Verwaltungsrecht

Ausweisung wegen Straffälligkeit

Aktenzeichen  M 25 K 17.4283

Datum:
9.10.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 43083
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 53, § 54 Abs. 2 Nr. 1, § 55 Abs. 2 Nr. 2
EMRK Art. 8

 

Leitsatz

Vom Aufenthalt eines Ausländers, der Straftaten begangen hat, kann auch dann eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehen, wenn im Falle eines Unterbleibens einer ausländerrechtlichen Reaktion auf sein Fehlverhalten andere Ausländer nicht wirksam davon abgehalten werden, vergleichbare Delikte zu begehen. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Über den Rechtsstreit konnte auf Grund der mündlichen Verhandlung am 9. Oktober 2019 entschieden werden, obwohl der Kläger nicht erschienen ist. Denn in der Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden könne (§ 102 Abs. 2 VwGO). Der Kläger wurde ausweislich der Postzustellungsurkunde am 21. September 2019 ordnungsgemäß geladen.
Die Klage ist nicht begründet. Die im Bescheid vom 3. August 2017 verfügte Ausweisung des Klägers, das 2-jährige Einreise- und Aufenthaltsverbot, die Ablehnung der Erteilung eines Aufenthaltstitels und die Abschiebungsandrohung in den … für den Fall der Nichterfüllung der Ausreisepflicht sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, § 113 Abs. 5 VwGO.
I.
Die Ausweisung des Klägers erweist sich im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (vgl. BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn. 12) als rechtmäßig.
1. Rechtsgrundlage für die Ausweisung ist § 53 Abs. 1 AufenthG, wonach ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet, ausgewiesen wird, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen am weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.
a.) Der weitere Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet stellt eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit dar, da mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass der Kläger erneut erheblich straffällig wird (vgl. zum Prognosemaßstab BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris). Der Kläger hielt sich zum Zeitpunkt der zur Verurteilung führenden Taten noch keine vier Jahre im Bundesgebiet auf. Bereits bei seiner ersten Straftat handelt es sich um weit mehr als um eine Bagatelle. Immerhin führte die Körperverletzungshandlung nach den Feststellungen des Strafrichters zu einer nicht unerheblichen Verletzung des Geschädigten und zog eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe nach sich. Dabei bezog sich der Diebstahl auf einen Gegenstand mit keinem besonderen Wert (32,54 Euro). Hinzu kommt, dass sich der Kläger in einer finanziell prekären Lage befindet. Wie die vorgelegten Kontoauszüge zeigen, verfügte der Kläger zum Zeitpunkt des Verlängerungsantrags lediglich über ein Guthaben von rund … EUR. Nennenswerte Zahlungseingänge z.B. seiner Eltern sind nicht ersichtlich. Nach Auskunft einer Freundin des Klägers (Bl. 384 der Behördenakte) unterstützt diese den Kläger finanziell, da der Kläger zahlreiche Mahnungen erhalten hat, weil er seinen finanziellen Verpflichtungen nicht nachkommen konnte.
Dies lässt befürchten, dass der Kläger auch in Zukunft Eigentumsdelikte begehen wird, wobei der Kläger gezeigt hat, dass er – auf frischer Tat ertappt – versucht, sich einem Zugriff durch Körperverletzungshandlungen zu entziehen.
Daneben rechtfertigen auch generalpräventive Gründe eine Ausweisung. Die grundlegende Norm des neuen Ausweisungsrechts, § 53 Abs. 1 AufenthG, verlangt nämlich nicht, dass von dem ordnungsrechtlich auffälligen Ausländer selbst eine Gefahr ausgehen muss. Vielmehr muss dessen weiterer „Aufenthalt“ eine Gefährdung bewirken. Vom Aufenthalt eines Ausländers, der Straftaten begangen hat, kann auch dann eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehen, wenn im Falle eines Unterbleibens einer ausländerrechtlichen Reaktion auf sein Fehlverhalten andere Ausländer nicht wirksam davon abgehalten werden, vergleichbare Delikte zu begehen (BVerwG U.v. 9.5.2019 – 1 C 21.18 – beckonline, BeckRS 2019, 16744, BVerwG U.v. 12.7.2018 – 1 C 16/17 – juris Rn 16).
Eine Ausweisung aufgrund eines Eigentums- und Körperverletzungsdeliktes hat stets auch eine generalpräventive Funktion. Denn eine solche setzt ein deutliches Signal, dass die Anerkennung fremden Eigentums und die körperliche Unversehrtheit in der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland hohe Rechtsgüter darstellen und Delikte gegen diese nicht nur strafrechtliche Konsequenzen haben, sondern auch ausländerrechtliche. Das Ausweisungsinteresse ist vorliegend auch aktuell, da die Tilgungsfrist des § 46 Abs. 1 Nr. 2 lit. b BZRG 10 Jahre beträgt, von denen erst zwei Jahre abgelaufen sind. Die Ausweisung stellt damit eine geeignete Maßnahme dar, um andere Ausländer von solchen Delikten abzuhalten. Die Ausweisung von Straftätern stellt auch eine ständige Verwaltungspraxis der Beklagten dar.
b.) Die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der gegenläufigen Interessen ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausweisung das Bleibeinteresse des Klägers überwiegt und die Ausweisung nicht unverhältnismäßig ist, § 53 Abs. 1 AufenthG.
Auf Grund seiner Verurteilung durch das AG … vom 20. April 2017 zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten erfüllt der Kläger ein schweres Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG (i.d.F. des Gesetzes vom 15. August 2019, BGBl. 1307). Für ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse genügt nach § 54 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG nunmehr bereits eine Verurteilung von mindestens 6 Monaten.
Dem steht auf Seiten des Klägers kein Bleibeinteresse gegenüber. Der Kläger besitzt keine Aufenthaltserlaubnis, so dass die Regelung des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG nicht einschlägig ist. Andere Tatbestände erfüllt der Kläger ebenfalls nicht.
Unter Berücksichtigung der in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten persönlichen Belange des Klägers und der Positionen aus Art. 8 EMRK überwiegt jedoch das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse des Klägers. Die Entscheidung wahrt im Übrigen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
Der Kläger ist strafrechtlich verurteilt worden. Bereits bei der ersten Straftat handelte es sich um weit mehr als um eine Bagatelle, was sich auch aus dem Strafmaß von einer Freiheitsstrafe von 6 Monate für einen Ersttäter ergibt.
Der Kläger kam im Jahr 2013 zu Studienzwecken ins Bundesgebiet. Den zunächst angestrebten Masterstudiengang in der Fachrichtung Maschinenbau hat der Kläger abgebrochen. Ob und was der Kläger derzeit in Deutschland studiert bzw. macht, konnte nicht geklärt werden, da der Kläger nicht zur mündlichen Verhandlung erschienen ist und damit die Gelegenheit nicht genutzt hat, über seine persönlichen Verhältnisse Auskunft zu geben.
Nach Ablauf der Aufenthaltserlaubnis und nach Erlass des Bescheides vom 3. August 2017 hat der Kläger von der Beklagten eine Grenzübertrittsbescheinigung mit einer Ausreisefrist bis zum 12. September 2017 erhalten, die er nach deren Ablauf auch nicht von der Beklagten verlängern ließ. Der Kläger hält sich daher illegal im Bundesgebiet auf. Er verfügt auch über keine Arbeitserlaubnis. Mit welchen Mitteln er seinen Lebensunterhalt bestreitet ist unklar. Überdies ist der Kläger nach relativ kurzem Aufenthalt im Bundesgebiet straffällig geworden.
Schließlich verfügt der ledige Kläger auch über keine nennenswerten sozialen Bindungen im Bundesgebiet. Eine soziale und wirtschaftliche Integration in die Bundesrepublik Deutschland ist dem Kläger somit nicht gelungen.
Der Kläger hat hingegen noch umfangreiche Beziehungen in seine Heimat. Der Kläger ist im … aufgewachsen, hat dort die Schule besucht und Mathematik und Physik studiert. Gegenüber der Behörde hat er erklärt, dass seine gesamte Familie im … lebe. Es ist dem Kläger daher zumutbar und möglich, in seine Heimat zurückzukehren.
Schließlich steht die Ausweisungsentscheidung auch in keinem Widerspruch zu den Bewährungsauflagen, da der Kläger mit seiner Ausreise in Befolgung der Ausweisungsentscheidung nicht gegen Bewährungsauflagen verstößt.
Die ausgesprochen Ausweisung des Kläger ist damit eine verhältnismäßige Maßnahme, die zur Abwehr durch ihn drohender Gefahren insbesondere geeignet, erforderlich und angemessen ist.
II.
Auch die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf zwei Jahre ist nicht zu beanstanden. Dass nach § 11 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 AufenthG (i.F.d. des Gesetzes vom 15.8.2019, BGBl 1307; im Folgenden: n.F.) das Einreiseund Aufenthaltsverbot gesondert angeordnet werden muss, macht den Bescheid vom 3. August 2017 nicht fehlerhaft, denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur früheren Rechtslage war in einer behördlichen Befristungsentscheidung nach § 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG a.F. regelmäßig auch die Verhängung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots von bestimmter Dauer zu sehen (vgl. VGH München B.v. 11.9.2019 – 10 C 18.1821 unter Hinweis auf BVerwG B.v. 13. Juli 2017 – 1 VR 3. 17 juris Rn 72; BVerwG U.v. 25.7.2017 – 1 C 13.17 – juris Rn 23). Hinsichtlich der Dauer der Sperrfrist gemäß § 11 Abs. 3 AufenthG n.F. bedarf es – wie auch nach der alten Rechtslage – der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen – das der auch zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zugrunde liegt – das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. In diesem Rahmen sind auch verfassungsrechtliche Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) sowie die Vorgaben aus Art. 7 Grundrechtecharta, Art. 8 EMRK zu berücksichtigen (BVerwG, U.v. 13.12.2012 – 1 C 20/11 – juris).
Ausgehend von der bestehenden Gefahr der erneuten Begehung von Straftaten erscheint auch unter Berücksichtigung der geringen sozialen Bindungen des Klägers zum Bundesgebiet und insbesondere unter Berücksichtigung generalpräventiver Erwägungen eine Frist von 2 Jahren angemessen, aber auch erforderlich, um einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu begegnen.
III.
Auch die in Ziff. 3 des Bescheides erlassene Ablehnung des Aufenthaltstitels ist rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels. Einer Erteilung steht nach erfolgter Ausweisung und Erlass eines Einreise- und Aufenthaltsverbots die Regelung des § 11 Abs. 1 S. 2 AufenthG n.F. entgegen.
IV.
Keinen Bedenken begegnet die Abschiebungsandrohung nach §§ 59, 58 AufenthG. Die festgesetzte Ausreisefrist von etwas mehr als einem Monat liegt über der in § 59 Abs. 1 S. 1 AufenthG vorgesehenen Mindestfrist von 7 Tagen. Sie erscheint auch angemessen, damit der Kläger vor seiner Ausreise seine hiesigen Angelegenheit abwickeln bzw. regeln kann.
V.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
VI.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 111 ZPO.

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen