Aktenzeichen 22 CS 22.534
Leitsatz
Verfahrensgang
22 CS 21.3059 2022-01-31 Bes VGHMUENCHEN VGH München
Tenor
I. Die Anhörungsrüge wird zurückgewiesen.
II. Die Beigeladene trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
Die Anhörungsrüge, mit der die Beigeladene die Fortführung des Verfahrens über ihre mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 31. Januar 2022 zurückgewiesene Beschwerde gegen den teilweise dem Antrag der Antragstellerin auf Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit des Bescheids des Antragsgegners vom 8. Februar 2019 stattgebenden Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 11. November 2021 (B 9 S 21.538) begehrt, ist nach § 152a Abs. 4 Satz 2 VwGO zurückzuweisen. Denn die Voraussetzungen des § 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwGO liegen nicht vor.
1. Nach § 152a Abs. 1 Satz 1 VwGO ist auf die Rüge eines durch eine gerichtliche Entscheidung beschwerten Beteiligten das Verfahren fortzuführen, wenn ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist (Nr. 1) und das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat (Nr. 2). Die Anhörungsrüge stellt keinen Rechtsbehelf zur Überprüfung der inhaltlichen Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung dar. Es handelt sich vielmehr um ein formelles Recht, das dann greift, wenn das Gericht entscheidungserhebliches Vorbringen der Beteiligten nicht in ausreichendem Maße zur Kenntnis genommen und sich mit ihm nicht in der gebotenen Weise auseinandergesetzt hat. Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht jedoch nicht, dem Tatsachenvortrag oder der Rechtsansicht eines Verfahrensbeteiligten inhaltlich zu folgen (vgl. BVerwG, B.v. 1.4.2015 – 4 B 10.15 – juris Rn. 2; BVerwG, B.v. 24.11.2011 – 8 C 13.11 – juris Rn. 2 m.w.N.; BayVGH, B.v. 30.6.2015 – 10 ZB 15.1197 – juris Rn. 3 m.w.N.).
Gemäß § 152a Abs. 2 Satz 6 VwGO ist das Vorliegen der in § 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwGO genannten Voraussetzungen, also eine entscheidungserhebliche Verletzung des Gehörsanspruchs, darzulegen. Es sind die Umstände darzulegen, aus denen sich die Verletzung des eigenen Anspruchs auf rechtliches Gehör und die Entscheidungserheblichkeit ergeben. Für die Darlegung einer Gehörsverletzung muss der Betroffene die Tatsachen oder Beweisergebnisse benennen, auf die das Gericht seine Entscheidung gestützt hat und zu denen er sich nicht äußern konnte. Alternativ muss er sein tatsächliches oder rechtliches Vorbringen sowie die besonderen Umstände des Einzelfalles anführen, die die Annahme rechtfertigen, dass das Gericht entgegen der bestehenden Vermutung sein Vorbringen nicht zur Kenntnis genommen oder nicht erwogen hat (Kaufmann in Posser/Wolff, BeckOK VwGO, Stand 1.1.2020, § 152a Rn. 12; Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Juli 2021, § 152a Rn. 26).
2. Nach diesen Maßstäben legt die Beigeladene keine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör durch den Beschluss vom 31. Januar 2022 (22 CS 21.3059) dar.
Zur Begründung der Anhörungsrüge macht die Beigeladene im Wesentlichen geltend, in der Beschwerdeschrift vom 6. Dezember 2021 im Verfahren 22 CS 21.3059 sei auf Seite 5 unter Ziffer 2.2 dargelegt worden, dass der Genehmigungsbescheid vom 30. Januar 2015 sowie die Nebenbestimmung Nr. 3.2.5 bestandskräftig geworden seien. Der Senatsbeschluss vom 31. Januar 2022 gehe auf die Bestandskraft des Genehmigungsbescheids nicht ein. In Rn. 26 des Beschlusses führe der Senat aus, dass es nicht darauf ankomme, ob das Landratsamt bei Erlass der nachträglichen Anordnung der Auffassung gewesen sei, dass die Nebenbestimmung Nr. 3.2.5 zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen i.S.d. § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG aufgenommen worden sei und die nachträgliche Anordnung vom 23. Januar 2018 auch insoweit zum Schutz der Rechte Dritter ergangen sei oder ob die Beigeladene die nachträgliche Anordnung so verstehen durfte. Die Motivlage der Behörde könne nur dann entscheidend sein, wenn geprüft worden sei, ob und in welchem Umfang die objektive Tatbestandswirkung und die materielle Bestandskraft des Genehmigungsbescheides vorliege. Die Bindungswirkung des Verwaltungsaktes trete unabhängig von ihrer Rechtmäßigkeit ein. Der Senat habe im Rahmen seines Beschlusses auf die Motivlage und nicht auf die Bestandskraft abgestellt. Die Tatbestandswirkung von Verwaltungsakten habe zur Folge, dass nicht am Verfahren beteiligte Behörden und Gerichte die getroffene Regelung als Teil der Rechtsordnung berücksichtigen müssten. Hätte der Senat erwogen, dass die Nebenbestimmung Nr. 3.2.5 bestandskräftig ist, könne zumindest nicht ausgeschlossen werden, dass der Senat zutreffenderweise zu der Auffassung gelangt wäre, die Prüfung des Umfangs der Bindungswirkung ergebe, dass dahingestellt bleiben könne, ob das Landratsamt drittschützende Regelungen abweichend von der TA Lärm treffen dürfe. Entscheidend für die Auslegung des Genehmigungsbescheids und damit für Vertrauensschutz und Bestandskraft sei der objektive Erklärungswert aus der Sicht des Empfängerhorizonts und nicht der Wille der Behörde.
2.1 Damit hat die Beigeladene jedoch nicht aufgezeigt, dass der Senat bei der Zurückweisung der Beschwerde entscheidungserheblichen Vortrag in der Beschwerdebegründung nicht zur Kenntnis genommen oder nicht in Erwägung gezogen hat.
2.1.1 In der Begründung der Anhörungsrüge ist schon nicht hinreichend dargelegt, dass es sich bei dem Hinweis der Beigeladenen in der Beschwerdebegründung vom 6. Dezember 2021, dass der Genehmigungsbescheid (mit der Nebenbestimmung Nr. 3.2.5) vom 30. Januar 2015 längst bestandskräftig sei (dies ist unstreitig), um rechtlich relevantes Vorbringen handelt, auf das der Senat in der Begründung des Beschlusses hätte eingehen müssen. Denn die Beigeladene hat in der Beschwerdebegründung den nach ihrer Auffassung nachbarschützenden Charakter der fraglichen Nebenbestimmung alleine aus der Begründung des Genehmigungsbescheids und der nachträglichen Anordnung bzw. der Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont und nicht aus deren Bestandskraft hergeleitet.
2.1.2 Weiterhin fehlt es an einer Darlegung, weshalb die Bestandskraft des Genehmigungsbescheids vom 30. Januar 2015 und der Nebenbestimmung Nr. 3.2.5 für die Frage, ob die Beigeladene durch die nachträgliche Anordnung vom 23. Januar 2018 eine Rechtsposition erlangt habe, die ihr durch den Widerrufsbescheid vom 8. Februar 2019 wieder entzogen worden ist, entscheidungserhebliche Bedeutung hat. Die Beigeladene spricht in der Begründung ihrer Anhörungsrüge unter „2. Entscheidungserheblichkeit“ lediglich von „objektiver Tatbestandswirkung“, “Bindungswirkung“ und „materieller Bestandskraft“. Diese Begriffe hat sie in der Beschwerdebegründung überhaupt nicht erwähnt, so dass deren Nichtberücksichtigung im Beschluss vom 31. Januar 2022 das rechtliche Gehör der Klägerin schon deshalb nicht verletzt haben kann.
2.1.3 Auch kommt es für die nach Auffassung des Verwaltungsgerichts und des Senats entscheidungserhebliche Frage, ob die nachträgliche Anordnung vom 23. Januar 2018 bezüglich der Einhaltung der Nebenbestimmung Nr. 3.2.5 drittschützende Wirkung im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG entfaltet, auch wenn der maßgebliche Immissionsrichtwert nicht überschritten wird, auf die Bestandskraft der fraglichen Nebenbestimmung nicht an. Zur Beurteilung der möglichen Kausalität einer behaupteten Gehörsverletzung ist maßgeblich auf die in der betroffenen Entscheidung vertretene Rechtsansicht abzustellen (Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Juli 2021, § 152a Rn. 19). Daher hätte sich die behauptete Verletzung des rechtlichen Gehörs der Beigeladenen jedenfalls nicht entscheidungserheblich ausgewirkt.
Formelle Bestandskraft liegt vor, wenn der Verwaltungsakt unanfechtbar wird, wenn also keine ordentlichen Rechtsbehelfe mehr zur Verfügung stehen. Unter materieller Bestandskraft ist die Wirkung zu verstehen, dass die Behörde und die Beteiligten nach Art. 13 BayVwVfG grundsätzlich an die im Verwaltungsakt getroffenen Feststellungen gebunden sind und eine Aufhebung nicht mehr im Rechtsbehelfsverfahren, sondern ausschließlich nach Maßgabe der Bestimmungen der Art. 48 ff. BayVwVfG möglich ist. Dabei erstreckt sich die Bindungswirkung der materiellen Bestandskraft nur auf den Entscheidungssatz und nicht auf die wesentlichen Gründe der Entscheidung oder sonstige Vorfragen und präjudizielle Rechtsverhältnisse, sofern und soweit nicht kraft Gesetzes ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist (Schwarz in Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Auflage 2021, § 43 Rn. 23 f.). Im vorliegenden Fall bewirkt die Bestandskraft des Genehmigungsbescheids vom 30. Januar 2015 also lediglich, dass die Antragstellerin die Anlage nur unter Einhaltung der Nebenbestimmung Nr. 3.2.5 betreiben darf. Bezüglich einer etwaig drittschützenden Wirkung der Nebenbestimmung folgt aus der (materiellen) Bestandskraft nichts. Auch die Tatbestandswirkung eines Verwaltungsakts ergibt sich prinzipiell nur aus dem Tenor (aus der Regelung) und nicht aus der Begründung des Bescheids (Goldhammer in Schoch/Schneider, VwVfG, Stand August 2021, § 43 Rn. 77).
2.2 Soweit die Beigeladene in der Anhörungsrüge darauf abstellt, dass der Senat bei seinen Ausführungen zur drittschützenden Wirkung der Nebenbestimmung von der Motivation der Behörde bei Erlass des Genehmigungsbescheids und der nachträglichen Anordnung ausgegangen sei, während maßgeblich auf den objektiven Erklärungswert aus der Sicht des Empfängerhorizonts abzustellen sei, wendet sie sich gegen die Richtigkeit der vom Senat vertretenen Rechtsauffassung bzw. die Rechtsanwendung und verkennt den Sinn des Rechtsbehelfs nach § 152a VwGO und den Schutzbereich von Art. 103 Abs. 1 GG. Art. 103 Abs. 1 GG garantiert weder die Richtigkeit der getroffenen tatsächlichen Feststellungen noch eine ordnungsgemäße Subsumtion und Entscheidungsbegründung und schützt auch nicht davor, dass das Vorbringen eines Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts teilweise oder ganz unberücksichtigt bleibt (BVerfG, B.v. 4.9.2008 – 2 BvR 2162.07, 2 BvR 2271.07 – juris Rn. 13 m.w.N.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil für das Verfahren über die Anhörungsrüge nach Nr. 5400 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz (Anlage zu § 3 Abs. 2 GKG) eine streitwertunabhängige Festgebühr anfällt.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152a Abs. 4 Satz 3 VwGO).