Aktenzeichen 10 ZB 17.2121
BayVwVfG Art. 37 Abs. 1
Leitsatz
1. Eine Behörde ist zwar auch in einem laufenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren grundsätzlich befugt, die fehlende Bestimmtheit eines Verwaltungsaktes durch geeignete Erklärungen herzustellen (ebenso u.a. BVerwG BeckRS 2006, 589); allerdings muss sie mit ihrem Nachbesserungsversuch der Grundkonzeption des Bescheides gerecht werden und darf nicht neue Widersprüche herbeiführen. (Rn. 5 – 7) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Dauer eines Betretungsverbots von sechs Stunden vor bis sechs Stunden nach einem Fußballspiel dürfte jedenfalls bei sog. Hochrisikospielen nicht unverhältnismäßig sein. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
Au 1 K 17.1260 2017-09-19 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000‚- Euro festgesetzt.
Gründe
Der Kläger wendet sich mit seiner Anfechtungsklage gegen ein von der Beklagten mit Bescheid vom 7. August 2017 unter Anordnung des Sofortvollzugs befristet bis 31. Dezember 2017 verhängtes Betretungs- und Aufenthaltsverbot für Teile des Stadtgebiets Augsburg im Zusammenhang mit Fußballwettkämpfen des FC Augsburg (Bundesliga- und Regionalliga-Mannschaft) im R-stadion und im Stadion an der B. U. Straße (WWK-Arena).
Das Verwaltungsgericht Augsburg hat der Anfechtungsklage mit Urteil vom 19. September 2017 stattgegeben und mit Beschluss vom gleichen Tag (Au 1 S. 17.1261) die aufschiebende Wirkung der Klage wieder hergestellt. Der Bescheid verstoße gegen das Gebot hinreichender Bestimmtheit nach Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG, weil einige der im Tenor namentlich bezeichneten Plätze und Straßen nicht mit den zwei zur Verdeutlichung beigefügten, einen Bestandteil des Bescheids bildenden farbig markierten Plänen übereinstimmten und so der Bereich des Verbots nicht eindeutig festgelegt sei. Darüber hinaus sei das gegen den Kläger, der der gewaltbereiten Ultra-Szene des FC Augsburg angehöre und mit einem bundesweiten, bis 29. April 2019 geltenden Stadionverbot belegt sei, verhängte Betretungsverbot zwar grundsätzlich zu Recht auf Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 und 3 LStVG gestützt worden, verstoße aber hinsichtlich seines räumlichen und zeitlichen Umfangs gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Insbesondere die zeitliche Dauer des Betretungsverbots – sechs Stunden vor Anpfiff bis sechs Stunden nach Abpfiff des jeweiligen Spiels – könne wohl nicht mehr als erforderlich angesehen werden. Außerdem enthalte der Bescheid keine Ausnahmeregelung für den Fall, dass der Kläger, der in unmittelbarer Nähe zu Teilen des vom Verbot erfassten Gebiets wohne, dieses aus wichtigem Grund an einem Spieltag betreten wolle.
Der zulässige Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg. Der alleine geltend gemachte Zulassungsgrund ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt nicht vor. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestünden nur dann‚ wenn die Beklagte einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt hätte (vgl. BVerfG‚ B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16; B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11). Dies ist jedoch nicht der Fall.
Die Beklagte begründet ihren Antrag auf Zulassung der Berufung damit, dass die gewalttätigen Vorfälle vom 15. Oktober 2017 vor und nach dem von mehr als 20.000 Zuschauern besuchten Regionalligaspiel zwischen der 2. Mannschaft des FC Augsburg und 1860 München die Richtigkeit des Aufenthaltsverbots beweisen würden. Ausweislich eines vorgelegten Fotos sei der Kläger „wieder vorne mit dabei“ gewesen. Dieses Spiel zeige auch, dass manche Fangruppen bereits sechs Stunden vor Spielbeginn anreisten und es damit schon am Vormittag zu Auseinandersetzungen kommen könne. Der „ursprünglich in Anlage des Bescheides befindliche Plan“ sei „zugegebenermaßen etwas unscharf“, ohne damit jedoch gegen den Bestimmtheitsgrundsatz zu verstoßen; jedenfalls werde er „vorsorglich“ durch einen dem Begründungsschreiben anliegenden detailgenauen Plan ersetzt, um die im Bescheid sorgfältig aufgelisteten Straßennamen nochmals zusätzlich zu veranschaulichen. Der nachgereichte Plan werde – mit Wirkung ex tunc – Inhalt des Bescheids vom 7. August 2017 und damit zugleich Gegenstand der Anfechtungsklage. Das Mittel eines „Klarstellungsbescheides“ zur Behebung des Mangels ausreichender Bestimmtheit des ursprünglichen Verwaltungsakts auch während eines anhängigen Rechtsstreits sei von der Rechtsprechung gebilligt worden.
Mit diesem Vorgehen gelingt es der Beklagten jedoch nicht, ernstliche Zweifel an der das angefochtene Urteil maßgeblich tragenden Begründung, der Bescheid vom 7. August 2017 verstoße gegen den Bestimmtheitsgrundsatz, aufzuzeigen. Zwar ist der Beklagten darin zuzustimmen, dass eine Behörde auch im laufenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren grundsätzlich befugt ist, die fehlende Bestimmtheit eines Verwaltungsakts nachträglich durch geeignete Erklärungen herzustellen (BVerwG, U.v. 14.12.1990 – 1 C 5.90 – juris Rn. 26; U.v. 20.4.2005 – 4 C 18. 03 – juris Rn. 54; B.v. 21.6.2006 – 4 B 32.06 – juris). Allerdings ist es im vorliegenden Fall der Beklagten nicht gelungen, durch Beifügung eines neuen Plans – anstelle der zwei urspünglichen Pläne – dem Bestimmtheitsgrundsatz gerecht zu werden. Die im angefochtenen Urteil (UA S. 11) vom Verwaltungsgericht beispielhaft genannten Unklarheiten hinsichtlich des räumlichen Geltungsbereichs des Aufenthaltsverbots hinsichtlich der Straßen „Alter Postweg“ und „S. Straße“ sind zwar ausgeräumt worden; ebenso ist der zum (neuen) Inhalt des Bescheid gemachte Plan in einem wesentlich benutzerfreundlicherem Maßstab dargestellt und insbesondere mit lesbaren Straßennamen sowie mit eindeutig (farblich) markierten Flächen versehen.
Allerdings hat die Beklagte bei ihrem Versuch einer Nachbesserung übersehen, dass nach der Grundkonzeption des Bescheids zwei unterschiedlich abgegrenzte, sich teilweise überschneidende Bereiche des Betretungs- und Aufenthaltsverbots für das Stadtgebiet Augsburg verfügt worden waren, und zwar abhängig davon, in welchem der beiden Stadien (…stadion oder WWK-Arena) das jeweils Anlass für die Sicherheitsbedenken gebende Fußballspiel stattfindet. Dieser Konzeption trägt der Bescheid in Ziffer 1. seines Tenors dadurch Rechnung, dass er die maßgeblichen Verbotsbereiche bei Fußballspielen des FC Augsburg einerseits im Stadion an der B. U. Straße (Zi. 1. a), andererseits im …stadion (Zi. 1. b) in unterschiedlicher Weise verbal durch Benennung der betroffenen Straßen und Plätze umschreibt; dementsprechend enthält der streitgegenständliche Bescheid in seinem Betreff den Hinweis auf „2 Pläne“ als Anlagen. Demgegenüber beweist die Äußerung der Beklagten, der neue Plan ersetze den ursprünglich dem Bescheid als Anlage beigefügten „Plan“ (vgl. Zulassungsbegründung v. 3.11.2017, S. 3, 4, jew. 2. Abs.), schon durch die Verwendung des Singulars, dass die Beklagte – im Rahmen ihres Nachbesserungsversuchs im Zulassungsverfahren – zu Unrecht von einem einheitlichen und unabhängig vom jeweiligen Spielort verhängten Betretungsverbot ausging.
Zu Recht weist die Bevollmächtigte des Klägers darauf hin, dass nach dem nunmehr gültigen einheitlichen Plan nicht erkennbar wird, welcher Bereich des Stadtgebiets bei einem Fußballspiel in einem der beiden Stadien als Verbotszone festgelegt worden sei und daher vom Kläger nicht mehr betreten werden dürfe. Der neue Plan läßt nur den Schluss zu, es sei ein unabhängig vom Spielort bestehendes (einheitliches) „Verbotsgebiet“ festgelegt worden. Dieser Widerspruch zwischen der textlichen (tenorierten) und der zeichnerischen Darstellung ist nicht auflösbar und führt dazu, dass der Bescheid auch in seiner während des Zulassungsverfahrens geänderten Fassung nicht dem Bestimmtheitsgebot des Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG (vgl. UA S. 9, 10) entspricht. Weitergehend ist noch festzustellen, dass nunmehr im neuen Plan die zeichnerisch dargestellten Verbotszonen erstmals um den Siedlungsbereich südlich der Lokalbahntrasse bis hin zum Oberbürgermeister-Müller-Ring und außerdem um die K. Straße erweitert wurden, ohne dass diese neu erfassten Straßen und Wege in den Tenor des angefochtenen Bescheids aufgenommen wurden.
Ohne dass es für den Erfolg des Zulassungsantrags noch darauf ankäme, sei darauf verwiesen, dass sich die Beklagte in ihrer Zulassungsbegründung nicht mit dem zusätzlich vom Verwaltungsgericht gerügten Fehlen einer Ausnahme- oder Härtefallregelung (vgl. UA S.14) auseinandersetzt. Die Schaffung einer Möglichkeit, aus einem wichtigen Grund von dem Betretungs- und Aufenthaltsverbot einen Dispens zu erhalten, erscheint umso wichtiger, je weitgehender das Verbot in zeitlicher und räumlicher Hinsicht – im vorliegenden Fall liegt die Wohnung des Klägers zudem in unmittelbarer Nähe zu Teilen der Verbotszone – ausgestaltet ist.
Erweist sich aber die maßgebliche Begründung des Verwaltungsgerichts für die Aufhebung des angefochtenen Bescheids als tragfähig, bedarf es keiner weiteren Untersuchung der Frage, ob die zusätzliche Begründung des Urteils, das Aufenthalts- und Betretungsverbot sei im Hinblick auf seine zeitliche und räumliche Ausdehnung zu weitgehend und damit unverhältnismäßig, ernstlichen Zweifel unterliegt. Das Betretungsverbot schon sechs Stunden vor Spielbeginn beginnen und erst sechs Stunden nach Spielschluss enden zu lassen, dürfte jedenfalls bei den sog. Hochrisikospielen, wie dies u.a. Begegnungen zwischen dem FC Augsburg und 1860 München darstellen, für deren Besuch Tausende Fans aus der nahe gelegenen Landeshauptstadt ohne Mühe zeitig anreisen und erst lange nach Abpfiff wieder abreisen, nicht unverhältnismäßig sein.
Abschließend weist der Senat ausdrücklich darauf hin, dass er – in Übereinstimmung mit dem Verwaltungsgericht – davon ausgeht, dass im vorliegenden Fall der Tatbestand des Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 und 3 LStVG in der Person des Klägers erfüllt ist, der der Gruppe der gewaltbereiten „Fans“ zuzurechnen ist und von dem trotz der laufenden dreijährigen Bewährungszeit (vgl. Verurteilung durch das AG Augsburg mit Urteil v. 24.5.2017 zu einer dreimonatigen Bewährungsstrafe wegen Beleidigung von Polizeibeamten) weiterhin die Gefahr ausgeht, dass er an den Spieltagen des FC Augsburg durch sein Verhalten die öffentliche Sicherheit und Ordnung beeinträchtigt. Es wird damit in erster Linie vom Kläger selbst abhängen, ob in nächster Zeit erneut entsprechende, dann ausreichend bestimmte Maßnahmen ergriffen werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, 3 sowie § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 35.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).