Aktenzeichen Au 1 K 17.1260
BayVwVfG Art. 37 Abs. 1
Leitsatz
1. Ein Betretungs- und Aufenhaltsverbot ist mangels hinreichender Bestimmtheit materiell rechtswidrig, wenn die Beschreibung seines Geltungsbereichs im Tenor des Bescheides nicht eindeutig und teilweise widersprüchlich ist und die als Bestandteil des Bescheides beigefügten Pläne teilweise nicht lesbar sind, die Abgrenzungen farbig markierter Flächen teilweise nicht klar erkennen lassen und ihre Markierungen teilweise der Beschreibung im Tenor widersprechen. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es ist zweifelhaft, ob ein Betretungs- und Aufenthaltsverbot in räumlicher und zeitlicher Hinsicht erforderlich und damit verhältnismäßig ist, wenn es weite Teile des Stadtgebiets umfasst, von sechs Stunden vor bis sechs Stunden nach einem Fußballspiel dauert und keine Ausnahme- oder Härtefallregelungen enthält. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Bescheid der Beklagten vom 7. August 2017 wird aufgehoben.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid der Beklagten ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).
1. Rechtsgrundlage für die mit Bescheid vom 7. August 2017 ausgesprochenen Betretungs- und Aufenthaltsverbote ist Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 3 LStVG.
a) Der Bescheid ist formell rechtmäßig. Die Beklagte war für den Erlass des Betretungs- und Aufenthaltsverbots sachlich und örtlich zuständig (Art. 3 Abs. 1 Nr. 1 BayVwVfG, Art. 6 LStVG). Der Kläger wurde ordnungsgemäß angehört (Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG). Mit Schreiben vom 26. Juli 2017 setzte die Beklagte den Kläger davon in Kenntnis, dass sie beabsichtige, ein Betretungs- und Aufenthaltsverbot für Teile des Stadtgebiets in … bei sämtlichen in … stattfindenden Fußballspielen unter Beteiligen des … und, befristet bis zum 31. Dezember 2017, auszusprechen. Ihm wurden die wesentlichen Gesichtspunkte hierfür mitgeteilt und Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Auch wenn die im Schreiben gewählte Formulierung möglicherweise missverständlich war und auf den ersten Anschein den Eindruck erweckte, dass sich der Kläger nur zu der Frage äußern sollte, ob wichtige und unaufschiebbare Maßnahmen der Entscheidung entgegenstehen, war doch für den Kläger erkennbar, welchen Inhalt der beabsichtigte Verwaltungsakt haben soll. Ein ausdrücklicher Hinweis, dass sich der Kläger zu allen Tatsachen und zur beabsichtigten Entscheidung äußern kann, ist nicht zwingend erforderlich (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 18. Auflage 2017, § 28 Rn. 20). Zudem erhielt der Kläger im Klageverfahren ausreichend Gelegenheit zur Äußerung (Art. 45 Abs. 1 Nr. 3 BayVwVfG).
b) Der Bescheid ist jedoch wegen fehlender hinreichender Bestimmtheit materiell rechtswidrig (Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG).
Hinreichende Bestimmtheit eines Verwaltungsakts bedeutet, dass der Inhalt der getroffenen Regelung, die sich aus dem Entscheidungssatz – ggf. im Zusammenhang mit der Begründung – sowie den sonstigen bekannten oder ohne weiteres erkennbaren Umständen ergibt, für die Beteiligten so vollständig, klar, verständlich und widerspruchsfrei sein muss, dass diese ihr Verhalten danach richten können und dass auch die mit dem Vollzug befassten Behörden oder Organe den Inhalt etwaigen Vollstreckungsmaßnahmen oder sonstigen weiteren Entscheidungen zugrunde legen können. Unklarheiten und Mehrdeutigkeiten gehen zu Lasten der Behörde (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 18. Auflage 2017, § 37 Rn. 5; BVerwGE 104, 301). Es ist nicht erforderlich, dass sich der Inhalt des Verwaltungsakts allein aus dem Tenor ergibt, sich also die Bestimmtheit nur nach diesem bemisst. Vielmehr ist auch die dem Verwaltungsakt beigefügte Begründung zur Auslegung des Regelungsgehalts heranzuziehen. Zulässig sind auch Bezugnahmen auf allgemein zugängliche oder dem Bescheid beigefügte Pläne oder Unterlagen. Enthält ein Bescheid einander widersprechende Regelungen, so dass auch durch Auslegung nicht feststellbar ist, was nun gelten soll, so fehlt es an der erforderlichen Bestimmtheit. Besonders dann, wenn der Verwaltungskat einen vollstreckbaren Inhalt hat, muss er so genau bestimmt sein, dass er Grundlage für eine Zwangsvollstreckungsmaßnahme sein kann (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 18. Auflage 2017, § 37 Rn. 12). An diesen Voraussetzungen fehlt es jedoch.
Der streitgegenständliche Bescheid listet in Ziffer 1 des Tenors Gebiete und Flächen auf, die sich aus einer Vielzahl von einzeln aufgezählten Plätzen, Straßen und Bereichen ergeben, in denen das Betretungs- und Aufenthaltsverbot gelten soll. Zusätzlich wurden dem Bescheid zwei farbig markierte Pläne beigefügt, die zum Bestandteil des Bescheides erklärt wurden. Aus der im Tenor aufgelisteten Aufzählung ist für den Adressaten des Bescheids aber nicht erkennbar, auf welche Bereiche bzw. Abschnitte der benannten Straßen sich das Betretungs- und Aufenthaltsverbot erstreckt bzw. wo es endet; einzelne Regelungen sind widersprüchlich. So sind Beschreibungen wie „Parkhauszufahrt“, „Platz und Verbindungs Weg der …“, „…Str. einschl. der anliegenden Gehwege und Zufahrten zum Stadiongelände“, „Straßenbahntrassen und Haltestellenbereiche auf und an den bezeichneten Straßen“, „Gehweg ohne Namen …“ nicht präzise genug, um für sich genommen den Geltungsbereich des Betretungs- und Aufenthaltsverbots eindeutig zu bezeichnen. Beispielsweise ist unklar, welcher Bereich des …weg vom Verbot umfasst ist („…weg ab …-Str.; unbenannte Straße von …weg in Verlängerung der …-Str. zur …-Str“), da es sich bei der …-Straße um eine Ring Straße handelt, deren beiden Einmündungen in die Straße „…weg“ ca. 500 mentfernt sind. Auch die zur Verdeutlichung beigefügten Pläne sind nicht geeignet, den Bereich des Verbots eindeutig festzulegen. Zum einen wurde der Ausdruck der Pläne so gestaltet, dass weder einzelne Straßen lesbar noch die Abgrenzungen der farbig markierten Flächen eindeutig erkennbar sind. Zudem sind die Pläne widersprüchlich, da sich der farbig markierte Bereich auf Straßen bezieht, die in der Auflistung nicht genannt wurden. Auch hier ist beispielsweise wieder die Regelung für die Straße „…weg“ zu nennen, der im Tenor des Bescheid offensichtlich nur für einen bestimmten Bereich von der Regelung umfasst sein soll, in dem zum Bestandteil des Bescheids erklärten Plan jedoch in voller Länge erfasst ist. Als weiteres Beispiel kann die Regelung hinsichtlich der „…straße“ angeführt werden. So sind im Bescheid die „…-Allee und …str. einschließlich der dazwischen liegenden Grünflächen“ genannt, während in dem beigefügten Plan nur die „…-Allee“ rot markiert ist, die „…straße“ und die genannten Grünflächen hingegen nicht. Für den Kläger ist daher nicht erkennbar, auf welchem Straßenabschnitt er sich aufhalten darf oder nicht. Die hinreichende Bestimmtheit der vom Betretungs- und Aufenthaltsverbot betroffenen Bereiche ist hier insbesondere auch deshalb von wesentlicher Bedeutung, weil im Falle eines Verstoßes auf Grund der Zwangsgeldandrohung in Ziffer 3 des Bescheids sofort ein Zwangsgeld i.H.v. 150 € zur Zahlung fällig würde. Eine hinreichende Bestimmtheit des Bescheids ergibt sich auch nicht aus dessen weiterer Begründung, denn in dieser wird der genaue räumliche Umgriff des Betretungs- und Aufenthaltsverbots nicht weiter präzisiert oder erläutert.
Der Bescheid ist somit wegen fehlender hinreichender Bestimmtheit nach Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG materiell rechtswidrig. Er verletzt den Kläger in seiner allgemeinen Handlungsfreiheit gem. Art. 2 Abs. 1 GG und war daher aufzuheben.
2. Nur ergänzend, ohne dass es noch entscheidungserheblich darauf ankommt, weist das Gericht darauf hin, dass im vorliegenden Fall auf Grund der durchgeführten Beweisaufnahme zwar davon auszugehen ist, dass das mit Bescheid vom 7. August 2017 ausgesprochene Betretungs- und Aufenthaltsverbote auf Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 3 LStVG gestützt werden konnte, weil die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Norm gegeben sind. Es bestehen aber unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit erhebliche Bedenken hinsichtlich seines räumlichen und zeitlichen Umfangs.
a) Nach Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 3 LStVG kann die Sicherheitsbehörde Betretungsverbote gegen einzelne Personen aussprechen, um rechtswidrige Taten zu verhüten, die den Tatbestand eines Strafgesetzes oder einer Ordnungswidrigkeit verwirklichen (Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 LStVG) oder um Gefahren abzuwehren oder Störungen zu beseitigen, die Leben, Gesundheit oder die Freiheit von Menschen oder Sachwerte, deren Erhaltung im öffentlichen Interesse geboten erscheint, bedrohen oder verletzen (Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG). Ob die Voraussetzungen für den Erlass eines Betretungs- und Aufenthaltsverbots vorliegen, beurteilt sich nach den Verhältnissen und dem möglichen Erkenntnisstand zum Zeitpunkt des Erlasses der Maßnahme. Das erkennende Gericht hat keine ernstlichen Zweifel daran, dass der Kläger von der Beklagten zu Recht der Gruppe der gewaltbereiten Fans zugeordnet wird, von denen an den Spieltagen des … Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, insbesondere Aggressionshandlungen und Provokationen, zu befürchten sind. Die Rechtsprechung stellt im Zusammenhang mit der Frage, wann gegen ein Mitglied einer zur Gewalt neigenden Fangruppierung ein Aufenthalts- und Betretungsverbot erlassen werden kann, keine allzu strengen Anforderungen. Es wird nicht verlangt, dass dem Betroffenen im Einzelnen eine konkrete Tatbegehung nachgewiesen werden kann; selbst der Nachweis der Zugehörigkeit zum Kernbereich der gewalttätigen Fanszene wird nicht als erforderlich erachtet (vgl. VG Freiburg, U.v. 15. April 2016 – 4 K 143/15 – juris Rn. 41 m.w.N.). Die Beklagte stützt ihre Einschätzung u.a. auf konkrete Erkenntnisse der Polizei über den Kläger, seine Zugehörigkeit zur gewaltbereiten Fußballszene, die Aufnahme des Klägers in die Datei „Gewalttäter Sport“ und den Umstand, dass gegen ihn am 17. März 2017 ein bis zum 29. April 2019 wirksames bundesweites Stadionverbot verhängt wurde. Aus diesen Tatsachen konnte die Beklagte im Wege einer Prognoseentscheidung von einer auch in Zukunft zu erwartenden Auffälligkeit des Klägers ausgehen. Ob der Kläger wegen der gegen ihn eingeleiteten Ermittlungsverfahren strafrechtlich verurteilt worden ist, spielt für die Beurteilung der von ihm ausgehenden Gefahren für die öffentliche Sicherheit keine durchgreifende Rolle (BayVGH, B.v. 8.5.2009 – 10 CS 1087 – juris). Im Falle des Klägers wird die Gefahrenprognose nicht zuletzt durch das Urteil des Amtsgerichts … vom 24. Mai 2017 (…) gestützt, mit dem der Kläger wegen Beleidigung von Polizeibeamten zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten auf Bewährung verurteilt wurde. Das Amtsgericht hielt es im Rahmen der Bewährungsentscheidung für geboten, dem Kläger u.a. für die Dauer von einem Jahr zu verbieten, bei Fußballveranstaltungen sämtlicher Mannschaften Hallen oder Stadien zu betreten, bei Heimspielen des … sich bis zu zwei Stunden vor, während und bis zwei Stunden nach Beendigung des Spiels in einem Umfeld von 2 km zu dem jeweiligen Austragungsort aufzuhalten und bei Auswärtsspielen des … das jeweilige Gemeindegebiet des Austragungsorts am Tag des Spiels zwischen 00:00 Uhr und 24:00 Uhr zu betreten.
b) Das Gericht hält jedoch das ausgesprochene Verbot sowohl in zeitlicher als auch in räumlicher Hinsicht für zu weitgehend und somit für nicht verhältnismäßig (vgl. Art. 8 LStVG). Das Verbot stellt einen nicht unerheblichen Eingriff in die Rechte des Klägers dar. Es umfasst weite Teile des Stadtgebiets, die zum Teil in unmittelbarere Nähe seines eigenen Wohnorts liegen. Die Einschätzung der Beklagten, es handle sich um einen vergleichsweise geringen Eingriff in die Handlungsfreiheit des Klägers, teilt das Gericht angesichts der Geltungsdauer des Verbots von insgesamt rund vierzehn Stunden (sechs Stunden vor bis sechs Stunden nach dem Spiel) nicht. Dieser zeitliche Umfang des Betretungs- und Aufenthaltsverbots ist zwar geeignet, das legitime Ziel, nämlich Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu verhindern, zu erreichen. Es ist jedoch zweifelhaft, ob dieser sehr weite zeitliche Rahmen erforderlich ist. Insbesondere ist nicht zu erwarten, dass beispielsweise die Fans aller Gastmannschaften des … bereits sechs Stunden vor Spielbeginn anreisen, sich auch während der Spielzeit in der Innenstadt aufhalten und erst sechs Stunden nach Spielende wieder abreisen. Auch ist zu bedenken, dass in der Rechtsprechung in der Regel ein Zeitraum von bis zu 3 Stunden vor und nach dem Spiel als angemessen erachtet wird (vgl. z.B. VG Ansbach, B.v. 11.9.2012 – AN 5 S. 12.01535 – juris; VG Freiburg, U.v. 15.4.2016 – 4 K 143/15 – juris; VG Aachen, B.v. 26.4.2013 – 6 L 170/13 – juris). Der streitgegenständliche Bescheid enthält zudem keine Ausnahme- oder Härtefallregelung, so dass selbst in den Fällen, in denen der Kläger aus wichtigem Grund den Bereich des Aufenthalts- und Betretungsverbots aufsuchen muss, das in Ziffer 2 des Bescheids angedrohte Zwangsgeld fällig wird.
3. Da der Bescheid – wie unter 1. ausgeführt – rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten (Art. 2 Abs. 1 GG) verletzt, war der Bescheid aufzuheben. Der Kostenausspruch ergibt sich aus § 154 VwGO, die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.