Aktenzeichen M 23 S 16.34372
Leitsatz
1 Die Behandlung eines Asylantrags nach § 71a AsylG setzt den erfolglosen Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat iSd § 26a AsylG voraus. Ein solcher liegt erst bei einer rechtskräftigen Abweisung des Asylantrags in der Sache vor, nicht aber im Fall der Verfahrenseinstellung infolge des Eintritts der Rücknahmefiktion in dem anderen Mitgliedsstaat wegen der Ausreise aus diesem Mitgliedsstaat oder des Nichtbetreibens des Verfahrens. (red. LS Clemens Kurzidem)
2 § 71a AsylG findet auch bei einer förmlichen oder stillschweigenden Rücknahme des Asylantrags im sicheren Drittstaat keine Anwendung. (red. LS Clemens Kurzidem)
3 Für die Anwendung von § 71a AsylG muss der negative Ausgang des Asylerstverfahrens in einem sicheren Drittstaat feststehen, was beinhaltet, dass das Bundesamt zu der gesicherten Erkenntnis gelangt sein muss, dass das Verfahre mit einer für den Asylbewerber negativen Sachentscheidung abgeschlossen wurde. Hierzu bedarf es der positiven Kenntnis des Bundesamts von der Entscheidung und den Entscheidungsgründen der Antragsablehnung im sicheren Drittstaat. (red. LS Clemens Kurzidem)
Tenor
I. Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 18. November 2016 gegen die Abschiebungsandrohung vom 14. November 2016 wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
I.
Die Antragspartei ist eigenen Angaben zufolge pakistanischer Staats- und punjabischer Volkszugehörigkeit, die aus Griechenland und Österreich kommend am 22. April 2015 Asylantrag stellte.
Die Anhörung durch die Antragsgegnerin erfolgte am 11. August 2016.
In den Behördenakten ist ein EURODAC-Treffer nicht dokumentiert.
Durch streitgegenständlichen Bescheid vom 14. November 2016 wurde der Asylantrag als unzulässig abgelehnt (1.). Es wurde festgestellt, dass Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 5, Abs. 7 AufenthG nicht vorliegen (2.). Die Antragspartei wurde unter Androhung der Abschiebung nach Pakistan aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen (3.).
Zur Begründung wurde im Wesentlichen dargelegt, dass dem Asylbegehren § 29 Abs. 1 Nr. 5, § 71a AsylG entgegenstünde. In einem anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union sei bereits ein Asylverfahren durchlaufen worden. Der neuerliche Antrag sei daher als Zweitantrag im Sinne des § 71a AsylG zu bewerten. Die von der Antragsgegnerin veranlasste Überprüfung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG habe ergeben, dass dessen Voraussetzungen nicht vorlägen. Konkrete individuelle Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 5, Abs. 7 AufenthG seien in Bezug auf das Heimatland nicht vorgetragen oder ersichtlich.
Durch Schriftsatz vom 18. November 2016, eingegangen am 20. November 2016, erhob der Bevollmächtigte der Antragspartei hiergegen Klage (M 23 K 16.34371) und beantragte für das vorliegende Verfahren die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Auf die Begründung wird Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die übermittelte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der erhobenen Klage gegen die unter Fristsetzung erfolgte Abschiebungsandrohung in Ziff. 3 des Bescheids anzuordnen, ist statthaft (§ 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, § 75 AsylG).
Der Antrag ist auch begründet. Nach §§ 71a Abs. 4, 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung im Falle eines Zweitantrags, in dem ein weiteres Asylverfahren nicht durchgeführt wird, nur angeordnet werden, wenn – wie hier -ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Ernstliche Zweifel in diesem Sinne liegen dann vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält.
Nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG ist ein Asylantrag als unzulässig abzulehnen, wenn die Voraussetzungen für die Behandlung eines Zweitantrags nach § 71a Abs. 1 AsylG nicht vorliegen. Dies bewirkt dann die von der Antragsgegnerseite getroffene Rechtsfolge einer einwöchigen Ausreisefrist unter Androhung der Abschiebung nach deren Ablauf (§§ 71a Abs. 4, 36 Abs. 1, 34 Abs. 1 Satz 1 AsylG).
Entgegen der in dem streitgegenständlichen Bescheid ersichtlichen Auffassung der Antragsgegnerin, eine „Zweitantragssituation“ liege bereits vor, wenn die Antragspartei zuvor tatsächlich einen Asylantrag in einem anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union gestellt hat, bedürfte der Abschluss eines vorherigen Asylverfahrens eines eindeutigen Nachweises. § 71a AsylG setzt den erfolglosen Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat i.S.d. § 26a AsylG voraus. Darunter ist die rechtskräftige Abweisung des Asylantrags in der Sache zu verstehen, nicht aber etwa die Einstellung oder die Rücknahmefiktion in dem anderen Mitgliedsstaat im Falle der Ausreise aus diesem Mitgliedsstaat oder des nicht Betreibens des Verfahrens erfolgt ist. § 71a AsylG findet auch bei der förmlichen oder stillschweigenden Rücknahme des Antrags keine Anwendung. Im Übrigen muss der negative Ausgang des Asylverfahrens in einem Mitgliedsstaat feststehen, was bedeutet, dass die Antragsgegnerin zu der gesicherten Erkenntnis gelangen muss, dass das Asylerstverfahren mit einer für den Asylbewerber negativen Sachentscheidung abgeschlossen wurde, um sich in der Folge auf die Prüfung von Wiederaufnahmegründen beschränken zu dürfen. Eine solche Prüfung beinhaltet unter anderem, dass das Bundesamt Kenntnis von der Entscheidung und den Entscheidungsgründen der Ablehnung des Antrags im anderen Mitgliedsstaat hat.
Im vorliegenden Fall ist dies weder ermittelt noch dokumentiert und beschränkt sich der Prüfungsinhalt der Antragsgegnerin im Hinblick auf etwaige weitere bzw. vorrangige Asylverfahren auf die Annahme eines EURODAC-Treffers für Österreich. Ein Beleg hierfür ist in der Behördenakte jedoch trotz der der Antragsgegnerin obliegenden und durch die Beibringungspflicht der Antragspartei nicht eingeschränkten Amtsermittlungspflicht nicht enthalten, ebenso wenig der Ausgang eines derartigen Verfahrens.
Da dies nicht erfolgt ist, bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheids und ist die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung anzuordnen. Im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes sieht sich das Gericht nicht veranlasst, selbst entsprechende Ermittlungen anzustellen bzw. zu veranlassen.
Dem Antrag war daher unter der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).
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