Aktenzeichen 10 ZB 15.2018
StVO § 41 I iVm Anlage 2 lfd. Nr. 21 Spalte 3 Nr. 2
StVO § 42 II iVm Anlage 3 lfd. Nr. 12 Spalte 3 Nr. 3
StGB § 315b I Nr. 3
PAG Art. 16 S. 1, 25 Nr. 1, 58
VwGO §§ 67 IV, 108, 124 I Nr. 1, 2 u. 5, 155 IV, 166 I 1
ZPO § 114 I 1
BOStrab § 55 I 2
Leitsatz
1 War eine Partei aufgrund ihres Unvermögens, die Kosten des Rechtsstreits aufzubringen, daran gehindert, die Frist des § 124a IV 1 VwGO einzuhalten, so setzt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 I VwGO voraus, dass sie innerhalb der Rechtsbehelfsfrist einen Prozesskostenhilfeantrag gestellt und eine vollständig ausgefüllte Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse mit den erforderlichen Belegen eingereicht hat (Fortführung VGH München BeckRS 2014, 52902 Rn.3). (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Rüge einer fehlerhaften Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts rechtfertigt die Zulassung der Berufung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils nur dann, wenn die gerichtlichen Feststellungen augenscheinlich nicht zutreffen oder wegen gedanklicher Lücken oder Ungereimtheiten ernstlich zweifelhaft sind. Allein die Möglichkeit einer anderen Bewertung der Beweisaufnahme rechtfertigt die Zulassung der Berufung nicht (Fortführung VGH München BeckRS 2016, 43623 Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
3 Wer, obwohl er eine sich nähernde Straßenbahn bemerkt hat, in nur geringer Entfernung von der Straßenbahn auf die Gleise tritt, die Straßenbahn dadurch bewusst zum abrupten Abbremsen zwingt und sein Fahrrad danach auf den Schienen vor sich herschiebt, verstößt gegen die Grundregel des § 1 II StVO und erfüllt ggf. den Tatbestand des § 315b I Nr. 3 StGB. Das gilt auch dann, wenn die Straßenbahn dem Gebot eines Richtzeichens zuwider in der Fußgängerzone zu schnell fährt. (redaktioneller Leitsatz)
4 Bei § 395 ZPO handelt es sich um eine bloße Ordnungsvorschrift, deren Verletzung nicht als Verfahrensmangel anzusehen ist und daher auch die Zulassung der Berufung nach § 124 II Nr. 5 VwGO nicht rechtfertigen kann. (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
5 K 14.694 2015-07-16 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg
Tenor
I.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für einen beabsichtigten Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
III.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
IV.
Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,– Euro festgesetzt.
Gründe
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung vom 7. September 2015 gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Würzburg vom 16. Juli 2015 ist abzulehnen, weil er nicht wirksam gestellt worden ist.
Gemäß § 67 Abs. 4 VwGO müssen sich die Beteiligten vor dem Oberverwaltungsgericht, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Voraussetzung für die Wirksamkeit des Vertretungsverhältnisses ist eine Prozessvollmacht (Czybulka in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 67 Rn. 60 m. w. N.). Bei Beantragung der Zulassung der Berufung am 7. September 2015 durch den im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht von ihm bevollmächtigten Rechtsanwalt hatte der Kläger die ursprünglich erteilte Prozessvollmacht bereits gekündigt. Damit war die ursprünglich vom Kläger am 20. Oktober 2014 unterzeichnete Vollmacht erloschen. Dies ergibt sich aus dem Vorbringen des Klägers in den Schreiben vom 2., 13. und 30. November 2015 und seinem bereits am 7. September 2015 beim Bayerischen Verwaltungsgericht eingereichten Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe, in dem er ausdrücklich betont, dass er Prozesskostenhilfe für ein beabsichtigtes Verfahren auf Zulassung der Berufung beantragt und noch keinen Rechtsanwalt gefunden habe, der zur Vertretung bereit sei.
Fehlt dem als Prozessbevollmächtigten Auftretenden die Vertretungsmacht, führt dies zur Unwirksamkeit der Prozesshandlung des vollmachtlosen Vertreters (Czybulka, a. a. O., Rn. 101). Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist daher abzulehnen.
Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens nach § 154 Abs. 2 VwGO zu tragen, weil er das Auftreten des vollmachtlosen Vertreters und dessen Prozessführung veranlasst hat (vgl. zum Ganzen: Neumann in Sodan/Ziekow, a. a. O., § 154 Rn. 31). Der Kläger hatte ursprünglich seinen Bevollmächtigten zur Prozessführung in allen Instanzen des Verwaltungsrechtsstreits bevollmächtigt. Die schriftliche Vollmachtsurkunde über dieses Mandatsverhältnis liegt dem Senat vor. Eine schriftliche Kündigung dieser Vollmacht ist seitens des Klägers nicht erfolgt. Die vom Kläger dargelegte mündliche Kündigung des Mandatsverhältnisses hat der Bevollmächtigte nicht als solche verstanden, weil sich der Kläger auch nach dem erstinstanzlichen Urteil bei der Abfassung seines Prozesskostenhilfeantrags für das Zulassungsverfahren von ihm hat beraten lassen. Der Prozessbevollmächtigte durfte daher davon ausgehen, dass das Mandatsverhältnis auch noch für das Zulassungsverfahren gelten sollte.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 sowie § 52 Abs. 2 GKG.
II. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ein beabsichtigtes Verfahren auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 16. Juli 2015 bleibt ohne Erfolg, weil die vom Kläger beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Ein Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung wäre voraussichtlich abzulehnen.
Dem Kläger könnte bei Gewährung von Prozesskostenhilfe zwar grundsätzlich Wiedereinsetzung nach § 60 Abs. 1 VwGO in die Rechtsmittelfrist des § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO gewährt werden. Der Betreffende muss für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand innerhalb offener Rechtsmittelfrist alles Erforderliche und ihm Zumutbare getan haben, um das Hindernis auszuräumen, das einer fristgerechten Einlegung des Rechtsbehelfs entgegensteht. Besteht dieses Hindernis im Unvermögen, die Kosten des Rechtsstreits aufzubringen, obliegt es dem Rechtsschutzsuchenden, innerhalb der Rechtsbehelfsfrist einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu stellen und eine vollständig ausgefüllte Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse mit den gegebenenfalls erforderlichen Belegen einzureichen (BayVGH, B. v. 10.6.2014 – 22 ZB 14.99 – juris Rn. 3 m. w. N.; B. v. 15.12.2011 – 12 C 11.1976 – juris Rn. 7 m. w. N.; B. v. 26.9.2013 – 10 ZB 13.1593 – juris Rn. 19). Denn ein Rechtsmittelführer, der innerhalb der Rechtsmittelfrist die Bewilligung von Prozesskostenhilfe formgerecht beantragt hat, ist so lange als ohne Verschulden an der Einlegung des Rechtsmittels verhindert anzusehen, bis sein Antrag abgelehnt ist. Der Kläger hat innerhalb der Frist für den Antrag auf Zulassung der Berufung nach § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO den Prozesskostenhilfeantrag und die nach § 117 Abs. 2 und Abs. 4 ZPO (i. V. m. § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO) erforderliche Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse beim Verwaltungsgericht Würzburg (zur fristwahrenden Antragstellung beim Verwaltungsgericht vgl. OVG Saarland, B. v. 27.7.2015 – 1 A 106/15 – juris Rn. 9) vorgelegt. Allerdings bietet die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils i. S. v. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ergeben sich bei der im Prozesskostenhilfeverfahren gebotenen summarischen Prüfung auch unter Berücksichtigung des umfangreichen Vorbringens des Klägers in den Schreiben vom 5., 7. und 29. September 2015 nicht.
Das Verwaltungsgericht hat seine Entscheidung, mit der es die Fortsetzungsfeststellungsklage des Klägers gegen den Platzverweis (Art. 16 Satz 1 PAG), die Sicherstellung seines Fahrrads (Art. 25 Nr. 1 PAG) und die Anwendung unmittelbaren Zwangs (Art. 58 PAG) abgewiesen hat, neben der Feststellung der Unzulässigkeit der Klage im Wesentlichen damit begründet, dass er einen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr nach § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB begangen habe, weil er am 25. August 2011 mit seinem Fahrrad unvermittelt vor eine Straßenbahn in der Fußgängerzone von W. gelaufen sei und diese deshalb abrupt bis zum Stillstand abbremsen habe müssen. Der Aussage des Klägers, er habe die Straßenbahn nicht bemerkt, hat das Gericht keinen Glauben geschenkt. Der Straßenbahnführer habe keine Pflichtverletzung begangen, weil er mit angemessener Geschwindigkeit gefahren sei und darauf habe vertrauen dürfen, dass der Straßenbahn in der Fußgängerzone der Vorrang eingeräumt werde, weil sie als schienengebundenes Fahrzeug einen längeren Bremsweg habe und nicht ausweichen könne. Zudem habe er eine Ordnungswidrigkeit nach § 49 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 1 Abs. 2 und § 11 Abs. 3 StVO begangen. Erneute Verstöße seien aus der maßgeblichen ex-ante Sicht hinreichend wahrscheinlich.
In der mündlichen Verhandlung hat das Verwaltungsgericht den Straßenbahnführer und die beiden Polizeibeamten, die die streitgegenständlichen Maßnahmen angeordnet haben, als Zeugen vernommen. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hatte dem Kläger mit Beschluss vom 18. Juni 2014 (10 C 12.132) Prozesskostenhilfe gewährt, weil offen sei, ob der Kläger sich verkehrswidrig verhalten habe, in welchem Verhältnis § 1 Abs. 2 StVO zur Regelung des § 41 Abs. 1 StVO i. V. m. Anlage 2 lfd. Nr. 21 Spalte 3 stehe, und ob nicht der Straßenbahnführer seinerseits gegen § 1 Abs. 2 StVO verstoßen habe.
Soweit der Kläger vorbringt, dass das Urteil vom Prozesskostenhilfebeschluss des Senats vom 18. Juni 2014 abweiche, begründet dies keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils. Die Behauptung des Klägers, der Senat habe festgestellt, dass der Straßenbahnführer eine Ordnungswidrigkeit begangen habe, weil er seine Geschwindigkeit nicht an den Fußgängerverkehr angepasst habe, trifft nicht zu. Der Senat hat in seinem Beschluss vom 18. Juni 2014 offen gelassen, ob sich der Straßenbahnführer pflichtwidrig verhalten habe, weil geklärt werde müsse, ob er seine Geschwindigkeit reduziert habe, als er den Kläger mit seinem Fahrrad wahrgenommen habe, oder nur bremsbereit gewesen sei. Insoweit hat der Straßenbahnführer als Zeuge in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht ausgesagt, dass er in die K.-straße mit einer Geschwindigkeit von 10 bis 15 km/h eingebogen sei und der Kläger dann in nur zwei Meter Entfernung abrupt auf die Straßenbahnschienen gewechselt habe, so dass er eine Gefahrenbremsung habe einleiten müssen. Ein Fahren mit Schrittgeschwindigkeit sei praktisch nicht möglich, weil bei einer Geschwindigkeit unter 5km/h eine automatische Bremsung des Straßenbahnzugs eingeleitet werde. Das Verwaltungsgericht hat insoweit festgestellt, dass der Straßenbahnführer mit angemessener Geschwindigkeit gefahren sei, weil er darauf habe vertrauen dürfen, dass Fußgänger der Straßenbahn grundsätzlich Vorrang einräumen werden, weil sie als schienengebundenes Fahrzeug mit langem Bremsweg nicht beliebig ausweichen oder ihre Geschwindigkeit reduzieren könne. Es ist davon ausgegangen, dass selbst dann, wenn der Kläger gegenüber der Straßenbahn bevorrechtigt gewesen sein sollte und die Straßenbahn zu schnell gefahren sein sollte, er jedenfalls nach § 1 Abs. 2 StVO hätte auf sein Vorrecht verzichten müssen, um nicht sich selbst und die Insassen der Straßenbahn zu gefährden. Folglich kommt es nicht entscheidungserheblich darauf an, ob der Straßenbahnführer nur bremsbereit war, oder seine Geschwindigkeit reduziert hat, als er den Kläger auf der linken Seite des Gleisbereichs wahrnahm.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils ergeben sich auch nicht aus der behaupteten Abweichung von den im Schreiben des Klägers vom 5. September 2015 genannten Entscheidungen diverser Gerichte. Diese betreffen einen etwaigen Rechtsanspruch auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung für Lieferverkehr/Anliegerverkehr in einer Fußgängerzone. Vorliegend hat die Stadt W. bereits am 18. Januar 1993 die verkehrsbehördliche Ausnahmegenehmigung und die Sondernutzungserlaubnis für die Benutzung der Fußgängerzone u. a. für den schienengebundenen Linienverkehr unter bestimmten Auflagen erteilt. Diese Genehmigungen sind bestandskräftig, so dass es unerheblich ist, ob die W. Straßenbahn GmbH einen Anspruch auf Erteilung der Ausnahmegenehmigung nach § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 StVO gehabt hätte.
Das Vorbringen des Klägers zur Rechtswidrigkeit der Ausnahmegenehmigung würde die Zulassung der Berufung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts vom 16. Juli 2015 ebenfalls nicht rechtfertigen. Die straßenverkehrsrechtliche Ausnahmegenehmigung vom 18. Januar 1993 ist bestandskräftig. Sie verpflichtet die Straßenbahnführer lediglich, ihre Fahrweise an die jeweilige Verkehrssituation in der Fußgängerzone anzupassen. Ein Pflicht, in der Fußgängerzone nur Schrittgeschwindigkeit zu fahren, besteht aufgrund dieser Ausnahmegenehmigung nicht. Daher ist auch nicht entscheidungserheblich, ob die Auflage in der Ausnahmegenehmigung vom 18. Januar 1993, wonach die Straßenbahn in Fußgängerzone entgegen § 55 Abs. 1 Satz 2 BOStrab nicht mit Schrittgeschwindigkeit, sondern mit einer Geschwindigkeit bis zu 25 km/h fahren darf, rechtmäßig ist. Dasselbe gilt, soweit der Kläger die Ansicht vertritt, dass die Stadt W. für die Erteilung der Ausnahmegenehmigung nicht zuständig war.
Auch kommt es nicht darauf an, ob der Straßenbahnführer eine „Gefahrenbremsung“ durchführen oder die Straßenbahn nur abrupt zum Stillstand bringen musste. Die Pflichtwidrigkeit des klägerischen Verhaltens ergibt sich nach zutreffender Auffassung des Verwaltungsgericht daraus, dass er, obwohl er die sich nähernde Straßenbahn bemerkt hatte, sie durch den plötzlichen Wechsel auf das Gleis der Straßenbahn zum Abbremsen zwang und dadurch sowohl die Straßenbahninsassen als auch sich selbst erheblich gefährdete. Auch bei einer abrupten Bremsung, die keine Gefahrenbremsung ist, besteht die Gefahr, dass im Wageninnern stehende Personen stürzen, weil sie, anders als z. B. beim Anfahren an eine Haltestelle, nicht mit einer plötzlichen Bremsung rechnen. Die Ausführungen und Berechnungen des Klägers zur Geschwindigkeit der Straßenbahn, der Länge des Bremsweges, zur Betätigung der Gefahrenbremse und zum Sandauswurf sind daher für die Frage, ob er durch sein Verhalten den Tatbestand des § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB verwirklicht hat, nicht relevant.
Der abrupte Richtungswechsel des Klägers und das dadurch bedingte starke Bremsen der Straßenbahn sind durch die übereinstimmenden Zeugenaussagen in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht glaubhaft belegt. Die beiden Streifenbeamten sagten aus, dass es so gewirkt habe, dass der Kläger die Straßenbahn gesehen und sich dann auf die Gleise bewegt habe. Es sei ein abrupter Wechsel gewesen. Die Straßenbahn habe in jedem Fall bremsen müssen, weil der Kläger ein Hindernis für die Straßenbahn gewesen sei. Der Straßenbahnführer hat ebenfalls ausgesagt, dass er wegen des abrupten Richtungswechsels des Klägers in nur geringer Entfernung eine Gefahrenbremsung habe einleiten müssen. Das Verwaltungsgericht hat festgestellt, dass das Anfahren des Streifenwagens kein Grund für den Richtungswechsel gewesen sein konnte, weil die Streifenbeamten ihr Fahrzeug erst in Bewegung gesetzt haben, als der Kläger sein Fahrrad vor der Straßenbahn auf den Schienen herschob. Die Polizisten sind laut ihrer Zeugenaussage vielmehr davon ausgegangen, dass der Kläger den Streifenwagen, der sich in ca. 50 Meter Entfernung von seinem Standort befand, gar nicht bemerkt hatte.
Die Einwendungen des Klägers gegen die Würdigung der Zeugenaussagen durch das Gericht begründen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils. Das Gericht trifft seine Entscheidung grundsätzlich nach freier‚ aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnener Überzeugung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Es würdigt den Prozessstoff auf seinen Aussage- und Beweiswert für die Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen nur nach der ihm innewohnenden Überzeugungskraft. Trotz des besonderen Charakters der Beweiswürdigung, der dem Gericht einen Wertungsrahmen eröffnet, ist das Gericht allerdings nicht gänzlich frei. Die richterliche Überzeugung muss auf rational nachvollziehbaren Gründen beruhen, d. h. sie muss insbesondere die Denkgesetze, die Naturgesetze sowie zwingende Erfahrungssätze beachten. Wird eine fehlerhafte Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts gerügt, kommt eine Zulassung der Berufung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils nur in Betracht, wenn die gerichtlichen Feststellungen augenscheinlich nicht zutreffen oder wegen gedanklicher Lücken oder Ungereimtheiten ernstlich zweifelhaft sind. Allein die Möglichkeit einer anderen Bewertung der Beweisaufnahme rechtfertigt die Zulassung der Berufung nicht (BayVGH, B. v. 10.2.2016 – 10 ZB 14.2577 – juris Rn. 8). Der in der mündlichen Verhandlung vernommene Straßenbahnführer hat zur maßgeblichen Frage, ob der Kläger die Straßenbahn bemerkt habe und dennoch unvermittelt auf die Straßenbahnschienen gewechselt sei, ausgesagt, dass der Kläger abrupt von der linken Seite auf die Gleise, die die Straßenbahn befuhr, gewechselt sei. Er habe eine Gefahrenbremsung durchführen müssen, da sich der Kläger nur in ca. 2 Meter Abstand vom Straßenbahnzug befunden habe. Da er nur ca. 10 bis 15 km/h schnell gefahren sei, sei bei der Gefahrenbremsung kaum Sand ausgeworfen worden. Die beiden Polizeibeamten haben ausgesagt, dass der Kläger, der zunächst mit seinem Fahrrad auf der rechten Seiten der Straßenbahnschienen entlang lief, dann, als die Straßenbahn in die J.-promenade einbog, eine abrupte Richtungsänderung vornahm, vor der Straßenbahn herlief und auf die Klingelzeichen des Straßenbahnführers nicht reagiert habe. Sie seien dann von ihrem Standort zum Kläger hingefahren. Der Streifenwagen, der weiter vorne geparkt gewesen sei, sei kein Grund für den Richtungswechsel gewesen.
Die aufgrund dieser Zeugenaussagen gewonnene Überzeugung des Gerichts, der Kläger habe den plötzlichen Richtungswechsel auf die Straßenbahngleise absichtlich vorgenommen, um die Straßenbahn zum Abbremsen zu zwingen und sie daran zu hindern, schneller als Schrittgeschwindigkeit im Bereich der Fußgängerzone zu fahren, ist aufgrund dieser Aussagen schlüssig und nachvollziehbar. Der Aussage des Klägers, er habe die Straßenbahn nicht bemerkt, hat das Gericht keinen Glauben geschenkt. Die Begründung, die das Gericht hierfür gegeben hat, ist nachvollziehbar und weist keine gedanklichen Ungereimtheiten auf. Das Verwaltungsgericht verweist insoweit darauf, dass vom Haupteingang des Kaufhauses W., an dem sich der Kläger befand, die Haltestelle J.-promenade, an der die Straßenbahn angehalten hatte, bevor sie in die K.-straße einbog, einsehbar ist, dass dem Kläger die Verengung auf der K.-straße bekannt war, dass der Kläger, auch nachdem sich die Straßenbahn durch Klingeln bemerkbar gemacht hat, weiter auf den Straßenbahngleisen verblieben ist, dass es vor allem in der Vergangenheit schon zu zahlreichen Situationen gekommen war, in denen der Kläger in der Fußgängerzone plötzlich unvermittelt vor eine Straßenbahn getreten sei und dass der Streifenwagen mindestens 50 Meter entfernt war und daher kein Grund für den plötzlichen Richtungswechsel sein konnte. Die Formulierung des Verwaltungsgerichts „Zudem erscheint fraglich, ob beim Abbiegen auf das Gleis in einem 90°-Winkel nicht zumindest aus den Augenwinkeln eine nur wenige Meter entfernte Straßenbahn bemerkt worden sein müsste“ ist nur ein Aspekt unter vielen bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Aussage des Klägers, er habe bei seinem Gleiswechsel die Straßenbahn nicht bemerkt. Auf die Einwände des Klägers zur Geschwindigkeit der Straßenbahn und zur verbleibenden Restbreite neben der Bauzaunverengung kommt es nicht an.
Es begegnet im Hinblick auf § 108 Satz 1 VwGO auch keinen rechtlichen Bedenken, dass das Gericht die Angaben der beiden Polizisten für glaubhaft hielt. Beide haben übereinstimmend ausgesagt, dass sie vom Standort des Streifenwagens aus die K.-straße in Richtung J.-promenade überblicken konnten. Auch wenn die Entfernungsangaben der Polizisten nicht exakt der tatsächlichen Entfernung zum Tatgeschehen entsprochen haben sollten, begründet dies noch keine Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugen. Entscheidend ist, dass sie von ihrem Standort aus den Vorfall beobachten konnten. Anhaltspunkte dafür, dass die Zeugen Angaben zum Richtungswechsel des Klägers gemacht haben, obwohl sie von ihrem Standort diesen nicht wahrnehmen hätten können, ergeben sich aus den Aussagen nicht. Denn hätten die Polizisten den Kläger und sein Fahrrad an ihrem Standort nicht deutlich erkennen können, hätten sie auch keinen Anlass gehabt, sich mit dem Streifenwagen von dort aus an den Ort des Vorfalls zu begeben. Aus dem Vorbringen des Klägers ergibt sich auch nicht, dass die Sachverhaltsdarstellung des Zeugen K. in seiner Stellungnahme vom 29. September 2011 seine Glaubwürdigkeit im verwaltungsgerichtlichen Verfahren hätte erschüttern sollen. Er hat sich darin lediglich zu den Vorwürfen des Klägers, dass sein Fahrrad nicht hätte sichergestellt werden dürfen, geäußert. Ob die Sicherstellung rechtmäßig war, hatte jedoch erst das Verwaltungsgericht unter Berücksichtigung der Beweisaufnahme in der mündlichen Verhandlung vom 16. Juli 2015 und der Angaben des Klägers zu entscheiden. Die Auffassung des Klägers, das Fahrrad hätte nicht sichergestellt werden dürfen, berührt die Glaubwürdigkeit des Zeugen daher nicht.
Soweit der Kläger meint, das Gericht hätte der Aussage des Straßenbahnführers keinen Glauben schenken dürfen, weil er behauptete, eine Gefahrenbremsung durchgeführt zu haben, aber kein Sand auf den Schienen sichtbar gewesen sei, und die beiden Polizisten ausgesagt hätten, dass sie keine Gefahrenbremsung bemerkt hätten, legt er damit keine Lücken oder Ungereimtheiten in der Beweisführung dar. Den gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr sieht das Verwaltungsgericht darin, dass der Straßenbahnführer die Straßenbahn infolge des pflichtwidrigen Verhaltens des Klägers unvermittelt zum Stillstand abbremsen musste. Dass er eine sog. Gefahrenbremsung durchführen musste, ist nicht Voraussetzung für die Verwirklichung des Tatbestands des § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB. Das gleiche gilt bezüglich der Behauptung des Klägers, der Straßenbahnführer sei als Zeuge nicht glaubwürdig, weil er ausgesagt habe, der Kläger habe sich der Straßenbahn von hinten links genähert, was vom tatsächlichen Ablauf her nicht möglich gewesen sei. Eine solche Aussage hat der Zeuge aber ausweislich des Protokolls nicht getroffen. Er hat lediglich ausgesagt, dass der Kläger von links auf seine Schienen gewechselt sei. Bei dieser Version ist der Zeuge auch geblieben, nachdem der Kläger ihn nochmals ausdrücklich befragt hatte. Er hat auch nicht behauptet, dass er den Kläger nicht wahrgenommen habe, sondern nur ausgeführt, dass dieser unerwartet einen abrupten Richtungswechsel vorgenommen habe.
Die in den Entscheidungsgründen erwähnten früheren Vorfälle des Klägers mit Straßenbahnen in der Fußgängerzone wertete das Gericht zu Recht als Indiz für ein zielgerichtetes Verhalten des Klägers am 25. August 2011. Das Gericht ist der Auffassung, dass die gehäuft auftretenden Fälle, in denen eine Straßenbahn in der Fußgängerzone wegen des Klägers abbremsen musste, nicht darauf beruhten, dass er aus Unachtsamkeit zufällig immer dann auf die Gleise trat, wenn sich eine Straßenbahn näherte. Eine Aussage dahingehend, dass er auch in diesen Fällen eine Straftat nach § 315b StGB begangen hatte, ist damit nicht getroffen, so dass sich der diesbezügliche Vortrag des Klägers zur Unschuldsvermutung auch aus diesem Grund als nicht entscheidungserheblich erweist. Auch kommt es nicht darauf an, ob er in dem von ihm genannten strafrechtlichen Verfahren wegen Schuldunfähigkeit freigesprochen wurde, weil eine Gefahr i. S. d. Art. 16 Satz 1 PAG bereits dann vorliegt, wenn die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass der objektive Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht wird (Berner/Köhler/Käß, PAG, 20. Aufl. 2010, Art. 11 Rn. 23). Mit der Erwähnung der früheren Vorfälle in den Urteilsgründen erläutert das Gericht seine Überzeugung, dass es die Aussage des Klägers, er habe die Straßenbahn nicht bemerkt, nicht für glaubwürdig hält, weil er auch in der Vergangenheit durch verschiedene Aktionen versucht hatte, Straßenbahnen gezielt zur Einhaltung der Schrittgeschwindigkeit in der Fußgängerzone zu zwingen. Der Kläger will offensichtlich nicht wahrhaben, dass er selbst dann, wenn die Straßenbahn in der Fußgängerzone nur Schrittgeschwindigkeit fahren dürfte, nicht im Wege der „Selbstjustiz“ die Straßenbahnführer zur Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit „nötigen“ darf.
Soweit der Kläger vorbringt, es sei definitiv falsch, dass er darauf bestanden habe, auf den Schienen stehen zu bleiben – wovon das Verwaltungsgericht ausgegangen sei -, begründet dies keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils. Es ist zwar richtig, dass das Verwaltungsgericht aufgrund der Zeugenaussagen angenommen hat, der Kläger habe sich nach dem Abbremsen der Straßenbahn geweigert, die Schienen frei zu machen, und daher eine vorsätzliche Ordnungswidrigkeit nach § 49 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 1 Abs. 2 und § 11 Abs. 3 StVO begangen. Von der Verwirklichung des genannten Ordnungswidrigkeitentatbestands geht das Verwaltungsgericht deshalb aus, weil der Kläger nach dem Abbremsvorgang der Straßenbahn auf den Schienen weiter gegangen ist und auch gegenüber den Polizisten darauf bestanden hat, dass er hierzu berechtigt sei, weil die Straßenbahn in der Fußgängerzone nur Schrittgeschwindigkeit fahren dürfe. Mit einem „Stehenbleiben“ hat dies nichts zu tun. Zudem war die Störung, die durch den Platzverweis unterbunden werden sollte, bereits durch die Verwirklichung des Tatbestands des § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB eingetreten, so dass es darüber hinaus nicht mehr entscheidungserheblich darauf ankommt, ob der Kläger durch den weiteren Verbleib auf den Schienen auch noch einen Ordnungswidrigkeitentatbestand erfüllt hat.
Auch mit seinen Ausführungen zur Sicherstellung des Fahrrads zieht der Kläger die Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht ernsthaft in Zweifel. Der Zeuge K. hat ausgesagt, dass es nach der Sicherstellung des Fahrrads des Klägers im Jahr 2008 zunächst zu keinen weiteren Vorfällen mehr gekommen sei. Bei den in der Klageerwiderung des Beklagten vom 24. November 2014 angeführten Vorgängen hatte der Kläger sein Fahrrad teilweise gezielt eingesetzt, um die Straßenbahn zum Abbremsen zu zwingen. Bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der Sicherstellung am 25. August 2011 ging das Verwaltungsgericht daher aufgrund der Aussage des Zeugen K. davon aus, dass die Sicherstellung des Fahrrads im Jahr 2008 den Kläger damals von weiteren Aktionen, bei denen er Straßenbahnen in der Fußgängerzone zum plötzlichen Anhalten bzw. Fahren mit Schrittgeschwindigkeit zwingen wollte, abgehalten hatte. Ob das Verhalten des Klägers im Jahr 2008 strafbar und die Sicherstellung damals rechtmäßig war, ist für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der Sicherstellung am 25. August 2011 unerheblich. Die Ausführungen des Klägers zu den „Bordsteinen/Gehwegen“ gehen an der Sache vorbei, da das Verwaltungsgericht in den Entscheidungsgründen darstellt, dass es mit diesem Begriffspaar den Bereich seitlich der Gleise in der Fußgängerzone meint.
Die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts, dass der Kläger die Straßenbahn jedenfalls nicht habe gezielt zum Abbremsen zwingen dürfen, da er nicht aus „Rechthaberei“ auf seinem Vorrang habe beharren dürfen, begegnet entgegen den zahlreichen Einwendungen des Klägers keinen rechtlichen Bedenken. § 1 Abs. 2 StVO stellt eine Grundregel für das Verhalten im Verkehr auf, die dem Umstand geschuldet ist, dass sich die Verhaltensformen im Straßenverkehr nicht vollständig „durchnormieren“ lassen (König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl. 2015, StVO, § 1 Rn. 8). Spezialvorschriften gehen nur dann vor, wenn sie dieselben Folgen vorsehen wie § 1 Abs. 2 StVO (a. a. O. Rn. 48). § 41 Abs. 1 StVO i. V. m. Anlage 2 lfd. Nr. 21 Spalte 3 Nr. 2 zu § 41 Abs. 1 StVO a. F. normiert Verhaltenspflichten für Fahrzeugführer in Fußgängerzonen. Demgegenüber möchte § 1 Abs. 2 StVO den Eintritt eines Erfolges verhindern, nämlich eine Gefährdung, Schädigung oder vermeidliche Behinderung oder Belästigung (Bender in Münchner Kommentar, Straßenverkehrsrecht, 2016, StVO, § 1 Rn. 2). Bezogen auf das Verhältnis von Straßenbahnverkehr auf straßenbündigen Bahnkörpern in Fußgängerzonen bedeutet dies, dass grundsätzlich Fußgänger durch die Straßenbahn nicht gefährdet oder behindert werden dürfen. Besteht aber die Gefahr, dass die Fußgänger selbst oder andere Verkehrsteilnehmer geschädigt werden, verlangt § 1 Abs. 2 StVO, dass Fußgänger auch in einer Fußgängerzone auf den Straßenbahnverkehr Rücksicht nehmen müssen und nicht auf ihr (Vor-)Recht pochen und im Wege der Selbstjustiz die Straßenbahn zur (vermeintlich) zulässigen Höchstgeschwindigkeit durch eine „Blockadeaktion“ zwingen dürfen.
Soweit das Verwaltungsgericht zur Untermauerung seiner Rechtsauffassung, dass auch in Fußgängerzonen der Fußgänger nicht uneingeschränkten Vorrang genießt, zusätzlich § 2 Abs. 3 StVO heranzieht, rechtfertigt dies nicht die Zulassung der Berufung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils. Aus der vom Kläger unter Nr. 28 des Schreibens vom 5. September 2015 angeführten Kommentarstelle (König in Hentschel/König/Dauer, a.a.O, StVO, § 2 Rn. 30) ergibt sich nichts anderes. Die Aussage, dass besondere Verhaltensvorschriften für Fußgänger dem Wesen eines Gehbereichs widersprächen, bezieht sich auf Fußgängerzonen, in denen – anders als im vorliegenden Fall – kein anderer Verkehr zugelassen ist.
2. Anhaltspunkte dafür, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) hätte, sind nicht erkennbar.
Das Verwaltungsgericht hat zur Rücksichtnahmepflicht des Fußgängers gegenüber einer (zu schnell fahrenden) Straßenbahn in einer Fußgängerzone ausgeführt, dass der Kläger die Straßenbahn jedenfalls nicht habe gezielt zum Abbremsen zwingen dürfen, da er nicht aus „Rechthaberei“ auf seinem Vorrang habe beharren dürfen. Dies ergebe sich aus § 1 Abs. 2, § 11 Abs. 3 und § 2 Abs. 3 StVO. Die allgemeine Regelung des 1 Abs. 2 StVO werde nicht durch § 41 Abs. 1 StVO a. F. in Verbindung mit Anlage 2 lfd. Nr. 21 Spalte 3 verdrängt (offen gelassen im Beschluss des Senats vom 18. Juni 2014).
Das Verhältnis von § 1 Abs. 2 StVO zu § 41 Abs. 1 StVO i. V. m. Anlage 2 lfd. Nr. 21 Spalte 3 Nr. 2 zu § 41 Abs. 1 StVO a. F. ist in einer Fallkonstellation, wie sie vorliegend gegeben ist, nicht grundsätzlich klärungsbedürftig, weil für die Frage, ob ein gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr nach § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB vorliegt, nicht entscheidungserheblich ist, ob Straßenbahnen in Fußgängerzonen wegen des Vorrangs des Fußgängerverkehr generell nur Schrittgeschwindigkeit fahren dürfen. Denn der Kläger ist – wie das Verwaltungsgericht aufgrund der Würdigung der Zeugenaussagen in nicht zu beanstandender Weise festgestellt hat – in nur geringer Entfernung vor der sich nähernden Straßenbahn auf die Gleise getreten, obwohl er sie bemerkt hatte, und hat die Straßenbahn dadurch bewusst gezwungen, abrupt bis zum Stillstand abzubremsen. Danach hat er sein Fahrrad auf Schienen vor sich hergeschoben. Ein solches Verhalten wäre in keinem Fall straßenverkehrsrechtlich zulässig. Denn selbst wenn die Straßenbahn entgegen des Gebots des Richtzeichens in der Fußgängerzone zu schnell gefahren sein sollte, darf der jeweilige Fußgänger nicht seinen grundsätzlichen Vorrang im Wege der „Selbstjustiz“ durchzusetzen und dadurch sich und andere erheblich gefährden. Ein derartiges Verhalten ist vielmehr als rechtsmissbräuchlich und als Verstoß gegen die Grundregel des § 1 Abs. 2 StVO zu werten.
Aus der Vorschrift des § 42 Abs. 2 StVO in Verbindung mit Anlage 3 lfd. Nr. 12 Spalte 3 Nr. 3 zu § 42 Abs. 2 StVO ergibt sich nichts anderes, da sie einen anderen Sachverhalt regelt. Während eine Fußgängerzone eine Verkehrsfläche ist, die andere Verkehrsteilnehmer als Fußgänger grundsätzlich nicht benutzen dürfen, dient ein verkehrsberuhigter Bereich Fußgängern und dem Fahrverkehr in gleicher Weise, so dass mittels des Richtzeichens gegenseitige Rücksichtnahmepflichten angeordnet werden. Werden andere Verkehrsteilnehmer als Fußgänger ausnahmsweise in einer Fußgängerzone zugelassen, hat der Verordnungsgeber den grundsätzlichen Vorrang der Fußgänger vorgesehen.
Ob § 11 Abs. 3 StVO im vorliegenden Fall daneben überhaupt eine Bedeutung zukommt, weil diese Regelung inhaltlich auf atypische Verkehrslagen zugeschnitten ist (vgl. BayVGH, B. v. 2.7.2014 – 10 C 12.2728 – juris Rn. 43 für ein Straßenmusikfestival) und nicht unbedingt auf eine Straßenbahn Anwendung findet, die im Linienbetrieb zulässigerweise durch eine Fußgängerzone fährt, kann offen bleiben, weil sich jedenfalls aus § 1 Abs. 2 StVO ergibt, dass der Kläger nicht auf seinem Vorrang als Fußgänger in der Fußgängerzone beharren und ihn durchsetzen darf, wenn die konkrete Gefahr besteht, dass er durch sein Verhalten sich selbst oder andere Verkehrsteilnehmer schädigt.
Das Verhältnis zwischen dem Gemeingebrauch an den Verkehrsflächen der Fußgängerzone, der durch die entsprechende straßenrechtliche Widmung konkretisiert wird, und dem Straßenbahnverkehr in der Fußgängerzone ist durch die Satzung über die Sondernutzungen in den Fußgängerbereichen „Innenstadt“ und „H.-hof“ vom 5. Mai 1983 geregelt. Die Benutzung der Fußgängerbereiche durch die Straßenbahn stellt demnach eine erlaubnispflichtige Sondernutzung dar. Die entsprechende Sondernutzungserlaubnis (und verkehrsbehördliche Erlaubnis) wurde mit Bescheid vom 18. Januar 1993 erteilt.
3. Ein Verfahrensmangel i. S. v. § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO liegt ebenfalls nicht vor. Insbesondere ist das Verwaltungsgericht seiner Sachaufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO nachgekommen. Die Amtsermittlungspflicht aus § 86 Abs. 1 VwGO beschränkt sich auf den rechtlich relevanten, entscheidungserheblichen Sachverhalt (Geiger in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 86 Rn. 6; Rixen in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 86 Rn. 10). Es entscheidet daher alleine das Gericht darüber, welche Tatsachen zur Entscheidung des konkreten Streitfalls nach seiner Rechtsauffassung aufklärungsbedürftig sind.
Das Verwaltungsgericht hat deswegen nicht gegen seine Pflicht zur Sachaufklärung nach § 86 Abs. 1 VwGO verstoßen, weil es den Beweisanregungen des Klägers, eine Auskunft der WSB einzuholen, wo die Tachographenscheibe vom 25. August 2011 der streitgegenständlichen Straßenbahn verblieben sei und warum der Chip nicht ausgelesen und gespeichert worden sei, und den ermittelnden Sachbearbeiter zu der Tatsache zu vernehmen, dass der Kläger von einer zu schnell fahrenden Straßenbahn bedrängt worden sei, nicht nachgekommen ist. Einer förmlichen Ablehnung des Beweisantrags nach § 86 Abs. 2 VwGO bedurfte es nicht, da der Kläger seine Beweisanträge ausdrücklich als bedingte Anträge gestellt hat. Der Verbleib der Tachographenscheibe und die Gründe für die Nichtauslesung des Chips sind für die Tatsache, für die der Kläger Beweis angeboten hat, nämlich dass die Straßenbahn zu schnell fuhr, rechtlich nicht relevant. Nach der im Urteil dargelegten Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts ist sie zudem nicht entscheidungserheblich, weil selbst dann, wenn die Straßenbahn nicht an den Fußgängerverkehr angepasst gefahren sein sollte, der Kläger wegen § 1 Abs. 2 StVO nicht auf seinem Vorrecht als Fußgänger hätte beharren dürfen.
Auch sonstige Verfahrensfehler sind nicht ersichtlich. Das Gericht hat zur Aufklärung des für die Entscheidung relevanten Sachverhalts, nämlich ob der Kläger absichtlich unvermittelt vor die Straßenbahn getreten ist und diese damit gezielt gezwungen hat, bis zum Stillstand abzubremsen, den Straßenbahnführer und die beiden Polizisten, die den Vorfall beobachtet hatten, als Zeugen vernommen. Damit ist es seiner Amtsermittlungspflicht aus § 86 Abs. 1 VwGO nachgekommen. Das Verwaltungsgericht musste insbesondere nicht ermitteln, welche Straßenbahnlinie in welcher Taktfrequenz am 25. August 2011 zur fraglichen Zeit unterwegs war, weil dies für die Beurteilung, ob der Kläger den Tatbestand des § 315b StBG verwirklicht hat, unerheblich ist. Ob Fußgänger der Straßenbahn auch in einer Fußgängerzone den Vorrang einräumen müssen, stellt eine Rechtsfrage dar, so dass insoweit keine Sachaufklärung erforderlich ist. Das Verwaltungsgericht hat seine Amtsermittlungspflicht auch nicht dadurch verletzt, dass es den Hinweisen des Klägers in seinem Schreiben vom 22. November 2011 unter Nr. 1, 2 und 4 nicht nachgegangen ist. Ob der Kläger rechtzeitig zur Beschuldigtenvernehmung für das aufgrund des Vorfalls eingeleitete Ermittlungsverfahren nach § 315b StGB geladen worden ist und ob seine Schreiben sämtlich ordnungsgemäß abgeheftet und paginiert worden sind, ist für die Prüfung der Rechtmäßigkeit des Platzverweises und der Sicherstellung am 25. August 2011 nicht entscheidungserheblich. Das Gericht war auch nicht verpflichtet, ein technisches Fachgutachten zu der Frage einzuholen, ob die Straßenbahn in W. technisch in der Lage ist, Schrittgeschwindigkeit zu fahren, weil dies vorliegend rechtlich ebenfalls nicht relevant ist. Aufgrund der Zeugenaussage des Straßenbahnführers steht fest, dass die Straßenbahn mindestens 10 bis 15 km/h schnell gefahren ist. Das Verwaltungsgericht vertritt die Auffassung, dass diese Geschwindigkeit von jedenfalls unter 20 km/h zulässig und hinreichend angepasst war.
Weder aus den vorliegenden Akten noch aus dem Vorbringen des Klägers in seinem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ergeben sich Anhaltspunkte für eine Verletzung seines Rechts auf rechtliches Gehör. Insbesondere ist das Gericht nicht gezwungen, seine gerichtliche Überzeugung (§ 108 Abs. 1 VwGO) oder seine Rechtsauffassung vor seiner Entscheidung offen zu legen. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend sind. Dies hat das Verwaltungsgericht getan. Es hat sich bei seiner Überzeugungsbildung auf die in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Erkenntnisse gestützt. Der Kläger hatte Gelegenheit, den Zeugen selbst Fragen zu stellen und sich zu ihren Aussagen zu äußern. Soweit der Kläger bemängelt, das Protokoll der mündlichen Verhandlung sei unvollständig, lässt sich damit ein Verstoß gegen das rechtliche Gehör nicht begründen. Der Kläger hätte die Möglichkeit gehabt, bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung einen Protokollergänzungsantrag (§ 105 VwGO i. V. m. § 160 Abs. 4 ZPO) oder nach der mündlichen Verhandlung einen Protokollberichtigungsantrag (§ 105 VwGO i. V. m. § 164 ZPO) zu stellen. Soweit der Kläger meint, die angebliche Lücke im Protokoll beweise, dass sein Vorbringen zur Gefahrenbremsung und zum Vermerk auf der Sicherstellungsbescheinigung nicht zur Kenntnis genommen worden sei, und daraus auf eine Verletzung seines rechtlichen Gehörs schließt, übersieht er, dass nach der Rechtsauffassung des Gerichts die Tatsache, ob eine Gefahrenbremsung durchgeführt worden ist oder ob sich der fragliche Vermerk auf der Sicherstellungsbescheinigung befand, nicht entscheidungserheblich war. Das Verwaltungsgericht hat in den Urteilsgründen ausgeführt, es gehe davon aus, es sei klargestellt worden, dass der Kläger sein Fahrrad zeitnah wieder auf der Dienststelle abholen könne. Auf die Sicherstellungsbescheinigung, deren Kopie sich bei den Akten befindet, hat es dabei nicht abgestellt, da diese nur den Vermerk „Fahrrad kann ausgehändigt werden“ trägt, sondern auf die Stellungnahme des Zeugen K. vom 29. September 2011, wonach er dem Kläger erklärt habe, dass dieser sein Fahrrad am nächsten Tag bei der Polizeiinspektion abholen könne.
Das Gericht hat zwar mit der gemeinsamen Einvernahme der beiden Streifenpolizisten gegen § 98 VwGO i. V. m. § 394 ZPO verstoßen. Bei § 394 ZPO handelt es sich allerdings nur um eine bloße Ordnungsvorschrift (vgl. BFH, B. v. 15.10.2008 – X B 120/08 – juris Rn. 4 m. w. N.), deren Verletzung nicht als Verfahrensmangel anzusehen ist (Seibert in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 124 Rn. 196) und daher auch nicht die Zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO rechtfertigen kann. Daher kann offen bleiben, ob der Kläger diesen Verstoß überhaupt noch rügen konnte, nachdem er der gemeinsamen Zeugeneinvernahme ausdrücklich zugestimmt hatte.
4. Soweit der Kläger vorbringt, das Verwaltungsgericht habe seine Klage zu Unrecht als unzulässig abgewiesen, vermögen seine umfangreichen Ausführungen hierzu die Zulassung der Berufung nicht zu rechtfertigen.
Das Erstgericht hat seine Entscheidung selbstständig tragend auf die Unzulässigkeit und die Unbegründetheit der Klage gestützt. Die Ausführungen zur Unbegründetheit der Klage stellen keine hilfsweisen Erwägungen dar, da sie sich wesentlich auf die in der mündlichen Verhandlung durchgeführte Beweisaufnahme stützen. Nach allgemeiner Auffassung darf das Gericht jedenfalls dann, wenn die Rechtsschutzvoraussetzungen nicht eindeutig sind, die Klage auch aus materiellen Gründen abweisen (BVerwG, B. v. 11.11.1991 – 4 B 190.91 – juris Rn. 6). Hat das Gericht – wie hier – seine Entscheidung in zulässiger Weise auf zwei selbstständige, jeweils für sich tragende Gründe (die Unzulässigkeit und die Unbegründetheit der Klage) gestützt, kann ein Antrag auf Zulassung der Berufung nur Erfolg haben, wenn gegen beide Begründungen jeweils ein durchgreifender Zulassungsgrund geltend gemacht wird und vorliegt. Liegt nämlich nur im Hinblick auf einen der Begründungsteile ein Zulassungsgrund vor, so muss eine etwaige Zulassung daran scheitern, dass dieser Begründungsteil hinweggedacht werden könnte, ohne dass sich am Ausgang des Zulassungsverfahrens etwas änderte, weil bezüglich des anderen Begründungsteils keine Zulassungsgründe vorliegen (vgl. BVerwG, B. v. 11.11.1991, a. a. O., Rn. 4). Da ein beabsichtigter Zulassungsantrag, der sich gegen die Abweisung der Klage als unbegründet richtet, ohne Erfolg bleiben wird (s.o.), erwiese sich das Urteil selbst dann als richtig, wenn die Abweisung der Klage als unzulässig eine Zulassung der Berufung rechtfertigen würde.
Eine Kostenentscheidung ist entbehrlich. Das Verfahren auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist gerichtsgebührenfrei. Die im Prozesskostenhilfeverfahren entstandenen Kosten trägt jeder Beteiligte selbst (§ 166 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.