Aktenzeichen 8 ZB 16.1841
LuftSiG § 7 Abs. 1 Nr. 4
LuftSiZÜV § 4, § 5, § 7
StPO § 257c, § 359 Nr. 5
AO § 370
EStG § 1
Leitsatz
Im Rahmen der luftsicherheitsrechtlichen Zuverlässigkeitsüberprüfung sind Verwaltungsbehörden und Verwaltungsgerichte an eine strafgerichtliche Verurteilung gebunden, soweit die Tatbestandswirkung solcher Strafurteile reicht. Ausnahmen bestehen nur in eng begrenzten Sonderfällen. Bei der Bewertung der Verurteilung findet § 86 Abs. 1 VwGO Anwendung.
2 Ein Strafmaß von 700 Tagessätzen wegen eines Vermögensdelikts stellt im Hinblick auf die mit § 7 LuftSiG verfolgten Zielsetzungen eine strafrechtliche Verurteilung von Gewicht dar, die erhebliche Zweifel begründet, ob der Verurteilte über eine hinreichende charakterliche Stärke verfügt, die Sicherheitsvorgaben des Luftverkehrs zu erfüllen und die entsprechenden Schutzgüter zu respektieren (Verweis auf BayVGH BeckRS 2016, 41771 ua). (Rn. 7 – 8) (redaktioneller Leitsatz)
3 Eine materielle Wiederaufrollung wesentlicher Teile des Strafprozesses mit entsprechender Sachverhaltsaufklärung ist mit der verwaltungsgerichtlichen Beurteilung, ob jemand nach Gesamtwürdigung der Umstände bereit ist, die gerade für die Sicherheit des Luftverkehrs unerlässliche strikte Beachtung der Rechtsvorschriften zu gewährleisten und die ihm dabei obliegenden Pflichten zu erfüllen, nicht verbunden. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
4 Hinsichtlich der Bindung an die Tatbestandswirkung der strafgerichtlichen Verurteilung sind nur enge und spezifische Ausnahmen zuzulassen. Sie betrifft Fälle, in denen die Verurteilung ersichtlich auf einem Rechtsirrtum beruht oder gewichtige Anhaltspunkte für eine in wesentlicher Hinsicht fehlerhafte Sachverhaltsfeststellung durch die Strafgerichte im Sinn des § 359 Nr. 5 StPO vorliegen (Anschluss an BVerwG NVwZ 2009, 398 = BeckRS 2008, 38049). (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
M 24 K 16.1381 2016-06-16 Urt VGMUENCHEN VG München
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Antragsverfahren und das Verfahren im ersten Rechtszug wird auf jeweils 7.500 Euro festgesetzt. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 16. Juni 2016 wird insoweit geändert.
Gründe
I.
Der Kläger ist Inhaber einer Lizenz für Verkehrspiloten, aber altersbedingt nicht mehr als Verkehrspilot tätig. Durch Urteil des Amtsgerichts R… vom 8. Juni 2015 wurde er wegen Steuerhinterziehung in Höhe von 135.437 Euro in drei tatmehrheitlichen Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe in Höhe von 700 Tagessätzen à 120 Euro verurteilt (Nichtabgabe von Einkommensteuererklärungen für drei Jahre unter der Angabe, den Wohnsitz ins Ausland verlegt zu haben). Das amtsgerichtliche Urteil beruht auf einer Verständigung nach § 257c StPO. Anträge auf Fortführung des amtsgerichtlichen Verfahrens, eine Beschwerde zum Landgericht und eine weitere Beschwerde zum Oberlandesgericht sowie ein Antrag auf Wiedereinsetzung blieben ohne Erfolg.
Mit Bescheid vom 9. März 2016 lehnte die Regierung von O… den Antrag des Klägers auf (erneute) Feststellung seiner Zuverlässigkeit nach § 7 LuftSiG ab.
Die hiergegen eingelegte Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen (Urteil vom 16.6.2016). Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO liegen nicht vor.
1. Die Entscheidung des Erstgerichts vom 16. Juni 2016 zur Zuverlässigkeitsüberprüfung nach § 7 Abs. 1 Nr. 4 LuftSiG (als Luftfahrer) i.V.m. §§ 4, 5, 7 LuftSiZÜV weist keine Rechtsfehler auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
a) Der Kläger hält dem Erstgericht zu Unrecht fehlende Sachverhaltsaufklärung vor, die sich insbesondere aus Fehlern des Amtsgerichts – Strafgerichts – bei der Sachverhaltsermittlung und im Hinblick auf die Überzeugungsbildung ergeben sollen. Soweit sich der Kläger dabei vor allem darauf beruft, das Amtsgericht hätte das Institut der Verständigung nach § 257c StPO fehlerhaft angewendet, war und ist es seine Sache, sich im Rechtsmittelzug vor den Strafgerichten dagegen zu wehren. Ein solcher strafprozessualer Rechtsschutz ist möglich und kann zur Fehlerhaftigkeit der Verurteilung führen (vgl. BVerfG, B.v. 8.12.2015 – 2 BvR 1043/15 – juris Rn. 9 ff.; BGH, B.v. 21.3.2017 – 5 StR 73/17 – NJW 2017, 1626). Der endgültigen strafgerichtlichen Entscheidung, die verurteilenden Charakter hat, auch wenn sie Einwendungen zu § 257c StPO verwirft, kommt dann jedoch Tatbestandswirkung zu (W.R. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, § 121 Rn. 5). Aufgrund der Tatbestandswirkung haben alle Behörden und Gerichte die Tatsache, dass diese Entscheidung ergangen ist, sowie ihren Inhalt zu beachten (vgl. W.R. Schenke in Kopp/Schenke a.a.O.). Insoweit darf sie von der Luftsicherheitsbehörde nach § 4 Abs. 7 LuftSiZÜV zur Überprüfung der Zweifel im Sinn des § 5 Abs. 1 LuftSiZÜV verwertet werden. Welche Rückschlüsse aus einem rechtskräftigen Strafurteil sodann gegen den Betroffenen gezogen werden dürfen, ist dabei eine Frage der Beweiswürdigung nach § 86 Abs. 1 VwGO (vgl. NdsOVG, B.v. 2.12.2016 – 12 ME 142/16 – NJW 2017, 1628).
Die Verwertung der Verurteilung des Klägers zu 700 Tagessätzen ist ohne Rechtsfehler unter Beachtung dieser Grundsätze der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung erfolgt. Nach der Rechtsprechung des Senats haben schon strafgerichtliche Verurteilungen von geringerem oder ähnlichem Gewicht genügt, um Zweifel an der luftsicherheitsrechtlichen Zuverlässigkeit zu begründen (BayVGH, B.v. 26.1.2016 – 8 ZB 15.470 – juris: 120 Tagessätze wegen eines Vermögensdelikts; B.v. 6.4.2016 – 8 ZB 15.2236 – juris: Freiheitsstrafe von drei Monaten mit Bewährung wegen Körperverletzung u.a.; B.v. 14.7.2015 – 8 ZB 13.1666 – juris: 90 Tagessätze wegen Titelmissbrauchs; vgl. ferner OVG Berlin-Bbg, B.v. 12.10.2015 – OVG 6 S. 24.15 juris: 300 Tagessätze wegen Steuerhinterziehung).
Das Erstgericht hat aus der Entscheidung des Strafgerichts in einer Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls ohne Rechtsfehler hergeleitet, dass nach der Verurteilung Zweifel daran bestehen, ob der Kläger stets bereit ist, die gerade für die Sicherheit des Luftverkehrs unerlässliche strikte Beachtung der Rechtsvorschriften zu gewährleisten und die ihm dabei obliegenden Pflichten zu erfüllen. Eine materielle Wiederaufrollung wesentlicher Teile des Strafprozess mit entsprechender Sachverhaltsaufklärung ist mit dieser verwaltungsgerichtlichen Beurteilung nicht verbunden. Dies wird weder von § 7 LuftSiG und §§ 1 ff. LuftSiZÜV noch von § 86 Abs. 1 VwGO gefordert. Andererseits stellt das hier verhängte Strafmaß von 700 Tagessätzen wegen eines Vermögensdelikts im Hinblick auf die mit § 7 LuftSiG verfolgten Zielsetzungen eine strafrechtliche Verurteilung von Gewicht dar, die keinesfalls als Bagatelltat abgetan werden kann. Vielmehr begründet gerade auch dieses verhältnismäßig hohe Strafmaß erhebliche Zweifel, ob der Kläger über eine hinreichende charakterliche Stärke verfügt, die Sicherheitsvorgaben des Luftverkehrs zu erfüllen und die entsprechenden Schutzgüter zu respektieren (vgl. Meyer in Grabherr/Reidt/Wysk, Luftverkehrsgesetz, Stand Juli 2015, § 7 LuftSiG, Rn. 36 ff.). Diese Frage wurde in der mündlichen Verhandlung des Erstgerichts vom 16. Juni 2016 auch ausführlich erörtert (vgl. Niederschrift S. 2 ff.). Das Verwaltungsgericht ist insoweit seiner Amtsermittlungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO nachgekommen. Im Übrigen wird auf die zutreffenden Ausführungen des Erstgerichts verwiesen (§ 130b Satz 2 VwGO).
b) Hinsichtlich der Bindung an die Tatbestandswirkung der strafgerichtlichen Verurteilung hat die Rechtsprechung nur enge und spezifische Ausnahmen zugelassen. Sie betrifft Fälle, dass die Verurteilung ersichtlich auf einem Rechtsirrtum beruht oder dass gewichtige Anhaltspunkte für eine in wesentlicher Hinsicht fehlerhafte Sachverhaltsfeststellung durch die Strafgerichte im Sinn des § 359 Nr. 5 StPO vorliegen (vgl. BVerwG, B.v. 21.7.2008 – 3 B 12.08 – NVwZ 2009, 398 Rn. 9; BayVGH, B.v. 26.1.2016 – 8 ZB 15.470 – juris Rn. 21 m.w.N.).
Konkrete Umstände solcher Art wurden vom Kläger nicht mit schlüssigen Argumenten oder Anhaltspunkten vorgetragen und sind auch nicht ersichtlich. Namentlich hat er nicht dargelegt, inwiefern das Strafgericht die Tathandlung des § 370 AO (Steuerhinterziehung) in unvertretbarer Weise bejaht oder unvertretbare Sachverhaltsfeststellungen zur Steuerpflicht nach § 1 EStG getroffen hätte. Gleiches gilt für die Strafzumessung. Wenn der Kläger stattdessen immer wieder das Verständigungsverfahren nach § 257c StPO angreift, hätte er behauptete Mängel vielmehr im strafgerichtlichen Verfahren substanziell abarbeiten und dabei dort seine Mitwirkungspflichten wahrnehmen müssen (was ihm im strafprozessualen Instanzenzug offenbar misslungen ist). Typisch ist insoweit der Vorwurf, die Transparenz und Dokumentation des Verständigungsverfahrens sei nicht gewahrt und die Überzeugungsbildung des Strafgerichts nicht gewährleistet gewesen, ohne eine konkrete Rückkoppelung zu der Tat im strafrechtlichen Sinn vorzunehmen. Die Verwaltungsgerichtsbarkeit ist indes auch auf dem Umweg über § 7 LuftSiG nicht eine Überprüfungsinstanz für die Strafgerichte. Das Vorbringen des Klägers beruht vielmehr auf inhaltslosen Schlagworten, ist damit hinsichtlich des der Verurteilung zugrunde liegenden materiellen Vorwurfs unsubstanziiert und geht an der Rechtslage vorbei.
2. Soweit der Kläger meint, der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Sache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) sei einschlägig, geht seine Beurteilung ebenfalls fehl. Insoweit mangelt es bereits an einer ordentlichen Durchdringung des Streitstoffs im Sinn des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO. Denn der Kläger hat es versäumt, die Problematik im Rahmen einer höchst- oder obergerichtlich noch nicht geklärten Fragestellung an das Berufungsgericht heranzutragen.
a) Die Darlegung einer höchst- oder obergerichtlich noch nicht geklärten Rechtsfrage setzt im Hinblick auf den Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zunächst voraus, dass eine Frage solchen Inhalts mit hinreichender Bestimmtheit formuliert wird. Dabei ist vom Kläger auszuführen, inwiefern die Frage in der Rechtsprechung bisher ungeklärt ist, warum sie für das Berufungsverfahren erheblich ist und worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der Rechtsfrage bestehen soll. Die Darlegung muss gewissen Mindestanforderungen hinsichtlich ihrer Klarheit, Verständlichkeit und Überschaubarkeit genügen und auf einer Sichtung und rechtlichen Durchdringung des Streitstoffs beruhen (stRspr; vgl. BVerwG, B.v. 19.8.1997 – 7 B 261.97 – NJW 1997, 3328 m.w.N.). Diesen Anforderungen wird das Zulassungsvorbringen nicht gerecht.
Dem Vorbringen des Klägers fehlt insoweit bereits eine auf den Punkt gebrachte Fragestellung. Eine hinreichende Auseinandersetzung mit der höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung findet ebenso wenig statt. Soweit die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. Juli 2008 (3 B 12.08 – NVwZ 2009, 398 Rn. 9) zitiert wird, handelt es sich um ein Fehlzitat, da in der Entscheidung die Rechtslage genau umgekehrt gesehen wird wie vom Kläger vorgetragen; das Bundesverwaltungsgericht betont dort ausdrücklich, dass – abgesehen von Sonderfällen wie etwa einem offensichtlichem Rechtsirrtum des Strafgerichts – die Verwaltungsbehörde und ihm folgend das Verwaltungsgericht grundsätzlich von der Richtigkeit der Verurteilung des Betroffenen zu einer Strafe ausgehen dürfen. Ansonsten handelt es sich bei dem Vortrag nur um ungeordnetes Vorbringen zu dem Einzelfall des Klägers und zu seiner Auffassung, dass die Verwaltungsgerichte auch die strafrechtlichen und strafprozessualen Aspekte der Verurteilung im Verwaltungsprozess in weitem Umfang wiederaufrollen sollten. Dass dies verfehlt ist, wurde oben bereits ausgeführt.
b) Im Übrigen ist zusätzlich darauf hinzuweisen, dass die vom Kläger aufgeworfene Problematik auch deshalb keine grundsätzliche Bedeutung aufweist, weil sie sich ohne Weiteres anhand des Gesetzeswortlauts des § 7 LuftSiG und der dazu ergangenen Ausführungsvorschriften lösen lässt. Wenn wie hier im Rahmen einer Verständigung nach § 257c StPO eine Verurteilung wegen eines Vermögensdelikts zu 700 Tagessätzen, also von erheblichen Gewicht vorliegt, das weitere Ankämpfen des Klägers (Angeklagten) im weiteren Instanzenzug vor den Strafgerichten bis hin zum Oberlandesgericht erfolglos bleibt und zugleich substanziierte Ausführungen für einen offensichtlichen Rechtsirrtum der Strafgerichte – abgesehen von inhaltslosen Schlagworten wie hier – fehlen, spricht nichts für ein Abgehen von der Tatbestandswirkung der strafgerichtlichen Verurteilung.
3. Eine mündliche Verhandlung ist im Verfahren nach §§ 124, 124a VwGO grundsätzlich nicht vorgesehen und war auch nach den vorliegenden – eindeutigen – Umständen des Einzelfalls nicht veranlasst.
Kostenentscheidung: § 154 Abs. 2 VwGO.
Streitwert: § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. den Vorschlägen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, Fassung 2012/2013, Tz. 26.4. und 26.5., sowie § 47 und § 63 Abs. 3 GKG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).