Aktenzeichen 4 C 16.307
VwGO § 99 Abs. 2, § 146 Abs. 1, § 147 Abs. 1 S. 1
Leitsatz
1 Bloße Sach- oder Rechtsauskünfte und Mitteilungen an die Verfahrensbeteiligten ohne jeden Entscheidungscharakter fallen nicht unter die nach § 146 Abs. 1 VwGO beschwerdefähigen gerichtlichen Handlungen. (redaktioneller Leitsatz)
2 In dem bloßen Unterlassen einer beantragten oder im Gesetz geforderten gerichtlichen Verfahrenshandlung liegt noch keine (konkludente) Ablehnung, gegen die eine Beschwerde erhoben werden könnte. (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
AN 4 K 15.2356 2016-01-11 Hinweisschreiben VGANSBACH VG Ansbach
Tenor
I.
Die Beschwerde wird verworfen.
II.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
I.
Mit der vorliegenden Beschwerde wendet sich der Kläger gegen ein gerichtliches Schreiben.
Mit Schriftsatz vom 18. November 2015 erhob der Kläger beim Verwaltungsgericht Ansbach eine Klage mit dem Ziel, die Beklagte zur Erteilung von Auskunft über Cross-Border-Verträge zu verpflichten und die Unwirksamkeit der vertraglichen Geheimhaltungspflichten aus diesen Verträgen festzustellen. Zugleich beantragte er die Durchführung eines in-camera-Verfahrens nach § 99 Abs. 2 VwGO bezüglich der Rechtmäßigkeit der Weigerung der Beklagten zur Vorlage der Verträge.
Mit Schreiben vom 4. Januar 2016 forderte der Kläger das Verwaltungsgericht auf, bis zum 16. Januar 2016 die Verfahrensakten gemäß § 99 Abs. 2 Satz 4 VwGO dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zur Durchführung des beantragten Verfahrens vorzulegen; anderenfalls werde er Beschwerde einlegen.
Mit Schreiben vom 11. Januar 2016 teilte die Berichterstatterin der 4. Kammer des Verwaltungsgerichts Ansbach dem Kläger mit, vor der Vorlage eines Antrags nach § 99 Abs. 2 VwGO habe das Gericht über die Entscheidungserheblichkeit der Unterlagen zu befinden, da dies eine Voraussetzung für die Durchführung des in-camera-Verfahrens durch den Fachsenat beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof sei. Nach vorläufiger Prüfung bestünden Zweifel an der Zulässigkeit der Auskunftsklage, weil ein früherer Antrag des Klägers auf Auskunftserteilung bereits bestandskräftig abgelehnt worden sei. Der Kläger erhalte Gelegenheit, zu diesem vorläufigen gerichtlichen Hinweis bis zum 15. Februar 2016 Stellung zu nehmen.
Der Kläger erhob daraufhin am 21. Januar 2016 „Beschwerde nach § 146 Abs. 1 VwGO“ mit dem Antrag, das Verwaltungsgericht Ansbach zu verpflichten, die notwendigen Verfahrensakten zur Durchführung eines in-camera-Verfahrens nach § 99 Abs. 2 VwGO dem zuständigen Senat des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vorzulegen. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts sei rechtswidrig, weil das Gericht die Entscheidungserheblichkeit der Unterlagen zu Unrecht wegen Unzulässigkeit der Klage verneine. Es liege hier eine Ausnahme vom Grundsatz der Notwendigkeit eines förmlichen Beweisbeschlusses des Gerichts vor. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sei ein förmlicher Beschluss als Voraussetzung für ein Verfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO entbehrlich, wenn der Akteninhalt selbst Gegenstand des Hauptanspruchs sei; dies sei hier der Fall.
Mit Schreiben vom 25. Januar 2016 wies das Verwaltungsgericht Ansbach den Kläger darauf hin, dass eine Entscheidung im Sinne des § 146 Abs. 1 VwGO, gegen die sich eine Beschwerde richten könne, nicht vorliege. Falls die „Beschwerde“ dennoch dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof vorgelegt werden solle, werde um Nachricht gebeten. Der Kläger teilte dazu mit, die Beschwerde sei als ein Antrag nach § 146 Abs. 1 VwGO zu verstehen. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof werde inzident zu prüfen haben, ob die Akte zweifelsfrei für das Verfahren notwendig sei.
Die Beklagte und die als Vertreter des öffentlichen Interesses am Verfahren beteiligte Landesanwaltschaft Bayern äußerten jeweils die Auffassung, dass die Beschwerde des Klägers unzulässig sei, weil sie sich gegen eine nicht anfechtbare prozessleitende Verfügung richte.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten verwiesen.
II.
1. Die Beschwerde des Klägers ist zu verwerfen, weil sie bereits unstatthaft und damit unzulässig ist. Es fehlt an einer beschwerdefähigen Entscheidung des Verwaltungsgerichts.
Nach § 146 Abs. 1 VwGO kann gegen verwaltungsgerichtliche „Entscheidungen…, die nicht Urteile oder Gerichtsbescheide sind“, Beschwerde an das Oberverwaltungsgericht erhoben werden. Bei dem betreffenden Akt darf es sich, wie ein Umkehrschluss aus § 146 Abs. 2 Alt. 1 VwGO ergibt, nicht lediglich um eine prozessleitende Verfügung handeln, also um eine der Förderung des Verfahrensfortgangs dienende Regelung, Aufforderung oder sonstige die Sachentscheidung vorbereitende Maßnahme oder Verfahrenshandlung (vgl. OVG Münster, B. v. 29.4.2009 – 8 E 147/09 – NJW 2009, 2615). Bloße Sach- oder Rechtsauskünfte und Mitteilungen an die Verfahrensbeteiligten ohne jeden Entscheidungscharakter fallen ebenfalls und erst recht nicht unter die nach § 146 Abs. 1 VwGO beschwerdefähigen gerichtlichen Handlungen (Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 146 Rn. 6; Meyer-Ladewig/Rudisile in Schoch u. a., VwGO, Stand Okt. 2015, § 146 Rn. 6).
Das Schreiben der Berichterstatterin vom 11. Januar 2016 an den Kläger war hiernach keine rechtsmittelfähige „Entscheidung“. Denn es handelte sich, wie bereits im zweiten Einleitungssatz und dann nochmals im letzten Absatz unmissverständlich zum Ausdruck kam, nur um eine Mitteilung über das Ergebnis einer „vorläufigen Prüfung“ bzw. um einen „vorläufigen gerichtlichen Hinweis“ ohne rechtliche Verbindlichkeit. Mit dem Schreiben wurde der Kläger darüber informiert, dass es aus der gegenwärtigen Sicht des Gerichts zweifelhaft sei, ob die Voraussetzungen für ein in-camera-Verfahren nach § 99 VwGO vorlägen. Damit erfolgte zu dieser Rechtsfrage erklärtermaßen noch keine endgültige und rechtswirksame Festlegung, die in irgendeiner Form mit einem Rechtsmittel angegriffen werden könnte.
Eine „Entscheidung“ im Sinne des § 146 Abs. 1 VwGO lag auch nicht darin, dass das Gericht dem auf § 99 Abs. 2 Satz 1 VwGO gestützten Antrag des Klägers auf Durchführung eines in-camera-Verfahrens nicht dergestalt nachgekommen ist, dass es gemäß § 99 Abs. 2 Satz 4 VwGO den Antrag und die Hauptsacheakten an den nach § 189 VwGO zuständigen Fachsenat des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs abgegeben hat. In dem bloßen Unterlassen einer beantragten oder im Gesetz geforderten gerichtlichen Verfahrenshandlung liegt noch keine (konkludente) Ablehnung, gegen die eine – nach § 147 Abs. 1 Satz 1 VwGO fristgebundene – Beschwerde erhoben werden könnte. Eine „Untätigkeitsbeschwerde“ sieht die Verwaltungsgerichtsordnung nicht vor; sie ist weder von Verfassungs wegen noch nach der Europäischen Menschenrechtskonvention geboten (BVerwG, B. v. 30.1.2003 – 3 B 8/03 – NVwZ 2003, 869; BayVGH, B. v. 8.1.2013 – 3 C 11/1707 – juris Rn. 3; Jeromin in Gärditz, VwGO, 2013, § 146 Rn. 14; Guckelberger in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 146 Rn. 9 ff.). Gegen das Nichthandeln eines Gerichts kann sich ein Verfahrensbeteiligter nach geltendem Recht nur im Rahmen von § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. §§ 198 ff. GVG mittels einer Verzögerungsrüge und einer evtl. nachfolgenden Entschädigungsklage zur Wehr setzen. Einen solchen Rechtsbehelf, der sich auf die Gesamtdauer des Gerichtsverfahrens bezieht, hat der Kläger hier aber ersichtlich nicht eingelegt.
Dass gegen die faktische Weigerung des Verwaltungsgerichts, dem Antrag des Klägers auf Einleitung eines in-camera-Verfahren zu folgen und gemäß § 99 Abs. 2 Satz 4 VwGO die Hauptsacheakten an den Fachsenat nach § 189 VwGO abzugeben, keine unmittelbare Beschwerde möglich ist, verstößt nicht gegen die in Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG enthaltene Garantie eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes. Denn das Recht der Verfahrensbeteiligten, mit einem Antrag nach § 99 Abs. 2 Satz 1 VwGO die Rechtmäßigkeit der „Verweigerung der Vorlage“ überprüfen zu lassen, setzt zwingend voraus, dass das Verwaltungsgericht die Entscheidungserheblichkeit der betreffenden Akten zuvor im Wege eines förmlichen Beschlusses bejaht hat (BVerwG, B. v. 12.1.2006 – 20 F 12/04 – BVerwGE 125, 40 Rn. 8 ff. m. w. N.). Das gilt auch in Fällen, in denen die betreffenden Akten selbst Gegenstand des Informationsverlangens sind (vgl. BVerwG, B. v. 8.5.2013 – 20 F 14/12 – juris Rn. 7). Kein Beteiligter kann demnach eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts über die Berechtigung der Vorlageverweigerung erreichen, wenn das Verwaltungsgericht die Akten für entbehrlich gehalten und daher nicht angefordert hat (vgl. SaarlOVG, B. v. 21.6.2002 – 8 N 1/02 – NVwZ 2003, 367 m. w. N.). In einer solchen Prozesssituation ist ein Antrag nach § 99 Abs. 2 Satz 1 VwGO unzulässig. Selbst wenn ein (Beweis-)Antrag auf Beiziehung bestimmter Akten förmlich abgelehnt worden ist, kann diese Entscheidung des Gerichts nicht mit einer gesonderten Beschwerde, sondern nur im Rahmen eines Rechtsmittels gegen die in der Hauptsache ergehende Entscheidung angegriffen werden (vgl. OVG RhPf, B. v. 9.2.2004 – 13 F 10260/04 – NVwZ 2004, 756 m. w. N.).
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, da bei Verwerfung von im Kostenverzeichnis Anlage 1 zum Gerichtskostengesetz nicht besonders aufgeführten Beschwerden nach der dortigen Nr. 5502 eine Festgebühr von 60,00 Euro anfällt.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).