Aktenzeichen Au 6 K 17.535
Leitsatz
1 Legt ein afghanischer Asylbewerber im Asylverfahren weder einen Pass noch sonstige Identitätsdokumente vor, sodass mangels objektiver Beweise seine Identität ungeklärt ist, kann dieser Umstand bei der Ermessensauübung für die Erteilung einer Arbeitserlaubnis nach § 61 Abs. 2 S. 1 AsylG berücksichtigt werden. (Rn. 32) (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Bereits im laufenden Asylverfahren ist der Asylbewerber nach § 15 Abs. 2 Nr. 6 AsylG im Falle des Nichtbesitzes eines gültigen Passes oder Passersatzes verpflichtet, an der Beschaffung eines Identitätspapiers – beispielsweise der afghanischen Tazkira – mitzuwirken. Dabei hat er in einer den Bestimmungen des deutschen Passrechts in § 6, § 15 PassG entsprechenden Weise die Ausstellung des Identitätspapiers zu veranlassen und die Behandlung eines Antrags durch die Behörden des Herkunftsstaats nach dessen Recht zu dulden, sofern dies nicht zu einer unzumutbaren Härte führt. (Rn. 34) (red. LS Clemens Kurzidem)
3 Sowohl dem Ausländer als auch der zuständigen Ausländerbehörde obliegt es, sich gemeinsam um die Beseitigung von Hindernissen bei der Beschaffung von Identitätspapieren zu bemühen; ihre Pflichten stehen in einem Verhältnis der Wechselseitigkeit. Keine Seite kann von der anderen verlangen, dass diese sich allein um die Beseitigung bestehender Hindernisse bemüht (vgl. BayVGH BeckRS2011, 33987). (Rn. 34) (red. LS Clemens Kurzidem)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch den Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die Klage ist nicht begründet. Der Kläger hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen Anspruch auf Neuverbescheidung seines Antrags auf Erteilung einer Erlaubnis für die Ausübung einer Beschäftigung nach § 61 Abs. 2 Satz 1 AsylG, da die Ermessensentscheidung des Beklagten nicht rechtswidrig ist und ihn nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
1. Rechtsgrundlage für den Anspruch auf Erteilung einer Erlaubnis für die Ausübung einer Beschäftigung ist § 61 Abs. 2 Satz 1 AsylG, da der Kläger Asylbewerber im laufenden, noch nicht bestandskräftig abgeschlossenen Asylverfahren ist.
2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Neuverbescheidung, da die Ermessensentscheidung des Beklagten zu § 61 Abs. 2 Satz 1 AsylG nicht zu beanstanden ist.
Nach § 61 Abs. 2 Satz 1 AsylG kann einem Asylbewerber, der sich seit drei Monaten gestattet im Bundesgebiet aufhält, die Ausübung einer Beschäftigung erlaubt werden, wenn die Bundesagentur für Arbeit zugestimmt hat oder durch Rechtsverordnung bestimmt ist, dass die Ausübung der Beschäftigung ohne Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit zulässig ist.
Der Kläger hält sich seit April 2014 als Asylbewerber im laufenden Asylverfahren nach § 55 i.V.m. § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AsylG gestattet im Bundesgebiet auf, also mehr als drei Monate. Er stammt auch nicht aus einem sicheren Herkunftsstaat im Sinne von § 29a Abs. 2 AsylG und ist nicht schon deshalb nach § 61 Abs. 2 Satz 4 AsylG von einer Beschäftigungserlaubnis ausgeschlossen. Die Entscheidung steht somit im Ermessen des Beklagten.
a) Der Beklagte hat zunächst zutreffend im Ermessens Weg berücksichtigt, dass die Identität des Klägers nach wie vor ungeklärt ist. Alle Daten zu seiner Person beruhen auf seinen Angaben; objektive Beweise hierfür liegen nicht vor. Er ist nicht nur ohne Pass und damit unter Verstoß gegen die nach § 3 AufenthG grundsätzlich für alle Ausländer im Bundesgebiet geltende Passpflicht eingereist, sondern er hat auch bis heute keinen Pass oder sonst ein Identitätsdokument vorgelegt. Nach § 15 Abs. 2 Nr. 6 AsylG ist er jedoch im Fall des Nichtbesitzes eines gültigen Passes oder Passersatzes verpflichtet, an der Beschaffung eines Identitätspapiers – wie hier der vom Beklagten geforderten Tazkira – mitzuwirken.
Dies gilt bereits im laufenden Asylverfahren, anderenfalls liefe die Regelung des § 15 AsylG leer. Dem Kläger ist im Übrigen auch nicht unzumutbar, sich mit Behörden seines Herkunftsstaates in Verbindung zu setzen. Zum Einen wird von ihm derzeit nicht die Beschaffung eines Passes verlangt, sondern nur einer Tazkira; zum Anderen ist er nach seinem eigenen Vorbringen auch nicht staatlich verfolgt worden.
Als zumutbare Mitwirkung an der Beschaffung eines Identitätspapiers gilt weiter, in der den Bestimmungen des deutschen Passrechts, insbesondere den § 6 und § 15 PassG, entsprechenden Weise an der Ausstellung mitzuwirken und die Behandlung eines Antrags durch die Behörden des Herkunftsstaats nach dessen Recht zu dulden, sofern dies nicht zu einer unzumutbaren Härte führt. Dies gilt erst recht entsprechend, wenn – wie hier – nicht die Beschaffung eines Passes verlangt wird, sondern nur einer Tazkira (vgl. soeben). Zumutbar ist es danach insbesondere, in einem Antrag alle Tatsachen anzugeben, die zur Feststellung der Identität der Person und seiner Eigenschaft als Staatsangehöriger seines Herkunftsstaats notwendig sind und die entsprechenden Nachweise zu erbringen (vgl. zur Passbeschaffung BayVGH, B.v.M 14.4.2014 – 10 C 12.498 – juris Rn. 8 m.w.N.). Die Zumutbarkeit beurteilt sich darüber hinaus nach den Umständen des Einzelfalls (vgl. BayVGH a.a.O. Rn. 9), wobei der Ausländer an allen Handlungen mitwirken muss, die die Behörden zulässigerweise von ihm verlangen. Die behördlichen Hinweise müssen so gehalten sein, dass für den Ausländer hinreichend erkennbar ist, welche Schritte er zu unternehmen hat; ein bloßer allgemeiner Verweis auf bestehende Mitwirkungspflichten oder die Wiedergabe des Gesetzestextes wird diesen Anforderungen nicht gerecht. In aller Regel ist die Behörde angesichts ihrer organisatorischen Überlegenheit und sachlichen Nähe, ihrer Kontakte und Kenntnisse besser in der Lage, die bestehenden Möglichkeiten zu erkennen und die entsprechenden Schritte in die Wege zu leiten. Daher hat in erster Linie die Ausländerbehörde nach Möglichkeiten für die Beseitigung von Hindernissen zu suchen. Der Ausländer ist aber auch gehalten, eigenständig die Initiative zu ergreifen. Eine Grenze bildet dabei die Frage, welche Möglichkeiten ihm bei objektiver Betrachtungsweise bekannt sein können. Der Ausländer und die Behörde müssen sich gemeinsam um die Beseitigung von Hindernissen kümmern; ihre Pflichten stehen in einem Verhältnis der Wechselseitigkeit. Keine Seite kann von der anderen verlangen, dass diese allein sich um die Beseitigung bestehender Hindernisse bemüht (vgl. BayVGH, B.v. 14.10.2011 – 19 C 11.1664 – juris Rn. 6).
Hier waren nicht alle dem Kläger bekannten bzw. bekannt gegebenen Möglichkeiten erfolglos. Zwar hat er angegeben, er habe mit ungefähr 20 Jahren eine Tazkira gehabt und diese sei ihm elf Jahre später an der Grenze von Pakistan zum Iran gestohlen worden; er habe keine Unterlagen mehr, nicht einmal mehr Kopien. Die Tazkira habe ihm die zuständige Behörde im Distrikt … der Provinz … in Afghanistan ausgestellt. Dass er derzeit keine Tazkira besitzt, macht ihre Vorlage momentan unmöglich, aber ihm eine Beschaffung einer neuen Tazkira nicht von vornherein unzumutbar.
Der Beklagte hat den Kläger mehrfach über die Verpflichtung zur Beschaffung eines Identitätspapiers belehrt und zuletzt mit Schreiben vom 2. Februar 2017 detailliert informiert, dass er ggf. auch weit entfernte Verwandte mit der Beschaffung einer Tazkira zu beauftragen habe. Für die Tazkira-Beantragung durch Verwandte seien einzeln genannte Schritte erforderlich. Als Vorstufe zur Beantragung einer Tazkira hat der Beklagte den Kläger zunächst nur aufgefordert, Namen und Adressen sämtlicher noch lebender Verwandter vorzulegen, eine Kopie eines Schreibens an die Verwandten, worin er diese um eine Kopie ihrer eigenen Tazkira bitte, eine ins Deutsche übersetzte Kopie des Schreibens und den Eingangsnachweis bei der Post. Dies hat der Kläger in gesetzter Frist nicht nachgewiesen. Weder hat er Namen und Adressen sämtlicher noch lebender Verwandter vorgelegt, noch gar diese angeschrieben.
Erst recht nicht hat sich der Kläger aus eigener Initiative nachweislich darum bemüht, eine Kopie einer Tazkira von Verwandten väterlicherseits (Vater, Bruder, Schwester, Onkel usw.) zu erlangen. Er hat auch nicht vorgebracht, überhaupt versucht zu haben, Verwandte väterlicherseits – im Iran oder in Afghanistan – ausfindig zu machen. Ebenso wenig hat er sich nachweislich darum bemüht, eine Kopie einer Geburtsurkunde oder sonstiger Unterlagen aus seinem Heimatort zu erhalten, obwohl er angab, die Tazkira habe ihm die zuständige Behörde im Distrikt … der Provinz … in Afghanistan ausgestellt. Er hat nicht vorgebracht, überhaupt versucht zu haben, mit ihr brieflich oder durch einen Bevollmächtigten in Kontakt zu treten.
Soweit er darauf verweist, die fünfzehnjährige Nichte seiner Frau aus der Nähe von … könne als Frau nicht allein an seinen Geburtstort reisen, die Reise sei auch zu gefährlich, ist dies für sich nachvollziehbar. Der Beklagte hat aber auch nicht verlangt, dass der Kläger Verwandte seiner Ehefrau einschaltet, sondern zu Verwandten väterlicherseits Kontakt aufnimmt oder Bevollmächtigte einschaltet. Das hat er bisher nicht nachweislich getan.
Soweit sein Bevollmächtigter darauf verweist, die Anforderungen an die Ausstellung einer Tazkira änderten sich laufend, ist dies nicht dem Beklagten zuzurechnen sondern dem Herkunftsstaat des Klägers. Mit dieser Situation müssen beide Beteiligte umgehen, wobei dies den Kläger nicht von der Verpflichtung entbindet, seine Bemühungen zur Beschaffung einer Tazkira den jeweils aktuellen Anforderungen anzupassen. Dazu zählt auch die Beauftragung eines Anwalts seines Vertrauens in Kabul – diesen braucht ihm nicht der Beklagte zu benennen, da es sich nicht um einen Vertrauensanwalt der Deutschen Botschaft in Kabul, sondern nur des Klägers zu handeln braucht, wie sich aus den Angaben des als Zeugen vernommenen Mitarbeiters der Regierung von, Zentrale Ausländerbehörde, Passbeschaffung, in der mündlichen Verhandlung ergeben hat (vgl. Niederschrift vom 12.7.2017, S. 4 f.). Einen solchen zu finden, kann ihm auch die Familie der Schwester seiner Frau helfen.
Nach den Angaben des Zeugen wurden die afghanischen Verfahrensanforderungen für die Erlangung einer Tazkira mittlerweile sogar erleichtert, sie umfassen derzeit (vgl. Niederschrift vom 12.7.2017, S. 4):
Erforderlich sei zunächst die Kopie einer Tazkira väterlicherseits, eine Beglaubigung sei anders als früher nicht mehr erforderlich, es genüge die Kopie selbst, alternativ die Registernummer des Familienbuchs, die sich auch auf Tazkiren finde. Weiter seien 4 biometrische Passbilder mittlerweile ausreichend. Nicht mehr erforderlich sei der Identitätsnachweis der Person, die diese Tazkira beim Innenministerium in Kabul abhole, es genüge neuerdings, diese Person bei der Antragstellung im Generalkonsulat zu benennen.
Zum Ablauf erläuterte der Zeuge: Das Generalkonsulat in München leite den Antrag an das Innenministerium in Kabul weiter, das den Antrag prüfe und die Tazkira ausstelle. Die Tazkira müsse dann vom Bevollmächtigten abgeholt und dem Außenministerium in Kabul (oder dessen Außenstellen in Herat, Mazar e-Sharif, Kundus, Nangahar/Jalalabad und Kandahar) zur Beglaubigung vorgelegt werden. Mit dieser dem Antragsteller nach Deutschland übersandten Tazkira könne im Original dann auch ein Reisepass in Deutschland beantragt werden.
Die Einlassung des Klägers in der mündlichen Verhandlung, er sei sich sicher, keine Familie im Iran zu haben, weshalb solle er dies sonst angeben (vgl. Niederschrift vom 12.7.2017, S. 11), widerspricht seinen Angaben vor der Behörde, er sei mit seiner Mutter geflohen; der Rest der Familie befinde sich noch im Iran (Behördenakte Bl. 47). Diesen Widerspruch hat er nicht nachvollziehbar aufgelöst, sondern nur einen bisher unerwähnt gebliebenen Onkel in Australien oder Neuseeland erwähnt (vgl. Niederschrift vom 12.7.2017, S. 11 f.).
Umgekehrt zeigt die Eheschließung des Klägers aus der Ferne, als der Kläger seine Ehefrau in Griechenland im Wege der Ferntrauung vor zwei Zeugen im Iran ehelichte (Behördenakte Bl. 48), dass er durchaus im Stande ist, auch Verwaltungsvorgänge in anderen Ländern durch Bevollmächtigte in die Wege zu leiten, obwohl er sie schon Jahre zuvor verlassen hatte.
In der Gesamtschau ist das Verwaltungsgericht der Überzeugung, dass der Kläger an der Beschaffung einer Tazkira jedenfalls nicht mitgewirkt hat, wohl auch nicht mitwirken will. Weder ist er den zumutbaren Aufforderungen des Beklagten gefolgt, noch hat er selbst eine nennenswerte Initiative ergriffen, seine Verwandten oder über die Behörden seines Herkunftsstaats sonst sachdienliche Angaben ausfindig zu machen.
b) Die Ermessensentscheidung ist auch nicht zu beanstanden, soweit sie dem öffentlichen Interesse an der Identitätsklärung den Vorrang einräumt gegenüber einer möglichen Bleibeperspektive des Klägers wegen der Schutzzuerkennung u.a. für seine Frau. Selbst außerhalb des Asylverfahrens bliebe er nach § 48 Abs. 3 AufenthG zur Mitwirkung an der Beschaffung eines Identitätspapiers verpflichtet.
c) Dass der Kläger für die Tätigkeit aus Sicht seines Arbeitgebers geeignet und sprachlich qualifiziert genug ist, stellt die Ermessensentscheidung ebenfalls nicht in Frage. Wäre er nicht geeignet, die Beschäftigung auszuüben, hätte er bereits kein Sachbescheidungsinteresse, sie erlaubt zu erhalten.
3. Daher war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b i.V.m. § 61 AsylG). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.