Aktenzeichen M 15 K 15.30288
Leitsatz
Für afghanische Zivilisten, die für die internationalen Streitkräfte gearbeitet haben oder auch nur der Zusammenarbeit mit diesen verdächtigt werden, besteht im Falle ihrer Rückkehr nach Afghanistan die Gefahr eines ernsthaften Schadens im Sinne von § 4 Abs. 1 S. 1 AsylG, weil sie nicht nur mit Schikane oder Einschüchterung, sondern mit schwerer Körperverletzung bis hin zu Ermordung rechnen müssen. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 24. März 2015 wird in den Nrn. 3, 4 und 5 aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger subsidiären Schutz (§ 4 Abs. 1 AsylG) zuzuerkennen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II.
Von den Kosten des Verfahrens trägt der Kläger 1/3, die Beklagte 2/3.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Das Gericht konnte trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten über die Sache verhandeln und entscheiden, da die Beklagte ordnungsgemäß geladen und in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden war (§ 102 Abs. 2 VwGO).
Die zulässige Klage hat Erfolg, soweit die Beklagte einen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG i. V. m. § 60 Abs. 2 AufenthG verneint hat, da im Falle des Klägers die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG gegeben sind. Daher hat er auf eine entsprechende Feststellung einen Anspruch (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO)
Maßgeblich für die Entscheidung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG).
Subsidiärer Schutz setzt voraus, dass stichhaltige Gründe dafür vorliegen, dass dem Ausländer ernsthafter Schaden droht in Form der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG), der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG) oder einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG). Dabei kommen auch im Hinblick auf den subsidiären Schutz nichtstaatliche Akteure in Betracht (vgl. § 4 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. § 3c AsylG). Auch insoweit ist allerdings relevant, inwieweit Schutz durch den Heimatstaat geboten werden kann (§ 4 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. §§ 3d und 3e AsylG). Für die Frage, ob stichhaltige Gründe für die Annahme einer Gefahr der in § 4 Abs. 1 AsylG genannten ernsthaften Schäden vorliegen, ist die Richtlinie 2011/95/EU (QualRL), insbesondere Art. 4 Abs. 4 QualRL, ergänzend anzuwenden (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 2, § 4 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. § 4 Abs. 3 Satz 1 und § 3e Abs. 2 Satz 1 AsylG sowie § 2 Abs. 13 Nr. 2 AufenthG).
Ein Ausländer darf gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG i. V. m. § 60 Abs. 2 AufenthG nicht in seinen Herkunftsstaat abgeschoben werden, wenn ihm dort Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung droht.
Wann eine „unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung“ gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG vorliegt, hängt vom Einzelfall ab. Eine Schlechtbehandlung einschließlich Bestrafung muss jedenfalls ein Minimum an Schwere erreichen, um in den mit § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG und Art. 15 lit. b QualRL insoweit identischen Schutzbereich von Art. 3 EMRK zu fallen. Die Bewertung dieses Minimums ist nach der Natur der Sache relativ. Kriterien hierfür sind abzuleiten aus allen Umständen des Einzelfalles, wie etwa der Art der Behandlung oder Bestrafung und dem Zusammenhang, in dem sie erfolgte, der Art und Weise ihrer Vollstreckung, ihrer zeitlichen Dauer, ihrer physischen und geistigen Wirkungen, sowie gegebenenfalls abgestellt auf Geschlecht, Alter bzw. Gesundheitszustand des Opfers. Abstrakt formuliert sind unter einer menschenrechtswidrigen Schlechtbehandlung Maßnahmen zu verstehen, mit denen unter Missachtung der Menschenwürde absichtlich schwere psychische oder physische Leiden zugefügt werden und mit denen nach Art und Ausmaß besonders schwer und krass gegen Menschenrechte verstoßen wird (vgl. VGH BW, U. v. 6.3.2012 – A 11 S 3070/11 – juris Rn. 16; Hailbronner, Ausländerrecht Bd. 3, Stand 6/2014 § 4 AsylVfG Rn. 21 ff.).
Bei der Prüfung, ob eine konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung besteht, ist der asylrechtliche Prognosemaßstab der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ anzulegen, wobei allerdings das Element der Konkretheit der Gefahr das zusätzliche Erfordernis einer einzelfallbezogenen, individuell bestimmten und erheblichen Gefährdungssituation kennzeichnet. Mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit steht die Rechtsgutsverletzung bevor, wenn bei qualifizierender Betrachtungsweise, d. h. bei einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung, die für die Rechtsgutsverletzung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Die in diesem Sinne erforderliche Abwägung bezieht sich nicht allein auf das Element der Eintrittswahrscheinlichkeit, sondern auch auf das Element der zeitlichen Nähe des befürchteten Ereignisses; auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs ist in die Betrachtung einzubeziehen (vgl. VGH BW, U. v. 6.3.2012 – A 11 S 3070/11 – juris Rn. 17 unter Bezugnahme auf BVerwG, B. v. 10.04.2008 – 10 B 28.08 – juris Rn. 6; U. v. 14.12.1993 – 9 C 45.92 – juris Rn. 10 f.; U. v. 05.11.1991 – 9 C 118.90 – juris Rn. 17).
Für die Prüfung der Voraussetzungen des subsidiären Schutzes im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG gelten gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG die §§ 3c bis 3e AsylG über Verfolgungs- und Schutzakteure sowie internen Schutz entsprechend. Die Gefahr eines ernsthaften Schadens im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG kann gemäß § 4 Abs. 3 AsylG i. V. m. § 3c AsylG ausgehen von dem Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die zuvor genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. Schutz vor einem ernsthaften Schaden gemäß § 4 Abs. 3 AsylG i. V. m. § 3d Abs. 1 AsylG nur geboten werden vom Staat oder von Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, sofern sie willens und in der Lage sind, wirksamen und nicht nur vorübergehenden Schutz zu gewähren, vgl. § 3d Abs. 2 Satz 1 AsylG. Generell ist ein solcher Schutz gewährleistet, wenn die genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat, § 3d Abs. 2 Satz 2 AsylG. Gemäß § 4 Abs. 3 AsylG i. V. m. § 3e Abs. 1 AsylG wird dem Ausländer subsidiärer Schutz nicht zuerkannt, wenn eine sogenannte interne Schutzalternative besteht, weil in einem Teil seines Herkunftslands keine Gefahr eines ernsthaften Schadens besteht oder der Ausländer Zugang zu Schutz vor einem ernsthaften Schaden nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.
Nach Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU ist die Tatsache, dass ein Ausländer bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass der Ausländer tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Ausländer erneut von einem solchen Schaden bedroht wird. Diese Regelung privilegiert den von ihr erfassten Personenkreis durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab, wie er in der deutschen asylrechtlichen Rechtsprechung entwickelt worden ist. Die Vorschrift begründet für die von ihr begünstigten Ausländer eine widerlegbare Vermutung dafür, dass sie erneut von einem ernsthaften Schaden bedroht werden. Dadurch wird der Ausländer, der bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat oder von einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür dazulegen, dass sich die einen solchen Schaden begründenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Ob die Vermutung durch „stichhaltige Gründe“ widerlegt ist, obliegt tatrichterlicher Würdigung im Rahmen freier Beweiswürdigung (vgl. BVerwG, U. v. 27.4.2010 – 10 C 5/09 – BVerwGE 136, 377 – in Bezug auf den wortgleichen Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2004/83 EG). Die Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU kommt dem von ernsthaftem Schaden bedrohten Ausländer auch bei der Prüfung zugute, ob für ihn im Gebiet einer internen Schutzalternative gemäß § 3e AsylG (vgl. vormals Art. 8 Abs. 1 Richtlinie 2004/83/EG) keine begründete Furcht vor Verfolgung besteht (vgl. BVerwG, U. v. 5.5.2009 – 10 C 21/08 – NVwZ 2009, 1308 in Bezug auf Art. 8 Abs. 1 Richtlinie 2004/83/EG). Mit Blick auf den Normzweck der Beweiserleichterung erscheint es nicht nachvollziehbar, der Prüfung internen Schutzes als Ausdruck der Subsidiarität des Flüchtlingsschutzes einen strengeren Maßstab zugrunde zu legen als der systematisch vorgelagerten Stellung der Verfolgungsprognose. Die hinter der Beweiserleichterung stehende Teleologie – der humanitäre Charakter des Asyls – verbietet es, einem Schutzsuchenden, der das Schicksal der Verfolgung bereits einmal erlitten hat, das Risiko einer Wiederholung solcher Verfolgung aufzubürden (BVerwG, U. v. 5.5.2009 – 10 C 21/08 – NVwZ 2009, 1308).
Bei der individuellen Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz sind alle mit dem Herkunftsland verbundenen Tatsachen zu berücksichtigen, die zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag relevant sind, einschließlich der Rechts- und Verwaltungsvorschriften des Herkunftslands und der Weise, in der sie angewandt werden, sowie die maßgeblichen Angaben des Antragstellers und die von ihm vorgelegten Unterlagen, einschließlich Informationen zu der Frage, ob er einen ernsthaften Schaden erlitten bzw. erleiden könnte (vgl. Art. 4 Abs. 3 Buchst. a und b Richtlinie 2011/95/EU). Weiterhin sind zu berücksichtigen die individuelle Lage und die persönlichen Umstände des Ausländers, einschließlich solcher Faktoren wie familiärer und sozialer Hintergrund, Geschlecht und Alter, um bewerten zu können, ob in Anbetracht seiner persönlichen Umstände die Handlungen, denen er ausgesetzt war oder ausgesetzt sein könnte, einem sonstigen ernsthaften Schaden gleichzusetzen sind (vgl. Art. 4 Abs. 3 Buchst. c Richtlinie 2011/95/EU).
Das Gericht ist auf der Grundlage des Vortrags des Klägers und des in der mündlichen Verhandlung von ihm gewonnenen persönlichen Eindrucks davon überzeugt, dass dem Kläger im Falle einer Rückkehr die konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung droht.
Unter Berücksichtigung seines Herkommens, seines Bildungsstands und seines Alters hält das Gericht den Vortrag des Klägers für glaubhaft. Der Kläger hat die Geschehnisse lebensnah und überzeugend vorgetragen. Er hat die Geschehnisse zusammenhängend und ohne Übertreibungen dargestellt. Dass der Kläger zweimal für die Bundeswehr bzw. den Militärischen Abschirmdienst in Afghanistan tätig gewesen ist, steht zur Überzeugung des Gerichts zudem aufgrund der Stellungnahme des MAD vom … Februar 2016 fest, da diese Stellungnahme den Vortrag des Klägers in dessen Anhörung vor dem Bundesamt in nahezu allen Details bestätigt. Gerade auch die Tatsache, dass der Vortrag des Klägers zu seiner Tätigkeit als Sprachmittler insoweit voll bestätigt werden konnte, spricht für seine Glaubwürdigkeit. Auch den beim Bundesamt zu den Drohanrufen gemachten Vortrag konnte der Kläger in der mündlichen Verhandlung widerspruchsfrei auf Nachfrage bestätigen. Dass er sich zu den Drohanrufen nicht detaillierter äußern konnte, wie von der Beklagten im Bescheid ausgeführt, erklärt sich daraus, dass es für das Gericht nachvollziehbar ist, dass neben der Tatsache der Bedrohung am Telefon und den Umständen desd Anrufs keine genaueren Angaben gemacht werden können. Zu der Anzahl, dem Zeitraum und dem Inhalt der Anrufe hat der Kläger Angaben gemacht und diese Angaben in der mündlichen Verhandlung auch widerspruchsfrei im Vergleich zu seinem Vortrag beim Bundesamt bestätigt.
Das Vorbringen des Klägers stimmt auch mit der Auskunftslage überein. Danach haben regierungsfeindliche Kräfte afghanische Zivilisten, die für die internationalen Streitkräfte arbeiten oder auch nur der Zusammenarbeit mit diesen verdächtigt werden, zahlreichen Berichten zufolge bedroht und angegriffen. Ebenso werden Zivilisten angegriffen, die Mitarbeiter internationaler oder afghanischer humanitärer Hilfsorganisationen sind (vgl. UNHCR, UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 6. August 2013, S. 38 ff.; EASO, Informationsbericht über das Herkunftsland Afghanistan, Strategien der Aufständischen: Einschüchterung und gezielte Gewalt gegen Afghanen, S. 68 ff. S. 72 ff.). In einigen Fällen kam es dabei auch zu Angriffen gegen Familienangehörigen, selbst Kindern, von Personen, die der Zusammenarbeit mit den internationalen Streitkräften verdächtigt wurden (vgl. UNHCR, UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 6. August 2013, S. 39). Auch wird davon berichtet, dass Personen, die allein ihrer Kleidung und ihrem äußeren Erscheinungsbild nach nicht den (Moral-) Vorstellungen der Taliban entsprachen, Ziel von Drohungen und Angriffen der Aufständischen wurden (EASO, Informationsbericht über das Herkunftsland Afghanistan, Strategien der Aufständischen: Einschüchterung und gezielte Gewalt gegen Afghanen, S. 99 ff.). Die Auskünfte zeigen, dass Personen wie der Kläger, die als Dolmetscher gearbeitet haben und Kontakt zu Mitarbeitern der internationalen Streitkräfte haben oder gehabt haben, nicht lediglich schikaniert oder eingeschüchtert werden, sondern mit schweren Körperverletzungen bis hin zu ihrer Ermordung rechnen müssen. Vor diesem Hintergrund ist das Gericht auf der Grundlage des Vortrags des Klägers überzeugt, das ihm im Falle einer Rückkehr die konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung droht.
Die dem Kläger nicht näher bekannten Personen, die ihn am Telefon bedroht haben, sind Akteure im Sinne des § 4 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. § 3c Nr. 3 AsylG, von denen die Gefahr eines ernsthaften Schadens ausgehen kann. Der Kläger wäre vor der ihm drohenden konkreten Gefahr auch durch den Staat nicht hinreichend geschützt. Eine Schutzfähigkeit des Staates vor Übergriffen Dritter ist im Hinblick auf die Verhältnisse in Afghanistan nicht gegeben. Wegen des schwachen Zustands des Verwaltungs- und Rechtswesens bleiben Menschenrechtsverletzungen in Afghanistan häufig ohne Sanktionen (Auswärtiges Amt, Lagebericht, Stand November 2015, S. 13, 22). Die afghanischen Sicherheitskräfte (ANDSF), die seit Januar 2015 erstmals die volle Verantwortung für die Sicherheit des Landes übernommen haben, werden bei der Durchsetzung von Recht und Gesetz ihrer Aufgabe trotz erster Fortschritte insgesamt noch nicht gerecht. Auch wenn zwischenzeitlich der quantitative Aufwuchs der afghanischen Sicherheitskräfte voran geht, so kann der qualitative Aufwuchs hiermit nicht Schritt halten (Auswärtiges Amt, Lagebericht, Stand: Januar 2012, S. 11 f.). Dementsprechend muss weiterhin davon ausgegangen werden, dass in der öffentlichen Wahrnehmung die ANDSF daher insgesamt noch kein Stabilitätsfaktor sind und wenig Vertrauen durch die Bevölkerung genießen. Hinzu kommen Defizite u. a. in der Führung, strategischen und taktischer Planungsfähigkeit, Aufklärung und technischer Ausstattung (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht, Stand: November 2015, S. 7) bei gleichzeitigem Erstarken bzw. zumindest gleichbleibender Stärke der regierungsfeindlichen Kräfte (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update, Die aktuelle Sicherheitslage, 5.10.2014, S. 3ff., 7, 9, 11, 13f., 16f; Auswärtiges Amt, Lagebericht, Stand: November 2015, S. 4). Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger wirksamen Schutz vor einem ernsthaften Schaden durch die Taliban von staatlichen Sicherheitskräften oder internationalen Organisationen erhalten konnte bzw. erhalten wird.
Der Kläger hat im Sinne von Art. 4 Abs. 4 QualRL einen ernsthaften Schaden erlitten bzw. war hiervon unmittelbar bedroht. Es ist deshalb insoweit auch davon auszugehen, dass der Kläger bei einer Rückkehr in sein Heimatland unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung durch die Taliban unterworfen wird. Vorliegend kann die Vermutung der drohenden unmenschlichen Behandlung nicht widerlegt werden. Stichhaltige Gründe, die die Wiederholungsträchtigkeit einer Verfolgung entkräften, sind nicht ersichtlich. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass am Heimatort des Klägers mittlerweile eine tolerantere Haltung gegenüber Personen vorherrschen würde, die als Dolmetscher bei den internationalen Streitkräften oder Hilfsorganisationen gearbeitet haben.
Der Kläger kann auch nicht auf internen Schutz nach § 4 Abs. 3 AsylG i.V. § 3e Abs. 1 AsylG, Art. 8 Abs. 1 QualRL verwiesen werden.
Zum einen kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger andernorts in Afghanistan vor Nachstellungen durch die Taliban sicher ist. Auch insoweit kommt ihm die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU zugute. Die Auskunftslage lässt zudem nicht den gesicherten Schluss zu, dass die Furcht des Klägers vor Übergriffen unbegründet wäre. Der Staat ist hierbei nicht in der Lage, Schutz vor Gefahren, die von diesen Akteuren ausgehen, zu gewährleisten. Die Verbindungen zu anderen Akteuren kann – abhängig vom Einzelfall – eine Person einer Gefahr aussetzen, die über das Einflussgebiet eines lokalen Befehlhabers hinausgeht.
Außerdem wäre an einem anderen Ort aufgrund seiner besonderen Situation als verheirateter Familienvater mit vier Kindern sein Überleben nicht gesichert. Eine interne Schutzmöglichkeit liegt nämlich nur vor, wenn in dem Landesteil, in dem keine tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens droht, für den Ausländer eine ausreichende Existenzgrundlage gegeben ist (vgl. BVerwG U. v. 29.5.2008 – 10 C 11/07 – BVerwGE 131, 186). Die Versorgungslage in Afghanistan ist weiterhin schlecht (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update, Die aktuelle Sicherheitslage, 5.10.2014, S.18ff; Auswärtiges Amt, Lagebericht, Stand: November 2015, S. 23 ff.). Die Verweisung auf eine andere als die Herkunftsgegend oder die Heimat ist demnach grundsätzlich nur dann zumutbar, wenn dorthin familiäre oder stammesbezogene Verbindungen bestehen (vgl. u. a. VG Ansbach, U. v. 3.3.2011 – AN 11 K 10.30475 – juris; VG Augsburg, U. v. 7.4.2011 – Au 6 K 10.30336; VG München, U. v. 15.11.2013 – M 23 K 11.30243 – juris). Der Kläger hat nach seinen Angaben aber nur in Kabul Familienunterstützung. Dorthin kann er aber nicht zurück, weil er gerade in Kabul bedroht worden ist.
Nach alledem war der Klage auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG stattzugeben. Über den hilfsweise gestellten Antrag auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG war aufgrund des Eventualverhältnisses nicht mehr zu entscheiden.
Weiter waren die Nrn. 4 und 5 des Bescheids des Bundesamts 24. März 2015 aufzuheben. Die Verpflichtung der Beklagten zur Zuerkennung von subsidiären Schutz lässt die negative Feststellung des Bundesamts, auch soweit sie die Ablehnung der Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG betrifft, angesichts des Eventualverhältnisses (vgl. BVerwG, U. v. 15.4.1997 – 9 C 19/96 – juris) gegenstandslos werden, so dass der ablehnende Bescheid auch insoweit in Nr. 4 aufzuheben ist. Auch die Abschiebungsandrohung in Nr. 5 war im Umkehrschluss zu § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2a AsylG aufzuheben.
Ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 AsylG) bestand dagegen nicht, da die Verfolgung nicht an Merkmale des § 3b Abs. 1 AsylG anknüpft. Insoweit war die Klage daher abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO und berücksichtigt die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Kostenteilung im Asylverfahren (BVerwG, B. v. 29.6.2009 – 10 B 60/08 – juris). Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.