Aktenzeichen M 25 K 17.3983
Leitsatz
Gesichtspunkte für die Integration eines Ausländers in Deutschland iSd Status eines faktischen Inländers sind zumindest ein mehrjähriger durchgehender Aufenthalt in Deutschland, gute deutsche Sprachkenntnisse und eine soziale Eingebundenheit in die hiesigen Lebensverhältnisse. Die soziale Eingebundenheit zeigt sich etwa durch einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz, einen festen Wohnsitz, ausreichende Mittel, um den Lebensunterhalt einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne die Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten zu können, und fehlende Straffälligkeit. (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die Klage ist nicht begründet. Die im streitgegenständlichen Bescheid verfügte Ausweisung des Klägers verbunden mit einem dreijährigen Einreise- und Aufenthaltsverbot sowie die Abschiebungsandrohung in die Ukraine sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die beantragte Aufenthaltserlaubnis, § 113 Abs. 5 VwGO.
1. Die Ausweisung des Klägers aus dem Bundesgebiet ist rechtmäßig.
a) Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ausweisungsentscheidung ist auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Gerichts abzustellen (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.2012 – 1 C 19.11 – juris).
b) Rechtsgrundlage der Ausweisung ist § 53 Abs. 1 AufenthG, wonach ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet, ausgewiesen wird, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.
c) Der weitere Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet stellt eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit dar, da mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass der Kläger erneut erheblich straffällig wird (vgl. zum Prognosemaßstab BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris).
Der Kläger wurde mit Urteil des Amtsgerichts … vom 3. Dezember 2012 unter Einbeziehung der Urteile des Amtsgerichts … vom 16. Mai 2011 und vom 26. September 2011 zu einer Einheitsjugendstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt. Der Verurteilung vom 16. Mai 2011 lag unter anderem zugrunde, dass der Kläger in alkoholisiertem Zustand ein Leichtkraftrad ohne die erforderliche Fahrerlaubnis geführt hat. Neben der Verurteilung wegen Betrugs in acht Fällen, in denen sich der Kläger unter Vorgabe einer finanziellen Notlage Geld als zinsloses Darlehen von Dritten erbat, lag dem Urteil vom 26. September 2011 eine vorsätzliche Körperverletzung und Beleidigung zugrunde. Der Kläger hat die Aufforderung des zuständigen Eismeisters, das Eisstadion zu verlassen, nicht befolgt, diesen beleidigt und mit der Faust ins Gesicht geschlagen.
Am 17. Dezember 2011 störte der Kläger einen Polizeieinsatz am Münchner Hauptbahnhof. Da er trotz mehrfacher Aufforderungen einem ausgesprochenen Platzverweis nicht nach kam, wurde er zur Wache verbracht, wo er in Richtung eines Polizeibeamten trat, der jedoch ausweichen konnte. Am 5. März 2012 fuhr der Kläger mit einem Zug der D. B. AG ohne im Besitz eines gültigen Fahrausweises zu sein (Urteil vom 3. Dezember 2012). Der Kläger wurde in offener Bewährung mehrmals straffällig.
Seit dem Kindesalter ist der Kläger verhaltensauffällig. Mehrere kinder- und jugendpsychiatrische Maßnahmen blieben ohne Erfolg. Auch mehrere Unterbringungen mit dem Ziel der Behandlung der Alkoholsucht des Klägers scheiterten am Willen und der Bereitschaft des Klägers, aktiv mitzuwirken und blieben somit erfolglos.
Am 13. März 2014 beleidigte der Kläger in erheblich alkoholisiertem Zustand zwei Polizeibeamte. Am 18. Juli 2014 schlug der Kläger einer anderen Person mit der Faust ins Gesicht, so dass diese ein blaues Auge bekam. Auch bei dieser Tat war der Kläger alkoholisiert. Diese beiden Geschehnisse führten zur Verurteilung vom 11. Mai 2015. Das Gericht führte hierzu nach Einholung eines Sachverständigengutachtens aus, „dass der Kläger unter dem Einfluss von Alkohol und gegebenenfalls anderer psychotischer Substanzen nicht mehr ausreichend in der Lage ist, seine Impulse und Aggressionen zu kontrollieren. Es besteht die konkrete Gefahr, dass der Kläger weitere Straftaten begehen wird, wenn er seinen Substanzkonsum fortsetzt. Insbesondere ist von erneuten Aggressionsdelikten, vergleichbar den bisherigen Taten in Form von Beleidigung und Bedrohung aber auch Gewaltdelikten wie Körperverletzungen auszugehen. Der Kläger zeigt keine positive Einstellung zur Einhaltung von Regeln und Anerkennung von Autoritäten. Darüber hinaus bestehen kaum tragfähige Bindungen oder ein Sozialleben“.
Diese Einschätzung wird auch durch das Ergebnis der mündlichen Verhandlung bestätigt. Der Kläger sieht die Schuld für sein delinquentes Verhalten nur bei anderen und nicht bei sich selbst. Auch die Bewährungshilfe führt im Bericht vom 3. November 2017 aus, dass der Kläger anhaltend gröblich und beharrlich gegen die Kontakthaltungspflicht mit der Bewährungshilfe sowie das Alkohol- und Betäubungsmittelverbot verstößt. Ohne die Behandlung der erheblichen Suchtproblematik beim Kläger ist somit von einer weiterhin bestehenden hohen Gefahr der Begehung weiterer Straftaten auszugehen.
d) Die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der gegenläufigen Interessen ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise das Bleibeinteresse des Klägers überwiegt und die Ausweisung nicht unverhältnismäßig ist, § 53 Abs. 1 AufenthG.
Da der Kläger mit Urteil des Amtsgerichts … vom 3. Dezember 2012 zu einer Einheitsjugendstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt wurde und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist, liegt ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vor.
Dem steht auf Seiten des Klägers kein Bleibeinteresse gegenüber. Der Kläger besitzt keine Aufenthaltserlaubnis, so dass weder die Regelung des § 55 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG noch des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG einschlägig ist. Die dem Kläger bis zur Ablehnung der beantragten Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis im streitgegenständlichen Bescheid erteilten Fiktionsbescheinigungen stehen einem Aufenthaltstitel nicht gleich.
Auch eventuell bestehende zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG stellen, entgegen der von der Bevollmächtigten des Klägers vorgetragenen Ansicht, kein Bleibeinteresse im Sinn des § 55 Abs. 2 AufenthG dar. Denn zum einen handelt es sich hierbei um Regelungen, welche mit den typisierten Bleibeinteressen, welche an unterschiedliche Grade der Aufenthaltsverfestigung anknüpfen, in keiner Beziehung stehen. Des Weiteren sind die Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG einer Abwägung im Sinne des § 53 Abs. 1 AufenthG nicht zugänglich.
Auch unter Berücksichtigung der in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten persönlichen Belange des Klägers und der Positionen aus Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK überwiegt das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse des Klägers. Die Entscheidung wahrt den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
Zwar berührt die Ausweisung des Klägers die familiären Beziehungen zu seiner Mutter sowie seinen Geschwistern, Art. 6 Abs. 1 GG. Diese Beziehung beschränkte sich jedoch auf das kurzzeitige Übernachten, soweit der Kläger nicht in Heimen oder in Haft war. Einer Beeinflussung durch seine Mutter hat sich der Kläger bereits im Kindes- bzw. Jugendalter entzogen. Der Kontakt zu seiner Familie kann auch über neue elektronische Medien aus der Ukraine aufrechterhalten werden. Diese ist auf Unterstützung durch ihn nicht angewiesen.
Auch unter Berücksichtigung des Rechts auf Achtung des Privatlebens i.S. des Art. 8 Abs. 1 EMRK ist die Ausweisungsentscheidung nicht unverhältnismäßig.
Das von Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Privatlebens ist als Summe der persönlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Beziehung zu verstehen, die für das Leben eines Menschen in der Gesellschaft konstitutiv sind und denen – angesichts der zentralen Bedeutung dieser Bindungen für die Entfaltung der Persönlichkeit eines Menschen – bei fortschreitender Dauer des Aufenthaltes wachsende Bedeutung zukommt (BVerwG, U.v. 22.5.2012 – 1 C 6/11 – juris).
Zwar ist der Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK aufgrund des langen Aufenthalts des Klägers im Bundesgebiet eröffnet, der durch die Ausweisung erfolgende Eingriff ist aber verhältnismäßig im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK. Danach darf eine Behörde in die Ausübung des in Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleisteten Rechts eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale oder öffentliche Sicherheit, zur Aufrechterhaltung der Ordnung oder zur Verhütung von Straftaten notwendig ist.
Unter Berücksichtigung der von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entwickelten Boultif-Üner-Kriterien (EGMR, U.v. 2.8.2001 – 54273-00, Boultif; U.v. 5.7.2005 – 46410/99; U. Große Kammer v. 18.10.2006 – 46410/99, Üner) erweist sich die Ausweisung des Klägers als verhältnismäßig.
Der Kläger kam im Alter von drei Jahren gemeinsam mit seiner Mutter sowie seinem Bruder und seinem Stiefvater und Stiefbruder ins Bundesgebiet und hält sich seit dem durchgehend hier auf. Er spricht zwar perfekt Deutsch, eine soziale und berufliche Integration des Klägers liegt jedoch nicht vor. Bereits während der Schulzeit fiel der Kläger negativ auf. Wegen massiver Verhaltensauffälligkeiten (Dauernde Störung des Unterrichts, mangelnde Lernbereitschaft, Verweigerungshaltung, aggressives Verhalten anderen Kindern gegenüber, sexualisiertes Verhalten, Diebstähle, Sachbeschädigungen, Erpressungen, Alkoholmissbrauch, Bedrohungen u.a.) durchlief der Kläger mehrere kinder- und jugendpsychiatrische Maßnahmen, welche alle erfolglos blieben. Einen Schulabschluss erreichte er während der normalen Schulzeit nicht. Erst während seiner Haft in Jahr 2014 hat er nach eigenen Angaben den qualifizierenden Hauptschulabschluss erreicht. Eine berufliche Ausbildung hat der Kläger nicht gemacht. Er hat auch nie länger gearbeitet. Nennenswerte soziale Kontakte hat der Kläger mit Ausnahme der Beziehungen zur Familie nicht vorgebracht, wobei sein Stiefvater sowie seine Mutter jegliche Einflussmöglichkeit auf ihn verloren haben.
Bereits im Alter von 14 Jahren wurde der Kläger wegen gefährlicher Körperverletzung (Tatzeit 9. Februar 2009) am 21. September 2009 zu einer Woche Jugendarrest verurteilt. Danach folgten weitere Verurteilungen, von denen sich der Kläger jedoch nicht beeindrucken ließ. Auch die Straftat, die im Urteil vom 3. Dezember 2012 mit einer Jugendstrafe von einem Jahr und neun Monaten geahndet wurde und Anlass der Ausweisung war, beging der Kläger als Jugendlicher. Von einer typischen Jugenddelinquenz kann angesichts der mehrmaligen Verurteilungen nicht ausgegangen werden. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass seit dem Jahr 2010 erfolglos versucht wurde, beim Kläger hinsichtlich seiner Alkohol- und Suchtproblematik eine Entziehungskur durchzuführen. Letztendlich scheiterten diese Versuche immer an der fehlenden Mitwirkungsbereitschaft des Klägers. Sämtliche Versuche, eine Resozialisierung des Klägers zu erreichen, scheiterten ebenfalls. Eine Einflussnahme der Mutter des Klägers auf diesen war seit längerem nicht mehr möglich. Die Reststrafe des Klägers wurde ab dem Februar 2017 im Erwachsenenvollzug vollstreckt, da auch aus Sicht des Gerichts eine positive Einflussnahme auf den Kläger nicht mehr möglich war. Die Ausweisung des Klägers erfolgte erst im Jahr 2017, als der Kläger bereits 22 Jahre alt war. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass der Kläger nach seiner Haftentlassung am 12. September 2017 erneut mehrmals polizeilich in erheblich alkoholisiertem Zustand aufgegriffen wurde und derzeit wegen des Verdachts der sexuellen Nötigung in Untersuchungshaft sitzt.
Auch als Volljähriger wurde der Kläger der vorsätzlichen Körperverletzung und Beleidigung in zwei Fällen für schuldig befunden und die Unterbringung des Klägers in eine Entziehungsanstalt angeordnet, wobei er aus dieser sofort wieder entwich und die Maßnahme wegen Erfolglosigkeit abgebrochen wurde.
Auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass der Kläger die Straftaten, die zur Ausweisung führten, als Jugendlicher beging, ist die Ausweisung nicht unverhältnismäßig (vgl. EGMR, Große Kammer, U.v. 23. 6 2008 – 1638/03 – Maslov II), da alle Versuche einer Resozialisierung scheiterten.
Der Kläger verfügt durchaus noch über Beziehungen zu seinem Herkunftsstaat.
Er ist in einer ukrainisch sprechenden Familie aufgewachsen und spricht nach eigenen Angaben Ukrainisch. Er hat durchaus Beziehungen in die Ukraine. Nach eigenen Angaben war er mindestens zwei Mal für mehrere Wochen in der Ukraine, wobei er beim letzten Aufenthalt die Taufmutter seines Bruders besucht hat. Auch wenn die Situation sich für den Kläger bei einer Rückkehr in die Ukraine als schwierig gestalten sollte, ist dort die Integration mit staatlicher Hilfe (s.u.) und mit Unterstützung seiner im Bundesgebiet lebenden Familie möglich.
Auch angesichts der Alkohol- und Drogenproblematik sowie der Geschäftsunfähigkeit des Klägers ist eine Rückkehr für diesen in die Ukraine zumutbar. Nach der vom Beklagten bei der deutschen Botschaft in Kiew eingeholten Auskunft gibt es verschiedene Hilfsangebote hinsichtlich der medizinischen und psychologischen Betreuung bei Alkohol- und Drogenabhängigkeit in der Ukraine. Auch die Möglichkeit einer gesetzlichen Betreuung geschäftsunfähigen Personen ist in der Ukraine gegeben (vgl. hierzu die E-Mail der deutschen Botschaft Kiew vom 19.10.2017).
Der Status eines faktischen Inländers kann dem Kläger nicht zugebilligt werden. Dieser Status kommt grundsätzlich für solche Ausländer in Betracht, die aufgrund des Einwachsens in die hiesigen Verhältnisse (Verwurzelung) bei gleichzeitiger Entfremdung von ihrem „Heimatland“ so eng mit der Bundesrepublik verbunden sind, dass sie gewissermaßen deutschen Staatsangehörigen gleichzusetzen sind, während sie mit ihrem „Heimatland“ im Wesentlichen nur noch das Band ihrer Staatsangehörigkeit verbindet (vgl. BayVGH, U.v. 21.11.2017, Az.: 10 B 17.818). Gesichtspunkte für die Integration des Ausländers in Deutschland sind dabei zumindest ein mehrjähriger durchgehender Aufenthalt in Deutschland, gute deutsche Sprachkenntnisse und eine soziale Eingebundenheit in die hiesigen Lebensverhältnisse, wie sie etwa durch einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz, einen festen Wohnsitz, ausreichende Mittel, um den Lebensunterhalt einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne die Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten zu können, und fehlende Straffälligkeit zum Ausdruck kommt.
Diese Voraussetzungen liegen aufgrund der erheblichen Straffälligkeit des Klägers, eines fehlenden Arbeitsplatzes, sowie fehlender Mittel zur Sicherung des Lebensunterhalts nicht vor. Im Übrigen hat der Kläger ausgeführt, durchaus noch Beziehungen zu seinem Herkunftsland zu haben, so dass eine völlige Entwurzelung nicht vorliegt. Aber selbst bei Annahme der Stellung eines faktischen Inländers würde dies nicht zur Unzulässigkeit der Ausweisung führen. Denn auch unter besonderer Berücksichtigung dieser Rechtsposition ist die Ausweisung, angesichts der abgeurteilten Straftaten und der Gefahr der Begehung weiterer Straftaten, nicht unangemessen.
Unter Berücksichtigung sämtlicher beim Kläger zu beachtenden Belange, ist die verfügte Ausweisung im Hinblick auf die vom Kläger weiterhin ausgehende Gefahr der Begehung weiterer Straftaten nicht unverhältnismäßig.
2. Auch die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf drei Jahre ist nicht zu beanstanden. Hinsichtlich der Dauer der Sperrfrist gemäß § 11 Abs. 1, Abs. 2 AufenthG bedarf es der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen – das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zugrunde liegt – das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. In diesem Rahmen sind auch verfassungsrechtliche Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) sowie die Vorgaben aus Art. 7 Grundrechtecharta, Art. 8 EMRK zu berücksichtigen (BVerwG, U.v. 13.12.2012 – 1 C 20/11 – juris).
Ausgehend von der bestehenden Gefahr der Wiederholung weiterer Straftaten durch den Kläger und aufgrund des Umstands, dass sich der Kläger seit Jahren einer Therapie seiner Alkohol- und Drogensucht verweigert, erscheint auch unter Berücksichtigung der geringen persönlichen und familiären Bindungen des Klägers zum Bundesgebiet sowie des nunmehr 20-jährigen Aufenthalts im Bundesgebiet eine Frist von drei Jahren angemessen, aber auch erforderlich, um einer schwerwiegenden Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch die Begehung weiterer Straftaten zu begegnen.
Ergänzend wird auf die Ausführungen des Bescheides Bezug genommen.
3. Keinen Bedenken begegnet die auf §§ 59, 58 AufenthG gestützte Abschiebungsandrohung. Soweit die Abschiebung aus der Haft angekündigt wird, erfüllt dies die Voraussetzungen von § 58 Abs. 3, § 59 Abs. 5 AufenthG.
Der Abschiebung des Klägers in die Ukraine stehen auch keine zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5, Abs. 7 AufenthG entgegen.
Eine Abschiebung ist gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG unzulässig, wenn sich dies aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) ergibt. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen werden.
Unzureichende wirtschaftliche Verhältnisse im Herkunftsland können in Ausnahmefällen, in denen die schlechten humanitären Verhältnisse eine konkrete Gefahr für Leib oder Leben des Asylbewerbers darstellen, ein Abschiebungsverbot in diesem Sinn begründen. In ganz außergewöhnlichen Fällen können auch (schlechte) humanitäre Verhältnisse Art. 3 EMRK verletzen, wenn die humanitären Gründe gegen die Ausweisung „zwingend sind“. Dies gilt in den Fällen, in denen die schlechten Bedingungen überwiegend auf die Armut oder die fehlenden staatlichen Mittel, um mit Naturereignissen umzugehen, zurückzuführen sind. Unter Berücksichtigung sämtlicher Gegebenheiten des Einzelfalls ist von einem sehr hohen Niveau der Gefährdung auszugehen (BayVGH, U.v. 21.10.2014 – 13 AB 14.30285 – juris).
Diese Voraussetzungen liegen jedoch nicht vor. Auch angesichts der beim Kläger bestehenden Alkohol- und Drogensucht sowie dessen fehlender Geschäftsfähigkeit ist davon auszugehen, dass das Überleben des Klägers bei der Rückkehr in die Ukraine gesichert ist.
Nach dem psychiatrischen Gutachten vom 27. Dezember 2017 liegt beim Kläger eine organische Persönlichkeits- und Wesensänderung bei langjähriger Alkoholabhängigkeit sowie eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit dissozialen und emotional instabilen Zügen vor. Es handelt sich dabei um eine vorübergehende krankhafte Störung der Geistestätigkeit, bei der es unter einer konsequenten Abstinenz noch zu einer Besserung kommen kann.
Der Verdacht auf eine Grenzbegabung bzw. intellektuelle Minderbegabung dürfte sich aufgrund der Angaben des Klägers, dass er den qualifizierenden Hauptschulabschluss während seiner Haftzeit nachgemacht hat, nicht erhärten lassen. Der Kläger ist geschäftsunfähig und weiterhin nicht in der Lage, seine eigenen Angelegenheiten selbstständig zu regeln. Er ist auf eine längerfristige Betreuung angewiesen. Nach dem Länderinformationsblatt des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge hinsichtlich der Ukraine (Stand: August 2013) erhalten alle ukrainischer Staatsbürger kostenlose Versorgung und Behandlung in den öffentlichen Gesundheitseinrichtungen. In der Ukraine gibt es ein Netzwerk von psychiatrischen Kliniken, die entsprechend dem Schweregrad der psychischen Erkrankung aufgeteilt sind. Die Patienten erhalten Unterkunft, Vollverpflegung und medizinische Behandlung (Seite 19). Heimkehrer ohne Angehörige in der Ukraine werden von staatlichen Stellen unterstützt. Das Zentrum für die Wiedereingliederung obdachloser ukrainischer Staatsbürger beim Ministerium für Arbeit und Sozialpolitik unterstützt obdachlose Menschen. Obdachlose können in diesen Zentren untergebracht werden und erhalten dort Nahrung sowie die notwendige Unterstützung für ihre intellektuelle Weiterentwicklung (S. 20.)
Nach der vom Auswärtigen Amt vorgelegten Stellungnahme der Kooperationsärztin Doktor I. J. vom 13. Februar 2017 stellt der ukrainische Staat eine Behandlung von Drogenabhängigen in den regionalen medizinischen Einrichtungen zur Verfügung, welche von Kommunalbehörden kontrolliert und von lokalen Budgets finanziert wird. Alle Behandlungsprogramme haben einheitliche Standards in Übereinstimmung zu nationalen und internationalen Protokollen.
Die Möglichkeit einer gesetzlichen Betreuung Geschäftsfähiger besteht nach der Auskunft der Deutschen Botschaft in K. in der Ukraine ebenfalls. Der für die Rückführung ukrainischer Staatsangehöriger zuständige staatliche Migrationsdienst der Ukraine (DMSU) unterstützt bei der Suche nach einer adäquaten Behandlung nach erfolgter Abschiebung. Auch die Mitarbeiter der Botschaft am Flughafen können unterstützend tätig werden.
Der Abschiebung des Klägers steht auch kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG entgegen.
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen.
Die befürchtete Verschlimmerung einer Krankheit kann die Voraussetzung einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib oder Leben im Sinn des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG als Folge fehlender Behandlungsmöglichkeiten im Herkunftsland begründen, wenn eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität zu erwarten ist. Das wäre der Fall, wenn sich der Gesundheitszustand des Klägers wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtern würde (BVerwG, B.v. 24.5.2006 – 1 B 118/05 – NVwZ 2007, 3345). Nicht gravierende oder nicht hinreichend wahrscheinliche Gefahren sind dabei nicht ausreichend. Eine konkrete Gefahr liegt dann vor, wenn die Verschlechterung alsbald nach der Rückkehr ins Herkunftsland eintreten würde, weil der Ausländer auf die dort unzureichende Möglichkeit der Behandlung angewiesen wäre und anderswo wirksame Hilfe nicht in Anspruch nehmen könnte (vgl. hierzu auch BVerwG, U.v. 29.7.1999 – 9 C 2/99 – juris).
Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Der Kläger ist alkohol- und drogensüchtig. Er hat sich einer Behandlung im Bundesgebiet seit Jahren widersetzt. Eine fehlende Behandlung führt zu keiner weiteren Gesundheitsverschlechterung. Im Übrigen ist die Alkohol- und Drogensucht des Klägers, wie oben aufgeführt, auch in der Ukraine behandelbar.
Der Abschiebung des Klägers steht auch kein Abschiebungsverbot in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG entgegen.
Im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG analog wird die Frage geprüft, ob bei Gefahren, die der Bevölkerung oder der Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein drohen und bei denen eine politische Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG fehlt, ausnahmsweise Verfassungsrecht in Fällen einer extremen Gefahrenlage ein Abschiebungsverbot erforderlich macht. In diesem Zusammenhang wird auch die schlechte wirtschaftliche Lage im Herkunftsland berücksichtigt (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2001 – 1 C 5.01 – Rn. 15 ff. juris).
Der Kläger ist bei einer Rückkehr in die Ukraine jedoch keinen extremen Gefahren ausgesetzt. Wie bereits oben zu § 60 Abs. 5 AufenthG ausgeführt, ist auch angesichts der Erkrankung des Klägers und der Geschäftsunfähigkeit ein Überleben in der Ukraine sichergestellt.
4. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, da diesem Anspruch nach der erfolgten Ausweisung die Regelung des § 11 Abs. 1 AufenthG entgegensteht.
Die Klage ist somit mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.