Aktenzeichen 10 C 16.2176
Leitsatz
Die Beschwerde gegen eine Ablehnung der Prozesskostenhilfe bleibt erfolglos, da die Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. Die Androhung bzw. Anordnung der Abschiebung nach Afghanistan aus der Haft ohne Setzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise nach § 59 Abs. 5 S. 1 iVm § 58 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG ohne individuelle Prüfung der Überwachungsbedürftigkeit der Ausreise ist mit Art. 7 Abs. 4 Richtlinie 2008/115/EG vereinbar, wenn wie hier die Haft als Folge der Begehung einer strafbaren Handlung verhängt worden ist. (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
Au 6 K 16.557 2016-09-30 Bes VGAUGSBURG VG Augsburg
Tenor
I.
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
Mit seiner Beschwerde verfolgt der Kläger seinen in erster Instanz erfolglosen Antrag weiter, ihm für seine Klage gegen den Bescheid des Beklagten vom 29. März 2016 Prozesskostenhilfe zu bewilligen und seine Prozessbevollmächtigte beizuordnen.
Mit diesem Bescheid hat der Beklagte die Abschiebung des Klägers aus der Haft heraus nach Afghanistan angeordnet (Nr. 1) und für den Fall, dass die Abschiebung aus der Haft heraus nicht möglich ist, mit einer Ausreisefrist von längstens einer Woche nach Haftentlassung die Abschiebung angedroht (Nr. 2). Die Wirkungen der Abschiebung wurden auf fünf Jahre nach Ausreise befristet (Nr. 3).
Die zulässige Beschwerde gegen den (ablehnenden) Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 30. September 2016 ist unbegründet. Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO liegen nicht vor. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Sowohl die Anordnung der Abschiebung aus der Haft nach Afghanistan als auch die Androhung der Abschiebung nach Afghanistan für den Fall, dass keine freiwillige Ausreise innerhalb der Ausreisefrist erfolgt, sind voraussichtlich rechtmäßig.
Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger aufgrund des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 17. November 2010 vollziehbar ausreisepflichtig ist. Die Aufenthaltsgestattung des Klägers ist nach § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AsylG mit der Bestandskraft des Bescheides vom 17. November 2010 erloschen. Die Ausreisepflicht folgt aus § 50 Abs. 1 AufenthG. Sie ist gemäß § 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG vollziehbar.
Es liegen keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG oder Gründe für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 2 AufenthG vor. Entgegen der Auffassung des Klägers ist auch die Anordnung bzw. Androhung einer Abschiebung nach Afghanistan zulässig (§ 59 Abs. 3 Satz 2 AufenthG). Insbesondere steht seiner Abschiebung nach Afghanistan nicht die Rechtskraft des Urteils des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 18. April 2012 (Au 6 K 11.30299) entgegen. Mit diesem Urteil war das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge verpflichtet worden, festzustellen, dass beim Kläger die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Afghanistans vorliegen. Daraufhin erließ das Bundesamt den Bescheid vom 5. Juni 2012, in dem die entsprechende Feststellung getroffen wurde. Diesen Bescheid nahm das Bundesamt jedoch mit Bescheid vom 11. Juli 2014 zurück, weil die Feststellung des Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG fehlerhaft gewesen sei (§ 73c Abs. 1 AsylG). Im Urteil des Landgerichts Kempten vom 5. Februar 2013 sei festgestellt worden, dass beim Kläger keinerlei objektive Anhaltspunkte vorlägen, die auf eine Krankheit, insbesondere eine psychische Störung oder auch eine Hirnschädigung, hinwiesen. Gegenüber dem Gutachter habe der Kläger zugestanden, dass er die psychischen Auffälligkeiten im Rahmen seines Abschiebungsverfahrens nur vorgebracht habe, um einer Abschiebung zu entgehen. Dies sei auch dadurch bestätigt worden, dass er sich im Rahmen des Abschiebungsverfahrens kurzfristig habe ins Bezirkskrankenhaus einweisen lassen, sich nach wenigen Tagen aber wieder selbst entlassen habe. Die Klage des Klägers gegen den Rücknahmebescheid vom 11. Juli 2014 blieb erfolglos (Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 5. Februar 2015 im Verfahren Au 6 K 14.30440).
Auf die im Beschwerdeverfahren aufgeworfene Frage, ob die Rücknahme des mit Bescheid vom 5. Juni 2012 festgestellten Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG durch den Bescheid vom 11. Juli 2014 wegen der entgegenstehenden Rechtskraft des Urteils des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 18. April 2012 rechtmäßig war, kommt es nicht an. Denn die Rücknahmeentscheidung des Bundesamtes vom 11. Juli 2014 ist ebenfalls rechtskräftig. Damit steht rechtskräftig fest, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bezüglich Afghanistan nicht besteht. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 18. April 2012 ist durch den Bescheid des Bundesamtes vom 5. Juni 2012 umgesetzt worden. Die gerichtliche Entscheidung über die vom Kläger erhobene Klage auf Verpflichtung des Bundesamtes zur Feststellung der Voraussetzung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bezieht sich zwar nicht nur auf die begehrte Rechtsfolge (den Erlass des Verwaltungsaktes), sondern auch auf die Feststellung, dass die Voraussetzungen der gesetzlichen Anspruchsgrundlage vorliegen (Rennert in Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, § 121 Rn. 28). Die Bindungswirkung des rechtskräftigen Verpflichtungsurteil endet aber dann, wenn spätere Änderungen der Sach- oder Rechtslage (hier das vom Landgericht Kempten eingeholte Gutachten) zu einer neuen Entscheidungssituation führen (Clausing in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: Juni 2016, § 121 Rn. 71). Soweit der Kläger meint, die Voraussetzungen für die Rücknahme des Bescheids vom 5. Juni 2012 durch den Bescheid des Bundesamtes vom 11. Juli 2014 hätten nicht vorgelegen (vgl. hierzu allgemein BVerwG, U. v. 9.11.2013 – 10 C 27/12 – juris Rn. 18 ff.), steht dem wiederum das rechtskräftige Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 5. Februar 2015 entgegen, mit dem die Klage auf Aufhebung des Rücknahmebescheides abgewiesen wurde. Das Gericht hat in den Urteilsgründen ausdrücklich festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Rücknahme des Bescheides vom 5. Juni 2012 vorlagen. Die nunmehr im Beschwerdeverfahren bezüglich der Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine Klage gegen die Abschiebungsanordnung bzw. -androhung vorgebrachten Einwände gegen die Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 11. Juli 2014 hätten im diesbezüglichen Klageverfahren (Au 6 K 14.30440) vorgebracht werden müssen.
Bei der im Rahmen des Prozesskostenhilfeantrags gebotenen summarischen Überprüfung der Rechtslage wird voraussichtlich die Klage gegen Nr. 1 des Bescheides, mit der die Abschiebung des Klägers aus der Haft heraus angeordnet wurde, auch insoweit ohne Erfolg bleiben, als ihm keine Möglichkeit zur freiwilligen Ausreise eingeräumt wird. Diesbezüglich stellt sich die Frage, ob die Androhung bzw. Anordnung der Abschiebung aus der Haft ohne Setzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise nach § 59 Abs. 5 Satz 1 i. V. m. § 58 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG ohne individuelle Prüfung der Überwachungsbedürftigkeit der Ausreise mit Art. 7 Abs. 4 der Richtlinie 2008/115/EG vereinbar ist (vgl. VGH BW, B. v. 30.8.2016 – 11 S 1660/16 – juris Rn. 7). Einen Widerspruch zu den Bestimmungen der Richtlinie 2008/115/EG sieht der Senat insoweit nicht (vgl. Kluth in Beck´scher Online-Kommentar AuslR, Stand:
15.8.2016, AufenthG, § 59 Rn. 20 ff.; Hailbronner, AuslR, Stand: Februar 2016, AufenthG, § 59 Rn. 79, wenn wie hier die Haft als Folge der Begehung einer strafbaren Handlung verhängt worden ist; Hocks in Hofmann, AuslR, 2. Aufl. 2016, § 59 Rn. 17). Während nach § 59 Abs. 1 Satz 2 AufenthG nur unter den näher genannten Bedingungen von der Bestimmung einer angemessenen Ausreisefrist abgesehen werden kann, stellt § 59 Abs. 5 AufenthG einen speziellen Fall dar, in dem die Setzung einer Ausreisefrist entbehrlich ist, weil im Falle der Abschiebung aus der Haft ohnehin keine freiwillige Ausreise möglich ist (Funke/Kaiser in Gemeinschaftskommentar zum AufenthG, Stand: August 2016, § 59 Rn. 141).
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) eine streitwertunabhängige Gebühr anfällt.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).