Verwaltungsrecht

Besucherverzeichnisse in senegalesischen Szenelokalen

Aktenzeichen  M 2 S 16.30925

Datum:
17.5.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5
EMRK EMRK Art. 3
GG GG Art. 16a Abs. 1, Abs. 4 S. 1
VwGO VwGO § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, Abs. 5 S. 1

 

Leitsatz

Behauptungen, dass im Senegal in vorwiegend von Homosexuellen besuchten illegalen Diskotheken die Personalien der Besucher registriert werden und die Polizei mit Hilfe dieser Besucherverzeichnisse mutmaßliche Homosexuelle identifiziert um diese zu töten, wirken lebensfremd und konstruiert. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Herrn Rechtsanwalt … wird abgelehnt.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist nach eigenen Angaben senegalesischer Staatsangehöriger. Er reiste nach seinen Angaben über Mauretanien, Marokko, Spanien und Frankreich im Jahr 2014 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 22. Dezember 2014 stellte er Asylantrag.
Bei der Anhörung durch das Bundesamt … (Bundesamt) am 11. März 2016 gab der Antragsteller zur Begründung seines Asylantrags im Wesentlichen an: Er sei mit einem homosexuellen Freund der Familie im Dezember 2013 von Marokko in den Senegal gereist und habe dort eine vorwiegend von Homosexuellen frequentierte illegale Diskothek besucht. Bei einem gewalttätigen Angriff anderer Personen sei ein Besucher getötet worden und er selbst habe einen Knochenbruch erlitten. Sofort sei er über Mauretanien nach Marokko geflohen. Mit der Polizei oder Behörden im Senegal habe er 2013 keinen Kontakt gehabt, aber da die Personalien der Besucher der illegalen Diskothek registriert worden seien, habe die Polizei jetzt seinen Namen und bei einer Rückkehr in den Senegal werde er getötet werden.
Mit Bescheid vom 20. April 2016, zugestellt am 23. April 2016, lehnte das Bundesamt die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziffer 1.) und auf Asylanerkennung (Ziffer 2.) jeweils als offensichtlich unbegründet sowie den Antrag auf subsidiären Schutz (Ziffer 3.) als unbegründet ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 4.); es forderte den Antragsteller unter Androhung der Abschiebung in den Senegal oder einen anderen zu seiner Aufnahme bereiten oder zu seiner Rückübernahme verpflichteten Staat auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen (Ziffer 5.), ordnete ein Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 7 AufenthG an, befristete dieses auf 10 Monate ab dem Tag der Ausreise (Ziffer 6.), und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 7.). Zur Begründung wurde u. a. ausgeführt: Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und die Anerkennung als Asylberechtigter lägen offensichtlich nicht vor. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus lägen nicht vor. Der Asylantrag eines Ausländers aus einem sicheren Herkunftsstaat sei gemäß § 29 a Abs. 1 AsylG als offensichtlich unbegründet abzulehnen, es sei denn, die von dem Ausländer angegebenen Tatsachen oder Beweismittel begründeten die Annahme, dass ihm abweichend von der allgemeinen Lage im Herkunftsstaat Verfolgung droht. Der Antragsteller stamme aus dem Senegal und damit aus einem sicheren Herkunftsstaat. Der Antragsteller habe nicht glaubhaft machen können, dass ihm im Senegal eine Verfolgung oder ein ernsthafter Schaden drohe. Da es dem Antragsteller nicht gelungen sei, die Regelvermutung des § 29 a AsylG zu widerlegen, sei der Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen. Die engeren Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter lägen somit nach Ablehnung des Flüchtlingsschutzes ebenfalls offensichtlich nicht vor. Unter Hinweis auf die Ausführungen zum Flüchtlingsschutz und unter Berücksichtigung des Vorbringens des Antragstellers seien keinerlei Anhaltspunkte erkennbar, welche die Annahme rechtfertigen, dass ihm bei Rückkehr in den Senegal ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 AsylG drohe. Abschiebungsverbote lägen nicht vor. Hinsichtlich des § 60 Abs. 5 AufenthG komme in erster Linie eine Verletzung des Art. 3 EMRK in Betracht. In Bezug auf Gefahren einer Verletzung des Art. 3 EMRK, die individuell durch einen konkret handelnden Täter drohen, sei keine andere Bewertung als bei der Prüfung des subsidiären Schutzes denkbar. Auch führten die derzeitigen humanitären Bedingungen in Senegal nicht zu der Annahme, dass bei Abschiebung des Antragstellers eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliege. Die hierfür vom EGMR geforderten hohen Anforderungen an den Gefahrenmaßstab seien nicht erfüllt. Dem Antragsteller drohe auch keine individuelle Gefahr für Leib oder Leben, die zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG führen würde. Die Abschiebungsandrohung sei gemäß § 34 Abs. 1 AsylG i. V. m. § 59 AufenthG zu erlassen. Die Ausreisefrist von einer Woche ergebe sich aus § 36 Abs. 1 AsylG. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot werde gemäß § 11 Abs. 7 AufenthG angeordnet und auf 10 Monate ab dem Tag der Ausreise befristet. Das (daneben bestehende) gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG werde nach § 11 Abs. 2 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
Gegen diesen Bescheid erhob der Antragsteller am 29. April 2016 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München und ließ beantragen, den Bescheid der Antragsgegnerin vom 20. April 2016 aufzuheben sowie die Antragsgegnerin zu verpflichten, den Antragsteller als Asylberechtigten anzuerkennen und ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise den subsidiären Schutz zuzuerkennen und höchsthilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen. Diese Klage, über die noch nicht entschieden ist, wird unter dem Aktenzeichen M 2 K 16.30924 geführt. Gleichzeitig ließ er beantragen,
hinsichtlich der Abschiebungsandrohung die aufschiebende Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen,
ferner, ihm Prozesskostenhilfe zu gewähren und Herrn Rechtsanwalt … beizuordnen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Antragsteller sei 2012 in einer vorwiegend von Homosexuellen aufgesuchten Diskothek Opfer von gewaltsamen Übergriffen geworden, die durch senegalesische Sicherheitskräfte verübt worden seien.
Am 3. Mai 2016 legte die Antragsgegnerin die Behördenakte vor.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird ergänzend auf die Gerichtsakten und die vor-gelegte Behördenakte verwiesen.
II.
Der Antrag ist als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ge-gen die Abschiebungsandrohung zulässig (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 75 AsylG; § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO i. V. m. § 36 Abs. 3 AsylG), jedoch unbegründet.
Die Aussetzung der Abschiebung darf nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen (Art. 16 a Abs. 4 Satz 1 GG, § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG). Ernstliche Zweifel liegen dann vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhalten wird (BVerfGE 94, 166, 194). Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten nicht angegeben worden sind, bleiben unberücksichtigt, es sei denn, sie sind gerichtsbekannt oder offenkundig (§ 36 Abs. 4 Satz 2 AsylG).
Die Androhung der Abschiebung unter Bestimmung einer Ausreisefrist von einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung stützt sich auf die Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet (§ 34 Abs. 1 i. V. m. § 36 Abs. 1 AsylG). Das Gericht hat daher die Einschätzung des Bundesamts, dass die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft offensichtlich nicht vorliegen, zum Gegenstand seiner Prüfung zu machen. Maßgeblich ist dabei, ob sich diese Einschätzung im Ergebnis als tragfähig und rechtmäßig erweist. Darüber hinaus hat das Gericht gemessen am Maßstab der ernstlichen Zweifel auch zu prüfen, ob das Bundesamt zu Recht den Antrag auf subsidiären Schutz abgelehnt und das Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG verneint hat (vgl. zum Ganzen: Marx, Kommentar zum AsylVfG, 8. Auflage, § 36 Rdnr. 43, 56 f. jew. m. w. N.).
Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffen Bescheids vom 20. April 2016. Das Bundesamt ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft offensichtlich nicht vorliegen. Nicht zu beanstanden ist auch, dass das Bundesamt den Antrag auf subsidiären Schutz abgelehnt und keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG festgestellt hat. Dem Antragsteller droht offensichtlich weder im Hinblick auf die allgemeine Situation in Senegal noch aufgrund besonderer individueller Umstände eine asylerhebliche Bedrohung, Verfolgung oder Gefährdung im Sinne des Art. 16 a Abs. 1 GG sowie der §§ 3 ff. AsylG, § 4 AsylG und § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG.
Zur Begründung wird zur Vermeidung von Wiederholungen zunächst auf die zutreffenden Ausführungen im Bescheid des Bundesamts vom 20. April 2016 verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Zutreffend ist insbesondere auch, dass der Antragsteller die behauptete Gefährdung bei einer Rückkehr in den Senegal nicht glaubhaft gemacht hat. Das Vorbringen des Antragstellers ist in wesentlichen Punkten widersprüchlich und entspricht offensichtlich nicht den Tatsachen (§ 31 Abs. 3 Nr. 1 AsylG).
Die Angaben des Antragstellers, der auf seine Mitwirkungspflichten und insbesondere auf seine Pflicht zu wahrheitsgemäßen Angaben hingewiesen wurde, weisen mehrere Ungereimtheiten auf. Widersprüchlich sind bereits seine Ausführungen zu seiner Ausreise aus dem Senegal und den Aufenthalten in verschiedenen Ländern. So hat er in dem persönlichen Gespräch zur Bestimmung des für das Asylverfahren zuständigen Mitgliedstaats am 22. Dezember 2014 angegeben, er habe sich seit dem Verlassen des Senegal (im Dezember 2002) in Mauretanien fünf Jahre, in Marokko sieben Jahre und in Spanien einen Tag aufgehalten. Auch bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt am 11. März 2016 hat er sich zunächst so ähnlich (allerdings mit einem dreimonatigem Aufenthalt in Spanien) geäußert, um im weiteren Verlauf der Anhörung zu behaupten, er sei im Dezember 2012 mit einem homosexuellen Freund der Familie von Marokko in den Senegal gereist und habe das Land erst nach dem angeblichen Zwischenfall in der Diskothek fluchtartig verlassen, um nach Marokko zurückzukehren. Nicht nachvollziehbar sind v.a. die Angaben zum behaupteten fluchtauslösenden Ereignis. Die Behauptungen, in der vorwiegend von Homosexuellen besuchten illegalen Diskothek, deren Eigentümer nichts von der sexuellen Orientierung seiner Gäste gewusst habe, würden die Personalien der Besucher registriert werden, mit Hilfe dieser Besucherverzeichnisse könne die Polizei mutmaßliche Homosexuelle und damit auch ihn identifizieren, und deshalb werde er bei einer Rückkehr in den Senegal getötet werden, wirken derart lebensfremd und konstruiert, dass sie schlechterdings nicht geglaubt werden können. Im Allgemeinen kennt der Betreiber eines Szenelokals die Neigungen seiner Gäste sehr gut, und in illegalen Etablissements findet noch weniger als in legalen Lokalen eine (generelle) Registrierung der Besucher statt; es deutet nichts darauf hin, dass dies im Senegal anders wäre. Hinzu kommt, dass der Antragsteller nach seinen Angaben im Senegal nie Probleme mit der Polizei, der Justiz oder Behörden hatte und der behauptete Überfall auf die Gäste der Diskothek „von anderen Menschen“ verübt wurde, während es sich nach der Klagebegründung um einen gewaltsamen Übergriff der Sicherheitskräfte gehandelt haben soll. Stark übertrieben ist auch die Behauptung, im Senegal würden Homosexuelle von der Polizei getötet werden.
Das Offensichtlichkeitsurteil des Bundesamts ist daher gemäß § 29 a AsylG und gemäß § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylG gerechtfertigt. Nach alldem war der Antrag mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
III.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Herrn Rechtsanwalt … war abgesehen davon, dass der Antragsteller keine Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorgelegt hat, bereits mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO) abzulehnen.
Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar. Der Ausschluss der Beschwerde gemäß dieser Vorschrift gilt auch für Beschlüsse im Verfahren der Prozesskostenhilfe (ThürOVG, B. v. 28.10.2014 – 3 ZO 647/14 – juris Rn. 4; SächsOVG, B. v. 6.6.2014 – A 5 D 44/14 – juris Rn. 2; OVG NW, B. v. 9.5.2014 – 13 E 523/14.A – juris; BayVGH, B. v. 17.8.2007 – 25 C 07.30405 – juris Rn. 1; BayVGH, B. v. 5.7.2007 – 23 C 07.30334 – juris Rn. 1 f.; BayVGH, B. v. 22.5.2007 – 11 C 07.30204 – juris Rn. 1 f.).

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