Aktenzeichen W 6 E 17.33138
AsylG AsylG § 61 Abs. 2
Leitsatz
1 Solange das asylrechtliche Verfahren nicht abgeschlossen ist, liegt es weder in der Zuständigkeit noch in der Kompetenz der Ausländerbehörde, eine Prognose über den Ausgang des Asylverfahrens zu treffen. Im Rahmen der Ermessenserwägungen kann sich die Behörde aber auf die generelle Anerkennungswahrscheinlichkeit aufgrund belastbarer Zahlengrundlagen stützen. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2 In Fällen sehr geringer Anerkennungsquote und geringer Bleibeperspektive sprechen migrationspolitische Erwägungen, dass aussichtslose Asylanträge nicht mit dem Ziel einer Beschäftigung in Deutschland verfolgt werden sollen, für die Ablehnung der Ausbildungserlaubnis. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
3 Der Verlust eines Ausbildungsplatzes führt angesichts der Tatsache, dass nicht feststeht, ob dem Antragsteller ein Bleiberecht zuerkannt wird, nicht zu unzumutbaren und irreversiblen Nachteilen, die eine Durchbrechung des Grundsatzes des Verbots der Vorwegnahme der Hauptsache gebieten würden. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
I.
Der Antragsteller wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die versagte Erteilung einer Erlaubnis zur Berufsausbildung.
Der 2001 geborene Antragsteller reiste am 17. Juli 2014 mit seinen Eltern in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 28. Januar 2015 stellte die Familie Anträge nach § 13 Abs. 2 AsylG, das Asylverfahren ist noch nicht abgeschlossen. Der Antrag seiner 2015 im Bundesgebiet geborenen Schwester wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Flüchtlinge und Migration vom 23. Mai 2017 abgelehnt. Über die hiergegen erhobene Klage wurde bislang nicht entschieden.
Mit Schreiben vom 9. Mai 2017 wurde über den potentiellen zukünftigen Ausbildungsbetrieb, … … … … …, die Genehmigung einer Beschäftigungserlaubnis zur Berufsausbildung als Industriemechaniker ab dem 1. September 2017 beantragt. Mit Schreiben vom 19. Juni 2017 wurde dem Antragsteller die beabsichtigte Ablehnung mitgeteilt und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme geben.
Mit Bescheid vom 7. August 2017 wurde der Antrag auf Erteilung einer Erlaubnis zur Berufsausbildung abgelehnt. Zur Begründung wurde auf die besonders niedrige Anerkennungswahrscheinlichkeit für das Herkunftsland Ukraine und die sich daraus ergebende geringe Bleibeperspektive verwiesen, welche im Rahmen der Ermessensentscheidung einen wesentlichen Gesichtspunkt darstelle. Unter Berücksichtigung des Gesetzeszwecks könne gerade kein erhebliches öffentliches Interesse daran bestehen, eine Erlaubnis für beabsichtigte Ausbildungen zu erteilen, solange kein endgültiges Bleiberecht rechtskräftig festgestellt worden sei. Das Aufenthaltsgesetz solle gerade keinen unreglementierten Zugang zum Arbeitsmarkt gewähren. Eine Genehmigung der Berufsausbildung während des Asylverfahrens komme daher bereits aus einwanderungspolitischen Grundsätzen regelmäßig nur bei Personen aus Ländern mit einer hohen Anerkennungsquote in Betracht. Es würden auch keine Umstände vorliegen, aufgrund derer das private Interesse an der Aufnahme der Ausbildung das öffentliche Interesse überwiegen würde. Das persönliche Interesse des Antragstellers, seine Aufenthaltszeit in Deutschland zum persönlichen und beruflichen Fortkommen zu nutzen und dadurch eine finanzielle Unabhängigkeit zu erreichen, überwiege nicht das öffentliche Interesse, Antragstellern im Rahmen eines Asylverfahrens kein anderes Aufenthaltsrecht unter Umgehung des Ausländerrechts zu gewähren. Den vorgebrachten, anerkennenswerten Integrationsleistungen komme in der Gesamtbetrachtung der Umstände kein derart hohes Gewicht zu, dass sie im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung eine wahrscheinlich negative Asylentscheidung überwiegen würden.
Mit Schreiben vom 16. August 2017, am selben Tag bei Gericht eingegangen, erhob der Antragsteller, gesetzlich vertreten durch seine Eltern, gegen diesen Bescheid Klage (Az: 6 K 17.33137), und beantragte zugleich im vorliegenden Verfahren sinngemäß, den Antragsgegner einstweiligen zu verpflichten, die beantragte Ausbildungsgenehmigung vorläufig zu erteilen.
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Antragsteller im Juli die 9. Klasse mit einem qualifizierenden Abschluss der Mittelschule abgeschlossen habe und ab September eine Ausbildung anfangen möchte. Er wolle ohne Pause weiter lernen, sich weiterentwickeln und integrieren. Mit der Ausbildung könne er selbstständig und finanziell unabhängig werden. Nach Abschluss der Ausbildung würde der Antragsteller danach auch ein „Bleiberecht für gut Integrierte“ haben. Der beantragte Erlass der einstweiligen Anordnung sei auch deswegen geboten, da über die Klage nicht bis zum 1. September 2017 entschieden sein werde.
Der Antragsgegner beantragte,
den Antrag abzuweisen.
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass kein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht worden ist. Eine Ermessensreduzierung auf Null in Bezug auf den geltend gemachten Anspruch sei nicht ersichtlich, aus § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG ergebe sich kein Rechtsanspruch auf eine qualifizierte Berufsausbildung bereits während eines Asylverfahrens. Es bestehe auch kein Anspruch auf eine erneute ermessensfehlerfreie Entscheidung, da die Versagung nicht auf sachfremden, sondern auf asyl- und aufenthaltsrechtlichen Erwägungen beruhe. Die privaten Belange des Antragstellers seien mit den öffentlichen Interessen an einer Versagung der Ausbildungserlaubnis in rechtlich nicht zu beanstandender Weise abgewogen worden. Im Übrigen sei auch kein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht worden, da eine besondere Eilbedürftigkeit nicht bestehe. Eine Versäumung des Ausbildungsbeginns hätte keine solch weitreichenden Folgen, dass die Entscheidung in der Hauptsache nicht abgewartet werden könnte.
Wegen der sonstigen Ausführungen der Beteiligten und der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag ist unbegründet.
1. Gemäß § 123 VwGO kann das Gericht auf Antrag, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint.
Erfolg haben kann die hier begehrte Regelungsanordnung nur dann, wenn ein Anordnungsanspruch sowie ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht wurden und sie keine Vorwegnahme der Hauptsache darstellt. Vorliegend hat der Antragsteller schon nicht ausreichend glaubhaft gemacht, dass ihm der geltend gemachte Anspruch mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zusteht (2.); zudem würde es sich um eine Vorwegnahme der Hauptsache handeln (3.).
2. Der Anordnungsanspruch wurde nicht glaubhaft gemacht. Da es sich bei der begehrten Entscheidung nach § 61 Abs. 2 Satz 1 AsylG um eine Ermessensentscheidung handelt, müsste hier eine Ermessensreduzierung auf Null vorliegen, damit der Antragsteller einen Anspruch auf die begehrte Erteilung der Erlaubnis für die beabsichtigte Ausbildung hätte und der Antrag somit erfolgreich sein könnte.
2.1. Es ist weder ersichtlich noch wurde es vom Antragsteller dargelegt, dass im vorliegenden Fall aufgrund der besonderen Umstände des konkreten Einzelfalls nur eine Entscheidung – nämlich die positive Verbescheidung des Antrags auf Erteilung der Erlaubnis – rechtmäßig ergehen kann. Damit fehlt es an einer Ermessensreduzierung auf Null und es besteht kein Anordnungsanspruch.
2.2. Unabhängig davon wurde auch nichts vorgetragen, das ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit der vom Antragsgegner durchgeführten Ermessensausübung im angefochtenen Bescheid wecken und die ablehnende Entscheidung als rechtswidrig, da ermessensfehlerhaft, erscheinen lassen könnte, sodass zumindest eine erneute Verbescheidung im Raum stünde.
Die Ermessenserwägungen müssen ihre Rechtfertigung im Zweck des Gesetzes und der vom Gesetzgeber gewollten Ordnung der Materie finden, sie müssen asyl- und aufenthaltsrechtlich erheblichen Zwecken dienen (BeckOK, Ausländerrecht, 14. Ed. 1.5.2017, AsylG § 61 Rn. 17). Die Einbeziehung von migrationspolitischen Erwägungen des Gesetzgebers im Rahmen der Ermessenserwägungen ist ebenso wenig zu beanstanden, wie das Abstellen auf die bundesweite Gesamtanerkennungsquote für das Herkunftsland Ukraine.
Solange das asylrechtliche Verfahren beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nicht abgeschlossen ist, liegt es weder in der Zuständigkeit noch in der Kompetenz des Antragsgegners, eine Prognose oder Vermutung über den Ausgang des asylrechtlichen Verfahrens zu treffen. Da der Antragsteller an der Entscheidung über seinen Antrag auf Ausbildungsgenehmigung nur dann ein Sachbescheidungsinteresse haben kann, wenn es zumindest möglich erscheint, dass er im Bundesgebiet verbleiben können wird, ist es nahe liegend, dass der Antragsgegner sich im Rahmen seiner Ermessenserwägungen auf die generelle Anerkennungswahrscheinlichkeit hinsichtlich des Herkunftslands des Antragstellers stützt. Damit die Entscheidung des Antragsgegners zulässigerweise darauf gestützt werden kann, muss gewährleistet sein, dass die Anerkennungsquoten auf einer belastbaren Zahlengrundlage beruhen. Im Hinblick auf das Herkunftsland Ukraine, das mit mehreren Tausend Fällen pro Jahr (2016: 4040; 1. Halbjahr 2017: 4016) statistisch hinreichend valide Daten bietet, erscheint dies unproblematisch.
Vorliegend wurde die Antrags-, Entscheidung- und Bestandsstatistik des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge für den Berichtszeitraum 1. Januar bis 30. Juni 2017 herangezogen, aus welcher sich ergibt, dass lediglich 3,16% der Anträge hinsichtlich der Anerkennung als Asylberechtigter oder als Flüchtling sowie der Gewährung von subsidiären Schutz Erfolg hatten; mit Einbeziehung der Feststellung eines Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG ergibt sich für diesen Zeitraum eine Gesamtanerkennungsquote von lediglich 5,05%. Auch unter Einbeziehung der Ergebnisse für den Berichtszeitraum für das Jahr 2016 (Gesamtanerkennungsquote von 1,53%) ergibt sich keine andere Bewertung. In Fällen mit sehr geringer Anerkennungsquote und damit verbunden entsprechend geringer Bleibeperspektive spricht insbesondere die migrationspolitische Erwägung, dass aller Wahrscheinlichkeit nach aussichtslose Asylanträge nicht mit dem Ziel einer Beschäftigung in Deutschland verfolgt werden sollten, für eine Ablehnung der Ausbildungserlaubnis. Dies ist vorliegend bei einer Erfolglosigkeit von knapp 95% jedenfalls der Fall.
Die vom Antragsgegner im verfahrensgegenständlichen Bescheid vorgenommene Abwägung der öffentlichen Interessen mit dem privaten Interesse des Antragstellers begegnet keinen Bedenken. Der Wunsch nach beruflichem sowie auch persönlichem Fortkommen, ebenso das Streben nach finanzieller Unabhängigkeit sind Belange, die der Antragsteller mit zahlreichen Altersgenossen in seiner Situation (Schulabschluss, Frage der weiteren schulischen oder beruflichen Weiterbildung) teilt. Daher sind diese Belange nicht geeignet im vorliegenden Einzelfall ein besonderes Gewicht zu entfalten. Die anerkennenswerten Integrationsleistungen des Antragstellers wurden vom Antragsgegner gesehen und in nicht zu beanstandender Weise gewichtet. Denn er weist zu Recht darauf hin, dass die Steuerung der Migration und der Verhinderung der illegalen Zuwanderung (insbesondere in den Arbeitsmarkt, siehe § 4 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 AufenthG), die das Aufenthaltsgesetz zum Ziel hat, erheblich erschwert würden, wenn Asylbewerber sogar im Falle einer wahrscheinlichen Erfolglosigkeit ihres Asylgesuchs durch den Abschluss eines privatrechtlichen Ausbildungsvertrags zumindest zeitweise einen uneingeschränkten Aufenthalt (und gegebenenfalls den ihrer Familie) erhoffen könnten.
Nachdem der Antragsteller keinen Anordnungsanspruch glaubhaft machen konnte, kommt es auch nicht mehr auf das Vorliegen eines Anordnungsgrundes an.
3. Ungeachtet dessen ist der Antrag auch unbegründet, weil die erstrebte Anordnung eine Vorwegnahme der Hauptsache beinhalten würde. Der einstweilige Rechtsschutz darf grundsätzlich nicht das gewähren, was nur im Hauptsacheverfahren erreicht werden kann. Dies liefe dem Sinn und Zweck der einstweiligen Anordnung zuwider, die grundsätzlich nur der vorläufigen Sicherung, nicht aber (auch) der Befriedigung des geltend gemachten Rechts dient. Das Gericht darf die Lage nur offen halten, um zu vermeiden, dass das Recht bis zu einer Klärung im Hauptsacheprozess untergeht oder seine Durchsetzung wegen des Zeitablaufs mit wesentlichen Nachteilen verbunden ist (Happ in: Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 123 Rn. 66a).
Eine Vorwegnahme der grundsätzlich dem Hauptsacheverfahren vorbehaltenen Entscheidung könnte nur dann ausnahmsweise ergehen, wenn ein wirksamer Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren nicht zu erreichen ist, dem betreffenden Antragsteller ohne den Erlass der einstweiligen Anordnung schlechthin schwere und unzumutbare, nachträglich nicht mehr zu beseitigende Nachteile drohen und der Antragsteller im Hauptsacheverfahren aller Voraussicht nach obsiegen wird (st. Rspr., vgl. etwa OVG NRW, B.v. 18.10.2013 – 6 B 998/13 – juris Rn. 5 ff.; BayVGH, B.v. 17.9.2009 – 3 CE 09.1383 – juris Rn. 45). Es ist nicht erkennbar und wurde auch nicht vorgetragen, dass die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise Durchbrechung des Grundsatzes des Verbots der Vorwegnahme der Hauptsache gegeben wären. Der Verlust des Ausbildungsplatzes führt gerade angesichts der Tatsache, dass noch nicht einmal feststeht, ob der Antragsteller ein Bleiberecht zuerkannt bekommen wird und vor dem Hintergrund, dass die Ukraine insgesamt eine sehr geringe Gesamtanerkennungsquote aufweist (s.o.), zu keinen unzumutbaren und irreversiblen Nachteilen; insbesondere ist keine Existenzgefährdung oder schwerwiegende Gefahren für Leib und Leben zu befürchten.
4. Nach alledem war der Antrag mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO abzulehnen.