Verwaltungsrecht

Ausweisungsinteresse bei Einstellung des Strafverfahrens

Aktenzeichen  10 ZB 19.436

Datum:
28.5.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 13755
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 2, § 54 Abs. 2 Nr. 9
StPO § 153a Abs. 2

 

Leitsatz

1. Vorsätzliche Straftaten stellen, wenn das Strafverfahren nicht wegen Geringfügigkeit eingestellt worden ist, in der Regel keine geringfügigen Verstöße gegen Rechtsvorschriften im Sinne des § 54 Abs. 2 Nr. 9 Alt 1 AufenthG dar.  (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 12 K 18.1684 2018-08-30 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage auf Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis weiter.
Der zulässige Antrag ist unbegründet, weil der geltend gemachte Zulassungsgrund gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht vorliegt.
Das Verwaltungsgericht hat einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis verneint. Unabhängig davon, ob der Kläger die Anspruchsvoraussetzungen für die Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung einer selbständigen Tätigkeit gemäß § 21 AufenthG erfülle und mit dem erforderlichen Visum eingereist sei (§ 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG), stehe der Erteilung des Aufenthaltstitels entgegen, dass bei ihm ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 in Verbindung mit § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG bestehe. Zum einen sei ein Strafverfahren gegen ihn wegen gefährlicher Körperverletzung mit Beschluss des Amtsgerichts M. vom 11. Dezember 2017 gegen eine Auflage von 500,- Euro nach § 153a Abs. 2 StPO vorläufig eingestellt worden. Diese von ihm vorsätzlich begangene Straftat stelle trotz der Einstellung des Strafverfahrens keinen geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften dar. Zum anderen sei er durch rechtskräftigen Strafbefehl vom 17. August 2015 wegen Beleidigung in Tateinheit mit Bedrohung in zwei tateinheitlichen Fällen zu einer Geldstrafe in Höhe von 50 Tagessätzen zu je 40,- Euro verurteilt worden. Auch dabei handle es sich schon im Hinblick auf die Höhe der Geldstrafe um keinen geringfügigen Verstoß. Die durch diese Taten zum Ausdruck gekommene Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Sinne von § 53 Abs. 1 AufenthG bestehe fort; der Kläger sei seit seiner Einreise im Mai 2014 innerhalb relativ kurzer Zeit bereits dreimal strafrechtlich in Erscheinung getreten.
Hiergegen wendet der Kläger mit seinem Zulassungsantrag ein, entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts habe er keineswegs die ursprünglich angeklagte Tat (gefährliche Körperverletzung) eingeräumt. Dies sei angesichts der erfolgten Einstellung des Verfahrens nach § 153a Abs. 2 StPO gegen eine so geringe Geldauflage naheliegend. Schon die geringe Höhe der Geldauflage stelle einen deutlichen Hinweis auf die Geringfügigkeit des begangenen Verstoßes dar. Dass eine Anklage wegen einer solchen Straftat zum Amtsgericht – Schöffengericht – nicht einfach gemäß § 153a StPO eingestellt werde, liege auf der Hand. Demgemäß hätte das Verwaltungsgericht ermitteln müssen, auf der Grundlage welchen Sachverhalts und welcher Erwägungen diese Einstellung erfolgt sei.
Damit wird die Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils jedoch nicht ernstlich in Zweifel gezogen. Denn der Kläger hat, worauf auch die Beklagte in ihrer Antragserwiderung zu Recht hinweist, im verwaltungsgerichtlichen Hauptsacheverfahren durch seinen damaligen Bevollmächtigten vortragen lassen, die gefährliche Körperverletzung möge zwar unter Umständen als nicht geringfügiger Verstoß im Sinne des § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG gelten, die Einstellung des Verfahrens nach § 153a StPO sei jedoch im Rahmen der erforderlichen Gesamtabwägung zu berücksichtigen, ihm sei zugute zu halten, dass er die ihm erteilte Auflage rechtzeitig und vollständig erfüllt und damit die klare Einsicht vorgelegen habe, Unrecht begangen zu haben, vorher oder nachher sei er nicht nochmals mit einer gefährlichen Körperverletzung in Erscheinung getreten, die Tat sei daher zumindest als vereinzelt anzusehen (Klagebegründung, S. 5, Bl. 33 der VG-Akte). Damit hat der Kläger den dieser Anklage und Verfahrenseinstellung zugrunde liegenden Straftatbestand in eindeutiger Weise eingeräumt. Die Einstellung des Verfahrens nach § 153a StPO setzt im Übrigen einen hinreichenden Tatverdacht voraus, weil nur dann dem Beschuldigten die Übernahme der ihm auferlegten Pflichten zugemutet werden kann (vgl. Beukelmann in BeckOK StPO, Stand 1.4.2019, StPO § 153a Rn. 14 m.w.N.). Aber auch wegen der Höhe der Geldauflage mussten die Beklagte und das Verwaltungsgericht nicht von der Geringfügigkeit des Verstoßes gegen Rechtsvorschriften im Sinne von § 54 Abs. 2 Nr. 9 Alt. 1 AufenthG ausgehen. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht zutreffend darauf abgestellt, dass vorsätzliche Straftaten in der Regel keine geringfügigen Verstöße darstellen, wenn das Strafverfahren – wie hier – nicht wegen Geringfügigkeit eingestellt worden ist (vgl. Tanneberger in BeckOK Ausländerrecht, Kluth/Heusch, Stand 1.5.2018, AufenthG § 54 Rn. 118 m.w.N.). Zwar kann nach Nr. 55.2.2.3.2 AVwV zu § 55 AufenthG a.F. eine mit Strafe bedrohte Tat nach Einstellung des Strafverfahrens als geringfügig eingestuft werden, wenn der wegen dieser Tat festgesetzte Geldbetrag nicht mehr als 500,- Euro beträgt. Die Beklagte hat insoweit aber zu Recht darauf verwiesen, dass diese Verwaltungsvorschrift die Qualität der zugrunde liegenden Straftat nicht berücksichtige und die Vorsatztat und das bei Körperverletzungsdelikten betroffene hochwertige Schutzgut (s. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) gegen einen nur geringfügigen Rechtsverstoß sprechen.
Bezüglich des gegen ihn ergangenen Strafbefehls wegen Beleidigung macht der Kläger geltend, er bestreite den zugrunde liegenden Tatvorwurf und habe nur nicht rechtzeitig Einspruch einlegen können, da ihm der Strafbefehl von seiner damaligen Ehefrau nicht rechtzeitig ausgehändigt worden sei. Im Übrigen hätte berücksichtigt werden müssen, dass es sich hierbei um Streitigkeiten zwischen den Ehepartnern gehandelt habe und deshalb ein nur geringfügiger und vereinzelter Verstoß vorgelegen haben könnte. Zudem habe die Beklagte hieraus keinerlei Konsequenzen wie zum Beispiel eine (ausländerrechtliche) Verwarnung gezogen und offensichtlich selbst ein Ausweisungsinteresse nicht gesehen. Auch damit wird ein tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts nicht mit Erfolg infrage gestellt. Das nunmehrige Bestreiten der Straftaten und die nicht belegte angebliche Versäumung der Einspruchsfrist gegen den Strafbefehl stellen keine durchgreifenden Gründe dafür dar, diese Verstöße im Rahmen des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nicht zu berücksichtigen. Einen zum Verbrauch des Ausweisungsinteresses führenden „Verzicht“ hat die Ausländerbehörde der Beklagten weder ausdrücklich noch konkludent erklärt. Im Übrigen würde selbst ein durch einen ausdrücklichen Verzicht vermittelter Vertrauensschutz unter dem Vorbehalt stehen, dass sich die für die behördliche Entscheidung maßgeblichen Umstände nicht (nachträglich) ändern. Allein das Verstreichen einer relativ kurzen Zeitspanne ohne unmittelbare Reaktion der Ausländerbehörde vermag einen solchen Vertrauensschutz jedenfalls nicht zu vermitteln (stRspr, vgl. z.B. BayVGH, B.v. 20.2.2019 – 10 ZB 18.2343 – juris Rn. 12 m.w.N.).
Soweit der Kläger schließlich im Hinblick auf seinen wirtschaftlich erfolgreichen Betrieb und das Interesse an der Erhaltung der Arbeitsplätze einen atypischen Sonderfall geltend macht, hat er keine auf die konkreten Umstände der Straftaten bezogenen Gründe dargelegt, nach denen eine Ausnahme von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG gegebenenfalls in Betracht käme. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht den Voraufenthalt und die wirtschaftliche Integration des Klägers zu Recht als nicht ausreichend angesehen, einen solchen Sonderfall zu begründen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 sowie § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

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