Verwaltungsrecht

Bewilligung von Prozesskostenhilfe für Klage gegen Ablehnung der Aufhebung eines Rückforderungsbescheids im Rahmen eines Zugunstenverfahrens nach § 44 SGB X

Aktenzeichen  12 C 16.2076

Datum:
9.1.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
ASR – 2017, 72
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
SGB X SGB X § 35 Abs. 1 S. 3, § 44 Abs. 1, § 45 Abs. 1
BAföG BAföG § 2 Abs. 1
VwGO VwGO § 166 Abs. 1
ZPO ZPO § 114 Abs. 1, § 121, § 127 Abs. 4

 

Leitsatz

1 § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X findet auf Fallkonstellationen, in der eine bewilligte und erbrachte Sozialleistung durch einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid wieder entzogen und zurückgefordert worden ist, entsprechende Anwendung (wie BSG BeckRS 1998, 30007354). (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Sind die tatbestandlichen Voraussetzungen eines (vertraglichen oder gesetzlichen) Anspruchs in missbilligenswerter Weise begründet worden, kann hierin eine unzulässige Rechtsausübung liegen, die gegen den auch im öffentlichen Recht Anwendung findenden Grundsatz von Treu und Glauben verstößt (vgl. BVerwG BeckRS 2012, 60766). (red. LS Clemens Kurzidem)
3 Legt eine Auszubildende gegen einen Rückforderungsbescheid keine Rechtsmittel ein und erwächst dieser in Bestandskraft, liegt in der späteren Einleitung eines Zugunstenverfahrens nach § 44 SGB X kein Rechtsmissbrauch. Vielmehr sieht das Korrekturprogramm des § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X die Aufhebung eines rechtwidrigen Verwaltungsakts gerade auch nach dessen Unanfechtbarkeit vor. (red. LS Clemens Kurzidem)
4 Eine Pflicht zur Rücknahme eines unter Verstoß gegen Vertrauensschutzvorschriften ergangenen Aufhebungs- und Rückforderungsbescheids nach § 44 SGB X besteht nicht nur dann, wenn zugleich ein (Rechts-)Anspruch auf die Sozialleistung selbst bestanden hat (vgl. BSG BeckRS 9998, 83842). Vielmehr bilden die Vertrauensschutzvorschriften einen eigenständigen, materiellen Rechtsgrund für das Behaltendürfen einer Leistung, sodass die Rücknahmevoraussetzungen (einschließlich der Ermessensbetätigung durch die Behörde) umfassend zu prüfen sind. (red. LS Clemens Kurzidem)
5 Nimmt das Verwaltungsgericht bei seiner Entscheidung über einen Prozesskostenhilfeantrag eine erforderliche Beweiswürdigung unzulässig vorweg, verletzt es damit zugleich den verfassungsmäßig garantierten Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 GG; § 108 VwGO) und die Rechtsschutzgleichheit von Bemittelten und Unbemittelten. Zugleich liegt im Unterlassen oder Verhindern einer sachlich möglichen und nach den Umständen des Einzelfalls für die Klärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts auch notwendigen Sachaufklärung eine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht, was grundsätzlich einen wesentlichen Verfahrensmangel im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 5 und § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO darstellt. (red. LS Clemens Kurzidem)

Verfahrensgang

M 15 K 15.5110 2016-08-23 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I.
Der Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 23. August 2016 wird aufgehoben.
II.
Der Klägerin wird für das Klageverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt Schaller, Eimsbütteler Str. 16, 22769 Hamburg, unter der Maßgabe beigeordnet, dass Kosten, die bei Beauftragung eines am Sitz des Verwaltungsgerichts München ansässigen Rechtsanwalts nicht entstanden wären, nicht erstattungsfähig sind.

Gründe

I.Die Klägerin begehrt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Anwaltsbeiordnung für ein Klageverfahren vor dem Verwaltungsgericht München, in dem sie die Aufhebung des Bescheides des Beklagten vom 14. Oktober 2015 erstrebt, mit welchem ihr Antrag vom 10. Juli 2015 auf Rücknahme des Bescheides vom 11. April 2013 gemäß § 44 SGB X abgelehnt wurde sowie die Verpflichtung des Beklagten, den Bescheid vom 11. April 2013 zurückzunehmen. Das Verwaltungsgericht hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe mit Beschluss vom 23. August 2016 mangels hinreichender Erfolgsaussichten der Klage abgelehnt. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin.
II. 1. Die zulässige Beschwerde (§ 146 Abs. 1, § 147 VwGO) ist auch begründet. Das Verwaltungsgericht hat der Verpflichtungsklage der Klägerin zu Unrecht keine hinreichende Aussicht auf Erfolg beigemessen (§ 166 VwGO, § 114 ZPO). Dafür genügt eine gewisse, nicht notwendig überwiegende Wahrscheinlichkeit (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, § 166 Rn. 8 m. w. N.).
1.2 Nach summarischer Prüfung erscheint es als überwiegend wahrscheinlich, dass der Klägerin ein Anspruch nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X auf Zurücknahme des Bescheids vom 11. April 2013 über die Rückforderung von BAföG Leistungen zusteht. Nach dieser Vorschrift ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X findet auf die hier vorliegende Fallkonstellation, in der eine bewilligte und erbrachte Sozialleistung durch einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid wieder entzogen und zurückgefordert worden ist, entsprechende Anwendung (vgl. BSG, U.v. 28.5.1997 – 14/10 RKg 25/95 -, SozR 3-1300 § 44 Nr. 21, SozR 3 – 5870 § 20 Nr. 5 -, juris; BSG, U.v. 4.2.1998 – B 9 V 16/96 R -, SozR 3 – 1300 § 44 Nr. 24 -, juris; Siewert/Waschull, in: Diering/Timme, SGB X, 4. Aufl. 2016, § 44 Rn. 23).
1.3 Das Verwaltungsgericht geht in seiner Entscheidung zunächst auch zutreffend von der grundsätzlichen Anwendbarkeit des § 44 SGB X aus. Die Auffassung der Kammer, der Geltendmachung des Anspruchs aus § 44 SGB X stünde der Einwand der missbräuchlichen und damit unzulässigen Rechtsausübung entgegen, erweist sich indes als ist nicht tragfähig, wie der Klägerbevollmächtigte vollkommen zu Recht rügt.
1.4 Der Grundsatz von Treu und Glauben gilt als allgemeiner Rechtsgedanke auch im Verwaltungsrecht. Er wird aus § 242 BGB abgeleitet, der über seinen Wortlaut hinaus das allgemeine Gebot der Beachtung von Treu und Glauben im rechtlichen Verkehr als allgemeinen Maßstab enthält, unter dem das gesamte private und öffentliche Recht steht (BVerwG, U.v. 11.10.2012 – 5 C 22/11 – BVerwGE 144, 313 – 326). Die Konkretisierung dieses Grundsatzes erfolgt durch Typisierung anhand von Fallgruppen (BVerwG, U.v. 23.11.1993 – BVerwG 1 C 21.92 – BVerwGE 94, 294 ff.). Im öffentlichen Recht spielt vornehmlich die unzulässige Ausübung von Rechten eine Rolle, die bei Vorliegen einer atypischen Situation gegeben ist, die die Geltendmachung eines an sich vorgesehenen Rechtes als missbräuchlich erscheinen lässt. Dabei ist für den Rechtsmissbrauch die Herbeiführung eines grob unbilligen Ergebnisses typisch (BVerwG v. 11.10.2012, a. a. O.; v. 23.11.1993, a. a. O.). Insbesondere kann eine unzulässige Rechtsausübung dann gegeben sein, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen eines (vertraglichen oder gesetzlichen) Anspruchs in missbilligenswerter Weise begründet worden sind (BVerwG, v. 11.10.2012, a. a. O.).
1.5 Zutreffend weist der Klägerbevollmächtigte darauf hin, dass entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts eine unzulässige Rechtsausübung nicht darin liegt, dass die Klägerin den Rückforderungsbescheid vom 11. April 2013 hat bestandskräftig werden lassen. Daraus kann der Klägerin kein Vorwurf gemacht werden, da § 44 SGB X gerade voraussetzt, dass der Verwaltungsakt unanfechtbar geworden ist. Mit der Formulierung „auch“ in § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X soll vielmehr zum Ausdruck gebracht werden, dass das Korrekturprogramm des § 44 SGB X im Fall der Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts ungeachtet seiner Unanfechtbarkeit greift (Schütze, SGB X, 8. Aufl. 2014, § 44 Rn. 3).
1.6 Nicht haltbar ist des Weiteren die vom Klägerbevollmächtigten zu Recht gerügte Auffassung des Verwaltungsgerichts, eine unzulässige Rechtsausübung läge darin, dass die Klägerin kurz vor Erlass des Rückforderungsbescheids vom 11. April 2013 anlässlich einer persönlichen Vorsprache beim Beklagten ihr Einverständnis mit der Rückzahlung erklärt habe, an dem sie sich nunmehr festhalten lassen müsse. Falls das Verwaltungsgericht damit der Klägerin ein Rechtsschutzbedürfnis absprechen wollte, weil in der Erklärung der Klägerin ein Nachgeben oder ein Verzicht zu sehen sei, so ist dem entgegenzuhalten, dass die Gerichte auch bei widersprüchlichem Verhalten besondere Zurückhaltung üben müssen, weil stets eine Vielzahl möglicher Gründe denkbar sind, die einen Kläger zur Änderung seines Verhaltens bewogen haben können, aber von der Rechtsordnung gleichwohl hinzunehmen sind (vgl. Rennert in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, vor § 40 bis 53 Rn. 22). Damit steht zugleich fest, dass in einer derartigen Erklärung nicht bereits ein Klageverzicht gesehen werden kann, der ohnehin erst nach Ergehen des belastenden Verwaltungsakts gegenüber dem Gericht oder dem Gegner einseitig erklärt oder mit ihm vereinbart werden könnte (Rennert in Eyermann, a. a. O., Rn. 24).
1.7 Erweist sich demnach schon der Antrag nach § 44 Abs. 1 SGB X nicht als treuwidrig, so kann, wovon das Verwaltungsgericht ebenfalls zu Unrecht ausgeht, auch nicht dahinstehen, ob der Beklagte im Rahmen der Rückforderungsentscheidung vom 11. April 2013 das ihm zustehende Ermessen erkannt und entsprechend dieser Erkenntnis hiervon Gebrauch gemacht hat.
Nach § 45 Abs. 1 SGB X darf ein begünstigender Verwaltungsakt nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden. Die Behörde muss also selbst bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen den Bescheid nicht aufheben, vielmehr steht die Rücknahme in ihrem Ermessen (BSG, U.v. 16.1.1986 – 4b/9a RV 9/85 -, SozR 1300 § 44 Nr. 22 m. w. N.). Dem Rückforderungsbescheid vom 11. April 2013 lässt sich jedoch in keinster Weise entnehmen, ob sich der Beklagte bei Erlass des Bescheides überhaupt bewusst war, dass er im Rahmen der Anwendung von § 45 SGB X die Ausübung pflichtgemäßen Ermessens in seine Erwägungen einzubeziehen hatte. Zutreffend weist der Klägerbevollmächtigte darauf hin, dass der Bescheid lediglich die Aussage enthält, dass für die Zeit von 07/2011 bis 09/2011 Ausbildungsförderung nicht bewilligt wird und für diesen Zeitraum keine Auszahlung erfolgt. Die Zahlung habe der Klägerin nicht zugestanden, da sie in diesen Monaten nicht studiert habe.
Diese Formulierung erweckt vielmehr im Gegenteil den Eindruck, dass der Beklagte offenbar davon ausgegangen ist, zur Rücknahme verpflichtet zu sein und ihm deshalb ein Ermessen überhaupt nicht eingeräumt sei. Jedenfalls genügt die Begründung nicht den Anforderungen des § 35 Abs. 1 Satz 3 SGB X, wonach in einem Verwaltungsakt, der Ermessen auszuüben hat, die wesentlichen Gesichtspunkte mitgeteilt werden müssen, von denen die Verwaltungsbehörde beim Gebrauch des Ermessens hätte ausgehen müssen und ausgehen dürfen (vgl. BSG, U.v. 16.1.1986, a. a. O.; BSG v. 27.6.1967 – 1 RA 381/65 – BSGE 37, 34, 38 f. = SozR Nr. 3 zu § 1236). Bereits die mangelnde Angabe der für die Ausübung des Ermessens maßgebenden Umstände führt zur Rechtswidrigkeit und damit zur Aufhebbarkeit eines belastenden Verwaltungsakts (vgl. BSG, U.v. 16.1.1986, a. a. O.; BSG, U.v. 23.10.1985 – 9 a RV 1/84 -, juris). Ungeachtet dessen enthält der Bescheid auch keinerlei Vertrauensschutzerwägungen nach § 45 Abs. 2 SGB X. Der Gesetzgeber hat bestimmte Konstellationen anerkannt, in denen der Begünstigte aus Vertrauensschutzgesichtspunkten eine rechtswidrig erlangte Leistung gleichwohl behalten darf; er hat dadurch zugleich zum Ausdruck gebracht, dass er die Einräumung des Vertrauensschutzes bei Sachverhalten, die nicht dem Risiko- und Verantwortungsbereich des Begünstigten zuzurechnen sind, als ein Gebot materieller Gerechtigkeit ansieht (BSG, U.v. 28.5.1997 – 14/10 RKg 25/95 – SozR 3-1300 § 44 Nr. 21 – juris, Rn. 21).
Eine Pflicht zur Rücknahme eines unter Verstoß gegen Vertrauensschutzvorschriften ergangenen Aufhebungs- und Rückforderungsbescheids nach § 44 SGB X besteht mithin nicht nur dann, wenn zugleich auch ein (Rechts-)Anspruch auf die Sozialleistung selbst bestanden hat (BSG, U.v. 28.5.1997 – 14/10 RKg 25/95 – SozR 3-1300 § 44 Nr. 21 – juris, Rn. 21). Vielmehr bilden die Vertrauensschutzvorschriften einen eigenständigen, materiellen Rechtsgrund für das Behaltendürfen einer Leistung, so dass die Rücknahmevoraussetzungen (einschließlich der Ermessensbetätigung durch die Behörde) umfassend zu prüfen sind (BSG, U. v. 28.5.1997 – 14/10 RKg 25/95 – juris, Rn. 21). Ein allgemeiner Rechtssatz des Inhalts, dass § 44 SGB X unabhängig von seiner unmittelbaren oder entsprechenden Anwendung stets nur in jenen Fällen eine Korrektur rechtswidriger Verwaltungsakte ermöglichen würde, in denen die Behörde dem Betroffenen die Sozialleistung nach den materiellen Vorschriften des Leistungsgesetzes auch tatsächlich zu gewähren hätte, lässt sich weder der Vorschrift selbst noch der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts entnehmen (so ausdrücklich BSG, U. v. 28.5.1997 – 14/10 RKg 25/95 – juris, Rn. 22). Demzufolge vermag bereits alleine eine fehlende Ermessensausübung im Rücknahmebescheid die Anwendung von § 44 SGB X zu rechtfertigen (vgl. BSG, U. v. 28.5.1997 – 14/10 RKg 25/95 – juris, Rn. 21 u. 23 m. w. N.; siehe auch Siewert/Waschull, in: Diering/Timme, SGB X, 4. Aufl. 2016, § 44 Rn. 24).
1.8 Der Beklagte kann die fehlenden Ermessenserwägungen auch nicht nach Maßgabe des § 114 Satz 2 VwGO im Rahmen des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachholen. Nach dieser Vorschrift kann eine Behörde ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsakts im verwaltungsgerichtlichen Verfahren lediglich „ergänzen“. Aus dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift folgt demnach, dass eine vollständige Nachholung der die Ermessensentscheidung tragenden Gründe ausgeschlossen ist. § 114 Satz 2 VwGO schafft lediglich die prozessuale Voraussetzung dafür, dass eine Behörde defizitäre Ermessenserwägungen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen kann, nicht hingegen dafür, dass sie ihr Ermessen nachträglich erstmals ausübt (BVerwG, U.v. 5.9.2006 – 1 C 20/05 – NVwZ 2007, 470; U.v. 23.10.2007 – 1 C 10/07 -, NVwZ 2008, 326). Sind – wie hier – Ermessenserwägungen völlig ausgeblieben, so können sie nicht mehr „nachgeschoben“ werden.
1.9 Da vorliegend bereits allein der Rechtsfehler der fehlenden Mitteilung der für die Ausübung des Ermessens maßgebenden Umstände zur Rechtswidrigkeit und damit zur Aufhebung des Rückforderungsbescheids führen muss (vgl. hierzu BSG, U.v. 16.1.1986, a. a. O.), kommt es auf die Frage, ob die zurückgeforderten BAföG-Leistungen materiell zu Unrecht erbracht worden sind, nicht mehr entscheidungserheblich an. Es bleibt jedoch gleichwohl anzumerken, dass die Ausführungen des Verwaltungsgerichts insoweit ebenfalls erheblichen Bedenken begegnen. Die Einschätzung, die Klägerin werde voraussichtlich den Nachweis nicht erbringen können, in der Zeit von Mitte Juni 2011 bis September 2011 ernsthaft an der LMU München Medizin studiert zu haben und damit den Anforderungen des § 2 Abs. 1 Ziff. 6 BAföG für den Bezug von BAföG-Leistungen genügen zu können, stellt nicht nur eine unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung dar; sie erweist sich in einem Prozesskostenhilfeverfahren zugleich auch als eine Verletzung des verfassungsmäßig garantierten Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 GG; § 108 VwGO) und der Rechtsschutzgleichheit von Bemittelten und Unbemittelten. Unterlässt oder verhindert das Gericht eine sachlich mögliche und nach den Umständen des Einzelfalls für die Klärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts auch notwendige weitere Aufklärung, so verletzt es seine Aufklärungspflicht, was grundsätzlich einen wesentlichen Verfahrensmangel im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 5 und § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO darstellt (Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, § 86 Rn. 7). Die Klägerin hat hinreichende Gründe für eine andere Bewertung der Sach- und Rechtslage vorgetragen, die – ohne dass dem hier im Einzelnen weiter nachzugehen wäre – eine andere Beurteilung der Frage des ernsthaften Betreibens des Studiums im fraglichen Zeitraum denkbar und möglich erscheinen lassen und die daher bei der Entscheidung über die Gewährung von Prozesskostenhilfe ebenfalls hätten berücksichtigt werden müssen.
Der Klägerin ist deshalb Prozesskostenhilfe zu bewilligen (§ 166 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 ZPO); sie kann nach ihren Einkommens- und Vermögensverhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen. Sinnvollerweise wird eine Abhilfeentscheidung seitens der Behörde anzustreben sein.
III. Die Entscheidung über die Beiordnung nach Ziff. 2 des Tenors beruht auf § 166 VwGO i. V. m. § 121 Abs. 1 ZPO. Die Erstattungsfähigkeit der Kosten ist in entsprechender Anwendung von § 121 Abs. 3 ZPO auf diejenigen Kosten zu beschränken, die bei der Beiordnung eines am Sitz des Verwaltungsgerichts München oder am Wohnort der Klägerin ansässigen Rechtsanwalts entstanden wären (vgl. Thüringer OVG, B.v. 23.4.2001 – 3 KO 827/98 -, juris m. w. N.).
IV. Einer Kostenentscheidung bedarf es vorliegend nicht, da Gerichtskosten in Angelegenheiten des Bundesausbildungsförderungsgesetzes nach § 188 Satz 2 VwGO nicht erhoben und Kosten in Prozesskostenhilfebeschwerdeverfahren nach § 166 VwGO i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO nicht erstattet werden.
Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen