Aktenzeichen M 25 K 18.3791
Leitsatz
1 Den Bindungen zu erwachsenen Familienangehörigen darf in der grundrechtlich gebotenen Abwägung regelmäßig ein geringeres Gewicht beigemessen werden als im Verhältnis von Eltern zu minderjährigen Kindern. (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)
2 Der Status eines faktischen Inländers kann bei fehlender wirtschaftlicher Integration nicht zugebilligt werden. (Rn. 46) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Die im streitgegenständlichen Bescheid verfügte Ausweisung des Klägers ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO). Der Kläger hat zudem keinen Anspruch auf Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis und ist daher durch die Ablehnung des Antrags vom 4. Juli 2018 nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 5 S. 1 VwGO). Das siebenjährige Einreise- und Aufenthaltsverbot ist ebenfalls rechtmäßig ergangen (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).
I.
Die Ausweisung des Klägers erweist sich im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (vgl. BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn. 12) als rechtmäßig.
1. Rechtsgrundlage für die Ausweisung ist § 53 Abs. 1 AufenthG, wonach ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet, ausgewiesen wird, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen am weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.
a.) Der weitere Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet stellt eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit dar, da mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass der Kläger erneut erheblich straffällig wird. Bei der Beurteilung der Wiederholungsgefahr sind an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (vgl. zum Prognosemaßstab BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C10.12 – juris). Dabei sind unter anderem der konkrete, der Verurteilung zugrundeliegende Sachverhalt, das Nachtatverhalten, der Verlauf der Haft und gegebenenfalls eine Therapie zu berücksichtigen.
Beim Kläger handelt es sich um einen jugendlichen Intensivtäter mit hoher Rückfallgeschwindigkeit und einen mehrfachen Bewährungsversager. Der Kläger begeht seit seinem 15. Lebensjahr Straftaten, vornehmlich Körperverletzungsdelikte mit zunehmender Intensität. Er ist bis zu seinem 19. Lebensjahr bereits fünfmal wegen Körperverletzungsdelikten, auch wegen gefährlicher Körperverletzung, verurteilt worden. In der Vergangenheit haben weder Bewährungsstrafen noch Haftstrafen positiv auf den Kläger einwirken können.
Der Kläger wurde bereits in den Jahren 2014 und 2015 wegen Körperverletzungsdelikten verurteilt. Der Kläger war bereits wegen des Urteils vom 23. Juni 2015 vom 14. August 2015 bis 14. April 2016 in Haft. Die dort berücksichtigten Straftaten beging er in offener Bewährung.
Die Haftstrafe vom 14. August 2015 bis 14. April 2016 und die sich daran anschließende Reststrafenbewährungszeit haben den Kläger ebenfalls nicht dazu bewogen, sein Verhalten zu ändern. Im Gegenteil ist der Kläger nach Aussagen der Zeugin Frau Pereira Ribeiro bereits kurz nach der Haftentlassung wiederum in offener Bewährung gegenüber ihr handgreiflich geworden. Der Kläger hat die Zeugin auch geschlagen, als sie mit dem gemeinsamen Kind hochschwanger war. Auch die Geburt der eigenen Tochter hat zu keiner Verhaltensänderung geführt.
Die Schlägerei am 24. Februar 2017 ereignete sich, nachdem die Zeugin den Kläger bei der Polizei wegen Körperverletzung angezeigt hat und der Kläger auf Grund der Vorladung von der strafrechtlichen Verfolgung wusste. Die Tat vom 24. Februar 2017 bewog die Staatsanwaltschaft zudem, den außer Vollzug gesetzten Haftbefehl in einem früheren Verfahren mit Beschluss vom 11. August 2017 wegen Wiederholungsgefahr wieder in Kraft zu setzen.
Die Historie zeigt, dass den Kläger bislang keine strafrechtliche Verurteilung und auch eine Haftstrafe nicht davon abgehalten haben, weitere Straftaten zu begehen.
Der Kläger ging bei seinen Taten auch mit besonderer und sich steigernder Brutalität vor. Der Kläger stand bei seinen Taten unter Alkohol und/oder Drogeneinfluss. Nach Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung hat er zu dieser Zeit täglich 2-3 Gramm Marihuana und an den Wochenenden Ecstasy konsumiert. Von Bedeutung ist auch, dass der Kläger losschlug, ohne von anderen angegriffen oder provoziert worden zu sein. Der Kläger schlug seine Freundin mehrfach, auch als sie mit dem gemeinsamen Kind hochschwanger war. Beim Vorfall am 24. Februar 2017 gingen der Kläger und die beiden anderen Jugendlichen stark alkoholisiert auf eine Gruppe anderer Jugendliche los, ohne das es vorher von Seiten der Geschädigten zu Provokationen oder Angriffen gekommen wäre. Der Kläger agierte enthemmt und konnte seine Aggressionen nicht mehr steuern. Er trat mit erheblicher Brutalität weiter auf den Kopf eines anderen Jugendlichen ein, als dieser bereits am Boden lag.
Der Führungsbericht der JVA … vom 18. Oktober 2018 stellt zwar den Kläger als höflichen und unauffälligen Gefangenen dar. Allerdings ist davon auszugehen, dass der Kläger sich unter dem Eindruck der Haft entsprechend verhält.
Der Kläger verfügt über keine Berufsausbildung oder eine Arbeitsstelle, die Halt und Stabilität außerhalb der Haftanstalt verleihen könnten. Ob eine solche erlangt werden kann, ist angesichts des bisherigen schulischen- und beruflichen Werdegangs fraglich. Der Kläger hat seine Lehre als Maurer abgebrochen, weil er Schwierigkeiten in der Berufsschule mit dem Stoff hatte und sie ihm nach eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung keinen Spaß gemacht hat. Dem Kläger fehlt es damit bislang am notwendigen Durchhaltevermögen und der notwendigen Disziplin, sein Leben selbst zu organisieren. Laut Urteil des Amtsgerichts … … … … vom 23. Mai 2017 ist die soziale Situation des Klägers völlig ungefestigt. Maßgeblich ist auch, dass beim Kläger im Zusammenhang mit dem Konsum von Alkohol und Drogen weiterhin ein ungelöstes Gewaltproblem besteht. Ein Anti-Aggressivitäts- und Anti-Gewalttraining konnte er bislang aus Kapazitätsgründen nicht absolvieren. Er steht wegen seines Drogenkonsums mit der Suchtberatung in Kontakt. Laut dem Vollzugsplan vom 23. Juli 2018 wird eine Drogentherapie erwogen (Bl. 55 der Gerichtsakte). Solange eine erfolgreiche Drogentherapie nicht durchgeführt wurden und eine Bewährung in Freiheit nicht erfolgt ist, besteht die Wiederholungsgefahr weiter.
b.) Die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der gegenläufigen Interessen ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise das Bleibeinteresse des Klägers überwiegt und die Ausweisung nicht unverhältnismäßig ist (§ 53 Abs. 1 AufenthG).
Auf Grund der Verurteilung des Klägers vom 10. Oktober 2017 zu einer Einheitsjugendstrafe von 3 Jahren liegt ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG vor.
Dem steht auf Seiten des Klägers kein Bleibeinteresse nach § 55 AufenthG gegenüber. Der Kläger besitzt keine Aufenthaltserlaubnis, so dass weder die Regelung des § 55 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG noch des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG einschlägig ist. Die dem Kläger bis zur Ablehnung der beantragten Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis im streitgegenständlichen Bescheid erteilte Fiktionsbescheinigung stehen einem Aufenthaltstitel nicht gleich.
Ebensowenig besteht ein Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG. Der Kläger lebt weder mit einem deutschen Lebenspartner in familiärer oder lebenspartnerschaftlichen Lebensgemeinschaft, noch übt er ein Personensorgerecht bzw. Umgangsrecht mit einem deutschen Kind aus. Nach Aussage des Klägers und der in der mündlichen Verhandlung als Zeugin vernommenen Kindsmutter haben sich der Kläger und die Kindsmutter im Februar 2017 getrennt, nachdem die Zeugin den Kläger aus ihrer Wohnung geworfen hat. Eine Versöhnung fand nicht statt. Dem Kläger steht für seine Tochter Mayla Leoni kein Personensorgerecht zu. Ein Umgangsrecht wurde ihm auch nicht eingeräumt. Nach der familiengerichtlichen Vereinbarung vom 6. Juli 2017 wurde dem Kläger lediglich ermöglicht, über seinen rechtsanwaltlichen Vertreter einmal im Monat ein Foto oder Video seiner Tochter zu erhalten.
Auch unter Berücksichtigung der Belange oder des Wohls des Kindes ergibt sich kein Bleibeinteresse (vgl. § 55 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG). Der Kläger hat zwar die Vaterschaft hinsichtlich seiner Tochter … … anerkannt. Seine Anwesenheit im Bundesgebiet ist aber zum Wohle seiner Tochter nicht erforderlich. Zwischen dem Kläger und seiner Tochter besteht keine sozial-familiäre Bindung oder eine persönliche Verbundenheit, auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist. Nach der glaubwürdigen Aussage der Zeugin in der mündlichen Verhandlung hat der Kläger keine Bindung zu seiner Tochter aufgebaut. Der Kläger war zwar bei der Geburt des Kindes anwesend. Er hat bis zur Trennung am 7. Februar 2017 seine Tochter auch gefüttert und gewickelt. Durch diese Handlungen hat der Kläger gleichwohl keine derartige Bindung aufgebaut, die zum Wohle des Kindes aufrechterhalten werden müsste. In der Gesamtschau stellen sich diese Handlungen vielmehr als reine Versorgungsleistungen dar, die keine emotionale Bindung vermittelt haben. Die Zeugin hat zudem ausgesagt, dass sie den Kläger aus Angst vor Übergriffen mit der Tochter nicht allein gelassen hat. Selbst wenn man eine Nähebeziehung annehmen würde, so würde sie heute nicht mehr bestehen. Der Kläger hat seine Tochter seit Februar 2017 bis zu seiner Inhaftierung und auch danach nicht mehr gesehen oder Kontakt zu ihr gehabt. Er hat auch keinen Unterhalt gezahlt. Nach Angabe der Zeugin lebt sie nun zusammen mit der Tochter in einer neuen festen Beziehung. Die Tochter nennt den neuen Partner „Papa“. Der KIäger spielt im Leben der Tochter keine Rolle. Dies wird auch durch die familiengerichtliche Vereinbarung vom 6. Juli 2017 bestätigt, wonach dem Kläger kein Umgangsrecht oder Besuchsrecht eingeräumt wurde, sondern er lediglich regelmäßig Fotos oder Videos erhalten soll. Nach alldem ist die Anwesenheit des Klägers im Bundesgebiet zum Wohl der Tochter nicht erforderlich.
c.) Auch unter Berücksichtigung der in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten persönlichen Belange des Klägers und der Positionen aus Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK überwiegt das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse des Klägers. Die Entscheidung wahrt den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Zwar berührt die Ausweisung des Klägers seine familiären Beziehungen zu seiner Mutter, seinem Stiefvater und seinen Stiefgeschwistern, Art. 6 Abs. 1 GG. So leben seine Mutter, seine beiden Stiefgeschwister und sein Stiefvater in Deutschland. Der Kläger hat bis zu seinem Haftantritt auch überwiegend bei ihnen gewohnt. Diese verwandtschaftlichen Beziehungen des Klägers im Bundesgebiet sind zwar grundrechtlich geschützt. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass sich hieraus kein unmittelbarer Anspruch auf Aufenthalt ergibt, sondern dass er die Behörden verpflichtet, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die Bindungen des ausgewiesenen Ausländers zu Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, entsprechend dem Gewicht dieser Bindung Rechnung zu tragen. Eine Ausweisung greift in diese Familienbeziehungen ein. Den Bindungen zu erwachsenen Familienangehörigen darf in der grundrechtlich gebotenen Abwägung jedoch regelmäßig ein geringeres Gewicht beigemessen werden als im Verhältnis von Eltern zu minderjährigen Kindern. In Bezug auf Bindungen zu volljährigen Familienangehörigen gebieten es die Schutzwirkungen regelmäßig nicht, einwanderungspolitische Gründe oder sonstige öffentliche Belange, die gegen einen angestrebten Daueraufenthalt sprechen, zurückzustellen. Bindungen zwischen erwachsenen Personen genießen auch nicht unbedingt den Schutz nach Art. 8 Abs. 1 EMRK, es sei denn, es sind zusätzliche Elemente der Abhängigkeit dargelegt, die über die gefühlsmäßigen Bindungen hinausgehen (vgl. EGMR, U.v. 17.4.2003 – 52853/99 Yilmaz/Deutschland – juris Rn. 44). Die Familie des Klägers ist nicht auf seine Unterstützung angewiesen. Den Kontakt zu seiner Familie kann der Kläger auch über die neuen elektronischen Medien aufrechterhalten.
Mit seinem Kind und der Mutter seines Kindes unterhält der Kläger, wie oben ausgeführt, keine familiären Bindungen, die unter den Schutz des Art. 6 GG fallen könnten.
Auch unter Berücksichtigung des Rechts auf Achtung des Privatlebens i.S.d Art. 8 Abs. 1 EMRK ist die Ausweisungsentscheidung nicht unverhältnismäßig. Zwar ist der Schutzbereich des Art. 8 Abs1 EMRK auf Grund der langen Aufenthaltsdauer eröffnet, der durch die Ausweisung erfolgende Eingriff ist aber verhältnismäßig, Art. 8 Abs. 2 EMRK. Nach Art. 8 Abs. 2 EMRK darf eine Behörde in die Ausübung des in Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleisteten Rechts eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale oder öffentliche Sicherheit, zur Aufrechterhaltung der Ordnung oder zur Verhütung von Straftaten notwendig ist. Unter Berücksichtigung der von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte entwickelten Boultif-Üner Kriterien (EGMR, U.v. 2.8.2001 – 54273, Boultif; U. Große Kammer v. 18.10.2006 – 46410/99 Üner) erweist sich die Ausweisung des Klägers als verhältnismäßig.
Der Kläger ist im Bundesgebiet geboren und lebt seit 2008 wieder in Deutschland. Er ist hier zur Schule gegangen und hat sich hier ein Netzwerk an sozialen Beziehungen aufgebaut. Dabei verfügte er bis 11. September 2013 über einen Aufenthaltstitel. Allerdings hat sich der Kläger sozial und wirtschaftlich nicht in die Bundesrepublik Deutschland integriert. Der Kläger verfügt weder über einen Schulabschluss noch über eine abgeschlossene Berufsausbildung. Der Kläger hat nie länger gearbeitet. Seine Arbeitsstellen hat er nicht zuletzt durch seine Inhaftierungen immer wieder verloren. Der Kläger verliert durch die Ausweisung nicht eine etwaige erreichte berufliche Existenz.
Ebensowenig erfolgte eine soziale Integration. Der Kläger ist im Alter von 16 Jahren wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe verurteilt worden, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Danach folgten weitere Verurteilungen und auch eine Haftstrafe, von denen sich der Kläger nicht beeindrucken ließ. Er beging weitere Körperverletzungsdelikte mit zunehmender Brutalität. Die Straftat, die im Urteil vom 10. Oktober 2017 mit einer Jugendeinheitsstrafe von 3 Jahren geahndet wurde und Anlass der Ausweisung war, beging der Kläger als junger Erwachsener mit 19 Jahren. Von einer typischen Jugenddelinquenz kann angesichts der mehrmaligen Verurteilungen allerdings nicht ausgegangen werden. Da alle bislang unternommenen Versuche der Resozialisierung scheiterten, ist auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Kläger die Straftaten, die zur Ausweisung führten, als Jugendlicher bzw. als junger Erwachsener beging, die Ausweisung nicht unverhältnismäßig (vgl. EGMR, Große Kammer, U.v. 23.6.2008 – 1638/01 – Maslov II).
Der Kläger verfügt noch über Beziehungen nach Bosnien-Herzegowina. Der Kläger hat bis zum seinem 11. Lebensjahr dort gelebt. Er ist dort zur Schule gegangen und spricht die Landessprache. Nach seinen eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung hat er dort mit seiner Mutter bei seinem Großvater mütterlicherseits in einem Haus gelebt. Auf Grund der langen Zeit, die er in Bosnien-Herzegowina verbracht hat, kann davon ausgegangen werden, dass er mit den dortigen Lebensverhältnissen vertraut ist. Zudem lebt noch sein Onkel mit seiner Familie dort. Im Jahr 2009 bzw. 2010 hat der Kläger seinen Urlaub dort verbracht. Es ist anzunehmen, dass der Kläger nach seiner Rückkehr seine Kontakte wieder beleben und sich eine berufliche Existenz in Bosnien-Herzegowina aufbauen kann.
Der Status eines faktischen Inländers kann dem Kläger schon allein wegen der fehlenden wirtschaftlichen Integration nicht zugebilligt werden. Dieser Status kommt grundsätzlich für solche Ausländer in Betracht, die auf Grund des Einwachsens in die hiesigen Verhältnisse (Verwurzelung) bei gleichzeitiger Entfremdung von ihrem „Heimatland“ so eng mit der Bundesrepublik verbunden sind, dass sie gewissermaßen deutschen Staatsangehörigen gleichzusetzen sind, während sie mit ihrem „Heimatland“ im Wesentlichen nur noch das Band der Staatsangehörigkeit verbindet (vgl. BayVGH, U.v. 21.11.2017, Az.: 10 B 17.818). Gesichtspunkte für die Integration des Ausländers in Deutschland sind dabei zumindest ein mehrjähriger durchgehender Aufenthalt in Deutschland, gute deutsche Sprachkenntnisse und eine soziale Eingebundenheit in die hiesigen Lebensverhältnisse, wie sie etwa durch einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz, einen festen Wohnsitz, ausreichende Mittel, um den Lebensunterhalt einschließlich Krankenversicherungsschutz ohne die Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten zu können, und fehlende Straffälligkeit zum Ausdruck kommt.
Diese Voraussetzungen liegen aufgrund der erheblichen Straffälligkeit des Klägers, eines fehlenden Arbeitsplatzes sowie fehlender Mittel zur Sicherung des Lebensunterhalts nicht vor. Im Übrigen verfügt der Kläger noch über Bindungen zu seinem Herkunftsland, so dass eine völlige Entwurzelung nicht vorliegt. Aber selbst bei Annahme der Stellung eines faktischen Inländers würde dies nicht zur Unzulässigkeit der Ausweisung führen. Denn auch unter Berücksichtigung dieser Rechtsposition ist die Ausweisung angesichts der abgeurteilten Straftaten und bestehenden Wiederholungsgefahr nicht unangemessen.
Unter Berücksichtigung sämtlicher beim Kläger zu beachtender Belange, ist die verfügte Ausweisung im Hinblick auf die vom Kläger weiterhin ausgehende Gefahr der Begehung weiterer Straftaten nicht unverhältnismäßig.
2. Auch die in Ziff. 3 des Bescheides erlassene Ablehnung des Aufenthaltstitels ist rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstites. Einer Erteilung steht nach erfolgter Ausweisung die Regelung des § 11 Abs. 1 AufenthG entgegen.
3. Keinen Bedenken begegnet die Abschiebungsandrohung nach §§ 59, 58 AufenthG. Soweit die Abschiebung aus der Haft angekündigt wird (Ziff. 4 des Bescheides), erfüllt dies die Voraussetzungen von §§ 58 Abs. 3, 59 Abs. 5 AufenthG.
Die für den Fall einer Abschiebung nach Haftentlassung festgesetzte Ausreisefrist von einer Woche ist angemessen (Ziff. 5 des Bescheides). § 59 Abs. 1 S. 1 AufenthG sieht als Mindestfrist sieben Tage vor. Angesichts des Umstandes, dass der Kläger keinen Haushalt auflösen muss, er auch sonst keinen größeren organisatorischen Aufwand zur Abwicklung seiner hiesigen Lebensverhältnisse ergreifen muss und regelmäßige Verkehrsverbindungen nach Bosnien-Herzegowina bestehen, erscheinen sieben Tage als ausreichend.
4. Schließlich erweist sich auch die Wiedereinreisesperre von 7 Jahren als rechtmäßig. Hinsichtlich der Dauer der Sperrfrist gemäß § 11 Abs. 1, Abs. 2 AufenthG bedarf es der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen – das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zu Grunde liegt – das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. In diesem Rahmen sind auch verfassungsrechtliche Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 GG) sowie die Vorgaben aus Art. 7 Grundrechtscharta, Art. 8 EMRK zu berücksichtigen (BVerwG, U.v.13.12.2012 – 1 C 20/11 – juris). Die vom Gericht nur beschränkt überprüfbare Ermessensentscheidung lässt keine Rechtsfehler erkennen. Der Kläger hat fortgesetzt und zuletzt auch ganz erhebliche Straftaten begangen, so dass die Befristung gem. § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG grundsätzlich fünf Jahre überschreiten durfte.
Ausgehend von der bestehenden Gefahr der Wiederholung von Straftaten auch auf Grund der bislang fehlenden Therapien und unter Berücksichtigung seiner fehlenden wirtschaftlichen Integration in der Bundesrepublik erscheint eine Frist von 7 Jahren als angemessen. Seine sozialen Bindungen insbesondere zu seiner Familie kann der Kläger über die neuen elektronischen Medien aufrechterhalten. Eine besonders schützenswerte Beziehung zu seiner Tochter besteht gerade nicht. Schon auf Grund der familiengerichtlichen Vereinbarung vom 6. Juli 2017 wird der Kläger als leiblicher Vater im Leben seiner Tochter bis auf weiteres keine Rolle spielen. Zudem ermöglicht § 11 Abs. 4 AufenthG zur Wahrung schutzwürdiger Interessen oder soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, eine Verkürzung oder Aufhebung des Verbots. Kurzfristige Betretungserlaubnisse können über § 11 Abs. 8 AufenthG gewährt werden.
II.
Die Klage ist nach alledem mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
III.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 111 ZPO.