Verwaltungsrecht

Bindung des Gerichts an die Einstufung als sicheres Herkunftsland

Aktenzeichen  M 17 S 16.33432

Datum:
18.10.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 29a

 

Leitsatz

1 Der Kosovo ist als ein sicherer Herkunftsstaat nach § 29a Abs. 2 AsylG, Anlage II zu § 29a AsylG einzustufen, woran die Gerichte gebunden sind, es sei denn, sie sind der Überzeugung, dass sich die Einstufung als verfassungswidrig erweist (ebenso BeckRS 9998, 55362). (redaktioneller Leitsatz)
2 Die bloße Berufung auf wirtschaftliche Schwierigkeiten sowie familiäre Zerwürfnisse aufgrund bisexueller Neigungen genügt nicht, um die durch § 29a AsylG normierte Nichtverfolgungsvermutung zu erschüttern. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der 1994 geborene Antragsteller ist Staatsangehöriger des Kosovo. Er wurde in Deutschland geboren und lebte bis zu seinem siebten Lebensjahr hier. Nach eigenen Angaben reiste er am … September 2015 auf dem Landweg wieder in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 4. März 2016 Asylfolgeantrag.
Mit Schreiben vom 28. Februar 2016 und bei der Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am … August 2016 gab der Antragsteller im Wesentlichen an, dass ihn sein Vater, der nach einem Arbeitsunfall schwerbehindert sei, zuhause hinausgeworfen habe, da er von seinen bisexuellen Neigungen erfahren habe. Diese Neigungen seien eine Schande für die Familie und diese nehme ihn nicht auf, da sie mit ihm nichts zu tun haben möchte. Im Kosovo habe er es schwer, zu leben und akzeptiert zu werden. Er habe keine finanziellen Mittel, um anderswo Fuß zu fassen. Er sei in Deutschland geboren und wünsche sich, hierbleiben zu können, um ein leichteres Leben zu haben.
Mit Bescheid vom 22. September 2016, zugestellt am 28. September 2016, lehnte das Bundesamt die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1) und auf Asylanerkennung (Nr. 2) als offensichtlich unbegründet ab, lehnte den Antrag auf subsidiären Schutz ab (Nr. 3) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen (Nr. 4). Es forderte den Antragsteller auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen, anderenfalls wurde ihm die Abschiebung nach Kosovo oder in einen anderen Staat, in den er einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist, angedroht (Nr. 5). Zudem wurde das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 7 des Aufenthaltsgesetzes angeordnet und auf zehn Monate ab dem Tag der Ausreise befristet (Nr. 6) sowie das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 7).
Zur Begründung führte das Bundesamt insbesondere aus, dass über das Erstverfahren des Antragstellers, insbesondere Datum der Antragstellung, Aktenzeichen und Inhalt des Bescheids, keinerlei Unterlagen mehr vorlägen. Die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens seinen vorliegend gegeben, die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und die Anerkennung als Asylberechtigter lägen aber offensichtlich nicht vor. Der Antragsteller stamme aus einem sicheren Herkunftsstaat, so dass vermutet werde, dass er nicht verfolgt werde. Der Antragsteller habe nichts glaubhaft vorgetragen oder vorgelegt, was zu der Überzeugung gelangen ließe, dass, entgegen der Einschätzung der allgemeinen Lage in seinem Herkunftsstaat, die Voraussetzungen für die Annahme einer begründeten Furcht vor Verfolgung oder eines ernsthaften Schadens erfüllt seien. Es gebe weder Anhaltspunkte für eine staatliche Verfolgung noch für eine asylrechtlich erhebliche Verfolgung durch nicht-staatliche Dritte. Auch sei Homosexualität im Kosovo nicht strafbar. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus lägen nicht vor, insbesondere sei weder von der kosovarischen Regierung noch durch nichtstaatliche Dritte eine unmenschliche Behandlung zu erwarten. Die nationalen und internationalen Sicherheitskräfte gewährleisteten grundsätzlich Schutz und Sicherheit. Abschiebungsverbote lägen ebenfalls nicht vor. Die derzeitigen humanitären Bedingungen in Kosovo führten nicht zu der Annahme, dass bei Abschiebung des Antragstellers eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliege. Dem Antragsteller sei es vor seiner Ausreise gelungen, seinen Lebensunterhalt als Kellner zu bestreiten, so dass davon auszugehen sei, dass ihm dies auch nach seiner Rückkehr gelingen werde. Es drohe ihm auch keine individuelle Gefahr für Leib und Leben.
Hiergegen erhob der Antragstellers am 6. Oktober 2016 zur Niederschrift beim Bayerischen Verwaltungsgericht München Klage (M 17 K 16.33431) und beantragte gleichzeitig,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung im Bescheid vom 22. September 2016 anzuordnen.
Zur Begründung nahm er Bezug auf seine Angaben gegenüber dem Bundesamt und führte aus, dass durch ein Missverständnis mit der Security und aufgrund eines Temins zur Verlängerung seiner Aufenthaltsgestattung er wieder nach Hause geschickt worden sei, obwohl er bereits am 4. Oktober 2016 seine Klage habe einreichen wollen. In einem früheren Verfahren sei er als asylberechtigt eingestuft worden und er wolle diese Anerkennung wieder erreichen, zumal er im Kosovo keine Heimat und kein Zuhause mehr habe. Er benötige noch ein wenig Zeit, um das Verhältnis mit seinen Eltern wieder zu verbessern. Sein Vater sei psychisch krank und es gebe einige Dinge zwischen ihnen, für die er sich heute schäme. Später könne er vielleicht zu ihnen zurückkehren.
Die Kopie eines Bescheids vom 22. April 1998, mit dem die Anerkennung des Antragstellers als Asylberechtigter vom 21. Januar 1998 widerrufen sowie festgestellt wurde, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen, wurde nachgereicht.
Die Antragsgegnerin stellte keinen Antrag.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte in diesem Verfahren und im Verfahren M 17 K 16.33431 sowie auf die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
Der Antragsteller möchte erreichen, dass die kraft Gesetzes (§ 75 AsylG) ausgeschlossene aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid vom 22. September 2016 nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO i. V. m. § 36 Abs. 3 AsylG angeordnet wird.
I.
Der Antrag ist bereits unzulässig, da dieser nicht innerhalb der Wochenfrist des § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG gestellt wurde.
Nach dieser Vorschrift sind Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe des Bescheids zu stellen. Im vorliegenden Fall ging der streitgegenständliche Bescheid dem Antragsteller am 28. September 2016 zu. Die Wochenfrist endete damit mit Ablauf des 5. Oktober 2016 (§ 57 Abs. 2 VwGO i. V. m. § 222 Abs. 1, 2 ZPO, § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 Alt. 1, § 193 BGB), so dass der am 6. Oktober 2016 bei Gericht eingegangene Antrag verfristet ist.
Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 60 VwGO) sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Selbst wenn der Antragsteller, wie er behauptet, am 4. Oktober 2016 gehindert gewesen sein sollte, die Klage einzureichen und den Eilantrag zu stellen, hätte er dies am 5. Oktober 2016 – und damit innerhalb der Antragsfrist – nachholen können. Die Fristversäumnis ist damit nicht unverschuldet im Sinne von § 60 Abs. 1 VwGO.
II.
Selbst wenn man insoweit jedoch einen Wiedereinsetzungsgrund und fehlendes Verschulden des Antragstellers bejahen würde, wäre der Antrag unbegründet, da keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen (vgl. Art. 16a Abs. 4 GG, § 36 Abs. 4 AsylG).
1. Gemäß Art. 16a GG, § 36 Abs. 4 AsylG kann das Verwaltungsgericht auf Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO die Aussetzung der Abschiebung anordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Im Rahmen der Entscheidung über einen solchen Antrag ist im Hinblick auf den durch Art. 19 Abs. 4 GG gebotenen effektiven Rechtsschutz zu prüfen, ob das Bundesamt zu Recht davon ausgegangen ist, dass der geltend gemachte Anspruch auf Asylanerkennung bzw. auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG offensichtlich (vgl. §§ 29a, 30 AsylG) nicht besteht – wobei eine nur summarische Prüfung nicht ausreicht – und ob dieser weiterhin Bestand haben kann (BVerfG, B.v. 2.5.1984 – 2 BvR 1413/83 – BVerfGE 67, 43). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts liegen ernstliche Zweifel i. S.v. Art. 16a Abs. 4 Satz 1 GG vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166 ff.), was nach ständiger Rechtsprechung aber nicht anzunehmen ist, wenn an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen, und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Abweisung geradezu aufdrängt (vgl. BVerfG, B.v. 5.2.1993 – 2 BvR 1294/92 – Inf-AuslR 1993, 196).
2. An der Rechtmäßigkeit der insoweit seitens des Bundesamts getroffenen Entscheidungen bestehen hier keine derartigen ernstlichen Zweifel.
2.1 Ein Verfolgungs- oder Lebensschicksal, das die Anerkennung als Asylberechtigter oder die Zuerkennung einer Rechtsstellung als Flüchtling rechtfertigen würde, ist vorliegend aus dem Vortrag des Antragstellers nicht erkennbar.
a) Die Ablehnung der Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und auf Anerkennung als Asylberechtigter als offensichtlich unbegründet beruht auf § 29a Abs. 1 AsylG. Nach dieser Vorschrift ist der Asylantrag eines Ausländers aus einem Staat i. S. d. Art. 16a Abs. 3 Satz 1 GG (sicherer Herkunftsstaat) als offensichtlich unbegründet abzulehnen, es sei denn, die von dem Ausländer angegebenen Tatsachen oder Beweismittel begründen die Annahme, dass ihm abweichend von der allgemeinen Lage im Herkunftsstaat politische Verfolgung droht.
b) Das Heimatland des Antragstellers, Kosovo, ist ein sicherer Herkunftsstaat (vgl. § 29a Abs. 2 AsylG und Anlage II zu § 29a AsylG). Die Gerichte sind an diese Einstufung gebunden, es sei denn, sie sind der Überzeugung, dass sich die Einstufung als verfassungswidrig erweist (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1507/93 – juris Rn. 65). Verfassungs- oder europarechtliche Bedenken gegen die Einstufung Kosovos als sicherer Herkunftsstaat sind nicht ersichtlich.
c) Der Antragsteller hat die durch § 29a AsylG normierte Nichtverfolgungsvermutung auch nicht durch den schlüssigen Vortrag von individuellen Verfolgungstatsachen erschüttern können. Vielmehr hat er sich lediglich auf wirtschaftliche Schwierigkeiten sowie darauf berufen, dass ihn sein Vater aufgrund seiner bisexuellen Neigungen hinausgeworfen habe und er als Schande für seine Familie gelte. Dies begründet aber bereits mangels Anknüpfung an die dort genannten Merkmale keine Verfolgung im Sinne von Art. 16a GG oder § 3 AsylG. Das Gericht folgt daher der zutreffenden Begründung der Antragsgegnerin im angegriffenen Bescheid, auf die verwiesen wird (§ 77 Abs. 2 AsylG).
2.2 Das Bundesamt hat im Übrigen auch zu Recht die Zuerkennung subsidiären Schutzes (§ 4 AsylG) und das Vorliegen von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG abgelehnt. Das Gericht nimmt auch insoweit auf die Begründung des Bundesamts Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Ergänzend wird auf Folgendes hingewiesen:
Abgesehen davon, dass der Vortrag des Antragstellers zu seinen familiären Schwierigkeiten sehr pauschal und unsubstantiiert ist, könnte er seinen Wohnsitz in andere Landesteile Kosovos verlegen (vgl. § 4 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. der entsprechenden Anwendung von § 3e AsylG § 3e AsylG), insbesondere in urbane Zentren, wo ein Leben in gewisser Anonymität möglich ist (st. Rspr. der Kammer, vgl. z. B. VG München, U.v. 5.2.2015 – M 17 K 14.31233; VG Würzburg, B.v. 29.11.2010 – W 1 S 10.30287 – juris Rn. 20; VG Gelsenkirchen, U.v. 30.5.2012 – 7a K 646/12.A – juris Rn. 20; VG Aachen, B.v. 18.7.2014 – 9 L 424/14.A – juris bzgl. Blutrache bei Grundstücksstreit). Eine Übersiedelung in andere Teile des Landes unterliegt keinen rechtlichen Einschränkungen (Lagebericht des Auswärtigen Amts v. 09.12.2015, S. 17) und ist dem Antragsteller als jungen, gesunden Erwachsenen auch zumutbar.
3. Vor diesem Hintergrund ist auch die nach Maßgabe der §§ 34, 36 Abs. 1 Satz 1 AsylG i. V. m. § 59 AufenthG erlassene Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung nicht zu beanstanden.
Der (gerichtskostenfreie, § 83b AsylG) Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.

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