Verwaltungsrecht

Ausweisung wegen illegalen Aufenthalts bei vollziehbarer Ausreisepflicht

Aktenzeichen  10 ZB 15.1804

Datum:
20.2.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 103750
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1
AufenthG § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, § 50 Abs. 1, § 53 Abs. 1, Abs. 2, § 54 Abs. 2 Nr. 9, § 55 Abs. 1 Nr. 4, § 58 Abs. 2, § 60a Abs. 2 S. 1
EMRK Art. 8

 

Leitsatz

1 Eine nach altem Recht verfügte Ausweisung ist nach Inkrafttreten der §§ 53 bis 55 AufenthG in ihrer Neufassung am 1. Januar 2016 nicht rechtsfehlerhaft, wenn sie den ab diesem Zeitpunkt geltenden gesetzlichen Anforderungen entspricht.  (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Weigerung, einer vollziehbaren Ausreisepflicht nachzukommen, führt nicht etwa zu einem Duldungsanspruch nach § 60a Abs. 2 S. 1 AufenthG wegen eines tatsächlichen Abschiebungshindernisses.  (redaktioneller Leitsatz)
3 Fehlen Nachweise für eine erfolgte Eheschließung und eine familiäre Lebensgemeinschaft und ist auch nicht ersichtlich, dass der Kläger Inhaber des Personensorgerechts für seine nicht ehelich geborene deutsche Tochter ist oder dass er derzeit das Umgangsrecht für das Kind auch tatsächlich ausübt, ist ein besonders schwerwiegendes Bleiberecht nicht substantiiert dargelegt.  (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 1 K 15.691 2015-07-21 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,– Euro festgesetzt.
IV. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Zulassungsverfahren wird abgelehnt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage auf Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 5. Mai 2015 weiter. Mit diesem Bescheid wies die Beklagte den Kläger aus dem Bundesgebiet aus und befristete die Wirkungen der Ausweisung auf eineinhalb Jahre nach Ausreise (1.). Zudem hat der Kläger beantragt, ihm für das Zulassungsverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen (2.).
1. Der Zulassungsantrag ist abzulehnen, weil die allein geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht vorliegen.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteil im Sinne dieser Bestimmung bestünden nur dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11, B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16). Dies ist jedoch nicht der Fall.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage gegen die Ausweisungsverfügung und die Befristungsentscheidung im Bescheid vom 5. Mai 2015 mit der Begründung abgewiesen, dass der Kläger den Ausweisungstatbestand des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG a.F. erfüllt habe, weil er sich seit 14. November 2014 illegal im Bundesgebiet aufhalte. Zudem habe er sich wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte strafbar gemacht, als er sich zweimal der von der Beklagten eingeleiteten Abschiebung durch aktiven Widerstand widersetzt habe. Die Beklagte habe das ihr im Rahmen des § 55 AufenthG zustehende Ermessen in rechtlich nicht zu beanstandender Weise ausgeübt. Sie habe insbesondere berücksichtigt, dass die Zeugin K. ein Kind vom Kläger erwarte, das die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen werde. Auch sei berücksichtigt worden, dass der Kläger die Zeugin K. heiraten wolle. Die Ausweisung sei auch mit Art. 8 EMRK vereinbar. Möglicherweise könne sich der Kläger auf den Schutz des Privatlebens gar nicht berufen, weil er sich erst seit vergleichsweise kurzer Zeit im Bundesgebiet aufhalte, hier noch keine nennenswerten Integrationsleistungen erbracht habe und lediglich im Besitz einer Duldung gewesen sei. Aktuell verfüge der Kläger über keine schützenswerten familiären Beziehungen, da er mit der Zeugin K. noch nicht in familiärer Lebensgemeinschaft lebe und das gemeinsame Kind noch nicht geboren sei. Selbst wenn man im Vorgriff auf eine möglicherweise zu erwartende familiäre Bindung eine Verhältnismäßigkeitsprüfung anstellen würde, fiele diese zulasten des Klägers aus. Die Aufenthaltsbeendigung erscheine nicht unzumutbar, da er in sein Heimatland zurückkehren könne und von dort innerhalb eines absehbaren Zeitraums mit einem Visum zu seinem Kind und gegebenenfalls zu seiner künftigen Ehefrau nach Deutschland einreisen könne.
Im Zulassungsverfahren bringt der Kläger vor, dass das Kind inzwischen geboren sei. Mit der Mutter des Kindes könne der Kläger deshalb nicht zusammenleben, weil er einer Gemeinschaftsunterkunft zugewiesen sei. Allerdings sehe er das Kind nahezu täglich. Die Interessenabwägung des Verwaltungsgerichts sei fehlerhaft. Der Zeitraum, in dem er sich inzwischen in Deutschland aufhalte, könne nicht als gering bezeichnet werden. Es erscheine sehr fraglich, dass er in seinem Heimatland wieder kurzfristig Fuß fassen könne. Auch halte er sich nicht illegal im Bundesgebiet auf. Die Abschiebungen seien gescheitert. Für den Fall der Unmöglichkeit der Abschiebung sei ihm zunächst eine Duldung zu erteilen.
Diese Ausführungen begründen – gemessen an den nunmehr maßgeblichen Regelungen der § 53 ff. AufenthG in der ab 1. Januar 2016 gültigen Fassung des Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015 (BGBl I S. 1386) – keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils im Hinblick auf die angefochtene Ausweisung.
Die Beurteilung, ob ein Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 VwGO vorliegt, richtet sich grundsätzlich nach dem Zeitpunkt der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 15.1.2013 -1 C 10.12 – juris Rn. 12). Eine nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ist daher zu berücksichtigen. Die Änderung der Sach- und Rechtslage ist allerdings grundsätzlich nur in dem durch die Darlegung des Rechtsmittelführers vorgegebenen Prüfungsrahmen relevant (BayVGH, B.v. 16.11.2016 – 10 ZB 16.81 – juris Rn. 8 m.w.N.).
Der Senat hat daher das verwaltungsgerichtliche Urteil vom 21. Juli 2015 unter Berücksichtigung des Zulassungsvorbringens – in Ermangelung einer entgegenstehenden Übergangsregelung – anhand der § 53 ff. AufenthG in der aktuell gültigen Fassung zu überprüfen. Eine – wie hier – nach altem Recht verfügte Ausweisung ist nach Inkrafttreten der §§ 53 bis 55 AufenthG in ihrer Neufassung am 1. Januar 2016 nicht rechtsfehlerhaft, wenn sie den ab diesem Zeitpunkt geltenden gesetzlichen Anforderungen entspricht, also gemäß der zentralen Ausweisungsnorm des § 53 Abs. 1 AufenthG der weitere Aufenthalt des Ausländers im Bundesgebiet die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet und die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.
Die Ausweisung des Klägers ist unter Berücksichtigung des dargelegten Maßstabs rechtmäßig. Vom weiteren Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet geht nach wie vor eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung aus (1.1). Ebenso ist nach der erforderlichen Abwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalls (§ 53 Abs. 1 und 2 AufenthG) das Ausweisungsgegenüber dem Bleibeinteresse des Klägers als vorrangig anzusehen (1.2).
1.1 Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass sich der Kläger seit 14. November 2014 ohne den erforderlichen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet aufhält und dadurch den Straftatbestand des § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG erfüllt hat. Entgegen seinem Vorbringen im Zulassungsverfahren hat er keinen Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG, weil seine Abschiebung weder aus tatsächlichen noch aus rechtlichen Gründen unmöglich ist. Der Kläger ist, unabhängig von der Wirksamkeit der hier streitgegenständlichen Ausweisungsverfügung, vollziehbar ausreisepflichtig, weil er seit dem 14. November 2014 nicht mehr in Besitz eines Aufenthaltstitels ist und die Frist zur freiwilligen Ausreise verstreichen hat lassen (§ 50 Abs. 1 und 2, § 58 Abs. 2 AufenthG). Die Tatsache, dass er sich bereits zweimal den Abschiebungsversuchen der Beklagten körperlich widersetzt hat, begründet kein tatsächliches Abschiebungshindernis. Die Weigerung, einer vollziehbaren Ausreisepflicht nachzukommen, führt nicht etwa zu einem Duldungsanspruch nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG. Andernfalls hätte es der Ausreisepflichtige in der Hand, durch strafbare Widerstandshandlungen ein Abschiebungshindernis zu erwirken. Im Übrigen hat der Kläger in vorwerfbarer Weise von der ihm zumutbaren Möglichkeit der (freiwilligen) Ausreise nicht Gebrauch gemacht.
1.2 Der Kläger hat ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse i.S.v. § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG verwirklicht, weil er sich seit 14. November 2014 trotz vollziehbarer Ausreisepflicht und ohne im Besitz einer Duldung zu sein, im Bundesgebiet aufhält.
Der Kläger hat im Zulassungsverfahren auch nicht substantiiert dargelegt, dass er ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse (§ 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG) für sich in Anspruch nehmen kann. Er hat zwar erklärt, dass er beabsichtige, seine deutsche Lebenspartnerin zu heiraten. Nachweise für eine erfolgte Eheschließung und eine familiäre Lebensgemeinschaft liegen jedoch nicht vor. Auch ist nicht dargelegt oder ersichtlich, dass der Kläger Inhaber des Personensorgerechts für seine nicht ehelich geborene deutsche Tochter ist oder dass er derzeit das Umgangsrecht für das Kind auch tatsächlich ausübt. Im Zeitpunkt der Begründung des Zulassungsantrags war die Tochter gerade ein paar Wochen alt. Weiterer Sachvortrag, wie sich die Beziehung zu seiner Tochter in den vergangenen eineinhalb Jahren entwickelt hat, erfolgte seither nicht mehr.
Unabhängig vom Bestehen eines gesetzlich vertypten Bleibeinteresses nach § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG führt jedoch die nach § 53 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG vorzunehmende Interessenabwägung zum Überwiegen des öffentlichen Ausweisungsinteresses, selbst wenn zugunsten des Klägers wegen der Beziehung zu seiner noch kleinen Tochter ein besonders schützenswertes Bleibeinteresse zu berücksichtigen ist. Der im Jahr 1986 geborene Kläger ist erst 2010 illegal nach Deutschland eingereist. Demnach hat er den weit überwiegenden Teil seines Lebens in seinem Heimatland verbracht. Eine Integration in die hiesigen Lebensverhältnisse ist nicht erfolgt. Nach erfolgloser Ablehnung seines Asylantrages erhielt der Kläger lediglich fortlaufend Duldungen, weil er angeblich keine Heimreisepapiere besaß. Den am 27. Januar 2009 ausgestellten Pass der Republik Senegal legte er erst im August 2013 vor, als die Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen unmittelbar bevorstand. Nach dem Scheitern der Ehe, die nur wenig länger als ein halbes Jahr bestand, und der Verkürzung der Geltungsdauer der zum Zweck des Familiennachzugs zu seiner deutschen Ehefrau ausgestellten Aufenthaltserlaubnis hielt sich der Kläger ohne Aufenthaltstitel im Bundesgebiet auf und kam seiner Ausreisepflicht nicht nach. Die Folgen der Ausweisung für das Wohl seiner Tochter wiegen demgegenüber weniger schwer. Sollte der Kläger sein Umgangsrecht bzw. Personensorgerecht tatsächlich ausüben, so hätte er einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG. Die Beklagte hat sich für diesen Fall im Zulassungsverfahren auch bereit erklärt, die Wirkungen der Ausweisung auf drei Monate zu befristen, wenn der Kläger seiner ohnehin bestehenden Ausreisepflicht freiwillig nachkommt. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass eine derartig kurze Unterbrechung des Kontakts des Klägers zu seiner kleinen Tochter das Wohl des Kindes ernsthaft beeinträchtigen würde.
2. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Zulassungsverfahren ist abzulehnen, weil die Voraussetzungen des § 166 Abs. 1 VwGO i.V.m.§ 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht vorliegen. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet aus den genannten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.
Die Kostenentscheidung für das Zulassungsverfahren beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Kostenentscheidung für das Prozesskostenhilfeverfahren bedarf es nicht. Das Verfahren auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist gerichtsgebührenfrei. Die im Prozesskostenhilfeverfahren entstandenen Kosten trägt jeder Beteiligte selbst (§ 166 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO).
Die Streitwertfestsetzung für das Zulassungsverfahren folgt aus § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und Abs. 3 sowie § 52 Abs. 2 GKG. Eine Streitwertfestsetzung für das Prozesskostenhilfeverfahren ist nicht erforderlich, weil Kosten nicht erstattet werden.
Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

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