Aktenzeichen M 23 S 16.34550
AsylG AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 5, § 71a
Leitsatz
1 Die Anwendung von § 71a AsylG setzt den erfolglosen Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat voraus (vgl. BVerwG BeckRS 2016, 111567). Hierbei muss der vorangegangene negative Ausgang eines Asylverfahrens in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft durch rechtskräftige Sachentscheidung festgestellt werden und feststehen; bloße Mutmaßungen genügen nicht. (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Der Verweis auf die Angaben eines Antragstellers bezüglich eines erfolglosen Ausgangs eines Asylverfahrens in einem Mitgliedstaat genügt für die Anwendung des § 71a AsylG nicht, da der Antragsteller in der Regel nicht in der Lage ist, über den Verfahrensablauf ausreichend Auskunft geben zu können (vgl. VGH München BeckRS 2016, 41335). (red. LS Clemens Kurzidem)
3 Die fehlende Aufklärung des erfolglosen Abschlusses eines Asylverfahrens in einem Drittstaat geht im Falle eines non liquet zu Lasten des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (vgl. VGH München BeckRS 2016, 55023). (red. LS Clemens Kurzidem)
Tenor
I. Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die in Ziffer 3 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 14. November 2016 enthaltene Abschiebungsandrohung wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegen die vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) angedrohte Abschiebung nach Pakistan.
Der Antragsteller ist eigenen Angaben zufolge pakistanischer Staatsangehöriger, punjabischer Volkszugehörigkeit und Mitglied der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya Muslim Jamaat. Er reiste am 29. Januar 2014 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 13. Februar 2014 bei dem Bundesamt einen Asylantrag.
Bei seiner Beschuldigtenvernehmung am 29. Januar 2014 gab der Antragsteller an, dass sein Asylantrag in Österreich abgelehnt worden sei. Identische Angaben machte der Antragsteller bei seinen Anhörungen am 12. Februar 2014 durch die Regierung von Oberbayern zur Identitätsklärung, am 13. Februar 2014 durch das Bundesamt zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats, sowie bei seiner Anhörung gemäß § 25 AsylG durch das Bundesamt am 6. Oktober 2016. Ergänzend führte der Antragsteller aus, dass in Österreich zu seinem Asylverfahren Beweismittel nicht mehr angenommen worden seien, die er nunmehr vorlegen könne. Hinsichtlich der weiteren Angaben des Antragstellers wird auf die Niederschrift zur Anhörung verwiesen.
In der vorgelegten Behördenakte befindet sich ein Nachweis über einen Eurodac-Treffer der Kategorie 1 für Österreich.
Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 14. November 2016, zugestellt am 17. November 2016, lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Antragstellers als unzulässig ab (Ziff. 1 des Bescheids) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG nicht vorliegen (Ziff. 2 des Bescheids). Der Antragsteller wurde unter Androhung der Abschiebung nach Pakistan aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen (Ziff. 3 des Bescheids). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 36 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziff. 4 des Bescheids).
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass es sich bei dem Antrag des Antragstellers um einen Zweitantrag nach § 71a AsylG handle. Der Antragsteller habe mitgeteilt, dass das Asylverfahren in Österreich erfolglos abgeschlossen worden sei. Es handle sich daher um einen Zweitantrag im Sinne des § 71a AsylG. Wiederaufgreifensgründe lägen nicht vor. Die vom Antragsteller vorgebrachten Gründe hätte dieser bereits im Rahmen seines Erstantragsverfahrens in Österreich vorbringen können. Es habe sich weder die Sach-, noch die Rechtslage geändert. Auch konkrete individuelle Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG seien in Bezug auf das Heimatland nicht vorgetragen oder ersichtlich. Ergänzend wird auf die Begründung im Bescheid verwiesen.
Der Bevollmächtigt des Antragstellers erhob am 24. November 2016 Klage und beantragten den Bescheid aufzuheben, die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise subsidiärer Schutz zuzuerkennen, weiter hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1 AufenthG vorliegen (Verfahren M 23 K 16. 34549).
Zudem beantragte er, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Des Weiteren wurde Prozesskostenhilfe für beide Verfahren beantragt.
Eine Klagebegründung unterblieb ebenso wie die Vorlage der erforderlichen Unterlagen zum Prozesskostenhilfeantrag.
Am 23. November 2016 legte das Bundesamt die Behördenakten elektronisch vor; eine Antragstellung unterblieb.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, die Gerichtsakte im Hauptsacheverfahren (M 23 K 16.34549) sowie auf die Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage hat Erfolg.
Der Antrag ist zulässig, soweit damit die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die kraft Gesetzes (§ 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, § 75 i.V.m. §§ 71a Abs. 4, 36 AsylG) sofort vollziehbare Abschiebungsandrohung in Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheids erreicht werden soll. Die Antragstellung erfolgte auch fristgerechnet innerhalb der Wochenfrist des § 71a Abs. 4 i.V.m. § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG.
Der Antrag ist auch begründet.
Gemäß §§ 71a Abs. 4 i.V.m. 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung im Falle eines Zweitantrages, in dem ein weiteres Asylverfahren nicht durchgeführt wird, nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Ernstliche Zweifel in diesem Sinne liegen dann vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (vgl. BVerfG, Urt. v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – juris Rn. 99). Dies ist hier im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG) der Fall.
Es bestehen ernstliche Zweifel, ob die von der Antragsgegnerin gewählte Vorgehensweise, den von dem Antragsteller im Bundesgebiet gestellten Antrag als unzulässigen Zweitantrag zu bewerten, rechtmäßig ist.
Nach § 71a Abs. 1 AsylG ist dann, wenn ein Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG), für den Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft über die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren gelten oder mit dem die Bundesrepublik Deutschland darüber einen völkerrechtlichen Vertrag geschlossen hat, im Bundesgebiet einen Asylantrag (Zweitantrag) stellt, ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes vorliegen. Andernfalls ist der Antrag als unzulässig zurückzuweisen, § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG.
§ 71a AsylG setzt damit den erfolglosen Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat voraus (vgl. BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4.16 – juris Rn. 22ff; BayVGH, U.v. 3.12.2015 – 13a B 15.50069 – juris Rn. 24ff). Hierbei muss – entgegen der im streitgegenständlichen Bescheid ersichtlichen Auffassung der Antragsgegnerin – der vorangegangene negative Ausgang eines Asylverfahrens in einem Mitgliedstaat durch rechtskräftige Sachentscheidung festgestellt werden und feststehen; bloße Mutmaßungen genügen nicht (Bruns in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Auflage 2016, § 71a AsylG, Rn. 3 und 9 m.w.N.). Dies bedeutet, dass das Bundesamt zu der gesicherten Erkenntnis gelangen muss, dass das Asylerstverfahren mit einer für den Asylbewerber negativen Sachentscheidung abgeschlossen wurde, um sich in der Folge auf die Prüfung von Wiederaufnahmegründen beschränken zu dürfen. Eine solche Prüfung beinhaltet unter anderem, dass das Bundesamt Kenntnis von der Entscheidung und den Entscheidungsgründen der Ablehnung des Antrags im anderen Mitgliedsstaat hat (vgl. VG München B.v. 27.12.2016 – M 23 S. 16.33585 – juris; VG Regensburg, B.v.12.10.2016 – RN 7 S. 16.32477 – unveröffentlicht; VG Schleswig-Holstein, B.v. 7.9.2016 – 1 B 54/16 – juris Rn. 7 ff; VG Schwerin, U.v. 8.7.2016 – 15 A 190/15 – juris Rn. 18; VG Wiesbaden, B.v. 20.6.2016 – 5 L 511/16.WI.A – juris Rn. 20, BeckOK AuslR/Schönenbroicher, AsylG, § 71a Rn. 1f).
Der Antragsteller hat zwar bei seiner Anhörung angegeben, dass sein Asylantrag in Österreich abgelehnt worden sei und in der vorgelegten Behördenakte ist ein Eurodac-Treffer der Kategorie 1 für Österreich dokumentiert. Weitere Erkenntnisse hierzu liegen jedoch nicht vor, zumindest sind sie in der vorgelegten Behördenakte nicht dokumentiert. Lediglich der Verweis auf die Angaben des Antragstellers bezüglich eines erfolglosen Ausgangs eines Asylverfahrens in einem Mitgliedstaat genügt für die Anwendung des § 71a AsylG nicht. Der Antragsteller ist auch in der Regel nicht in der Lage, über den Verfahrensablauf ausreichend Auskunft geben zu können (vgl. BayVGH, U.v. 3.12.2015 – 13a B 15.50069 – juris Rn. 22). Die Antragsgegnerin ist damit ihrer Amtsermittlungspflicht nicht nachgekommen. Selbst bei unterstelltem Asylantrag bleibt offen, ob in Österreich ein Asylverfahren mit inhaltlicher Prüfung und abschließender Sachentscheidung (vgl. BayVGH, U.v. 3.12.2015 – 13a B 15.50069 – juris) durchgeführt wurde und ob gegebenenfalls die Möglichkeit der Wiederaufnahme insbesondere hinsichtlich möglicher neuer Beweismittel besteht. Die fehlende Aufklärung geht zu Lasten der Antragsgegnerin (vgl. BayVGH, U.v. 13.10.2016 – 20 B 14.30212 – juris Rn. 41).
Ein erfolgloser Abschluss des Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat ist somit nicht nachgewiesen, so dass ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheids bestehen.
Dem Antrag war daher unter der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
Eine Entscheidung über den Antrag auf Prozesskostenhilfe konnte mangels Vorlage von vollständigen Antragsunterlagen hierzu nicht erfolgen, dürfte auf Grund des Ausgangs des Verfahrens jedoch auch entbehrlich sein.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).
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