Verwaltungsrecht

Befristung der Wirkungen der Ausweisung

Aktenzeichen  10 B 19.55

Datum:
21.5.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 13718
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 11 Abs. 1, Abs. 3, § 53 Abs. 1, Abs. 2, § 54 Abs. 1 Nr. 1, § 55 Abs. 1 Nr. 4
VwGO § 86 Abs. 2
GG Art. 6
EMRK Art. 8

 

Leitsatz

1 Die Länge der Frist für das durch die Befristungsentscheidung konkludent verfügte Einreise- und Aufenthaltsverbot ist eine Ermessensentscheidung. Die Ausländerbehörde muss bei der allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzenden Frist das Gewicht des Ausweisungsinteresses und den mit der Ausweisung verfolgten Zweck berücksichtigen.  (Rn. 54) (redaktioneller Leitsatz)
2 In einem ersten Schritt ist eine prognostischen Einschätzung im Einzelfall zu treffen, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das seiner Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die auf diese Weise an der Erreichung des Ausweisungszwecks ermittelte Höchstfrist muss von der Behörde in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) und den unions- und konventionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 7 GRC und Art. 8 EMRK, gemessen und ggf. relativiert werden. Dabei sind von der Ausländerbehörde nicht nur die nach § 55 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG schutzwürdigen Bleibeinteressen des Ausländers in den Blick zu nehmen, sondern es bedarf nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalles einer umfassenden Abwägung der betroffenen Belange.  (Rn. 54 – 55) (redaktioneller Leitsatz)
3 Die Bestimmung der Länge der Frist erfolgt zunächst anhand einer prognostischen Einschätzung, wie lange die Gefahr besteht, dass der Ausländer weitere Straftaten oder andere Verstöße gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung begehen wird, wobei die Umstände des Einzelfalles anhand des Gewichts des Ausweisungsgrundes zu berücksichtigen sind. Abzustellen ist bei der Bemessung der Frist im ersten Schritt nur auf das Gewicht des Ausweisungsgrunds und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck.  (Rn. 56) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 25 K 17.4578 2018-04-25 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Unter Abänderung von Nr.
I. des Urteils des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 25. April 2018 und Aufhebung der Nr. 2 des Bescheids der Beklagten vom 21. August 2017 in der Fassung vom 25. April 2018 wird die Beklagte verpflichtet, über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung (§ 11 Abs. 3 AufenthG) unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu entscheiden. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
II. Unter Abänderung von Nr.
II. des Urteils des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 25. April 2018 tragen die Beklagte ein Viertel und der Kläger drei Viertel der Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vorher Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrags leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung des Klägers hat teilweise Erfolg. Soweit die Klage auf Aufhebung der Ausweisungsverfügung samt Nebenentscheidungen (Nrn. 1 und 3 bis 5 des Bescheids der Beklagten vom 21. August 2017) und auf Verpflichtung der Beklagten, ihm rückwirkend ab Antragstellung eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, gerichtet ist, hat das Verwaltungsgericht die Klage des Klägers zu Recht abgewiesen, weil der Bescheid insoweit rechtmäßig und der Kläger dadurch nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO) ist; seine Berufung war daher insoweit zurückzuweisen (I.). Die Berufung ist begründet, soweit das Verwaltungsgericht die hilfsweise erhobene Verpflichtungsklage, die Beklagte zu verpflichten, über die Sperrfrist (§ 11 Abs. 3 AufenthG) unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden, abgewiesen hat. Die im Bescheid vom 21. August 2017 verfügte (Nr. 2) und in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht vom 25. April 2018 reduzierte Wiedereinreisesperre für die Dauer von sieben Jahren nach Ausreise ist ermessensfehlerhaft, so dass der Bescheid vom 21. August 2017 insoweit aufzuheben, das erstinstanzliche Urteil abzuändern und die Beklagte zur Neuverbescheidung zu verpflichten war (II.).
I.
Die Klage und Berufung des Klägers bezüglich der Ausweisungsverfügung und Ablehnung einer Aufenthaltserlaubnis bleiben ohne Erfolg. Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der angefochtenen Ausweisungsverfügung mit Abschiebungsanordnung bzw. -androhung ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder der Entscheidung des Berufungsgerichts (stRspr, vgl. BayVGH, U.v. 21.11.2017 – 10 B 17.818 – juris Rn. 24 m. w. N.).
1. Rechtsgrundlage für die Ausweisung des Klägers ist § 53 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 AufenthG. Danach wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.
§ 53 Abs. 3 AufenthG scheidet als Maßstab für die Ausweisungsverfügung aus, da dem Kläger kein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei (mehr) zusteht. Er hatte zwar ursprünglich ein von seinem Vater abgeleitetes Aufenthaltsrecht nach Art. 7 ARB 1/80 erworben. Dieses ist jedoch durch die Ausweisungsverfügung der Beklagten vom 29. Januar 2001 erloschen. Ein eigenständiges Aufenthaltsrecht nach Art. 6 ARB 1/80 hat der Kläger mangels Zugehörigkeit zum regulären Arbeitsmarkt danach nicht erworben.
Die in Nr. 1 des Bescheids vom 21. August 2017 verfügte Ausweisung ist rechtmäßig, weil der weitere Aufenthalt des Klägers die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet (1.1) und das öffentliche Interesse an seiner Ausreise sein Bleibeinteresse überwiegt (1.2).
1.1. Die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ergibt sich zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats sowohl aus dem persönlichen Verhalten des Klägers (spezialpräventive Ausweisungsgründe; 1.1.1) als auch aus dessen weiterem Aufenthalt im Bundesgebiet (generalpräventive Ausweisungsgründe; 1.1.2).
1.1.1 Bei einer auf spezialpräventive Gründe gestützten Ausweisungsentscheidung haben die Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen. Bei dieser Gefahrenprognose sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn. 18; BayVGH, B.v. 14.1.2019 – 10 ZB 18.1413 – juris Rn. 9 m.w.N.). Gemessen hieran sind die Beklagte und das Verwaltungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger erneut Straftaten im Bereich der Körperverletzungs- und Eigentumsdelikte begehen wird. Auch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Senats hat diese Gefahrenprognose noch ihre Berechtigung.
Die Anlasstat für die Ausweisung bildet die Verurteilung des Klägers zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren und 11 Monaten. Dieser Verurteilung lag eine Serie von Wohnungseinbrüchen im Zeitraum von Juni 2013 bis September 2014 zugrunde. Bei diesen Einbrüchen hatte der Kläger teilweise auch EC-Karten entwendet und diese zu Bargeldabhebungen an Geldautomaten genutzt. Mit Begehung dieser Einbruchsserie zeigte der Kläger eine erhebliche kriminelle Energie. Die Taten erstreckten sich über einen längeren Zeitraum und wurden sorgfältig geplant (Ausspionieren, Testanrufe). Er hat sich auf diese Weise eine regelmäßige Einnahmequelle verschafft, um Schulden zu begleichen und seiner Spielleidenschaft nachzugehen. Neben dem hohen materiellen Schaden ist insbesondere auch der gravierende immaterielle Schaden für die betroffenen Wohnungsinhaber zu berücksichtigen.
Erschwerend kommt hinzu, dass der Kläger erst im April 2013 aus der Haft entlassen worden war, die er aufgrund diverser Verurteilungen ab April 2010 verbüßt hatte. Während dieser Inhaftierung hat der Kläger vom 13. Januar 2011 bis zum 31. März 2011 an der anstaltsinternen gewaltpräventiven Maßnahme „Gewalt im sozialen Nahraum“ teilgenommen. Die Schwerpunkte der Gruppe lagen sowohl in der deliktorientierten als auch in der persönlichkeitsorientierten Arbeit (Bl. 1406 der Verwaltungsakten). Trotz dieser Maßnahme und einer Einstellungszusage für die Zeit nach der Haftentlassung wurde der Kläger nur kurze Zeit danach wieder strafffällig. Die Verbüßung einer 3-jährigen Haftstrafe und die versuchte Aufarbeitung seiner Straftaten in einer Deliktgruppe blieben offensichtlich ohne Wirkung auf ihn und führten zu keiner Verhaltensänderung.
Auch die erste Strafhaft, die der Kläger aufgrund der Verurteilung des Amtsgerichts vom 24. August 2000 verbüßte hatte (Dezember 1999 bis Dezember 2003), blieb ohne positiven Einfluss auf ihn. Die Beklagte hatte sich im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens die Ausweisung vom 29. Januar 2001 betreffend bereit erklärt, dem Kläger unter bestimmten Voraussetzungen Duldungen zu erteilen, weil der psychologische Sachverständige in einem vom Verwaltungsgericht eingeholten Gutachten zum Ergebnis kam, dass eine konkrete Gefahr neuerlicher strafrechtlicher Verfehlungen aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur und den nach der Inhaftierung eingetretenen Einstellungs- und Verhaltensänderungen nicht bestehe (Bl. 289 ff. der Verwaltungsakten). Dennoch beging der Kläger innerhalb der laufenden Bewährungszeit am 21. Juli 2004, also nur sieben Monate nach der Haftentlassung, wieder eine Straftat und entzog sich der drohenden erneuten Inhaftierung durch Untertauchen. Auch die nach seiner Verhaftung angetretene zweite Strafhaft von April 2007 bis April 2008 bewegte den Kläger nicht zu einem Umdenkungsprozess und einer Änderung seines Verhaltens. Vielmehr tauchte er erneut unter und entzog sich damit der Verantwortung für sein Handeln.
Wie der schnelle Rückfall in alte Verhaltensmuster nach der Verbüßung der dritten Haftstrafe zeigt, konnten auch seine familiären Bindungen den Kläger nicht von der Begehung weiterer Straftaten abhalten. Obwohl er und seine Verlobte beabsichtigt hatten, zu heirateten, und er sich um seinen Sohn kümmern wollte, beging er über einen längeren Zeitraum bis zu seiner Festnahme im September 2014 Wohnungseinbruchsdiebstähle. An seine Familienangehörigen hat er dabei – wie in der mündlichen Verhandlung zum Ausdruck kam – nicht gedacht. Es ging ihm allein um die Begleichung von Schulden und die Geldbeschaffung für Sportwetten. Hierfür nahm er das Risiko einer weiteren Inhaftierung und der erneuten Trennung von seiner Familie ohne weiteres in Kauf.
Angesichts dieser Vorgeschichte ist der Senat nicht davon überzeugt, dass die vierte Inhaftierung den Kläger derart beindruckt und beeinflusst hat, dass er nach seiner Haftentlassung keine vergleichbaren Straftaten mehr begehen wird. Dagegen sprechen bereits die Stellungnahmen der Justizvollzugsanstalt vom 12. Juli 2017 und 15. Mai 2019, die den behaupteten Umdenkungsprozess nicht erkennen lassen. Der Kläger hat sich auch im Vollzug nicht beanstandungsfrei geführt und musste verwarnt werden. Wegen mangelhafter Arbeitsleistung wird er seit Oktober 2017 nicht mehr im Elektrobetrieb beschäftigt. Er hat zwar eine Ausbildung absolviert, möchte ein Fernstudium abschließen und plant nach seiner Haftentlassung in einem während der Haftzeit erlernten Beruf zu arbeiten. Diese Zukunftspläne sind allerdings wenig realistisch. Der Kläger ist inzwischen vierzig Jahre alt, er ist noch nie in seinem Leben über eine längere Zeit einer Vollzeitbeschäftigung nachgegangen; auch nach der dritten Haftentlassung lag eine Zusage für die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit vor, die der Kläger aber nicht angetreten hat. Zudem bestehen nach wie vor nicht unerhebliche Schulden, die er abtragen muss. Nach seiner Haftentlassung wird der Kläger mit der Hypothek belastet sein, dass er ab Dezember 1999 nahezu 13 Jahre in Haft verbracht hat, insgesamt fast drei Jahre untergetaucht war und sich illegal im Bundesgebiet aufgehalten hat, und daher auf dem Arbeitsmarkt (wohl) nur schwer vermittelbar sein. Die Aussicht, wieder mit seiner Verlobten und seinem Sohn zusammenleben zu können, ändert nach Auffassung des Senats nichts an der auf der kriminellen Vergangenheit des Klägers beruhenden Gefahrenprognose. Nach der Haftentlassung im April 2013 hat ihm die Beklagte sogar eine Aufenthaltserlaubnis erteilt, um ihm die Chance zu geben, mit seiner Familie zusammenzuleben. Seine Verlobte war trotz seiner zahlreichen Verurteilungen bereit, ihn zu heiraten, und hat während der Zeit seiner Inhaftierung von April 2010 bis April 2013 zu ihm gehalten und ihn so oft als möglich mit dem kleinen Sohn in der Justizvollzugsanstalt besucht. Diese familiären Bindungen haben den Kläger jedoch nicht davon abgehalten, bereits kurz nach der Entlassung aus der Strafhaft wieder und über einen längeren Zeitraum massiv straffällig zu werden. Soweit der Kläger geltend macht, er habe das Tatgeschehen bearbeitet, sodass von ihm keine Wiederholungsgefahr mehr ausgehe, führt dies zu keiner anderen Beurteilung. Er hat zwar in der Zeit von 26. November 2015 bis 12. Januar 2017 die „Allgemeine Deliktgruppe zur Tataufbereitung und Rückfallvermeidung“ besucht. Die Teilnahme an einer ähnlichen Gruppe während seiner dritten Inhaftierung blieb jedoch ohne anhaltenden Erfolg, obwohl ihm in der psychologischen Kurzexpertise vom 4. November 2011 bestätigt worden war, dass Veränderungen in positiver Richtung erkennbar seien. Die Teilnahme an der „Allgemeinen Deliktgruppe“ vermindert „unter der Voraussetzung eines festen Willens zur Legalität die Wahrscheinlichkeit künftiger Straftaten“ (Bl. 80 der VG-Akte); Anhaltspunkte dafür, dass beim Kläger dieser Legalitätswille tatsächlich vorliegt und die Teilnahme die Wahrscheinlichkeit der Begehung von Straftaten nach der Haftentlassung signifikant vermindert hat, sind jedoch zur Überzeugung des Senats nicht ersichtlich.
1.1.2 Der weitere Aufenthalt des Klägers gefährdet auch aus generalpräventiven Gründen die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Eine Ausweisung ist auch seit der Änderung des Ausweisungsrechts ab dem 1. Januar 2016 nach dem Wortlaut des § 53 Abs. 1 AufenthG sowie dem gesetzgeberischen Willen auch aus generalpräventiven Gründen möglich (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2018 – 1 C 16.17 – juris Rn. 16 und 19). Solche generalpräventiven Gründe liegen aktuell beim Kläger noch vor. Eine Ausweisung aus Gründen der Generalprävention ist dann zulässig, wenn durch die Ausweisung andere Ausländer von der Begehung solcher Straftaten abgehalten werden sollen, die Tat besonders schwer wiegt und ein dringendes Bedürfnis daran besteht, über eine strafrechtliche Sanktion hinaus durch Ausweisung auch andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten (BVerwG, U.v. 14.2.2012 – 1 C 7. 11 – juris Rn. 17). Lediglich bei einzigartigen Verfehlungen singulären Charakters können generalpräventive Erwägungen eine Ausweisung nicht begründen, weil dann nicht die Gefahr besteht, dass auch ein anderer Ausländer vergleichbare Straftaten begehen wird. Das hier (auch) generalpräventiv begründete Ausweisungsinteresse wiegt nicht nur nach der gesetzlichen Typisierung gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, sondern auch nach der individuellen Würdigung der Tat unter Einbeziehung des generalpräventiven Anlasses besonders schwer. Bei Wohnungseinbrüchen handelt es sich um ein weit verbreitetes Delikt, bei dem zum finanziellen Schaden auch eine gravierende Verletzung der Privatsphäre der Betroffenen hinzutritt. Der Kläger ist zudem serien- und planmäßig vorgegangen. Es besteht daher ein Bedürfnis dafür, anderen Ausländern deutlich zu machen, dass solche Straftaten neben der strafrechtlichen Sanktion eine Ausweisung nach sich ziehen können, gerade weil die strafrechtliche Sanktionierung allein oft nicht abschreckend wirkt. Die Taten des Klägers weisen auch keinen singulären Charakter auf. Es handelt sich vielmehr um eine aus rein finanziellen Motiven begangene Einbruchsserie, bei der ein hoher Schaden und eine hohe psychische Belastung für die Betroffenen entstanden sind.
1.2 Die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet führt dazu, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise die Bleibeinteressen des Klägers überwiegt. Voraussetzung für eine Ausweisung bei einer bestehenden Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch den weiteren Aufenthalt des Ausländers ist gemäß § 53 Abs. 1 AufenthG eine umfassende und ergebnisoffene Abwägung aller Umstände des Einzelfalls, die vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geleitet wird. Dieser Grundsatz des § 53 Abs. 1 AufenthG erfährt durch § 54 und § 55 AufenthG weitere Konkretisierungen. Einzelnen in die Abwägung einzustellenden Ausweisungs- und Bleibeinteressen wird von vornherein ein spezifisches bei der Abwägung zu berücksichtigendes Gewicht beigemessen (1.2.1). Bei der Abwägung des Interesses an der Ausreise mit den Bleibeinteressen sind darüber hinaus die in § 53 Abs. 2 AufenthG aufgeführten Umstände in die wertende Gesamtbetrachtung einzubeziehen (1.2.2).
1.2.1 Mit seiner Verurteilung vom 24. Juli 2015 hat der Kläger den Tatbestand des § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG erfüllt, sodass ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse vorliegt. Diesem steht ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG gegenüber, weil der Kläger vor seiner Inhaftierung im September 2014 mit seinem deutschen Sohn in familiärer Lebensgemeinschaft gelebt hat, er sein Personensorgerecht ausgeübt hat und noch ausübt und die familiäre Lebensgemeinschaft, soweit möglich, auch in der Haft aufrechterhalten wird (zum maßgeblichen Zeitpunkt für die Überprüfung des Bestehens eines Bleibeinteresses vgl. VGH BW, B.v. 17.9.2018 – 11 S 809/18 – juris Rn. 9)
Steht einem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse gegenüber, kann ein Überwiegen des öffentlichen Interesses an der Ausreise des Ausländers nicht mit der typisierenden gesetzlichen Gewichtung begründet werden. Vielmehr bedarf es einer besonderen individuellen Begründung dafür, dass aufgrund der Umstände des Einzelfalls das öffentliche Interesse an der Ausweisung überwiegt. Auch das Vorliegen eines besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses entbindet daher nicht von der Notwendigkeit der in § 53 Abs. 1 AufenthG vorgeschriebenen umfassenden Interessenabwägung (BVerwG, U.v. 27.7.2017 – 1 C 28.16 – juris Rn. 39).
1.2.2 Bei der gemäß § 53 Abs. 1 und 2 AufenthG zu treffenden Abwägungsentscheidung und Verhältnismäßigkeitsprüfung sind insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Ausländers, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat sowie die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und die Tatsache, ob der Ausländer sich rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen, wobei diese Umstände weder abschließend zu verstehen sind noch ausschließlich zugunsten des Ausländers sprechende Umstände in die Abwägung einzustellen sind (BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 3.16 – juris Rn. 24 f.). Ergänzend hierzu sind die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu Art. 8 EMRK entwickelten Kriterien heranzuziehen (Boultif/Üner-Kriterien, vgl. EGMR, U.v. 18.10.2006 – 46410/99 – NVwZ 2007, 1279; U.v. 2.8.2001 – 54273/00 – InfAuslR 2001, 476). Bei der Abwägung zu berücksichtigen sind danach die Art und die Schwere der begangenen Straftaten, wobei die vom Gesetzgeber vorgenommene typisierende Gewichtung zu beachten ist, das Verhalten des Ausländers nach der Tatbegehung sowie die Stabilität der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gastland und zum Zielstaat. Die abwägungserheblichen Interessen sind zutreffend zu ermitteln und zu gewichten. Es ist ein Ausgleich zwischen den gegenläufigen Interessen herzustellen, der dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht.
Hiervon ausgehend ist zugunsten des Klägers zu berücksichtigen, dass er in Deutschland geboren ist, hier zur Schule gegangen ist und einen Hauptschulabschluss erreicht hat. Er spricht die deutsche Sprache perfekt. Allerdings besaß er seit der ersten Ausweisung mit Bescheid vom 29. Januar 2001 keinen gesicherten Aufenthaltsstatus mehr. Teilweise waren ihm Duldungen oder Grenzübertrittbescheinigungen ausgestellt worden, er hielt sich aber auch viele Jahre illegal im Bundesgebiet auf. Eine berufliche Integration ist ihm in all den Jahren aufgrund der langen Haftzeiten nicht gelungen.
Der Kläger hat, soweit seine Inhaftierungen dies zugelassen haben, eine stabile persönliche Beziehung zu seinen hier lebenden Eltern und Geschwistern unterhalten. Bei einem Erwachsenen ist diesen Bindungen aber kein allzu großes Gewicht mehr beizumessen. Zudem leben noch Verwandte in der Türkei. Er ist gelegentlich in die Türkei gereist und spricht auch türkisch, da er die türkische Grundschule besucht hat.
Der Kläger ist seit mehr als zehn Jahren mit der Mutter seines Sohnes verlobt, er hat vor seinen jeweiligen Inhaftierungen mit ihr und dem Sohn in familiärer Lebensgemeinschaft gelebt und möchte nach seiner Haftentlassung auch wieder in die gemeinsame Wohnung zurückkehren. Die Verlobte besucht den Kläger so oft wie möglich in der Justizvollzugsanstalt. Diese Beziehung hat ihre Prägung aber in erster Linie durch die langen Haftzeiten des Klägers erfahren, weil er nur seit der Geburt des Sohnes im Dezember 2009 bis zu seiner Inhaftierung im April 2010 und nach der Haftentlassung im April 2013 bis zur erneuten Inhaftierung im September 2014 mit der Verlobten zusammengelebt hat. Ihr war auch schon vor Erlass der streitgegenständlichen Ausweisungsverfügung bekannt, dass der Kläger keinen gesicherten Aufenthaltsstatus besitzt. Insofern kommt der Beziehung zu der Verlobten eine eher geringe Bedeutung zu, die auch nicht dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG unterfällt.
Höheres Gewicht hat dagegen die Bindung des Klägers zu seinem Sohn C. Der Senat konnte sich im Rahmen der mündlichen Verhandlung davon überzeugen, dass diese Beziehung über die rein formale Ausübung des Sorgerechts hinausgeht. Nach der Entlassung aus der dritten Strafhaft im April 2013 hat er über eineinhalb Jahre mit C. zusammengelebt und sich in dieser Zeit um ihn gekümmert. Die Vertreterin des Jugendamtes sah im Februar 2014 die Beziehung als so stabil an, dass sie die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG befürwortete. Die Verlobte bringt den Sohn zu den monatlichen Besuchen in die Justizvollzugsanstalt mit, C. nimmt mit dem Kläger an sog. Vater-Kind-Seminaren teil. Der Kläger zeigt sich über die Situation seines Sohnes gut informiert und auch interessiert. Telefonische Kontakte finden laut Auskunft der Justizvollzugsanstalt seit 2017 nicht mehr statt, über briefliche Kontakte ist nichts bekannt, vorgelegt wurde lediglich eine von der Verlobten geschriebene und vom Sohn nur unterschriebene Karte zum Vatertag.
Zu Lasten des Klägers sprechen die Schwere seiner Straftat, die zur streitgegenständlichen Ausweisung führte und nach der gesetzlichen Typisierung ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse darstellt, sowie die bestehende erhebliche Wiederholungsgefahr. Erschwerend kommen die zahlreichen Vorverurteilungen, die Rückfallgeschwindigkeit und generalpräventive Erwägungen hinzu (siehe 1.1).
Insgesamt bleibt festzuhalten, dass abgesehen von der bloßen Aufenthaltsdauer und der schützenswerten Beziehung zu seinem Sohn keine gewichtigen Bleibeinteressen bestehen, so dass das auf spezial- und generalpräventiven Gründen beruhende besonders schwerwiegende Ausweisungsinteresse letztlich überwiegt. Insbesondere ist durch die Ausweisung, die eine Aufenthaltsbeendigung nach sich zieht, das Kindeswohl des Sohnes nicht gefährdet, so dass sich die Ausweisung auch unter Berücksichtigung von Art. 8 EMRK und Art. 6 GG als verhältnismäßig erweist.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gewährt Art. 6 GG keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt (BVerfG, B.v. 5.6.2013 – 2 BvR 586/13 – juris Rn. 12 m.w.N.). Allerdings verpflichtet die in Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, die Ausländerbehörde, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen des den (weiteren) Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, pflichtgemäß, das heißt entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Dabei ist grundsätzlich eine Betrachtung des Einzelfalles geboten, bei der auf der einen Seite die familiären Bindungen zu berücksichtigen sind, auf der anderen Seite aber auch die sonstigen Umstände des Einzelfalles. Kann die Lebensgemeinschaft zwischen einem Ausländer und seinem Kind – wie hier – nur in der Bundesrepublik Deutschland stattfinden, so drängt die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, einwanderungspolitische Belange regelmäßig zurück. Bei aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen, die den Umgang mit einem Kind berühren, ist maßgeblich auch auf die Sicht des Kindes abzustellen und im Einzelfall zu untersuchen, ob tatsächlich eine persönliche Verbundenheit besteht, auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist. Dabei sind die Belange des Elternteils und des Kindes umfassend zu berücksichtigen. Dementsprechend ist im Einzelfall zu würdigen, in welcher Form die Elternverantwortung ausgeübt wird und welche Folgen eine endgültige oder vorübergehende Trennung für die gelebte Eltern-Kind-Beziehung und das Kindeswohl hätte. In diesem Zusammenhang ist davon auszugehen, dass der persönliche Kontakt des Kindes zu seinen Eltern und der damit verbundene Aufbau und die Kontinuität emotionaler Bindungen zu Vater und Mutter in der Regel der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes dienen. Ein hohes, gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechendes Gewicht haben die Folgen einer vorübergehenden Trennung insbesondere, wenn ein noch sehr kleines Kind betroffen ist, das den nur vorübergehenden Charakter einer räumlichen Trennung möglicherweise nicht begreifen kann und diese rasch als endgültigen Verlust erfährt (vgl. BVerfG, a.a.O. Rn. 13 f. m.w.N.). Eine Aufenthaltsbeendigung für einen Elternteil aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung – jedenfalls bei besonders schweren Straftaten und langfristig ungünstiger Prognose – ist nicht generell und unter allen Umständen ausgeschlossen. Das zwischen dem Ausländer und seinem minderjährigen deutschen Kind bestehende Familienleben bzw. das Kindeswohl hat nicht generell und ausnahmslos Vorrang vor dem öffentlichen Vollzugsinteresse (BVerwG, B.v. 10.2.2011 – 1 B 22.10 – juris Rn. 4; B.v. 21.7.2015 – 1 B 26.15 – juris Rn. 5).
Der Senat ist nach der Anhörung des Klägers und der Vertreterin des Jugendamtes der Beklagten, der Zeugeneinvernahme der Verlobten und dem sonstigen Gesamtergebnis des Verfahrens zu der Überzeugung (§ 108 Abs. 1 VwGO) gelangt, dass die Ausreise des Klägers in die Türkei für den Zeitraum einer ermessensgerechten Wiedereinreisesperre verbunden mit gelegentlichen Betretenserlaubnissen das Kindeswohl des Sohnes C. nicht gefährdet. Die sich nach der dritten Haftentlassung des Klägers im April 2013 gerade entwickelnde emotionale Beziehung zwischen ihm und seinem Sohn wurde abrupt durch die erneute Verhaftung unterbrochen. Der Sohn befand sich damals in einem Alter, in dem er mit dem plötzlichen Verlust des Vaters nicht umgehen konnte (knapp fünf Jahre alt). Die Verlobte hat in der mündlichen Verhandlung ausgesagt, dass die Verhaftung für alle ein Schock gewesen sei und C. es nicht verstanden habe, warum sein Vater plötzlich weg sei. In der Folgezeit hat sich die Beziehung zwischen Vater und Sohn auf die gelegentlichen Besuche in der Justizvollzugsanstalt sowie die Vater-Kind-Seminare beschränkt. Bei den regulären Besuchen sind neben der Verlobten teilweise auch andere Verwandte anwesend, so dass sich der Kläger nicht nur mit seinem Sohn beschäftigen kann. Zu den nur selten stattfindenden Vater-Kind-Seminaren kommt immer die Nichte des Klägers mit, weil sich der Sohn anfangs gefürchtet hat, alleine zu ihm zu den Besuchen zu gehen. Die Zeit bei diesen Seminaren wird hauptsächlich mit (Fußball-) Spielen und Lernen verbracht. Eine tiefere emotionale Bindung des Kindes zu seinem Vater konnte sich damit nach der Verhaftung und dadurch bedingten Trennung nicht (mehr) entwickeln, weil es bereits an den tatsächlichen Möglichkeiten für eine nachhaltige Kontaktpflege fehlt, die Voraussetzung für den Aufbau und die Kontinuität emotionaler Beziehungen ist. Bemerkenswert ist insoweit, dass der Sohn, obwohl er nach Vermutung beider Elternteile weiß, dass sich der Vater in Haft befindet und nicht nur in der Justizvollzugsanstalt arbeitet – wie ihm vorgemacht wird -, auch im Alter von neun Jahren seine Eltern nicht nach den Hintergründen befragt und Näheres wissen will. Ihm ist es offensichtlich auch nicht so wichtig, die Zeit bei den Vater-Kind-Seminaren mit dem Kläger alleine zu verbringen, sondern wird immer von der Nichte seines Vaters begleitet. Insofern passt auch die Wahrnehmung der Vertreterin des Jugendamtes ins Bild, die bei dem zuletzt geführten Gespräch mit C. den Eindruck gewonnen hatte, dass eine besonders enge emotionale Bindung von C. zum Kläger nicht bestehe und C. an dem Thema „Vater“ auch nicht wirklich interessiert gewesen sei.
Wird der Aufenthalt des Klägers nach der Haftentlassung aufgrund der Ausweisung beendet, so ändert sich für den Sohn an der Beziehung zu seinem Vater nichts Wesentliches. C. ist in der Vergangenheit mit der nur sehr eingeschränkten Möglichkeit, seinen Vater zu sehen, offenbar zurechtgekommen. Die Mutter hat ausgesagt, dass die Lehrer mit C. zufrieden seien, auch wenn er ein eher zurückhaltendes Kind sei. Er spiele gerne Fußball und sei auch in einer Mannschaft. Stress mit ihm bestehe deshalb, weil er nicht gerne Hausaufgaben mache. Über Verhaltensauffälligkeiten oder psychische Probleme des Kindes hat sie nichts berichtet. Die von C. thematisierte Perspektive nach der Haftentlassung des Klägers beschränkt sich nach der Angaben der Mutter auf die Freizeitgestaltung (er würde seinen Vater gerne als Trainer haben und mit seinen Freunden und seinem Vater ein Fußballteam sein). Eine genauere Vorstellung von einem familiären Zusammenleben besteht bei C. offensichtlich nicht. Auch die Verlobte hat sich keine Gedanken über die Zeit nach der Haftentlassung gemacht, obwohl sie nach der Entlassung des Klägers aus der dritten Strafhaft die Erfahrung hat, dass dessen Einbindung in das Familienleben nicht problemlos verlief. Zu den Folgen einer länger dauernden Abwesenheit des Klägers für das Kind hat sie lediglich angegeben, dass es für C. eine große Enttäuschung wäre und ihm womöglich auch psychische Probleme bereiten würde. Die Kontakte zwischen C. und seinem Vater seien dann noch viel seltener und schwieriger. Dies entspricht auch dem Eindruck der Vertreterin des Jugendamtes, wonach es für C. keinen großen Unterschied ausmache, ob er seinen Vater wie bisher einmal im Monat im Gefängnis sehe oder dieser in die Türkei zurückkehren müsse.
Der Einholung des beantragten Sachverständigengutachtens zum Beweis der Tatsache, dass zwischen dem Kläger und seinem Sohn eine schützenswerte familiäre Gemeinschaft besteht, auf deren ununterbrochene Aufrechterhaltung mittels persönlichem Kontakt das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist, und dass die mehrjährige Abwesenheit des Klägers aus dem Bundesgebiet das Kindeswohl nachhaltig schädigt, bedurfte es bei dieser Sachlage nicht. Der Senat hat daher den in der mündlichen Verhandlung gestellten unbedingten Beweisantrag als unzulässigen Ausforschungsbeweisantrag abgelehnt.
Ein unzulässiger Ausforschungs- und Beweisermittlungsantrag liegt in Bezug auf Tatsachenbehauptungen vor, wenn für deren Wahrheitsgehalt nicht wenigstens eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht, die mit anderen Worten ohne greifbare Anhaltspunkte willkürlich „aus der Luft gegriffen“, „ins Blaue hinein“, also „erkennbar ohne jede tatsächliche Grundlage“ erhoben worden sind (vgl. BVerfG, B.v. 22.9.2009 – 1 BvR 3501/08 – juris Rn. 16; BVerwG, B.v. 30.6.2008 – 5 B 198.07 – juris Rn. 5; B.v. 12.3.2010 – 8 B 90.09 – juris Rn. 21).
Zur Begründung des Beweisantrags wurde in der mündlichen Verhandlung vorgebracht, dass die Einvernahme der Zeugin und die Anhörung des Klägers eine schützenswerte Beziehung zwischen dem Kläger und seinem Sohn hinreichend substantiiert ergeben hätten. Eine dauerhafte Trennung von seinem Vater sei in der Welt des Kindes nicht vorstellbar. Die Beurteilung einer möglichen Schädigung des Kindeswohls durch eine dauerhafte Trennung sei durch die Mitarbeiterin des Jugendamtes in der Kürze der Zeit und aufgrund des Ablaufs dieses Gesprächs gar nicht möglich gewesen. …
Damit hat der Kläger aber keine „greifbaren Anhaltspunkte“ aufgezeigt, die einer Beweiserhebung durch Sachverständigengutachten zugänglich gewesen wären. Der „Tatsachenkomplex“ des Beweisantrags beschränkt sich auf die Beschreibung der Beziehung des Klägers zu seinem Sohn. Soweit die beantragte Beweiserhebung auf eine mögliche Schädigung des Kindeswohls gerichtet ist, fehlt es an jeglichen tatsächlichen Grundlagen, an die die Beweiserhebung anknüpfen könnte. Eine dauerhafte Trennung des Kindes von seinem Vater muss auch durch die Aufenthaltsbeendigung nicht eintreten, da die Wirkungen der Ausweisung zu befristen sind und der Kläger die Möglichkeit hat, Betretenserlaubnisse zu beantragen, oder die Verlobte mit dem Sohn in den Ferien in die Türkei reisen kann. Insbesondere hat der Kläger nicht ansatzweise dargelegt, aufgrund welcher Umstände bei einer längerfristigen Trennung auf eine Kindeswohlgefährdung geschlossen werden könnte. Auch die Verlobte hat in der mündlichen Verhandlung keine tatsächlichen Anhaltspunkte vorgebracht, die auf eine Gefährdung des Kindeswohls durch die weitere, aber zeitlich befristete Trennung vom Vater hindeuten. Sie hat lediglich geäußert, dass es für den Sohn eine große Enttäuschung wäre, ihm womöglich auch psychische Probleme bereiten würde und die Kontakte zwischen Vater und Sohn noch seltener stattfänden. Im Grunde soll erst durch die beantragte Beweisaufnahme selbst die Behauptung, durch die Trennung werde das Wohl des Sohnes geschädigt, verifiziert werden. Eine Substantiierung wäre insbesondere deshalb erforderlich gewesen, weil die Beklagte der behaupteten Kindeswohlgefährdung im Verfahren nachvollziehbar entgegengetreten ist. Sie hat dargelegt, dass sich eine emotionale Beziehung zwischen dem Kläger und seinem Sohn erst nach der Entlassung aus der dritten Strafhaft aufbauen konnte und diese im Entstehen befindliche Beziehung durch die erneute Inhaftierung abrupt unterbrochen worden ist. Die Abwesenheit des Klägers ist daher für den Sohn C. seit langem „gelebte Praxis“. Einer Behauptung, die ohne jede tatsächliche Grundlage erhoben worden ist und ohne ein Eingehen auf sie entkräftende Gegenbehauptungen aufrechterhalten wird, braucht das Gericht nicht nachzugehen (vgl. BVerwG, B.v. 26.7.2017 – 6 B 54.16 – juris Rn. 7).
Auch war der Senat nicht aufgrund seiner Pflicht zur Amtsermittlung gemäß § 86 Abs. 1 VwGO zu einer weiteren Sachaufklärung durch Sachverständigengutachten verpflichtet. Ihm musste sich die Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht aufdrängen. Aus dem Verfahren und der mündlichen Verhandlung ergaben sich keine Anhaltspunkte für eine mögliche Kindeswohlgefährdung, wenn der Kläger nach der Haftentlassung die Bundesrepublik für einen bestimmten Zeitraum verlassen muss. Der Senat hat die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 25. April 2018 deshalb zugelassen, weil dieses davon ausgegangen war, dass zwischen dem Kläger und seinem Sohn keine über die rein formal-rechtliche Bindung eines Vaters zu seinen Söhnen hinausgehende Beziehung bestehe, nicht weil er Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung sah. Weder der Kläger noch seine Verlobte konnten schlüssig darlegen, weshalb der Sohn künftig unter der Abwesenheit des Vaters leiden sollte, obwohl er über einen Zeitraum von bald fünf Jahren im täglichen Leben ohne seinen Vater auskommt, diese Situation ohne große Nachfragen oder Proteste hinnimmt und auch keine Verhaltensauffälligkeiten entwickelt hat. Eine gewisse Enttäuschung über von den Eltern geweckte Erwartungen und längere Zeiträume zwischen den Möglichkeiten zu persönlichen Kontakten gefährden nicht zwangsläufig das Kindeswohl. C. ist inzwischen neun Jahre alt. Ihm kann gerade angesichts seiner bisherigen Erfahrungen im Umgang mit seinem Vater verständlich gemacht werden, dass der Kläger weiterhin nicht bei der Familie wohnen wird und es bei nur gelegentlichen persönlichen Kontakten bleibt. Er ist kein sehr kleines Kind mehr, der eine vorübergehende Trennung bzw. eingeschränkte Kontaktmöglichkeiten als dauerhaften Verlust begreifen wird.
2. Die Verpflichtungsklage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG bleibt unabhängig von der Sperrwirkung des § 11 Abs. 1 AufenthG ohne Erfolg, weil die Regelerteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 4 AufenthG nicht erfüllt sind.
II.
Der Hilfsantrag des Klägers, die Beklagte zu verpflichten, über die Sperrfrist (§ 11 Abs. 3 AufenthG) unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden, ist begründet. Die Beklagte hat die Wiedereinreisesperre von sieben Jahren ermessensfehlerhaft (§ 114 Satz 1 VwGO) festgesetzt.
Nach der seit 1. August 2015 geltenden Neuregelung des § 11 AufenthG ist über die Länge der Frist für das durch die Befristungsentscheidung konkludent verfügte Einreise- und Aufenthaltsverbot (vgl. BVerwG, U.v. 1.8.2018 – 1 C 21.17 – juris Rn. 25 m.w.N.) nach Ermessen zu entscheiden (§ 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG). Die Ausländerbehörde muss bei der allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzenden Frist das Gewicht des Ausweisungsinteresses und den mit der Ausweisung verfolgten Zweck berücksichtigen. Hierzu bedarf es in einem ersten Schritt der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das seiner Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die auf diese Weise an der Erreichung des Ausweisungszwecks ermittelte Höchstfrist muss von der Behörde in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) und den unions- und konventionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 7 GRC und Art. 8 EMRK, gemessen und ggf. relativiert werden (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.2012 – 1 C 19.11 – juris Rn. 42; BayVGH, U.v. 20.6.2017 – 1 B 17.135 – juris Rn. 25). Über dieses normative Korrektiv lassen sich auch die einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen begrenzen. Dabei sind von der Ausländerbehörde nicht nur die nach § 55 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG schutzwürdigen Bleibeinteressen des Ausländers in den Blick zu nehmen, sondern es bedarf nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalles einer umfassenden Abwägung der betroffenen Belange.
Die Bestimmung der Länge der Frist erfolgt zunächst anhand einer prognostischen Einschätzung, wie lange die Gefahr besteht, dass der Ausländer weitere Straftaten oder andere Verstöße gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung begehen wird, wobei die Umstände des Einzelfalles anhand des Gewichts des Ausweisungsgrundes zu berücksichtigen sind. Bei der prognostischen Beurteilung der vom Kläger ausgehenden Wiederholungsgefahr hat die Beklagte auf einen Zeitraum von zwölf Jahren abgestellt. Sie weicht damit von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 13.12.2012 – 1 C 14.12 – juris Rn. 14) ab, wonach selbst dann, wenn die Voraussetzungen für ein Überschreiten der zeitlichen Grenze von fünf Jahren gemäß § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG vorliegen, davon auszugehen ist, dass in der Regel ein Zeitraum von maximal zehn Jahren den Zeithorizont darstellt, für den eine Prognose realistischerweise noch gestellt werden kann. Weiter in die Zukunft lässt sich die Persönlichkeitsentwicklung kaum abschätzen, ohne spekulativ zu werden. Abzustellen ist bei der Bemessung der Frist im ersten Schritt nämlich (nur) auf das Gewicht des Ausweisungsgrunds und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck (BVerwG, a.a.O.). Demgegenüber hat die Beklagte bei ihrer prognostischen Einschätzung die letzten 20 Lebensjahre des Klägers einbezogen.
Diese in einem ersten Schritt ermittelte Frist muss sich dann an höherrangigem Recht (Art. 8 EMRK, Art. 6 GG) messen lassen. Hier sind die Tatsache, dass der Kläger im Bundesgebiet geboren ist und sich stets hier aufgehalten hat, auch wenn er massiv straffällig geworden ist und viele Jahre in der Justizvollzugsanstalt verbracht hat, sowie die vorhandene schützenswerte Beziehung zu seinem Sohn zu berücksichtigen. Dies hat die Beklagte bislang nicht ausreichend gewürdigt, weil sie der Auffassung war, dass dem 40 Jahre langen Aufenthalt des Klägers angesichts seiner Straffälligkeit keine Bedeutung zukommt, und bei der Beziehung zum Sohn nicht auch auf die Sicht des Kindes abgestellt hat, sondern nur darauf, ob der Kläger trotz der Geburt des Sohnes wieder Straftaten begangen hat. Gemessen hieran hält der Senat eine deutliche Reduzierung der bislang festgesetzten Wiedereinreisesperre von sieben Jahren für sachgerecht, die letztlich nicht über fünf Jahren liegen sollte.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 155 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

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