oder geringfügiger Verstoß gegen Rechtsvorschriften Sinne von § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG dokumentiert. Dabei ist § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG so zu verstehen, dass ein Rechtsverstoß nur dann unbeachtlich ist, wenn er vereinzelt und geringfügig ist, er hingegen immer beachtlich ist, wenn er vereinzelt, aber nicht geringfügig, oder geringfügig, aber nicht vereinzelt ist. Eine vorsätzlich begangene Straftat ist grundsätzlich kein geringfügiger Verstoß gegen eine Rechtsvorschrift. Unter engen Voraussetzungen kann es auch bei vorsätzlich begangenen Straftaten Ausnahmefälle geben, in denen der Rechtsverstoß des Ausländers als geringfügig zu bewerten ist, was etwa dann in Betracht kommen kann, wenn ein strafrechtliches Verfahren wegen Geringfügigkeit eingestellt worden ist. (BVerwG, U.v. 24.9.1996 – 1 C 9/94 – juris Rn. 20 f. zu § 46 Nr. 2 AuslG 1990; so auch zuletzt NdsOVG, B.v. 20.6.2017 – 13 LA 134/17 – juris Rn. 10 m.w.N. zu § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG a.F.; BayVGH, B.v. 19.09.2017 – 10 C 17.1434 juris Rn. 6; BayVGH, B.v. 5.7.2016 – 10 ZB 14.1402 – juris Rn. 14 m.w.N).
Im vorliegenden Fall wurde der Kläger wegen Urkundenfälschung in vier tatmehrheitlichen Fällen jeweils in Tateinheit mit Missbrauch von Ausweispapieren zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten auf Bewährung verurteilt. Da vom Strafausspruch vier tatmehrheitlich begangene Einzeltaten erfasst werden, kann schon nicht von einem vereinzelten Verstoß ausgegangen werden. Zudem handelt es sich durchwegs um vorsätzlich begangene Taten, sodass nach der oben zitierten Rechtsprechung auch kein geringfügiger Regelverstoß vorliegt. Der Kläger hat somit ein typisiertes, schwerwiegendes Ausweisungsinteresse verwirklicht, aus dem eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abgeleitet werden kann.
3.3. Im vorliegenden Fall hat die Beklagte die Ausweisung sowohl auf spezial- als auch auf generalpräventive Gründe gestützt. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen und deren gerichtlicher Überprüfung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn. 18). Grad und Ausmaß der zu verlangenden Wiederholungswahrscheinlichkeit stehen dabei nicht statisch-absolut fest, sondern sind wertend (normativ) innerhalb eines durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und durch Rechtsvorschriften gezogenen Rahmens zu ermitteln (VGH Baden-Württemberg, U.v. 9.7.2003 – 11 S4 120/03 – juris Rn. 25). Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (vgl. BayVGH, U.v. 30.10.2012 – 10 B 11.2744 – juris Rn. 33 m.w.N.). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (st. Rspr.; BayVGH, B.v. 03.03.2016 – 10 ZB 14.844 – juris Rn 11; B.v. 16.03.2016 – 10 ZB 15.2109 – juris Rn. 18; BayVGH, U.v. 30.10.2012 – 10 B 11.2744 – juris Rn. 34; BVerwG, U.v. 4.10.2012 – 1 C 13.11 – juris Rn. 18).
Von Bedeutung für die Prognose der Wiederholungsgefahr ist dabei auch die strafgerichtliche Entscheidung über die Aussetzung der Strafe zur Bewährung. Dabei besteht zwar grundsätzlich keine rechtliche Bindung von Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichten an die tatsächlichen Feststellungen und die Beurteilung des Strafrichters, also auch nicht an die strafgerichtliche Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung (st. Rspr, vgl. z.B. BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn. 18 m.w.N.; BVerfG, B.v. 19.10.2016 – 2 BvR 1943/16 – juris Rn. 21; BayVGH, B.v. 5.1.2017 – 10 ZB 16.1778 – juris Rn. 7). Vielmehr haben Ausländerbehörde und Verwaltungsgerichte über das Vorliegen einer hinreichenden Gefahr neuer Verfehlungen eigenständig zu entscheiden. Die strafgerichtliche Entscheidung über die Aussetzung der Strafe zur Bewährung ist aber von tatsächlicher Bedeutung für die behördliche und verwaltungsgerichtliche Sachverhaltswürdigung dahingehend, ob eine die Ausweisung rechtfertigende Gefahr gegeben ist. Auch vor dem Hintergrund, dass dem Strafrecht und dem Ausländerrecht unterschiedliche Gesetzeszwecke zugrunde liegen, kann von der sachkundigen strafrichterlichen Prognose bei der Beurteilung der Wiederholungsgefahr grundsätzlich nur bei Vorliegen überzeugender Gründe abgewichen werden (BayVGH, B.v. 27.12.2016 – 10 CS 16.2289 – Rn. 8 m.w.N.). Dies gilt namentlich bei einer Strafaussetzung nach § 56 StGB (bzw. nach § 21 Abs. 1 oder Abs. 2 JGG; vgl. Discher in GK-AufenthG, Stand: Juli 2016, vor §§ 53 ff. Rn. 1250), während die Aussetzung des Strafrests zur Bewährung im Sinne des § 57 StGB ausweisungsrechtlich geringeres Gewicht hat (vgl. BVerfG, B.v. 27.8.2010 – 2 BvR 130/10 – juris Rn. 36; BVerwG, B.v. 2.9.2009 – 1 C 2.09 – juris). Es bedarf insbesondere dann, wenn das Bleibeinteresse des Ausländers besonders schwer wiegt, einer substantiierten Begründung, wenn von der strafgerichtlichen Einschätzung abgewichen werden soll (BVerfG, B.v. 19.10.2016, 2 BvR 1943/16 – juris Rn. 24).
Bei der wertenden Ermittlung der Wiederholungsgefahr ist im vorliegenden Fall zunächst zu berücksichtigen, dass der Kläger nicht zu dem gemäß § 53 Abs. 3 AufenthG privilegierten Personenkreis gehört und dass er sich auch nicht auf ein schwerwiegendes Bleibeinteresse berufen kann. Der Kläger hält sich seit knapp drei Jahren in Deutschland auf und ist nicht im Besitz einer gültigen Aufenthaltserlaubnis. Familiäre oder sonstige Bindungen in Deutschland sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Der Kläger war und ist nicht erwerbstätig, so dass es auch an einer wirtschaftlichen Bindung fehlt. Seinen Plan, in Deutschland ein Studium zu beginnen, konnte er in den knapp drei Jahren seines bisherigen Aufenthalts noch nicht in die Tat umsetzen, die Aufnahme eines Studiums steht auch nicht etwa unmittelbar bevor. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die für die Absolvierung eines Deutsch-Intensiv-Kurses vorgesehene Zeitspanne von einem Jahr, auf die der Kläger von der Ausländerbehörde ausdrücklich hingewiesen wurde, längst abgelaufen ist und auch die für eine Studienvorbereitung angemessene Zeitspanne abgelaufen sein dürfte, ohne dass es dem Kläger gelungen ist, die Voraussetzungen für den Erhalt einer Aufenthaltserlaubnis zu Studienzwecken zu schaffen.
Hiervon ausgehend ist bei wertender Betrachtung davon auszugehen, dass die Anforderungen an den Wahrscheinlichkeitsmaßstab nicht allzu hoch anzusetzen sind. Im Hinblick auf die Tatbegehung ist zu sehen, dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, aus einer finanziellen Notlage heraus gehandelt zu haben, als er unter falscher Identität bei mehreren Banken Girokonten eröffnet hat, um mehrfach Kontoeröffnungsprämien zu kassieren. Das Tatverhalten zeigt ein planmäßiges und zielgerichtetes Vorgehen, das dazu diente, eine Einkommensquelle zu eröffnen, um den Lebensunterhalt zu finanzieren. Durch die mehrfache Urkundenfälschung in Tateinheit mit dem Missbrauch eines Ausweispapiers wurde die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Rechtsverkehrs nicht unerheblich beeinträchtigt. Gerade aus dem Blickwinkel des Ausländerrechts sind Ausweisdelikte als gewichtige Straftaten anzusehen. Die Einlassung des Klägers, er habe nicht gewusst, dass er sich strafbar mache, hat indes kaum Gewicht, da ein gegebenenfalls vorliegender Verbotsirrtum im Strafverfahren zu berücksichtigen gewesen wäre. Die Art des begangenen Delikts birgt über den vorliegenden Einzelfall hinaus ein nicht zu unterschätzendes Gefahrenpotential für die Sicherheit des Rechtsverkehrs, da die Eröffnung eines Kontos unter falscher Identität oftmals auch einen ersten Schritt für weitere ernstzunehmende kriminellen Handlungen, etwa Internetbetrug bis hin zu Geldwäsche darstellen kann.
Die Strafaussetzung zur Bewährung steht im vorliegenden Fall der Annahme einer Wiederholungsgefahr nicht entgegen. Bei der Entscheidung, die Vollstreckung der verhängten Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen, hat das Strafgericht allgemein darauf abgestellt, dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung einen positiven Eindruck hinterlassen habe, er seinen Studien nachgehe und dies auch weiter zu tun beabsichtige und dass der Kläger wegen des Kontakts zu seinen Eltern in China familiär gut eingebunden sei. Unberücksichtigt blieb jedoch die fehlende finanzielle Perspektive des Klägers. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass aus der Ausländerakte hervorgeht, dass der Lebensunterhalt des Klägers finanziell nicht gesichert ist, da er nicht erwerbstätig ist und das für eine Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis erforderliche Bankguthaben bisher nicht nachweisen konnte. Dazu kommt, dass der Kläger nunmehr ein Studium an der European Business School ins Auge gefasst hat, für das nicht unerhebliche Studiengebühren anfallen. Diese Umstände, die in der Entscheidung über die Aussetzung der Strafe zur Bewährung keine Berücksichtigung gefunden haben, rechtfertigen eine Abweichung von der strafrichterlichen Gefahrenprognose. Im maßgeblichen Zeitpunkt der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung ist nicht erkennbar, wie der Kläger seinen Lebensunterhalt sichern will. Nachdem er sich bereits einmal auf illegalem Wege Geld beschafft hat, um eine finanzielle Notlage zu beheben, erscheint es wahrscheinlich, dass er auch künftig in Versuchung geraten kann, zu illegalen Mitteln der Geldbeschaffung zu greifen, zumal der Kläger in der mündlichen Verhandlung in seinen persönlichen Ausführungen keine Einsicht hinsichtlich der Strafbarkeit seines Vorgehens erkennen ließ. Der Kläger sieht sich insoweit mehr als „Opfer anderer Gepflogenheiten“. Das Gericht verkennt nicht, dass der Grad der Wahrscheinlichkeit insbesondere auch im Hinblick darauf, dass der Kläger bisher nur einmal strafrechtlich belangt worden ist, nicht allzu hoch zu bewerten ist. Gleichwohl reicht dieser (geringe) Wahrscheinlichkeitsgrad in Anbetracht dessen, dass der Kläger weder über eine Privilegierung gemäß § 53 Abs. 3 AufenthG noch über schwerwiegende Bleibeinteressen verfügt, nach Auffassung des Gerichts im vorliegenden Fall aus, um eine Wiederholungsgefahr anzunehmen.
3.4. Bei der gebotenen Abwägung von Ausweisungs- und Bleibeinteressen überwiegt im vorliegenden Fall das Ausweisungsinteresse.
Bei der Abwägung sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer des Aufenthalts, die persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen (§ 53 Abs. 2 AufenthG). Die von Art. 2 Abs. 1 GG sowie Art. 6 Abs. 1 und 2 GG und Art. 8 EMRK geschützten Belange auf Achtung des Privat- und Familienlebens sind dabei entsprechend ihrem Gewicht und unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in der Gesamtabwägung zu berücksichtigen. Das gilt insbesondere bei im Bundesgebiet geborenen und aufgewachsenen Ausländern, zumal wenn sie über keine Bindungen an das Land ihrer Staatsangehörigkeit verfügen (BVerwG, U.v.13.12.2012 – 1 C 20/11 – juris Rn.26). In diesem Zusammenhang sind auch die in der Rechtsprechung des EGMR entwickelten Kriterien zu beachten (vgl. EGMR, U.v. 2.8.2001 – Nr. 54273/00, Boutif/Schweiz – InfAuslR 2001, 476 und U.v. 18.10.2006 – Nr. 46410/99, Üner/Niederlande – NVwZ 2007,1279). Dazu gehören die Art und Schwere der vom Ausländer begangenen Straftat; die Dauer seines Aufenthalts im Land, aus dem er ausgewiesen werden soll; die seit Begehen der Straftat vergangene Zeit und das Verhalten des Ausländers seit der Tat; die Staatsangehörigkeit aller Beteiligten; die familiäre Situation des Ausländers und gegebenenfalls die Dauer seiner Ehe sowie andere Umstände, die auf ein tatsächliches Familienleben eines Paares hinweisen; ob der Partner bei Begründung der familiären Beziehung Kenntnis von der Straftat hatte; ob der Verbindung Kinder entstammen, und in diesem Fall deren Alter; den Grund für die Schwierigkeiten, die der Partner in dem Land haben kann, in das der Ausländer ausgewiesen werden soll.
Wegen der strafrechtlichen Verurteilung liegt ein von Gesetzes wegen als typischerweise schwerwiegend bewertetes Ausweisungsinteresse vor (§ 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG). Dabei ist jedoch zu sehen, dass dem in § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG als Auffangnorm typisierten Tatbestand ein im Vergleich zu den in § 54 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 AufenthG typisierten Tatbeständen geringerer Unrechtsgehalt innewohnt und diesem Umstand im Rahmen der Einzelfallabwägung Rechnung zu tragen ist. Außerdem ist zu sehen, dass der Kläger bisher nur einmal strafrechtlich belangt wurde.
Auf Seiten des Bleibeinteresses ist keines der in § 55 AufenthG geregelten typisierten Bleibeinteressen einschlägig. Zugunsten des Klägers kann aber berücksichtigt werden, dass er an diversen Deutschkursen teilgenommen hat und ein Studium in Deutschland beginnen möchte. Allerdings ist auch zu sehen, dass die dem Kläger in Aussicht gestellte Höchstdauer für einen Aufenthalt zum Zwecke von Sprachkursen ohne anschließende Aufnahme eines Hochschulstudiums längst abgelaufen ist und auch die für die Vorbereitung eines Studiums angemessene Aufenthaltsdauer abgelaufen sein dürfte. Ein Studium hat der Kläger bislang jedoch nicht aufgenommen. Auch hat er die notwendigen Voraussetzungen, insbesondere die Lebensunterhaltssicherung noch nicht geschaffen. Aus der Behördenakte und den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung folgt, dass sich die Studienpläne des Klägers während der Dauer seines Aufenthalts mehrfach grundlegend geändert haben. Zunächst war ein Philosophiestudium beabsichtigt (Bl. 40 der Behördenakte), später ein Studium an der Hochschule für … … … (Bl. 67 der Behördenakte) und zuletzt ein Studium an der EU Business School … (Sitzungsprotokoll Seite 6). Das erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgelegte, aber bereits vom 19. Juli 2017 stammende Schreiben der European Business School … steht der Zusage eines Studienplatzes an einer staatlich anerkannten Hochschule oder vergleichbaren Ausbildungseinrichtung nach Auskunft des Vertreters der Beklagten in der mündlichen Verhandlung nicht gleich, da nur bestimmte Kurse dieser Einrichtung als einer staatlichen Hochschule vergleichbar anerkannt werden können und außerdem die Zulassung zum Studium von der Zahlung erheblicher Studiengebühren abhängig ist, von denen unklar ist, wie der Kläger sie aufbringen will. Unter Berücksichtigung der gesamten Umstände, sind die Studienpläne des Klägers nicht konkret genug, um auf Seiten des Bleibeinteresses ausschlaggebend ins Gewicht zu fallen.
Dazu kommt, dass der Kläger sich erst seit nicht einmal drei Jahren in Deutschland aufhält und hier kaum verwurzelt ist. Er hat keinerlei familiäre Bindungen in Deutschland, auch sonstige soziale Bindungen sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Auch in wirtschaftlicher Hinsicht ist eine Verwurzelung nicht gegeben, da der Kläger – auch in Ermangelung einer entsprechenden Erlaubnis – in Deutschland nicht erwerbstätig war bzw. ist. Unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalles wiegt daher das Ausweisungsinteresse schwerer als das Bleibeinteresse des Klägers.
3.5. Die Ausweisungsentscheidung erweist sich unter Berücksichtigung generalpräventiver und spezialpräventiver Gesichtspunkte als geeignet, erforderlich und zumutbar, um der vom Kläger ausgehenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu begegnen.
Das Gericht folgt im Übrigen der Begründung des streitgegenständlichen Bescheides und sieht daher von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 117 Abs. 5 VwGO).
4. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Herabsetzung der in Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheides verfügten Befristung der gesetzlichen Wirkungen der Ausweisung. Die Befristung auf zwei Jahre ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO).
Gemäß § 11 Abs. 2 AufenthG ist das aus § 11 Abs. 1 AufenthG folgende Einreise- und Aufenthaltsverbot von Amts wegen zu befristen, wobei die Frist mit der Ausreise zu laufen beginnt. Gemäß § 11 Abs. 3 AufenthG wird über die Länge der Frist – anders als in der alten Fassung der Vorschrift – nach Ermessen entschieden. Die Ermessensentscheidung ist nach Maßgabe des § 114 VwGO (eingeschränkt) gerichtlich überprüfbar. Beachtliche Ermessensfehler sind nicht ersichtlich, insbesondere hält sich die behördliche Entscheidung in dem von § 11 Abs. 3 AufenthG festgelegten Rahmen.
Bei der Bestimmung der Länge der Frist sind das Gewicht des Ausweisungsgrundes und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Es bedarf in einem ersten Schritt der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die sich an der Erreichung des Ausweisungszwecks orientierende Sperrfrist muss sich dann in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen und den Vorgaben aus Art. 8 EMRK messen und gegebenenfalls relativieren lassen. Dieses normative Korrektiv bietet der Ausländerbehörde und den Gerichten ein rechtsstaatliches Mittel, um die fortwirkenden einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen zu begrenzen (BVerwG, U.v. 10.7.2012 – 1 C 19.11 – juris Rn. 42; BayVGH, U.v. 22.1.2013 – 10 B 12.2008 – juris Rn. 64; BayVGH U.v. 25.8. 2014 – 10 B 13.715 – juris Rn. 56).
Die von der Beklagten im Rahmen dieser Ermessensentscheidung getroffenen Erwägungen sind nach dem Maßstab des § 114 VwGO rechtlich nicht zu beanstanden. Dabei ist insbesondere zu sehen, dass die abgeurteilten Straftaten nach Art ihrer Begehung (planmäßiges und zielgerichtetes Vorgehen) und dem beachtlichen Gewicht des verletzten Rechtsguts (Sicherheit und Zuverlässigkeit des Rechtsverkehrs) geeignet sind, die gesetzte Frist zu tragen. Auf der Ebene der normativen Korrektur sind mangels familiärer, sozialer oder wirtschaftlicher Verwurzelung keine hinreichend gewichtigen Belange des Klägers erkennbar, die eine Reduzierung der Sperrfrist gebieten würden.
Das Gericht folgt im Übrigen auch im Hinblick auf die Befristung der Begründung des streitgegenständlichen Bescheides und sieht daher von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 117 Abs. 5 VwGO).
5. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis gemäß § 16 ff. AufenthG. Die in Ziffer 3 des streitgegenständlichen Bescheids ausgesprochene Ablehnung der Anträge auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis steht bereits die aus der Ausweisung folgende Titelerteilungssperre gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG entgegen. Diese tritt unbeschadet der aufschiebenden Wirkung der Klage mit Wirksamwerden der Ausweisungsverfügung ein (§ 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG). Das Gericht folgt im Übrigen der Begründung des streitgegenständlichen Bescheides und sieht daher auch insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.
6. Auch gegen die in den Ziffern 4-7 des streitgegenständlichen Bescheides getroffenen Regelungen bestehen keine rechtlichen Bedenken. Insbesondere sind die Ausreiseaufforderung, Ausreisefrist und Abschiebungsandrohung rechtlich nicht zu beanstanden. Das Gericht folgt auch insoweit der Begründung des streitgegenständlichen Bescheides und sieht daher von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.
7. Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
8. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

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