Aktenzeichen 8 CS 18.1890
StVO § 3 Abs. 2, § 33 Abs. 2 S. 1, § 49 Abs. 1 Nr. 28
BayStrWG Art. 14 Abs. 1 S. 1
Leitsatz
1. Ob bei einer private Beschilderung eine Verwechslungsgefahr mit den in der StVO vorgesehenen und auf einen Blick zu erfassenden Zeichen oder Verkehrseinrichtungen vorliegt, beurteilt sich nach dem Gesamtbild des Schildes, wie es sich einem flüchtigen Betrachter darstellt, ist also zu verneinen, wenn selbst bei flüchtiger Betrachtung ohne Weiteres erkennbar ist, dass es sich nicht um ein amtliches Schild handelt. (Rn. 22 – 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Private Schilder am Straßenrand mit aufsehenerregender Textgestaltung stellen keine Beeinträchtigung des Gemeingebrauchs einer Straße dar. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
RN 2 S 18.1065 2018-08-22 Bes VGREGENSBURG VG Regensburg
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragsgegnerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen eine Beseitigungsanordnung.
Die Antragstellerin ist Eigentümerin des Grundstücks FlNr. … der Gemarkung A …, auf der die P …straße verläuft. Zwischen den Beteiligten besteht Streit, ob diese Straße im Bereich des Grundstücks der Antragstellerin als öffentliche Straße gewidmet ist oder ob es sich lediglich um eine tatsächlich-öffentliche Straße handelt. Deswegen waren bzw. sind verschiedene Rechtsstreitigkeiten beim Verwaltungsgericht anhängig.
Im Juni 2018 brachte die Antragstellerin auf ihrem Grundstück an verschiedenen Stellen insgesamt vier Schilder mit folgender Aufschrift an:
„Achtung:
Nutzung P …straße im
Bereich von Fl.-Nr. …
Die P …straße im Bereich der o.g. Flurnummer – ab Einmündung R … Straße – ist eine nicht öffentlich gewidmete Privatstraße, die im alleinigen Eigentum der W … GdbR steht. Eine Benutzung dieser Straße durch die Allgemeinheit ist daher maximal im Rahmen der Grenzen einer tatsächlich öffentlichen Straße möglich.
Die W … GdbR wird die öffentliche Nutzung – wie bereits ab September 2017 wiederholt, auch in der Tagespresse kommuniziert – nicht mehr dulden und beabsichtigt, diese für die Zukunft zu untersagen. Höchst vorsorglich widerrufen wir als Eigentümer hiermit eine in der Vergangenheit möglicherweise erfolgte Duldung der Nutzung der Straße durch die Allgemeinheit. Es ist beabsichtigt, die P …straße im Bereich der Flurnummer … nach Ablauf eines angemessenen Zeitraums für den öffentlichen Gebrauch zu sperren.
A …, 22. Juni 2018 W … GdbR, … … … 17,93326 A …“
Mit Bescheid vom 13. Juni 2018 forderte die Antragsgegnerin die Antragstellerin auf, diese Schilder bis spätestens zum Ablauf des 16. Juli 2018 zu beseitigen (Nr. 1), ordnete die sofortige Vollziehung dieser Anordnung an (Nr. 2) und drohte für den Fall der nicht fristgerechten Ausführung die Ersatzvornahme an (Nr. 3).
Die Antragstellerin erhob hiergegen Klage, über die noch nicht entschieden ist. Auf ihren Antrag hin hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 22. August 2018 die aufschiebende Wirkung ihrer Klage wiederhergestellt bzw. im Hinblick auf Nr. 3 des Bescheids angeordnet.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragsgegnerin.
Sie beantragt sinngemäß,
unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 22. August 2018 den Antrag der Antragstellerin abzulehnen.
Die Antragstellerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts sowie wegen des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig, hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Die von der Antragsgegnerin mit der Beschwerde vorgebrachten Gründe, auf deren Prüfung das Gericht nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen keine Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung.
1. Die Beschwerde ist zulässig. Insbesondere ist entgegen der Einwendung der Antragstellerin die Begründung der Beschwerde innerhalb der Frist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO erfolgt. Nachdem die erstinstanzliche Entscheidung den Parteien am 22. August 2018 per Fax zugestellt worden ist, endete diese am Montag, den 24. September 2018 (§§ 57, 58 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 1 und 2 ZPO, §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 Alt. 2 BGB). Die Beschwerdebegründung ist als Vorab-Fax an diesem Tag und damit fristgerecht beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingegangen.
2. Die Beschwerde ist unbegründet. Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, wonach die Klage gegen den Bescheid vom 13. Juni 2018 voraussichtlich Erfolg haben wird, erweist sich auch in Ansehung der von der Antragsgegnerin innerhalb der Frist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO dargelegten Gründe als zutreffend.
2.1 Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Beschilderung keine Ordnungswidrigkeit nach § 33 Abs. 2 Satz 1 StVO i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 28 StVO, § 24 Abs. 1 StVG darstellt und die Beseitigungsanordnung daher nicht auf Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 und 2 LStVG gestützt werden kann.
Nach § 33 Abs. 2 Satz 1 StVO dürfen Einrichtungen, die Zeichen oder Verkehrseinrichtungen gleichen, mit ihnen verwechselt werden können oder deren Wirkung beeinträchtigen, dort nicht angebracht oder sonst verwendet werden, wo sie sich auf den Verkehr auswirken können. Eine Verwechslungsgefahr im Sinne der hier allein infrage kommenden ersten Alternative der Vorschrift ist im Hinblick auf die Gestaltung der streitgegenständlichen Schilder jedoch nicht gegeben.
Ob eine solche vorliegt, beurteilt sich nach dem Gesamtbild des Schildes, wie es sich einem flüchtigen Betrachter darstellt (König in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl. 2015, § 33 Rn. 12). Entgegen dem Vorbringen der Antragsgegnerin besteht nach diesem Maßstab keine Gefahr, dass die von der Antragstellerin angebrachten Hinweisschilder mit den in §§ 36 bis 43 StVO i.V.m. Anlage 1 bis 4 aufgeführten Zeichen oder Verkehrseinrichtungen verwechselt werden.
Es trifft zwar zu, dass zu den in § 33 Abs. 2 Satz 1 StVO genannten Zeichen auch Zusatzeichen gehören, die nach § 39 Abs. 3 Satz 2 StVO regelmäßig schwarze Sinnbilder, Zeichnungen oder Aufschriften auf weißem Grund mit schwarzen Rand zeigen. Auch wenn die Gestaltung der streitbefangenen Schilder diesen Voraussetzungen entspricht, ist selbst bei flüchtiger Betrachtung jedoch ohne weiteres erkennbar, dass es sich hierbei nicht um amtliche Schilder handelt. Wie auch die von der Antragsgegnerin angeführten Beispiele der Richtzeichen nach Anlage 3 zu § 42 Abs. 2 StVO belegen, sind derartige Zeichen auf einen Blick zu erfassen. Dagegen ist die von der Antragstellerin angebrachte Beschilderung eng mit einem laufenden Text beschrieben. Aufgrund des Umfangs des Textes, der – im Gegensatz zu den in der StVO vorgesehenen Zeichen oder Verkehrseinrichtungen – mit der Angabe von Ort, Datum und dem Verfasser endet, wird in der Zusammenschau mit dem Umstand, dass die Schilder nicht etwa an einer Metallstange am Straßenrand, sondern jeweils am Zaun der Antragstellerin befestigt sind, bereits auf den ersten Blick deutlich, dass es sich hierbei um eine private Beschilderung handelt.
Dass die Schilder geeignet wären, die Wirkung eines Verkehrszeichens zu beeinträchtigen, hat die Antragsgegnerin selbst nicht geltend gemacht. Auf ihr Vorbringen zu den Auswirkungen der Beschilderung auf den Verkehr kommt es in diesem Zusammenhang nicht an, da die Tatbestandsvoraussetzung der Verwechselungsgefahr nicht gegeben und § 33 Abs. 2 Satz 1 StVO daher nicht einschlägig ist.
2.2 Das Vorbringen, die Beschilderung beeinträchtige den Gemeingebrauch, führt ebenfalls nicht zum Erfolg der Beschwerde.
Gemeingebrauch ist nach der Legaldefinition des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 BayStrWG die Benutzung der Straße im Rahmen ihrer Widmung für den Verkehr. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 BayStrWG stellt klar, dass kein Gemeingebrauch vorliegt, wenn jemand die Straße nicht vorwiegend zum Verkehr, sondern zu anderen Zwecken benutzt.
Es kann dahinstehen, ob der Gemeingebrauch einer Straße überhaupt zu den von der Ermächtigungsnorm des Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG genannten Schutzgütern gehört. Das Verwaltungsgericht konnte auch die Frage offen lassen, ob es sich bei dem hier im Raum stehenden Abschnitt der P …straße um eine gewidmete Straße oder um eine tatsächlich-öffentliche Verkehrsfläche handelt. Denn wie in der erstinstanzlichen Entscheidung zutreffend ausgeführt wird, hindert die von der Antragstellerin angebrachte Beschilderung die Verkehrsteilnehmer jedenfalls nicht daran, den im Streit stehenden Straßenabschnitt zu befahren oder zu begehen. Auch wenn die juristischen Begrifflichkeiten im Text der Beschilderung nicht jedem Verkehrsteilnehmer geläufig sein dürften, wird aus diesem eindeutig erkennbar, dass die Untersagung der öffentlichen Nutzung des Straßenteils lediglich angekündigt, nicht aber bereits ausgesprochen wird. Dass die Verkehrsteilnehmer deshalb verunsichert sein sollen und sich gehindert sehen, diesen weiter zu befahren oder zu begehen, ist schon deshalb nicht zu befürchten, weil es sich, wie oben (unter 2.1) ausgeführt, offenkundig um keine amtliche Beschilderung handelt.
Soweit die Antragsgegnerin die behauptete Beeinträchtigung des Gemeingebrauchs damit begründet, dass die Verkehrsteilnehmer zum Lesen des Schildes „gezwungen“ würden, verkennt sie zum einen, dass der Gemeingebrauch an öffentlichen Straßen – ungeachtet der noch offenen Frage, ob der fragliche Straßenabschnitt eine gewidmete öffentliche Straße oder eine tatsächlich-öffentliche Verkehrsfläche darstellt – auch den kommunikativen Verkehr umfasst (BayVGH, U.v. 22.6.2010 – 8 BV 10.182 – NVwZ-RR 2010, 830 = juris Rn. 16 m.w.N.). Zudem erschließt sich dem Senat nicht, warum die Verkehrsteilnehmer „gezwungen“ sein sollen, den auf den Schildern befindlichen Text zu lesen. Allein der Verweis auf die angebliche Signalwirkung des Wortes „Achtung“ in größerer Schreibweise und Fettdruck vermag eine solche Annahme nicht begründen, da es sich entsprechend obigen Ausführungen (unter 2.1) erkennbar um eine private Beschilderung handelt. Private Schilder am Straßenrand mit aufsehenerregender Textgestaltung sind – etwa zu Werbezwecken – weithin verbreitet, ohne dass sich die Fahrzeugführer deshalb genötigt fühlen dürfen, ihre Geschwindigkeit zu reduzieren oder sogar stehen zu bleiben, um den gesamten Text zu lesen. Vielmehr dürfen Kraftfahrzeuge nach § 3 Abs. 2 StVO ohne triftigen Grund nicht so langsam fahren, dass sie den Verkehrsfluss behindern. Wenn die Antragsgegnerin in diesem Zusammenhang darauf hinweist, dass auch die Fußgänger die streitbefangenen Schilder wahrnehmen, verkennt sie wiederum, dass dieser Umstand schon keine Beeinträchtigung des Gemeingebrauchs der Straße (sei diese gewidmet oder eine tatsächlich-öffentliche Straßenverkehrsfläche) darstellt und dass der Antragstellerin ihre – ersichtlich private – Meinungsäußerung auf ihrem Privatgrund ohne das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage nicht untersagt werden darf.
2.3 Auch die Behauptung der Antragsgegnerin, die Beschilderung gefährde Leben oder Gesundheit der Verkehrsteilnehmer, stellt die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung nicht infrage.
Die Antragsgegnerin macht hierzu geltend, die von der Antragstellerin angebrachten Schilder würden die Fahrzeugführer nicht nur zum Bremsen, sondern zu einem ruckartigen Stehenbleiben veranlassen und deshalb zu Auffahrunfällen führen. Wie bereits oben (unter 2.2) dargelegt, ist ein solches Verhalten im Hinblick darauf, dass die Schilder offensichtlich privater Natur sind und die Straßenverkehrsordnung ein grundloses Anhalten untersagt, nicht zu befürchten. Auch der Einwand, der Weg werde von Schulkindern genutzt, die sich vor den Schildern ansammeln könnten und die dann mangels sicherem Gehweg dem fließenden Verkehr ausgesetzt wären, verfängt nicht. Ungeachtet der Frage, ob ein solches „Ansammeln“ der Lebenswirklichkeit entspricht, befinden sich ausweislich der in den Akten befindlichen Fotos vor den an den Zäunen der Antragstellerin angebrachten Schildern kleinere Grün-, Kies- oder Teerflächen, auf denen sich Fußgänger, die den Text der Beschilderung lesen wollen, gefahrlos aufhalten können. Soweit eine Gefährdung der diesen Straßenabschnitt nutzenden Fußgänger zu befürchten ist, besteht diese offensichtlich vielmehr in dem fehlenden Fußgängerweg und in dem dort offenbar stattfindenden Staplerverkehr (vgl. Warnschild).
2.4 Zu Recht hat das Verwaltungsgericht darauf hingewiesen, dass zudem rechtliche Bedenken gegen die Androhung der Ersatzvornahme in Nummer 3 des streitgegenständlichen Bescheids bestehen. Nach Art. 32 Satz 2 VwZVG setzt die Ersatzvornahme voraus, dass ein Zwangsgeld keinen Erfolg erwarten lässt. Allein der Umstand, dass die Antragstellerin mehrere gerichtliche Verfahren gegen die Antragsgegnerin eingeleitet hat, kann die fehlenden Erfolgsaussichten der Androhung eines Zwangsgelds nicht begründen, zumal die Antragstellerin im September 2017 einem Bescheid der Antragsgegnerin, der sie zur Beseitigung der zum damaligen Zeitpunkt angebrachten Schilder verpflichtet hatte, unverzüglich nachgekommen war.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2 VwGO
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 und 2, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 Satz 1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).