Verwaltungsrecht

Beabsichtigte Vorbereitung eines Visumverfahrens erfordert keine Anwesenheit im Bundesgebiet

Aktenzeichen  B 4 S 16.506

Datum:
3.8.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 5, § 6, § 25, § 28, § 50, § 54, § 58, § 59, § 81
AufenthV AufenthV § 39
VwGO VwGO § 80 Abs. 5

 

Leitsatz

Die beabsichtigte Vorbereitung eines Visumverfahrens stellte keinen dringenden humanitären oder persönlichen Grund dar, der die vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern würde. Alle für einen Visumantrag erforderlichen Maßnahmen können naturgemäß vom Ausland aus getroffen werden. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist aserbaidschanischer Staatsangehöriger. Er reiste erstmals im November 2005 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 07.12.2005 einen Asylantrag, den das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) mit Bescheid vom 16.01.2006 unter Androhung der Abschiebung vollumfänglich ablehnte. Die dagegen erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht Bayreuth mit Urteil vom 06.10.2006 als offensichtlich unbegründet ab. In der Folgezeit erhielt der Antragsteller Duldungsbescheinigungen, weil seine Abschiebung wegen fehlender Heimreisepapiere nicht möglich war. Nachdem das Konsulat der Republik Aserbaidschan am 22.08.2007 einen bis zum 22.09.2007 gültigen Heimreiseschein für den Antragsteller ausgestellt hatte, wurde er am 05.09.2007 auf dem Luftweg nach Baku abgeschoben. Die Wirkungen der Abschiebung wurden bis 31.05.2014 befristet.
Am 17.05.2015 reiste der Antragsteller mit einem vom 15.05.2015 bis 08.06.2015 gültigen litauischen Schengen-Visum für einen Aufenthalt von 10 Tagen erneut in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte bei der Ausländerbehörde am 20.05.2015 die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für einen Daueraufenthalt aus familiären Gründen. Dem Antrag beigefügt waren eine Erklärung vom 18.05.2015, mit welcher der Antragsteller die Vaterschaft für das am 08.01.2008 geborene Kind einer deutschen Staatsangehörigen mit deren Zustimmung anerkannte, sowie eine Erklärung ebenfalls vom 18.05.2015 beider Elternteile, dass die elterliche Sorge gemeinsam ausgeübt werde. Mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 10.06.2015 beantragte der Antragsteller die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG, hilfsweise gemäß § 25 Abs. 4 AufenthG, hilfsweise die Erteilung einer Fiktionsbescheinigung gemäß § 81 Abs. 3, 4 AufenthG für die Dauer des Prüfungsverfahrens.
Mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 07.03.2016 beantragte der Antragsteller beim Verwaltungsgericht Bayreuth im Wege der Untätigkeitsklage die Verpflichtung des Antragsgegnern zur Entscheidung über den Antrag vom 10.06.2015 (B 4 K 16.205).
Mit Bescheid vom 17.06.2016 wurden der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis sowie die Ausstellung einer Fiktionsbescheinigung abgelehnt (Ziffern I und II), der Antragsteller unter Fristsetzung und Abschiebungsandrohung zur Ausreise aufgefordert (Ziffern III und IV) und für den Fall der Nichterfüllung der Ausreisepflicht ein Einreise- und Aufenthaltsverbot von 12 Monaten angeordnet sowie für den Fall der Abschiebung das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 24 Monate befristet (Ziffer V). In den Gründen wird ausgeführt, für eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG fehlten die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen. Es bestehe ein Ausweisungsinteresse, weil der Antragsteller das ihm am 13.05.2015 durch die litauische Auslandsvertretung erteilte Schengen-Visum durch falsche Angaben (Reisezweck: Besuch in Litauen; Aufenthaltszweck: Tourist) erschlichen habe (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG in Verbindung mit § 55 Abs. 2 Nr. 1 a) und Nr. 2, § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG a. F. bzw. § 54 Abs. 2 Nr. 8a und Nr. 9 AufenthG). Der Antragsteller sei ferner nicht mit dem erforderlichen Visum eingereist und habe die für die Erteilung maßgeblichen Angaben nicht bereits im Visumantrag gemacht, sondern – im Gegenteil – die litauischen Behörden sogar durch bewusst falsche Angaben getäuscht (§ 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG). Vom Visumerfordernis könne nicht abgesehen werden, weil die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung nicht erfüllt seien und die Nachholung des Visumverfahrens zumutbar sei (§ 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG). Angesichts der eindeutigen Absicht des Antragstellers, das Visumerfordernis gezielt zu umgehen, überwiege das öffentliche Interesse an der Einhaltung des Visumverfahrens das persönliche Interesse des Antragstellers, ohne Unterbrechung im Bundesgebiet verbleiben zu können. Eine familiäre Lebensgemeinschaft mit dem deutschen Kind bestehe – wenn überhaupt – erst seit gut einem Jahr, so dass nicht in eine über Jahre hinweg gewachsene familiäre Lebensgemeinschaft eingegriffen werde. Eine vorübergehende Trennung von Angehörigen zum Zweck der Nachholung des Visumverfahrens sei auch unter Berücksichtigung von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK grundsätzlich zumutbar. Auch nach § 39 Nr. 3 AufenthV sei der Antragsteller nicht von der Visumpflicht befreit, weil erstens wegen des bestehenden Ausweisungsinteresses überhaupt kein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels und zweitens ein möglicher Anspruch nicht nach der Einreise entstanden sei, nachdem die Geburt des deutschen Kindes als anspruchsbegründendes Ereignis bereits am 08.01.2008 und damit 8 Jahre vor der (letzten) Einreise des Antragstellers in das Bundesgebiet erfolgt sei. Der Tatbestand des § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG sei nicht erfüllt, weil der Antragsteller einen Daueraufenthalt anstrebe und vollziehbar ausreisepflichtig sei (§ 58 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG). Eine Fiktionsbescheinigung habe gemäß § 81 Abs. 4 Satz 2 AufenthG nicht ausgestellt werden können. Die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung beruhten auf § 50 Abs. 1 und 2, § 58 Abs. 2 Sätze 1 und 2 und § 84 Abs. 1, § 59 AufenthG, die Einreise- und Aufenthaltsverbote auf § 11 Abs. 1, 2, 3 und 6 AufenthG.
Mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 12.07.2016, beim Verwaltungsgericht Bayreuth an diesem Tag auch eingegangen, hat der Antragsteller im Verfahren B 4 K 16.205 die Aufhebung des Bescheides vom 17.06.2016 und die Verpflichtung des Antragsgegnern zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 AufenthG sowie die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Ausreiseverpflichtung beantragt. Zur Begründung wird geltend gemacht, der Antragsteller habe mehrfach erfolglos versucht, ein Visum zur Familienzusammenführung bei der deutschen Botschaft in Baku zu erhalten. Sein erster Antrag vom 27.01.2015 sei ohne Angabe von Gründen abgelehnt, weitere Anträge seien gar nicht mehr angenommen worden. Man habe ihm mündlich mitgeteilt, bis zum 14.04.2017 würden seine Anliegen nicht weiterbearbeitet. Es sei dem Antragsteller nicht zumutbar gewesen, weiter abzuwarten und von seiner Familie getrennt zu sein. Mit seiner Tochter habe er von Aserbaidschan aus regelmäßigen Multimediakontakt gepflegt. Nunmehr bestehe die familiäre Lebensgemeinschaft seit rund einem Jahr. Das Kind liebe seinen Vater sehr und genieße den Umgang und Kontakt mit ihm. Das Attest eines Facharztes für Neurologie sowie für Psychiatrie und Psychotherapie betreffend die Kindsmutter und Verlobte des Antragstellers vom 29.06.2016 und die psychotherapeutische Stellungnahme einer Diplompsychologin betreffend die Tochter vom 13.07.2016 bestätigten, dass die Beendigung der familiären Lebensgemeinschaft für beide erhebliche gesundheitliche Folgen haben würde. Die Voraussetzungen des § 25 Abs. 4, 5 AufenthG lägen vor. Die Erteilung eines Visums zur Familienzusammenführung nach einer Ausreise bzw. Abschiebung des Antragstellers sei derzeit praktisch ausgeschlossen, schon allein wegen der Sperrfristen. Demgegenüber würde die Erteilung einer vorübergehenden Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 4, 5 AufenthG seine Rechtsposition in Deutschland festigen und ihm die Möglichkeit eröffnen, eine Vorab-Zustimmung der Ausländerbehörde zu beantragen, mit der dann die erfolgreiche Nachholung des Visumverfahrens realistisch möglich wäre. Zum Schutz des Antragstellers sowie seiner Verlobten und seines Kindes sei die aufschiebende Wirkung anzuordnen, da nicht nachvollziehbar sei, weshalb der Antragsteller nicht die Rechtskraft der Entscheidung über seinen Antrag in Deutschland abwarten können sollte, zumal zu erwarten sei, dass seine Klage Erfolg haben werde.
Der Antragsgegner hat mit Schriftsatz vom 29.07.2016 beantragt, die Klage abzuweisen und den Antrag abzulehnen.
Dem Antragsvorbringen hält er entgegen, die Angaben des Antragstellers zum Visumverfahren seien laut Auskunft der deutschen Botschaft in Baku nicht zutreffend. Am 27.01.2015 habe er dort lediglich ein Schengen-Visum beantragt, dessen Erteilung mit Bescheid vom 30.01.2015 abgelehnt worden sei. Die Gründe für die Ablehnung – Falschangaben und Zweifel an der Rückkehrbereitschaft des Antragstellers – seien in seiner Landessprache angegeben worden. Ein nationales Visum zur Familienzusammenführung habe der Antragsteller nicht beantragt. Am 20.02.2015 habe sich der Antragsteller einen neuen Reisepass besorgt, um bei der litauischen Botschaft einen neuen Visumantrag zu stellen. Aus diesem Grund sei der litauischen Botschaft die vorherige Ablehnung durch die deutsche Botschaft nicht aufgefallen. Unzutreffend sei auch die Behauptung, der Antragsteller könne bis zum 14.04.2017 keinen erneuten Visumantrag bei der deutschen Botschaft stellen. Bei den Ziffern 140417auf dem Antragsannahmestempel in seinem Reisepass handele es sich lediglich um das Aktenzeichen des Vorgangs bei der deutschen Botschaft. Laut deren Auskunft wäre ein Antrag auf ein nationales Visum bei Vorlage aller erforderlichen Unterlagen sicherlich angenommen worden. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung sei abzulehnen, weil die Klage aus den im Bescheid dargelegten Gründen keine Aussicht auf Erfolg habe.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Originalakten des Landratsamtes Kronach Bezug genommen.
II.
1. Der Antrag des Antragstellers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung (Ziffern III und IV des Bescheides vom 17.06.2016) ist zulässig, aber nicht begründet.
1.1 Der Antrag ist gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO statthaft, weil gemäß § 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO in Verbindung mit Art. 21a VwZVG die Anfechtungsklage gegen Maßnahmen, die in der Verwaltungsvollstreckung getroffen werden, keine aufschiebende Wirkung hat.
1.2 Der Antrag ist jedoch unbegründet, weil die Androhung der Abschiebung nach Aserbaidschan oder in einen anderen aufnahmebereiten Staat unter Bestimmung einer Frist für die freiwillige Ausreise bis zum 15.07.2016 bzw. – für den Fall der Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer eventuellen Klage – von vier Wochen nach Bestandskraft des Bescheides offensichtlich rechtmäßig und ihre Aufhebung im Hauptsacheverfahren nicht zu erwarten ist.
1.2.1 Die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht des Antragstellers als Voraussetzung der Abschiebung gemäß § 58 Abs. 1 Satz 1 AufenthG liegt vor. Der Antragsteller ist gemäß § 50 Abs. 1, § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG mit Ablauf seines Schengen-Visums vollziehbar ausreisepflichtig geworden, weil gemäß § 81 Abs. 4 Satz 2 AufenthG die Antragstellung vor Ablauf des Schengen-Visums keine Fiktion nach § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG ausgelöst hat.
1.2.2 Die Abschiebungsandrohung wurde nach Maßgabe des § 59 AufenthG erlassen. Gemäß § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist die Abschiebung unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Die vom Antragsgegner bestimmten Ausreisefristen bewegen sich knapp unter der Höchstfrist von 30 Tagen und sind angemessen. Besondere Umstände des Einzelfalles, unter deren Berücksichtigung die Ausreisefrist gemäß § 59 Abs. 1 Satz 4 AufenthG für einen längeren Zeitraum hätte festgesetzt werden können, sind nicht ersichtlich. Die Fristbestimmung „bis spätestens 15.07.2016“ ist auch im Hinblick auf § 59 Abs. 1 Satz 6 AufenthG nicht zu beanstanden, weil vor ihrem Ablauf die Vollziehbarkeit weder der Ausreisepflicht noch der Abschiebungsandrohung entfallen ist. § 59 Abs. 2 AufenthG, wonach in der Androhung der Abschiebungszielstaat bezeichnet und der Ausländer darauf hingewiesen werden soll, dass er auch in einen anderen Staat abgeschoben werden kann, in den er einreisen darf oder der zu seiner Übernahme verpflichtet ist, ist erfüllt. Das – nicht geltend gemachte – Vorliegen von Abschiebungsverboten und Gründen für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung stünde gemäß § 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG dem Erlass der Androhung nicht entgegen.
1.2.3 Nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung wird die auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gerichtete Verpflichtungsklage aller Voraussicht nach keinen Erfolg haben, so dass auch unter diesem Gesichtspunkt mit einer Aufhebung der Abschiebungsandrohung nicht zu rechnen ist.
1.2.3.1 Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG, wonach einem nicht vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer für einen vorübergehenden Aufenthalt eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden kann, solange dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern, scheitert bereits daran, dass der Antragsteller vollziehbar ausreisepflichtig ist. Davon abgesehen stellt die beabsichtigte Vorbereitung eines Visumverfahrens keinen dringenden humanitären oder persönlichen Grund dar, der die vorübergehende weitere Anwesenheit des Antragstellers im Bundesgebiet erfordern würde. Alle für einen Visumantrag erforderlichen Maßnahmen können naturgemäß vom Ausland aus getroffen werden.
1.2.3.2 Der Tatbestand des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG, wonach einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden kann, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist, ist ebenfalls nicht erfüllt. Die familiären Bindungen des Antragstellers im Bundesgebiet begründen keine rechtliche Unmöglichkeit seiner Ausreise, weil ihre Berücksichtigung in den §§ 27 ff AufenthG speziell geregelt ist. § 25 Abs. 5 AufenthG ist keine Auffangnorm für die Fälle, in denen die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen an der Nichterfüllung allgemeiner Erteilungsvoraussetzungen scheitert.
1.2.3.3 Gemäß § 27 Abs. 1 AufenthG wird die Aufenthaltserlaubnis zur Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet für ausländische Familienangehörige (Familiennachzug) zum Schutz von Ehe und Familie gemäß Artikel 6 GG erteilt. Gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG ist die Aufenthaltserlaubnis dem ausländischen Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge zu erteilen, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat, und zwar gemäß § 28 Abs. 1 Satz 2 AufenthG auch dann, wenn entgegen § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG der Lebensunterhalt nicht gesichert ist. Die sonstigen allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen müssen nach Maßgabe des § 5 Abs. 1 und 2 AufenthG erfüllt sein.
Gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG setzt die Erteilung eines Aufenthaltstitels in der Regel voraus, dass kein Ausweisungsinteresse besteht. Vorliegend besteht, wie in den Gründen des Bescheides vom 17.06.2016 zutreffend ausgeführt wurde, ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Abs. 2 Nr. 8 a) AufenthG, weil der Antragsteller in einem Verwaltungsverfahren, das von Behörden eines Schengen-Staates durchgeführt wurde, im In- oder Ausland falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines Schengen-Visums gemacht hat, indem er gegenüber der litauischen Botschaft angegeben hatte, für 10 Tage touristisch nach Litauen reisen zu wollen. Ein Abweichen von der Regel des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ist nicht veranlasst, weil der Antragsteller entgegen seinem Vorbringen nicht gehindert war, mit richtigen Angaben das für einen Familiennachzug zu seinem deutschen Kind erforderliche nationale Visum gemäß § 6 Abs. 3 AufenthG zu erlangen. Selbst im Falle einer Ablehnung wäre es zumutbar gewesen, den Rechtsweg zu beschreiten, anstatt das nationale Visumerfordernis bewusst und zielgerichtet zu umgehen.
Gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis weiter voraus, dass der Ausländer mit dem erforderlichen Visum eingereist ist und die für die Erteilung maßgeblichen Angaben bereits im Visumantrag gemacht hat. Der Antragsteller ist nicht mit dem für einen Familiennachzug zu seinem deutschen Kind erforderlichen nationalen Visum eingereist und hat die für die Erteilung einer entsprechenden Aufenthaltserlaubnis maßgeblichen Angaben nicht bereits im Visumantrag gemacht.
Der Tatbestand des § 39 Nr. 3 AufenthV, wonach ein Ausländer einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einholen kann, wenn er ein gültiges Schengen-Visum für kurzfristige Aufenthalte besitzt, sofern die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach der Einreise entstanden sind, ist nicht erfüllt. Selbst wenn man mit Blick auf die Voraussetzung des § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG „zur Ausübung der Personensorge“ darauf abstellt, dass dem Antragsteller die Personensorge für sein deutsches Kind erst seit Abgabe der Sorgeerklärung beider Elternteile vom 18.05.2015 tatsächlich zusteht (§ 1626a Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 3 BGB), sind nach der Einreise am 17.05.2015 bis zum Ablauf der Gültigkeit des Schengen-Visums am 26.05.2015 die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nicht entstanden, weil, wie dargelegt, ein Ausweisungsinteresse besteht (vgl. BayVGH, Beschluss vom 28.05.2015 – 10 CE 14.2123 Rn. 9 ff).
Aus diesem Grund kann auch nicht gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 AufenthG vom Visumerfordernis abgesehen werden, weil diese Ausnahme ebenfalls einen strikten Rechtsanspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels voraussetzt.
Schließlich ist die Nachholung des Visumverfahrens auch unter Berücksichtigung des gemäß § 11 Abs. 6 AufenthG angeordneten Einreise- und Aufenthaltsverbotes nicht gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AufenthG unzumutbar. Zwar hat gemäß § 84 Abs. 1 Nr. 8 AufenthG die Klage gegen die Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbotes nach § 11 Abs. 6 AufenthG keine aufschiebende Wirkung mit der Folge, dass der Antragsteller im Falle einer freiwilligen Ausreise unter Umständen eine 12-monatige Trennung von seiner Verlobten und seinem Kind hinnehmen muss, sofern das Einreise- und Aufenthaltsverbot nicht vorher im Hauptsacheverfahren aufgehoben wird. Abgesehen von der Möglichkeit, nach Maßgabe des § 11 Abs. 6 Satz 2 in Verbindung mit Abs. 4 Satz 1 AufenthG die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes oder die Verkürzung der Frist von 12 Monaten zu beantragen, erscheint aber selbst eine Trennung für die Dauer eines Jahres zumutbar. Die Belastungen für Mutter und Kind halten sich in Grenzen, da nach der Auskunft der deutschen Botschaft in Baku fest damit gerechnet werden kann, dass der Antragsteller im Falle einer freiwilligen Ausreise nach Aserbaidschan das für eine dauerhafte Rückkehr erforderliche nationale Visum bei Vorliegen aller Voraussetzungen mit Ablauf des 12-monatigen Einreise- und Aufenthaltsverbotes erhält. Während der Trennung kann der familiäre Kontakt, wie auch in den vergangenen Jahren, in denen sich der Antragsteller nicht um eine Aufhebung des abschiebungsbedingten Einreise- und Aufenthaltsverbotes oder um die Verkürzung seiner Befristung bemüht hat, multimedial aufrecht erhalten werden. Das fachärztliche Attest vom 29.06.2016 und die psychotherapeutische Stellungnahme vom 13.07.2016 lassen keine Verschlechterung des gesundheitlichen Zustandes der Mutter bzw. des Kindes erwarten, die so schwerwiegend wäre, dass sie das Absehen vom Visumerfordernis, welches der Antragsteller mutwillig umgangen hat, rechtfertigen könnte. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot von 24 Monaten im Falle einer Abschiebung kann der Antragsteller vermeiden, indem er freiwillig ausreist.
2. Nach alledem wird der Antrag mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO, wonach der Antragsteller als unterliegender Teil die Kosten des Verfahrens trägt, abgelehnt.
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 2 GKG (halber Auffangstreitwert).

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